Aus dem neuen Südafrika – IV. Minen und Kaffernarbeit

Noch lange wird wohl in den kommenden Jahren darüber gestritten werden, wie die Frage einer rationellen Besiedelung und ersprießlichen agrikulturellen Ausbeutung der südafrikanischen Länder zu lösen sein wird.

So wie die Sachlage jetzt ist, kann man wohl mit ziemlicher Sicherheit voraus sagen, daß die politischen Wirren, die bis zur Klärung der Verhältnisse für die nächste Zeit noch zu erwarten sind, die Kämpfe zwischen dem englischen Imperialismus und dem neuerwachten Geist kolonialer Selbständigkeit, der im Groß-Südafrika-Gedanken gipfelt, vor allem auch die nervöse Angst Großbritanniens vor ausländischen Einflüssen in den neueroberten Ländern, die Einwanderungs- und Bewirtschaftungsfrage geraume Zeit ihrer Lösung fernhalten werden. Gehen doch heute noch selbst die Meinungen, betreffend die Möglichkeit, das Land überhaupt jemals mit Erfolg für den Ackerbau zu gewinnen, stark auseinander.

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Aber inzwischen wird „der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“ der Reichtum an Metallen und Edelsteinen bleiben, den der Boden des Landes da, wo vielleicht niemals eines Bauern Pflugschar ihre Arbeit verrichten wird, birgt. Man hat in der Entwicklungszeit, in den Anfangsstadien der südafrikanischen Minenarbeiten, wo man oft an verschiedenen Punkten die verschiedensten Erdschätze in kleinen, rasch erschöpften Lagern fand und Enttäuschungen über Enttäuschungen erlebte, Südafrika als ein land of samples, als ein „Musterlager“ von Metallen und Juwelen bezeichnet, dessen Boden den Schatzgräber zum Narren hielt. Die Tiefminenarbeit in den Diamantgebieten Kimberleys mit ihren enormen Ergebnissen, die es heute dazu gebracht haben, daß – die Kaufkraft der Welt für Rohdiamanten auf annähernd 7 Millionen gerechnet – die De Beersminen in Kimberley und die Jagersfonteinminen in den Granjekolonien etwa 90 Prozent dieser Kaufkraft befriedigen, die kolossalen Erträgnisse der Goldgrubenarbeit Witwaters Randes in Transvaal, die, in den Jahren 1887-1900 beständig steigend, zuletzt einen Wert von 81 Millionen Pfund Sterling repräsentierten, von andern Metallfunden ganz abgesehen, macht jene herabsetzende Charakterisierung die Ergiebigkeit des südafrikanischen Bodens zu Schanden. Der Vorrat von gemünztem Gold hat sich innerhalb dreißig Jahren von 1860 bis 1890 verdoppelt und wurde am Ende dieses Zeitabschnitts auf rund 14 800 Millionen Mark geschätzt. Der Goldvorrat der Minen des Witwaters-Randdistrikts in Transvaal allein ist bei sorgfältigster und vorsichtigster Berechnung auf etwa das Vierfache an Wert, also auf rund 59 000 Millionen Mark geschätzt worden. Also Reservevorrat genug ist da. Es muß zur Charakterisierung der Wahrscheinlichkeit einer solchen Berechnung in Betracht gezogen werden, daß die Goldfunde in Transvaal sich unter andern Verhältnissen vollziehen wie in den übrigen bekannten Goldländern. Man kann hier, und zwar wiederum nur in den in Betracht kommenden „Reefs“ des Witwatersrand zwischen Randfontein und Moddersfontein, wo das Gold in Konglomeratform, fein zerstreut, wenn auch oft kaum sichtbar, in den massigen Quarzfelsen auftritt, mit weit größerer Sicherheit Schlüsse auf die fernere Ergiebigkeit der Mienen ziehen als da, wo es sich um Alluvialgold in Flußbetten und an Flußufern handelt oder um Goldadern im Gestein, deren Mächtigkeit ganz unbestimmt ist und oft plötzlich versagt.

