XII. Der Wallraf’s-Platz

Das Südende der Fettenhennen-Straße

Köln hatte noch vor einigen dreißig Jahren in seinen Ringmauern viele malerisch romantische, die Phantasie lebendig beschäftigende Plätze, aber wenige, welche sich in Bezug auf malerische Gesammtwirkung mit dem südlichen Ende der Fettenhennen-Straße an der hohen Schmiede messen konnte.

Den südlichen Schluß der engen Straße bildet der stattliche, fünf Geschosse hohe, 1615 erbaute Treppengiebel des Hauses zur “Fetten-Henne”, mit seinem in den schlanksten Verhältnissen aufstrebenden Fensterwerke, seiner mächtigen Wetterfahne auf dem Lugthürmchen, der Sitz einer Buchhandlung von Thomas Odendahl sel. Witwe. Malerisch schön hat die Zeit den riesigen, verwitterten Giebelbau gefärbt, unheimlich schauen die kleinen runden und viereckigen Scheiben aus den weiten Fensterhöhlen in die düstere Straße.

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Auf der gegenüber liegenden Ecke der Minderer-Brüder-Straße, heute an der Rechtsschule, erhebt sich im jetzigen Alignement ein düster grauer Tufsteinbau. Seit Jahrhunderten haben Wetter und Wind, Frost und Regen arg an dem Giebel gewirthschaftet, Fugen und Ritze ausgebröckelt, die Fenstergewandungen angefressen und dem ganzen düstergrauen Bau in der Färbung einen Charakter gegeben, welcher den Maler entzückt, den man aber mit Worten unmöglich schildern kann. Auf der südöstlichen Ecke ist hoch ein Muttergottesbild angebracht, vielleicht das Werk eines Steinmetzen, welcher mit an dem alten Bildschmucke unseres Domes arbeitete. Aber zerklüftet ist der formschöne Tragstein des Bildes, das Bild selbst dergestalt von der Zeit und dem Wetter zernagt und zerbröckelt, daß man nur noch seine Hauptformen erkennen kann. Der künstlich aus Blei geformte Baldachin des Bildes ist nicht minder zerfressen und verwittert, die Laubornamente zerknickt und verbogen, halb fortgerissen; aus den Fugen und Ritzen wuchern spärliche grüne Grasbüschel und Stockhviolen, mit denen der Sommer seit vielen, vielen Jahren schon das Bild geschmückt hat – malerischer, als dieses Muttergottesbild, läßt sich nicht leicht etwas denken.

Der Siegburger-Hof

Dieser in seinem Verfalle schöne Bau bildete mit den sich au denselben schließenden Gebäulichkeiten der Minderer-Brüder-Straße und dem nach Norden an der Straße zur “Fetten-Henne” liegenden stattlichen Hause den Siegburger-Hof, die Aula Sigebergensis, wo der Abt von Siegburg, besuchte er Köln, sein Absteige-Quartier nahm.

Unter Fettenhennen schließt sich an die Ecke ein mächtiger, zinnengekrönter Giebel mit zwei Thorfahrten, auch aus Tuf gebaut, aber beworfen, und im Hauptbau durch das Einbrechen größerer mit Steingewänden versehener Fenster im ersten und Erdgeschosse in etwa modernisirt. Die Fensterlichter haben auch die sonst in den Erdgeschossen gewöhnlichen Eisengitter nicht mehr und, eine seltene Neuerung, die hölzernen Schutzläden schon im Innern. Ein zehnseitiger Thurmbau, die herkömmliche Auszeichnung aller Edelsitze der Stadt, erhebt sich an der Nordseite. Der aus Trachytquader, Tufsteinen und Ziegeln erbaute Thurm mit seinem Adlerdache, auf dem eine riesige Wetterfahne knarrt und stöhnt, bildet mit dem in seiner Ursprünglichkeit erhaltenen Nordgiebel des Baues, welcher die innere Seite des Hofraumes einschließt, ein düsteres Ganzes, einem Kerker ähnlicher, denn einem Edelsitze. Starke Eisenstäbe schützen die Fenster des Erdgeschosses, rautenförmige Eisengitter schließen die unregelmäßigen Fenster des ersten Geschosses, an denen sich die Ranken eines alten Weinstockes hinaufschlingen, der auch den ganz verwitterten Westgiebel umzieht, mit seinem frischen Grün im Sommer der verbröckelten Tufwand malerischen Schmuck verleihend. Das obere Stockwerk unter dem Zinnenkranze mit seinen mit Eisen beschlagenen Schutzläden nimmt den über den ganzen Bau hinlaufenden Speicher ein. Der Giebelbau des an der Südseite auf den Hof ausgehenden Neben-erkennen kann. Der künstlich aus Blei geformte Baldachin des Bildes ist nicht minder zerfressen und verwittert, die Laubornamente zerknickt und verbogen, halb fortgerissen; aus den Fugen und Ritzen wuchern spärliche grüne Grasbüschel und Stockhviolen, mit denen der Sommer seit vielen, vielen Jahren schon das Bild geschmückt hat – malerischer, als dieses Muttergottesbild, läßt sich nicht leicht etwas denken.

