Wohnhaus des Herrn A. Golsen, Weingutsbesitzer in Zell i. d. Pfalz

Zell i. d. Pfalz ist in der Nähe des Donnersberges auf einem der Bergabhänge des Höhenzuges, welcher sich von dem Haardtgebirge nach dem Donnersberge hinzieht, gelegen. Es ist in der Pfalz durch seine freundliche Lage, namentlich aber durch den guten Wein, welcher auf dessen sonniger Hügelkette wächst, vortheilhaft bekannt. Dieser angenehmen Aussenseite steht jedoch eine wahrhaft bösartige Kehrseite gegenüber und die Bewohner von Zell haben jahraus jahrein mit Naturkräften zu kämpfen, welchen menschliche Kraft in den meisten Fällen nicht gewachsen ist, und welche das Wohnen dortselbst öfters etwas „ungemüthlich“ machen.

Zell steht nämlich auf einem wandernden Baugrunde. Der Berg, auf dessen oberer Hälfte es liegt, (vergl. Abbild. A.) besteht aus bläulichem Letten, nit vielen einzelnen Kalkstein-Felsstücken untermengt. Die Schichtung des Lettens ist stark gegen die Horizontale geneigt und mit unendlich vielen wasserführenden Adern durchzogen.

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Das Plateau des Berges besitzt eine grosse Einsattlung, welche wie ein Trichter alles Meteorwasser aufnimmt und jahraus Jahrein in die unzähligen kleinen Wasseradern abführt. Die Folge dieser geologischen Beschaffenheit des Berges ist nun die, dass ein fortwährendes Schieben nach dem Thale hin stattfindet. Dieses Schieben ist so stark, das oft innerhalb weniger Tage auf dem Wege zum Thal und in den Weinbergen an den Bergabhängen Vertiefungen und denselben entsprechende erhöhte Erdreichwellen von über 1,00 m Höhe entstehen. – Dass unter solchen Verhältnissen Gebäude in die stärkste Mitleidenschaft gezogen werden, liegt auf der Hand und es vergeht kaum ein Jahr dort, in welchem nicht das eine oder andere Haus von Grund aus hergestellt oder abgetragen wird, um einem Einsturze vorzubeugen. Geborstene Mauern weisen alle Häuser auf. –

Abbild A

Das Wohnhaus, dessen Rekonstruktion nachfolgend beschrieben werden soll, wurde von dem gleichen Schicksal betroffen. Es war vor 25 Jahren neu, massiv aus Bruchsteinen erbaut worden und in üblicher Weise konstruirt. Die Deformationen, welche es bis zu seinem vor 2 Jahren erfolgten Abbruch der über dem Keller liegenden Theile erlitten hatte, waren der Art, dass es fast als ein Wunder angesehen werden darf, dass es überhaupt so lange stehen geblieben ist. Die Kellergewölbe (welche mit der Stirnseite gegen den Berg gerichtet sind,) zeigten starke Risse, namentlich 2 sehr starke in der Längsrichtung des Gebäudes, und an den entsprechenden Stellen waren auch sämmtliche inneren und äusseren Kellerwände geborsten. Der Fussboden der Keller (Lagerkeller für Weine) war in den Gängen zwischen den Fasslagern mit Zementbeton belegt, welcher nach allen Richtungen hin gebrochen war; an einzelnen Stellen war der Auftrieb des Bodens so stark, dass ein Lattenverschlag, der oben am Gewölbe anstand, zerdrückt wurde. Durch das Emporquellen des Erdreiches im Innern des Kellers trat ein bedeutendes Setzen der hinteren an den Berg anstossenden Kellermauer ein. Diese Setzung war zunächst die Ursache der großen Sprünge in den Querwänden und Gewölben des Kellers, in weiterer Folge Ursache der grossen Verschiebungen des Hauptgeschosses. Da das Stockgebälk auf jener hinteren Mauer auflag und sowohl mit dieser, wie mit der vorderen Längsfassade gut verankert war, so zog erstere die vordere Mauer (sammt den zwischenliegenden Riegelwänden) nach. Die vordere Fassade brach infolge dessen in ihrer ganzen Länge etwa auf halber Höhe durch und schob sich in der Mitte nach aussen (siehe nebenstehende Skizze Abbildung B). Ausserdem bildete sich noch eine Menge vertikaler Risse, von denen einzelne bis zu 8 cm klafften.