Die offene Wesseltonmine in vollem Betrieb

Doch zur Zeit befinde ich mich nicht im Land des Goldes, dessen Reichtum jetzt zur Bezahlung der Kriegskosten beitragen soll, sondern über dem „blauen Grunde“ des Kimberleygebiets, wo in gar nicht abzuschätzender Menge, fast möchte ich sagen, wie Rosinen in einem Kuchenteig, die Diamanten in allen Stadien und Formen der Krystallisation, große und winzige, wasserhelle und topasgelbe, eingebettet sind. Man hat für diese Diamantgebiete den Ausdruck „Diamantfelder“ gebraucht. Das ist eigentlich nur insofern richtig, als ein Teil des ziemlich umständlichen Prozesses, der für die Diamantgewinnung notwendig ist, sich auf großen Aeckern vollzieht, die thatsächlich in ganz ähnlicher Weise umgepflügt werden, wie die Saatfelder des Bauern. Ganz kurz möchte ich diesen Prozeß beschreiben. Zunächst einige Jahre, nachdem ein gewisser O’Reillys auf dem Tisch in Schalk van Niekerksfarm – es war im März 1867 – unter blanken Flußkieseln aus dem Vaal den ersten südafrikanischen Diamanten, der einen Wert von etwa 10 000 Mark besaß, gefunden hatte und der Diamantreichtum des Landes nicht mehr bezweifelt werden konnte, bearbeitete man die Minen ausschließlich von der Erdoberfläche aus, wie dies ja zum Teil, d. h. bis es aus bergbautechnischen Gründen nicht mehr angängig ist, auch heute noch geschieht. Diese offenen Minen, in die man wie in einen Riesenkrater hineinblickt, machen einen ganz wunderbaren Eindruck. Ganz genau kann man am Rand bis zum Boden des Kraters, wo man, einem beweglichen Ameisenhaufen gleichend, Hunderte von schwarzen Menschenwesen hämmern und schaufeln und die auf Schienen gehenden kleinen Eisenwagen schieben sieht, die Bodenschichtungen verfolgen; eine Kalkschicht, der wertlose „gelbe Grund“ (Thon), der „blaue Grund“, der die diamanthaltige Schicht bildet, und schließlich der harte Basalt- und Quarzmantel, der den keilförmig sich ins tiefste Erdinnere hineinsenkenden bläulich-gelben, etwas bröckligen Diamantthon einhüllt, die Mine also gewissermaßen in Form eines steinernen Riesenbeckens oder Kessels abgrenzt. Kleine und große Wasserbäche rieseln hie und da in die Tiefe und werden, da sie der Mine nachteilig und durch die sogenannten Modderrushes, die sie veranlassen (Schlammstürze in die unter, irdischen Tunnels und Schächte), im höchsten Grad gefährlich sind, nach Möglichkeit abgelenkt und durch Pumpanlagen unschädlich gemacht.