Dieser in seinem Verfalle schöne Bau bildete mit den sich an denselben schließenden Gebäulichkeiten der Minderer-Brüder-Straße und dem nach Norden an der Straße zur “Fetten-Henne” liegenden stattlichen Hause den Siegburger-Hof, die Aula Sigebergensis, wo der Abt von Siegburg, besuchte er Köln, sein Absteige-Quartier nahm.

Unter Fettenhennen schließt sich an die Ecke ein mächtiger, zinnengekrönter Giebel mit zwei Thorfahrten, auch aus Tuf gebaut, aber beworfen, und im Hauptbau durch das Einbrechen größerer mit Steingewänden versehener Fenster im ersten und Erdgeschosse in etwa modernisirt. Die Fensterlichter haben auch die sonst in den Erdgeschossen gewöhnlichen Eisengitter nicht mehr und, eine seltene Neuerung, die hölzernen Schutzläden schon im Innern. Ein zehnseitiger Thurmbau, die herkömmliche Auszeichnung aller Edelsitze der Stadt, erhebt sich an der Nordseite. Der aus Trachytquader, Tufsteinen und Ziegeln erbaute Thurm mit seinem Adlerdache, auf dem eine riesige Wetterfahne knarrt und stöhnt, bildet mit dem in seiner Ursprünglichkeit erhaltenen Nordgiebel des Baues, welcher die innere Seite des Hofraumes einschließt, ein düsteres Ganzes, einem Kerker ähnlicher, denn einem Edelsitze. Starke Eisenstäbe schützen die Fenster des Erdgeschosses, rautenförmige Eisengitter schließen die unregelmäßigen Fenster des ersten Geschosses, an denen sich die Ranken eines alten Weinstockes hinaufschlingen, der auch den ganz verwitterten Westgiebel umzieht, mit seinem frischen Grün im Sommer der verbröckelten Tufwand malerischen Schmuck verleihend. Das obere Stockwerk unter dem Zinnenkranze mit seinen mit Eisen beschlagenen Schutzläden nimmt den über den ganzen Bau hinlaufenden Speicher ein. Der Giebelbau des an der Südseite auf den Hof ausgehenden Nebenhauses ist auch in allen Geschossen mit Eisengitterwerk bestens versehen.

Aegidius-Capelle

An der Südwestseite bildet die St.-Aegidius-Capelle mit ihrem Spitzbogenfenster einen malerischen Schluß. Damals reich mit Glasmalereien geschmückt und einem Standbild des heiligen Aegidius, den Hirsch auf dem Schooße, sitzend unter gothischem Baldachin, der bis ans Gewölbe reichte, auf dem Sockel die Meute. In der Capelle befand sich der Aegidius-Born, dessen Wasser die Gläubigen gegen das Fieber tranken. Eine Merkwürdigleit der Capelle war das Grab des kölnischen Historiographen Gelenius. Die drei Häuser, welche aus dem Siegburger Hof entstanden, hatten ursprünglich gesonderte Eingänge zu der Capelle.

Das Innere des Siegburger-Hofes

In dem Siegburger-Hofe verlebte ich, unter der Obhut meiner Großmutter, die ersten Jahre meiner Kindheit. Eine Stammkölnerin, der Typus einer echtkölnischen Hausfrau, ernst und fromm, rührig thätig, reich an Liedern, Sagen und Legenden, die erste Nahrung der Phantasie des wißbegierigen Knaben, dabei patriotisch schwärmend für die alte Zeit, die Reichsherrlichkeit der freien Stadt und unerschöpflich in den Schilderungen der Pracht und des Reichthums des ehemaligen Domcapitels.