Der nächstliegende Rath, – das Haus ganz abzureissen und an einer andern, weniger gefährdeten Stelle wieder aufzubauen – liess sich aus Gründen der Verwaltung des grossen Gutes nicht durchführen und so wurde dem Verfasser die Aufgabe gestellt:

1. Die Kellerräume (welche wegen ihrer grossen Lagervorräthe nicht entbehrlich waren) zu erhalten und in irgend einer Weise zu befestigen.

2. Auf dem alten Keller ein neues Haus zu bauen und dasselbe möglichst sicher zu stellen.

Angesichts der ausserordentlichen Naturkräfte, welche hier infrage stehen, musste man sich sagen, dass, wenn es auch glücke, den Keller durch starke eiserne Anker, welche kreuzweise die Umfassungs-Wände zusammen fassen, als ein kompaktes Ganzes zu erhalten, es doch keine Kraft dem allgemeinen Schieben des Berges entgegen zu setzen giebt, und ebenso keine Kraft, welche ein allenfallsiges Verschieben in der Horizontal- oder Vertikal-Axe des, als ein Ganzes angenommenen, Kellers verhüten könnte. Eine jede derartige Verschiebung müsste aber auch die oberen Stockwerke mehr oder weniger in Mitleidenschaft ziehen.

Abbild B

Um letzteres zu vermeiden, und also den, über dem Keller liegenden, Theil des Hauses auch für den Fall intakt zu erhalten, dass Verschiebungen des Kellers stattfinden, wurde der ganze obere Theil des Hauses auf einen starken und ausreichend nach allen Seiten verankerten Rost von I-Eisen aufgebaut. Derselbe bestand aus einem ringsum auf den 4 Umfassungs-Mauern aufliegenden Kranze von je 4 verkuppelten I-Eisen 235 mm hoch. In der gleichen Stärke und mit ersterem fest vernietet, liegen je 2 I-Eisen in der Richtung C-D und E-F (siehe den Grundriss), welche daher nur auf den Punkten C, L, P und D sowie E, K, O und F aufliegen. Dieses Gerippe bildet den tragenden Theil des Rostes. Dasselbe wird einerseits unmittelbar durch die oberen Mauern belastet. anderntheils nimmt es durch zwischen liegende kleinere I-Eisen in der Querrichtung die Last des Erdgeschoss-Fussbodens und der Querwände auf. Da die Spannweiten von C-L usw. zu gross für diese Mittelträger waren, so wurden dieselben in ihrer freien Länge noch 2 mal unterstützt. Dem alten Gewölbe konnte mit seinen vielen Sprüngen keine besondere Belastung mehr zugemuthet werden; auch musste darauf gesehen werden, diese Last mit Gewissheit nun ebenfalls auf die Punkte O, L, P, D usw. zu übertragen und diese Lasten durch gut fundamentirte und verankerte Erdbögen aufnehmen zu lassen. (S. weiter unten.) Deshalb wurden über das alte Gewölbe starke Gurte in Zement gewölbt und über dieselben 2 kurze Eisenbahnschienen gelegt, welche nun die Mittelträger in jedem Felde 2 mal unterstützen. (Vergl. Schnitt.)

Schnitt

Es besteht also zwischen dem Keller (der einen besonderen Eingang vom Hofe aus hat), und dem oberen Theil des Hauses keine andere Verbindung als wie die Belastung des ersteren durch letzteren und zwar an den einzelnen Stützpunkten des Rostes.

Da die Untersuchung ergeben hatte, dass die Keller-Mauern durch die grosse Last des früher auf ihnen ruhenden Hauses (Bruchstein-Wände in ansehnlicher Dicke), sich vielfach in den weichen Lettenboden eingesackt hatten, so war auf eine wesentliche Verringerung der oberen Hauslast, sowie auf eine grössere Vertheilung des Bodendruckes Bedacht zu nehmen.