Aus dem Boden dieses Beckens, durch einen Tunnel hindurch, gelangen nun die Wagen mit den kostbaren Thonbrocken an die Oberfläche; ihr Inhalt aber kommt weit hinaus auf ein hoch mit Stacheldraht umzäuntes Feld, das man nun wirklich als Diamantfeld bezeichnen kann. Denn dort liegt der „blaue Grund“ viele Monate lang, der Sonne und dem Regen ausgesetzt, damit er immer mürber und mürber wird, von schwarzen, sorgsam überwachten Sträflingen von Zeit zu Zeit durchpflügt, aufgewühlt, zerkleinert. Nun erst beginnt die eigentliche Diamantensuche. In sinnreich konstruierten Maschinen wird der vom Feld in große Kessel beförderte, zu einen grobkörnigen Pulver verwittert Thon mit Wasser geschlemmt und in rotierenden Waschmaschinen geschüttelt, so daß die schlammige Bestandteile sich von den gröberen sondern. Diese Prozedur wiederholt sich einigemal, bis endlich de grobe Bodensatz in dicht verschlossenen Förderwagen nach den sogenannten Pulsatoren gefahren wird, während die feinen, schlammigen Bestandteile, die sogenannten „Tailings“, später übrigens auch noch immer nach dem begehrten Edelstein durch einen besonderen Waschprozeß durchsucht, zu großen Hügeln aufgehäuft werden. Bis zu diesem Stadium des Verfahrens hat in der Regel noch keines Menschen Auge einen Diamanten gesehn. Es kommt äußerst selten vor, daß im Gestein oder in der pulverisierten Masse die Diamanten dem Auge sichtbar hervortreten. Und doch wird heute noch viel gestohlen. Die Schwarzen scheinen einen besonderen Blick dafür zu haben. Die eigentliche Gewinnung der Diamanten geschieht erst in der Pulsatorabteilung, wohin jene verschlossenen Förderwagen das Resultat der Wäscherei bringen. Dort wird in flachen Pfannen die ganze Masse noch einmal unter rinnendem Wasser in pulsierender Bewegung geschüttelt, so daß wieder eine feinere Sichtung eintritt, bis schließlich das übrigbleibende, sandartige Produkt dieses Verfahrens über Fettpfannen geführt wird, auf denen die großen und kleinen Diamanten sitzen bleiben, um schließlich einer Abkochung in heißem Wasser und einer endgiltigen Sortierung durch die Hände weißer Arbeiter unterworfen zu werden. Es macht auf den Zuschauer einen ganz unbeschreiblich fesselnden Eindruck, wenn unter dem grauen, braunen und gelben, winzigen, kiesartigen Sand, in dem sich übrigens auch zahllose kleine Granaten befinden, die hellen Edelsteine in verschiedenen Farben und Größen und ebenso verschiedenen, zumeist oktakedrischen Formen der Krystallisation hervorleuchten, so daß man oft mit einem Handgriff für einige Tausend Mark Diamanten aufraffen kann.

Blick in die unterirdische Kimberleymine
Die älteste offene Mine in Kimberley

Das durch den unterirdischen, den Tiefminenbetrieb, gewonnene Gestein wird natürlich an denselben Stätten genau in derselben Weise behandelt, wie das Produkt der offenen Mine. Das Treiben dort unten in den verschiedenen „Levels“, deren zur Zeit tiefste in der Kimberleymine 2000 englische Fuß unter der Erdoberfläche liegt, hat etwas Beängstigendes an sich. Die enorme Hitze an manchen Stellen, mit feuchter, durch Wassergerinnsel erzeugter Kälte abwechselnd, die dort unten in den breiten, mit Schienen belegten Stollen herrscht, das furchtbare Lärmen und Toben der herabrollenden Gesteinsmassen, das Rasseln der auf und abrollenden Förderwagen, das Hin- und Herhuschen der nackten Kafferngestalten in dem Dämmerlicht der schmäleren, durch Kerzenlicht spärlich erhellten Seitenstollen, dann wiederum das unheimliche Donnergeräusch von Dynamitsprengungen, oben und unten, links und rechts, das wahre Bergstürze erzeugt, das Sausen der Ventilatoren – alles das zusammengenommen macht einen nervenerschütternden Eindruck. Durch das Bewußtsein, daß man fast tausend Meter unter der Erdoberfläche wandelt und daß jeden Augenblick von irgendeinem Seitenstollen ein Schlammsturz mit Windeseile, todbringend hereinbrechen kann, erhöht diesen Eindruck recht nachhaltig.

Meine Darstellung der Diamantgewinnung, wie ich sie von Anfang bis zu Ende über und unter der Erde mit eigenen Augen gesehn habe, ist natürlich lückenhaft und oberflächlich. Aber ich wollte absichtlich nicht in epischer Breite einen Gegenstand behandeln, der von berufeneren Federn schon unzähligemal geschildert worden ist. Notwendig war die kurze Darstellung immerhin für das Verständnis anderer mit der Schatzgräberei von Kimberley zusammenhängender Dinge.