Schon seit mehr als drei Lustren war dieser letzte Glanz der freien Reichsstadt zu Grabe getragen. Eine neue Lebensperiode der Stadt hatte begonnen, trübe, nicht viel verheißend in ihren Anfängen, denn Napoleon war kein sonderlicher Gönner der Stadt Köln, und wer hätte damals den Segen der Gegenwart auch in seinen kühnsten Hoffnungen nur ahnen können.

Den reichsten Stoff fand die Phantasie des Knaben in seiner nächsten Umgebung. Die wie Kirchenhallen gewölbten Keller mit ihren Verbergnissen, ihren großen steinernen Särgen zum Einpöckeln des Fleisches. Die ungeheuere Küche mit ihrem großen Kaminheerde, ihrer reichen Ausstattung. Die geräumigen Säle mit ihren Balkendecken und Stuckornamenten, ihren grün in Gold gedruckten, mottenzerfressenen Tuchtapeten, den stattlichen Kaminen, deren Simse durch die Anbetung der heiligen drei Könige, ernste Kaisergestalten und Wappenschilder belebt, während auf einem ein vollständiges, aus ausgestopften Eichhörnchen und Käutzchen bestehendes Orchester aufgestellt war. Die niedlichen Eichhörnchen bildeten die Instrumentisten, die Käuzchen Brillen auf den Schnäbeln, die Notenblätter in einer Kralle, die Sänger. Die vielen Ecken und Winkel, Gängelchen und Gaden, die steinernen Wendeltreppen, die unregelmäßigen, labyrinthischen Verbindungen der Geschosse durch Treppchen und Schwellen, die überwölbten Zimmer mit ihren vergitterten Fenstern, von dem eines den Namen Archiv führte, wo die Familien-Kostbarkeiten aufbewahrt wurden, dessen seltener Besuch für den Knaben stets ein Fest war, denn welche Wunder gab es da nicht zu sehen?

Und dann die Entdeckungsreisen in den weiten, öden Räumen so spukhaft unheimlich, welche der Knabe in späteren Jahren, von unwiderstehlicher zauberhafter Neugierde getrieben, stets mit vor Furcht pochendem Herzen unternahm, und deren Unheimlichkeit nicht wenig durch den urväterlichen, fremdformig, bizarr gestalteten Hausrath gehoben wurde, der, die Geschichte von, der Himmel weiß, wie vielen Geschlechtern erzählend, nebst Ueberbleibseln alterthümlichen Pferdegeschirres, in allen Winkeln und Kämmerchen aufgehoben war – und welche Ungeheuerlichkeiten wurden da nicht aufbewahrt? Nichts durfte zu Schanden werden.

Kein Streifzug ohne neue Entdeckungen. Aus dem Gerümpel konnte man Jahrhundete der Culturgeschichte des kölnischen Bürgerlebens studiren.

Welche Empfindungen, welche Gefühle der Angst mich hier oft beschlichen, kann nur der ermessen, dessen Kinderzeit ebenfalls, wie die meinige, an Ammenmährchen und Spukgeschichten, an denen Köln vor fünfzig Jahren noch so überreich war, ihre Hauptunterhaltung fand. Aber gerade diese Angst, die grausige Furcht verliehen diesen Irrfahrten in dem weiten, unheimlichen Hause einen eigenthümlichen lockenden Reiz, dem ich nicht widerstehen konnte, erschreckte ich auch nicht selten vor dem eigenen Tritte, oder wenn der Wind kläglich heulend durch die öden Gänge strich, die morschen Bleifenster klirrend rüttelte. Was Wunder!?