Ersteres wurde dadurch erreicht, dass das Haus nur in Fachwerk erstellt und mit den leichten niederrheinischen Tuffsteinen ausgemauert wurde. Die Aussenwände wurden zum Schutze gegen Kälte und Hitze mit kleinen konischen Lättchen in Zwischenräumen von rd. 4 cm verschalt, diese Zwischenräume mit einem Gemisch von Speis- und Sägemehl verstrichen und alsdann die ganzen Flächen mit einer Holz-Schindel-Verkleidung versehen, wie solche im Schwarzwalde üblich sind.

Grundriss

Die grössere Vertheilung des Bodendrucks wurde durch ein System von Erdbögen (Contrebögen) erzielt. Wie aus dem beigefügten Grundriss ersichtlich ist, ist der Kellerraum durch 2 Mittel-Mauern in der Richtung J, K, L, M und N, O,P, Q in 3 gleiche Theile getheilt, welche mit Tonnnen-Gewölben überspannt sind (siehe auch Schnitt). Die Fundation aller Keller-Mauern war eine ungenügende, nur 0,40 cm unter Kellerboden; das Stück A-B der hinteren, unmittelbar an den Berg stossenden, Mauer hatte durch den Auftrieb des Bodens und die dadurch bewirkten Senkungen derart gelitten, dass es entfernt, und durch ein neues Mauerstück ersetzt werden musste. Letzteres erhielt eine Fundament-Tiefe von 2,00 m, in welcher Tiefe der an jener Stelle völlig durchweichte und elastische Letten sich ziemlich trocken und fest erwies, Als unterste Lage erhielt nun diese neue Mauer eine Zementbeton-Lage von 0,60 m Höhe, bei einer Breite von 2 m. Hierauf wurde das Keller-Mauerwerk in üblicher Weise aufgesetzt.

Sodann wurden sämmtliche Quer- und Umfassungs-Mauern sowohl unter der Sohle, als auch etwa in Scheitelhöhe der alten Gewölbe mit 35 mm starken Rundeisen verankert. (Siehe S auf dem Schnitt und Grundriss.) Da die Querwände mit Thüröffnungen durchbrochen sind, so wurden unter den letzteren Erdbögen zur Verspreizung der unteren Anker angelegt. Ferner wurden in der Längsrichtung von C nach D und von E nach F je 3 Erdbögen eingeschaltet und ebenfalls verankert, um den vorzugsweise auf die Pfeiler C, D, P, D und E, K, O, F wirkenden Druck des oberen Theils des Hauses möglichst zu vertheilen und gleichzeitig die Fundamente der Querwände gegen seitliches Ausbiegen sicher zu stellen. Die Konstruktion dieser Erdbögen ist aus dem Schnitte ohne weiteres ersichtlich. Als ein wesentliches Moment zur Sicherung des Hauses muss noch einer Drainage Erwähnung gethan werden, welche 3-4 m hinter dem Hause und parallel mit dessen Längs-Axe angelegt wurde und zwar aus eigener Initiative des Bauherrn bereits ein Jahr vor dem Abbruch des alten Hauses. Konnte dieselbe auch den Ruin des alten Hauses nicht mehr aufhalten, so wird doch zweifellos ihre günstige Wirkung dem neu erbauten Hause zustatten kommen.

Wohnhaus A. Golsen

Der Wasserstand in dem hinter dem Hause liegenden Brunnen stand früher rd. 1,20 m über der Kellersohle und ist seit Anlage der Drainage (einer sog. Rieselsohle), um 2m gesunken.

Das in vorbeschriebener Weise konstruirte Haus steht jetzt 2 Jahre und hat sich in dieser Spanne Zeit tadellos gehalten, obgleich gerade im letzten Winter in unmittelbarer Nähe desselben wieder sehr beträchtliche Erdverschiebungen stattgefunden haben.

Die spezielle Bauleitung, welche mit vielerlei Schwierigkeiten verbunden war und die grösste Sorgfalt erforderte, wurde durch Hrn. Architekt A. Nopper in der lobenswerthesten Weise ausgeübt.

Mannheim, 19. Mai 1890. W. Manchot.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.