Wenn man Studien im Monopolsystem an der Hand vollendeter Modelle machen will, so muß man nach Kimberley gehn. Alle Licht- und Schattenseiten der Monopolisierung des wichtigsten Lebensfaktors eines ganzen Landes spiegeln sich dort in dem Namen de Beers wieder. Auch hier war eine der interessantesten Persönlichkeiten, die je auf südafrikanischem Boden gelebt: Cecil Rhodes, der Vater des Gedankens. Der Gedanke war nicht schlecht, ja noch mehr, er war fast natur-notwendig, er lag in der Luft, und, wie das so häufig bei den einfachsten Dingen geschieht, mußte das Genie kommen, um eine Frucht zu pflücken, die eigentlich jeder Dummkopf auch sehn konnte. Rhodes war ein Genie, und nach allem, was ich hier an Spuren seines Erdenwallens gesehn habe, ist nichts falscher, wenn auch freilich für jeden Philister sehr bequem, den großen „Cecil“ einfach als einen ungehörnten Gottseibeiuns hinzustellen, dessen Leichnam, wie einmal ein bekannter deutscher Journalist sehr geschmackvoll schrieb, „auf dem Schindanger der öffentlichen Meinung, liegt“. Dieser Cecil Rhodes, von dem ich glaube, daß er mit brutaler Rücksichtslosigkeit und mit einem fast fanatischen Glauben an die Macht des Goldes, der manch Unseliges im Gefolge hatte, seine Pläne und Ideen verfocht und durchsetzte, er suchte, so merkwürdig das klingt, die Millionen nicht um der Millionen willen. Er war das Gegenteil eines goldgierigen Raubtiers und Halsabschneiders. Er war ein Idealist, der ein unbändiges Vergnügen daran fand, möglichst viel für die Erhaltung der Geschlechter der Zebras, Giraffen, Springböcke u.s.w. zu thun. Er baute für schweres Geld Tierparks in Great Rondebosh und in Kimberley. Sein Sinn für Gemeinnützigkeit war vielleicht noch viel stärker entwickelt als sein Erwerbssinn. Während der Belagerung von Kimberley stellte er alles, was den Institutionen der De Beers Company nur zweckdienlich und verfügbar war, in den Dienst der Unterstützung der schwer leidenden Bevölkerung, und seine „Arbeiterstadt“ Kenilworth, dicht bei Kimberley, ist das Muster einer Villenkolonie für die weißen Angestellten der Diamantgruben. Eingebettet in herrliche Alleen von Eukalyptus, Pfefferbäumen und Lärchen liegen die hübschen Einfamiliendoppelhäuser mit schmucken Vorgärten, alle freilich in dem flachen, indischen Bungalowstil gehalten, wie ganz Kimberley, aber luftiger, niedlicher, gesunder, billiger als irgendein Wohnhaus der inneren Stadt. Und da ist eine Schule, eine Krankenstation, ein riesiger Gemüsegarten für die Zwecke der Kolonisten, der einem subtropischen botanischen Garten ähnelt, inmitten einer recht gemüsearmen Gegend.

Ansicht der Diamantenstadt Kimberley

Ich hoffe, daß dieser Panegyrikus auf Cecil Rhodes sensitiven Gemütern, die es nicht verstehen wollen, daß man solche Menschen nicht einfach mit Verachtung und sittlicher Entrüstung der Biedermänner abthun kann, sondern an den abschreckenden Schattenseiten und den Zügen des Großen und Gemeinnützigen in ihrem Wesen lernt, nicht allzu stark auf die Nerven schlagen wird. Er war eigentlich nicht Selbstzweck, sondern dient zur Erklärung dafür, daß auch hinter der Amalgamierung all der kleinen Mineninteressen und Diamantbuddeleien, die noch vor 1885 im Kapland bezw. im Oranjefreistaatgebiet existierten, hinter der erbarmungslosen Monopolisierung des Diamantgrabens unter der Flagge De Beers doch auch etwas anderes steckt, als die Spürnase eines mit allen Wassern gewaschenen Spekulanten. Dem selbst nur oberflächlichen Beurteiler der Diamantminenverhältnisse mußte es einleuchten, daß der bisher vorhandene Zustand des wilden Aufwucherns großer und kleiner, solider und unsolider Gesellschaften, der Zerstücklung der Diamantfelder in zahllose kleine Claims (Besitztitel auf Stückchen Grubenland) und Teilclaims, die Bearbeitung dieser Claims Schulter an Schulter vom technischen Standpunkt auf die Dauer unmöglich sein und vom finanziellen Standpunkt einerseits eine rationelle Untergrundausbeutung der Minen unmöglich werden, andrerseits durch die ins Ungemessene wachsende Ausbeutung eine Art Diamantenraubbau erzeugt werden würde, der zu einer Entwertung des Edelsteins notwendigerweise führen mußte. Diesem Gedanken entsprang die Amalgamierung fast aller vorhandenen Diamantminen und die Schaffung eines Monopols, das freilich der Kolonialregierung, ja selbst dem Mutterland, bis zu einem gewissen Grad den Fuß auf den Nacken zu setzen vermag und den Diamanthandel der Welt beherrscht, freilich aber auch die Mittel gewährt, dem Land einen sicheren Strom von Einnahmen durch eine vollendete Technik des Grubenbaus, durch eine plangemäße, sichere Ausnutzung der Minen zu schaffen.