Wehrwölfe und Gespenster

Selbst unsere Unarten suchte man uns durch haarsträubende Schauergeschichten abzugewöhnen, und schreckte uns vor Ausflügen in die entfernt liegenden Stadttheile durch grausenerregenden Erzählungen von Gespenstern und Hexen, die in der Gestalt von Katzen im alten Köln eine gar große Rolle spielten. Noch erinnere ich mich übrigens einer Erzählung der Großmutter, wie sie einem Funken, einem Stadtsoldaten, der sich wöchentlich sein Almosen holte, die Bemerkung gemacht habe, daß die Funken unmöglich mit ihrer Löhnung darkommen könnten, und er ihr naiv geantwortet: “Ja, wenn wir den Aposteln-Kirchhof und Mauritius-Kreuz nicht hätten.” Auf weiteres Befragen habe der Funk sich dahin erklärt, daß sie am Mauritius-Kreuz den Wehrwolf spielten, und sich in der Frühe Morgens, in Bettlaken gehüllt, hinter den Grabkreuzen des Aposteln-Friedhofes verbargen und die nach der ersten Messe ziehenden Kappesbäuerinnen erschreckten, welche mit Hinterlassung ihrer Silber beschlagenen Gebetbücher, der Ohreisen und Kopftücher ihr Heil in der Flucht gesucht. Das Zurückgelassene wurde natürlich als gute Beute betrachtet.

Gewaltrichter

Wo Derartiges vorkam, darf man auch der Anekdote von dem Gewaltrichter Glauben beimessen, der meinte, die Spitzbuben und Diebe hätten jetzt, in der französischen Zeit, keinen Respect mehr vor der Policei, da wäre es in reichsstädtischen Tagen ganz anders gewesen, wenn er mit der Gewalt, die Heerpfanne an der Spitze, auf der Hochpforte erschienen, hätten die Diebe sich fern auf der Severinstraße schon aus dem Staube gemacht. Die Heerpfanne war nämlich ein eiserner an einer Stange getragener Korb, in welchem ein Dutzend Pechkränze loderten.

Dem Siegburger-Hofe entsprach sein Gegenüber. Die Straße einengend, weit vorgeschoben über die Ecke der Minderer-Brüder Straße erhob ein riesiger Giebel mit geschlossenen und vergitterten Fenstern seinen First unter einem schweren Satteldache.

Rußig geschwärzt waren die Backsteine, zerfallen und grün bemoos’t die Fensterbänke, und in eigenthümlicher Form baute sich an der südlichen Ecke, weit vorspringend, ein Erker, getragen von stark ausladenden Kragsteinen, verziert mit phantastisch geformten Fratzenköpfen, denen des Knaben Phantasie im Halbdunkel des Abends gewöhnlich spukhaftes Leben verlieh.

Unter diesem Erker fand sich an den Winterabenden häufig der letzte kölner Minstrel ein, sein Name war Reifferscheidt.

Ein hagerer Mann, in fadenscheinigem Roquelaure und breitimpigem Hute, die Harfe trug er an einem Riemen über der Schulter. Munter schlug er in die Saiten, an Zuhörern fehlte es dem Straßen-Concerte nie, und einer der andächtigsten war ich selbst, hielten die buntesten Träume den müdgespielten Knaben nicht schon gebannt. Seine etwas verrostete Baritonstimme schallte laut durch die Nacht, die seiner Frau secundirend, welche mitunter durch einen Rippenstoß oder durch eine kölnische Straßen-Sentimentalität geweckt wurde, wenn sie nicht kräftig genug mit einstimmte. So tief haben sich des letzten kölner Minstrel Lieder und Weisen, wie: “Catringche jing de Bach erop”, “Die verfresse Capuciner” oder “Zu Stephan sprach im Traume”, “Als ich auf meiner Bleiche” u.s.w. meinem Gedächtnisse eingeprägt, daß sie noch zuweilen in heiteren Stunden wiederklingen. Gewöhnlich wählte Reifferscheidt die Zeit des Theaterschlusses, und dann bildeten sich unter dem düsteren Erker in magischer, phantastisch spielender Beleuchtung der Fackeln der Leuchtenmänner die barocksten Gruppen.

Eine altverfallene Mauer, von Schmarotzerpflanzen überwuchert, zog sich von der westlichen Giebelseite des Baues düster die Straße entlang nach Norden bis zu einem Häuschen mit Vorbau, der Wohnung des Buchhändlers und Verlegers Balthasar Neuwirth, meines Urgroßvaters. Ueber die Mauer ragte der südliche Domthurm mit seinem Krahnen spukhaft in die Nacht, vom Siegburger-Hofe besonders im zweifelhaften Mondlichte in voller Winterstaffage gesehen, die altersgrauen Häuser im Vorgrunde, ein Bild so romantisch-malerisch, wie es der phantasiereichste Maler nicht schöner und wirkungsreicher erfinden könnte.