Den wichtigsten Einfluß übt aber diese Finanzgroßmacht auf die Gestaltung der Arbeiterfrage aus. Weder für britische Arbeitskraft, noch für irgendwelche andere, am allerwenigsten für deutsche, kann die Weiterentwicklung des Diamantminenwesens irgendeinen Boden der Bethätigung auf absehbare Zeit hinaus bilden. Zunächst war es mir sehr leicht, festzustellen, daß hier, wie überall anderwärts im Lande, Amerika mit seinem kräftigen und geschickt bethätigten industriellen Thatendrang, so weit es sich um Maschinenwesen, ja auch um höhere Arbeitsleistungen handelt, die erste Geige spielt. Daß Herr Gardener Williams, ein Amerikaner, der übrigens in Freiberg seine montanwissenschaftlichen Studien gemacht hat und kaufmännisch wie technisch als ein Genie ersten Ranges gilt, sehr für amerikanische Techniker und bessere Arbeiter, Aufseher u.s.w. inkliniert und dies als Generalleiter des riesigen Arbeitskomplexes der De Beersminen auch vielfach bethätigt, das kann man eigentlich kaum mit dem Ton des Vorwurfs aussprechen. Und daß überall amerikanische Ingenieure auch amerikanisches Arbeitsmaterial, Maschinen, Werkzeuge u.s.w. bevorzugen, das mag sich allenfalls die deutsche Industrie nach verschiedenen Richtungen hin zu Herzen nehmen und ins Notizbuch eintragen, zu sittlicher Entrüstung kann man sich bei ganz leidenschaftsloser Erwägung darüber nicht aufschwingen.

Wohnungen bei Kimberley, die von der Regierung billig angewiesen sind

Aber weit darüber hinaus hat die große De Beersgruppe der Minenarbeiterfrage ein ganz festes Gepräge gegeben, an dem selbst die Regierung im Kapland kaum noch irgendwie zu rütteln vermag. Die Regierung in London sollte sich am allerwenigsten durch ziemlich aussichtslose Anzapfungen dieser Geldquelle für ihre Kolonie, wie die beabssichtigte ungesetzliche Nachbesteuerung der De Beersminen, die auf den Börsen Europas so viel Aufsehen erregt hat, und der die Kapregierung, wenn ich recht unterrichtet bin, mit sehr kühlem Lächeln der Erwartung zusieht, nun schon gar nicht die Finger verbrennen. Zunächst hat man in Kimberley, allerdings auch in Johannesburg, im Bereich des Goldes festgestellt – ich nehme natürlich an, auf der Grundlage der Erfahrung – daß weiße Arbeiter die eigentliche Minenarbeit nicht verrichten können, der ganzen Art der Arbeit nach und der Löhnung nach. In Bezug auf das erstere bin ich nicht ganz sicher. Ich habe die Arbeit der Schwarzen in den offenen wie in den tiefen Minen beobachtet und bin der Ueberzeugung, daß sie furchtbar ist, daß sie ganz enorme körperliche Ausdauer verlangt. Aber – sind unsere schlesischen, sächsischen, westfälischen Bergleute viel besser daran? Die Gefahr der oben kurz erwähnten mudrushes, die durch das aus den offenen in die tiefen Minen eindringende Wasser verursacht werden, ist grauenvoll. Ich glaube, diese Schlammstürze, die, wie von einem unheimlichen Lufthauch, der vorwärtsgedrückten Luftschicht, angekündigt, jäh und blitzschnell kommen, haben schon manchen der „boys“ begraben, von dem man nicht weiter spricht. Aber die Gesellschaft hat durch Anlegung von Rillen im Becken der offenen Minen, wo das Wasser aufgefangen wird, mit Erfolg versucht, die Gefahr stark zu reduzieren. Dafür haben wir die Wassergefahr, die tückischen Gase, die schlagenden Wetter in unsern Kohlenschachten. Also für körperlich unmöglich halte ich es nicht, daß weiße Grubenarbeiter die Arbeit der Schwarzen verrichten können.