Die Domprobstei

Des düsteren Baues Hauptfronte ging nach Süden, bildete den Schluß der Ansicht von der Hochstraße. Schwervergittert waren die hohen Fenster aller Geschosse. Verfall und Verwitterung, Vernachlässigung des Giebels gaben dem großen Hause den trostlosen Charakter, den vor fünfzig Jahren alle der Domaine gehörigen, alle öffentlichen Gebäude der Stadt trugen. An der Ostseite schloß sich ein Thorweg und eine in die Straße vorspringende Gartenmauer dem Baue an, zu dem Hause des Grafen Königsegg gehörend, später die Dompfarrschule auf dem Domkloster, an welches, die südwestliche Ecke desselben bildend, auch der äußere Bau mit seinen verfallenen Hintergebäuden stieß, indem dieser, als ehemalige Domprobstei, einen Ausgang auf das Domkloster hatte.

Ein wahres Heiligthum für mich war der ungeheuerliche Bau, denn in demselben wohnte ein Mann, in dessen Namen sich dem Knaben alle Begriffe des Wissens, Könnens und Schaffens vereinigten – Professor Ferdinand Franz Wallraf, der seiner Stelle als Rector der 1798 aufgehobenen kölnischen Universität entsetzt wurde, weil er der französischen Republik den Eid der Treue nicht schwören wollte.

Kölner Dom (1911)

Der letzte Minstrel

Der letzte Domprobst, Graf zu Dettingen, hatte dem Professor Wallraf die Probstei, welche Jener selbst nie bewohnt, als Wohnung abgetreten. Wallraf mußte dieselbe aber beim Umschwung der Dinge mit einer Gensd’armerie-Caserne theilen, bis ihm im Jahre XII ein Ministerial-Rescript die unentgeltliche Nutznießung des Gebäudes auf Lebenszeit zuerkannte, und ungestört ließ den Hochverdienten die preußische Regierung im Besitz.

Professor Ferdinand Wallraf

Inmitten seiner Schätze der Kunst und Wissenschaft, chaotisch durch einander liegend, im buntesten, der kühnsten Phantasie undenklichen Wirrwar in den düstern Räumen in Staub und Moder auf einander geschichtet, lebte Wallraf, oft das Nothwendigste entbehrend, um seiner Sammlerlust genug zu thun, oft, wegen Mangels an Brandgeriß, in seinen Talar und Mantel gehüllt, vor Kälte bebend und zitternd, denn der letzte Centime war zur Erwerbung eines Gemäldes, eines seltenen Buches, einer Antike oder Anticaglis verausgabt. Sein Stadt-Patriotismus war dem eines alten Römers gleich, jeder und aller Aufopferungen fähig. Seine Bemühungen, seine Entbehrungen brachte Wallraf mit der freudigsten Opferwilligkeit seiner Sammler-Manie, aber vor Allem seiner festen Treue und Liebe zur Vaterstadt zum Opfer. Goethe schildert den würdigsten Kölner treffend, wenn er sagt: “Er gehört zu den Personen, die bei einer gränzenlosen Neigung zum Besitz ohne methodischen Geist, ohne Ordnungsliebe geboren sind, ja, die eine Scheu anwandelt, wenn nur von Weitem an Sonderung, schickliche Disposition und reinliche Aufbewahrung gerührt wird. Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbarsten Gegenstände der Natur, der Kunst, des Alterthums über einander stehen, hangen und sich durch einander umhertreiben. Wie ein Drache bewahrt er diese Schätze, ohne zu fühlen, daß Tag für Tag etwas Treffliches und Würdiges durch Staub und Moder, Schieben, Reiben und Stoßen, einen großen Theil seines Werthes verliert”.

Das Innere seiner Wohnung

Wallraf’s excentrische Sammlerwuth, sein edler Zorn, wurde irgend etwas der Vaterstadt entfremdet, daher seine Abneigung gegen die Gebrüder Boisserée und Bertram, erhielt eine heilige Weihe durch seinen, man darf sagen, antiken Patriotismus. Was er mit so großen, aber eben so freudigen Opfern und Entbehrungen, so unsäglichen Anstrengungen vollbrachte, that der würdigste Kölner einzig für die Vaterstadt, seines Daseins Idol.

Aus kölnischer Vetterschaft des Herrn Professors zu meiner Großmutter und der Nachbarschaft halber, war es mir zuweilen vergönnt, die Schwellen dieses Tempels der Kunst und Wissenschaft zu überschreiten, dieses nicht zu schildernde Chaos der Wunder mit andächtiger Scheu zu bestaunen. Mit Mühe wand man sich auf den Gängen und in den Zimmern durch die hier aufgestapelten Massen von Gemälden, Kunstgegenständen, Antiquitäten und Büchern; durch das ganze weite Haus wehte ein eigenthümlicher Moderduft, dem Professor die angenehmste Atmosphäre, denn selbst um und auf seinem schlichten Nachtlager thürmten sich im tollsten Bunterlei Bücher, Kupferstiche, Curiositäten und Antiquitäten aller Gattungen. Die Großmutter erzählte, daß dem Herrn Professor einmal bei einer feierlichen Gelegenheit, wo er nach dem Dome mußte, die einzige schwarzseidene kurze Hose unter seiner tollen Umgebung abhanden gekommen, und erst, nach langem, langem Suchen, als die Domglocken schon riefen, unter einem Haufen von Büchern und Kupferstichen glücklich wiedergefunden worden sei.

Goethe’s Urtheil über Wallraf

Mit welchen Argus-Augen überwachte er Jeden, der ihn besuchte, und der Besuche waren viele, seitdem wir wieder deutsch geworden, unter denselben auch Goethe! In Mitten seiner Schätze mochte sich Wallraf selber nicht trauen. Ich habe ihn gegen eine junge Dame seiner näheren Bekanntschaft in allem Ernste die Bitte aussprechen hören: “Die Finger bei sich zu halten!”

Minoriten-Kloster

Wallraf wurde dem Kinde schon bekannt durch meinen ersten Lehrer, den Guardian des Minoriten-Klosters, bei welchem ich zuerst buchstabirte und Buchstaben kritzelte. Noch erinnere ich mich der Höllenangst, mit der ich an der Klosterbibliothek an der Hand der Magd vorübereilte, denn die Reihen der düsteren Einbände und die an Ketten liegenden großen Bücher machten auf den Knaben einen gespensterhaften Eindruck. Von dem würdigen Minderen-Brüder-Herrn, durch dessen Bemühungen auch der Stadt die Prachtorgel der Kirche, welche nach Elberfeld verkauft werden sollte, erhalten war, wurde mir Wallraf als die höchste Potenz des Wissens und Könnens gepriesen. Und wie oft habe ich von meiner Großmutter hören müssen, daß Wallraf und Daniels, der spätere Staatsrath, Schneiderssöhne, und der spätere Ober-Tribunalsrath Blanchard Sohn eines Opfermannes oder Sacristans der Kirche zum h. Mauritius aus der Huhnsgasse!

Frau Du Mont-Schauberg

Noch gedenke ich der kindlichen Ehrfurcht, mit welcher ich den seligen Wallraf anstaunte, wenn der stattliche Mann in seinem fadenscheinigen Mäntelchen um die Mittagszeit sein Haus verließ, um nach dem Hause DuMont-Schauberg auf der Brückenstraße zu wandern, wo ihn stets die herzlichste, aufrichtigste Gastlichkeit empfing, man darauf Bedacht nahm, seine Leibgerichte zu kochen. Die würdige Frau des Hauses, das Muster einer echten, frommchristlichen Bürgerin im schönsten Sinne des Wortes, nahm sich des verehrten Sonderlinges an, sorgte für Kleider und Wäsche, ohne je die Geduld zu verlieren, wenn auch ihr weiblich ordnender Sinn an der mehr als chaotischen Verwirrung seiner Wohnung, in die sie wenigstens einige Ordnung zu bringen suchte, zu wiederholten Malen scheiterte.

Wallraf’s Reise nach Paris

Ihr Gatte, Marcus DuMont bereitete dem Kunstenthusiasten den höchsten Genuß, als er denselben 1812 mit nach Paris nahm, wo ihm in den weiten Kunsthallen des Louvre ein wahres Elysium aufging. Rührend sind die Schilderungen seiner Schüler der Stunden, die sie in den Museen mit dem Allverehrten zubrachten.

Eine heilige Scheu erhielt ich vor dem sonst leutseligen, kindlich milden Manne, als er uns einmal auf dem Domkloster, wo die größeren Knaben sich mit dem Abwerfen der Laubzierathen und Knäufe am Domthurme belustigten, abkanzelte, einige Püffe umtheilte und bei unserem Lehrer, der nur zu gern die Fuchtel führte, noch eine Tracht Hiebe für die Schuldigen beantragte.

Ein Antrag, dem in gehörigster Form willfahrt wurde.

Sein Jubelfest Seine Todtenfeier

Bei seinem fünfzigjährigen Jubelfeste am 20. Juli 1823, in welchem die Stadt ihrem großen Bürger die rührendste Ovation brachte, trat ich dem Hochverehrten wieder näher, ich widmete ihm meinen ersten größeren poetischen Versuch. Aber schon am 3. November traf ihn ein Schlagfluß, am 18. März 1824 ging er ein in die ewigen Wohnungen. In Massen strömten die Bürger nach der alten Probstei, nach den von seinem Schüler und Freunde De Noël würdigst in eine Trauerhalle umgeschaffenen Räumen, wo Wallraf gelebt, gewirkt, gelehrt, für das Schöne begeistert, wo er oft gedarbt unter seinen mit beharrlichster Ausdauer und Entbehrungen gesammelten Kunstschätzen, zu deren Erbin er längst seine Vaterstadt eingesetzt, um Abschied zu nehmen von den irdischen Ueberresten des großen Bürgers. Am 22. März 1824 geleiteten wir seine irdische Hülle feierlichst zu ihrer letzten Ruhestätte, ein Tag der Trauer der ganzen Stadt. Verödet stand 1830 die alte Probstei, trostlos wie ihre Umgebung, in ihrem Verfalle. Sie wurde niedergerissen, um an der Stätte ein Vicariegebäude für das seit 1825 wieder eingeführte Domcapitel zu erbauen. Kaum war der alte Bau niedergelegt, Trümmer und Schutt fortgeräumt, als Herr Baurath Biercher, der damals als Bau-Inspector die Arbeiten leitete, von der Ansicht auf den Dom, welchen die Baustelle gewährte, überrascht wurde. Bei ihm stieg der Gedanke auf, an dieser Stelle einen freien Platz zu schaffen. Der Erzbischof Graf Ferdinand August von Spiegel zum Desenberg und der damalige Regierungs-Präsident waren bald für das schöne Project gewonnen, welches Herr Baurath Biercher mit dem regsten lobenswerthesten Eifer verfolgte. Er wandte sich an die zur Beschaffung der Amtswohnungen der Domcapitulare und Domgeistlichen eingesetzte Commission und brachte eine Stelle in der Nähe des Justizgebändes, die städtisches Eigenthum, in Vorschlag, um auf derselben die Vicarien-Wohnungen zu errichten, und an der Stätte der ehemaligen Probstei einen freien Platz zur Verschönerung der Stadt zu ermöglichen. Biercher’s gründlich motivirter Vorschlag fand Anklang, wurde am 23. April 1830 einstimmig von der Commission angenommen. Sofort schritt man zur Regulirung des Platzes. Stadtbaumeister Weyer baute die Häuser an der Ost- und Nordseite, der Dombaumeister Geheimerrath Zwirner später an die Stelle des östlichen Theiles des Siegburger-Hofes und seiner düsteren Umgebung das große Haus, jetzt der Sitz der Gesellschaft “Concordia”; die Gebäulichkeiten des Siegburger-Hofes in der Minderer-Brüder-Straße wurden zu Domcapitularen-Wohnungen umgebaut. Nur der bauschöne Giebel des jetzigen Kaaf’schen Hauses ist von der alten, düsteren aber malerifchen Umgebung, wie ich sie zu schildern versuchte, geblieben, noch eine Bauzierde der Stadt, ein bauschöner Contrast gegen die monotone Nüchternheit der meisten pappschachtelartigen Neubauten, welche das alte Köln verdrängt haben.

Wallraf’s-Platz

Wallraf-Richartz-Museum (1911)

Dem Baurath Biercher verdankt die Stadt den Platz am nördlichen Ende der Hochstraße; des Volkes Stimme gab denmiselben in dankbarer Anerkennung gegen seinen würdigen, ehrenwerthen Bürger den Namen: Wallraf’s-Platz.

Geneigter Leser! Wir sind am Ziele, sei aber versichert, daß ich in meinen, wenn auch flüchtig angelegten Bildern der Wahrheit. die Ehre gegeben, nicht zu stark aufgetragen habe. Dir bleibt der Vergleich des jetzigen Köln mit Köln vor fünfzig Jahren!

Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.