Aber die Lohnfrage. Sie hängt natürlich mit der finanziellen Ergiebigkeit der Diamantminen zusammen, die – ich spreche wiederum aus der nun einmal feststehenden Ansicht der Minengesellschaften heraus – einen starken Riß bekommen würde, wenn man die Lohne zahlen sollte, die der weiße Arbeiter hierzulande verlangen muß. Und wollte man diese Löhne zahlen, so würde das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, wie es in der That hier besteht, auf weiße Grubenarbeiter vollständig unanwendbar sein. Ein Compoundsystem, nach Art des in Kimberley für die Schwarzen üblichen, für weiße Arbeiter einzurichten, ist natürlich ganz ausgeschlossen. Ich habe es mir sehr genau angesehen, dieses System, das den Kafferarbeiter für die Dauer seines Arbeitskontrakts zu einem Gefangenen macht und darüber hinaus noch sieben Tage lang zu einem in strengster Beobachtung seines äußeren und – seines inneren Menschen gehaltenen Verdächtigen. Es nimmt die ganze Verpflegungsfrage des Arbeiters in Form etwa eines geschlossenen Zwangskantinenwesens in die Hand, entmündigt den Arbeiter, indem es ihn nötigt, alle seine Bedürfnisse in dem „Compound“ der Gesellschaft zu kaufen, macht ihm den Kauf und Konsum von alkoholischen Getränken unmöglich und beschränkt sein ganzes Erdendasein für eine gewisse Zeit auf die Arbeit in der Grube und auf das Ausruhen hinterm unübersteigbaren Gitterzaun des Compound Camps, in dem er schläft und ißt und trinkt, seine Spiele treibt, seine Lieder singt – und wenn’s darauf ankommt, auf dem Bett eines Barackenhospitals auch seinen letzten Seufzer aushaucht.

Wie die boys (Minenarbeiter) in Kimberley Weihnachten feiern

Die Notwendigkeit des Compoundsystems wird durch die eigenartige Veranlagung der Kaffern begründet, und man weist auf Transvaal hin, wo das sog. „offene“, also nicht gefängnisartige Compoundsystem besteht und die Arbeiterfrage noch viel brennender ist, als in den Diamantgruben Kimberleys. In den Johannesburger Minen arbeiten vielleicht 70 000 Kaffern. Aber um alle Minen, die in Angriff genommen und in Aussicht sind, nutzbar zu machen, braucht man vielleicht eine Viertelmillion von Grubenarbeitern. Woher nehmen? Weiße Arbeiter thun’s nicht für 30 bis 50 Schilling monatlich, und für mealies (eine Art Maisgrütze) kann man nicht weiße Arbeiter bekommen. Man hat bekanntlich schon, von einem chinesischen Kuliimport nach Transvaal gesprochen und die Idee auch schon mit heißer Entrüstung bekämpft. Ob diese Entrüstung so sehr berechtigt ist, weiß ich nicht, da es sich ja hier nicht, wie in Kalifornien, um Verdrängung weißer Arbeiter handeln würde und unzweifelhaft die Chinesen anders, d. h. leichter behandelt werden könnten, als die Kaffern mit ihren angestammten und ihren durch den nachteiligen Einfluß des Krieges erworbenen Eigenheiten.

Die angeborenen Eigenarten der Kaffern, unter denen die verschiedenen Stämme der Schwarzen Südafrikas, wie man sie in den Compounds vereinigt sieht, echte Zulus aus Natal, Hottentotten, Pondos, Beschuanen, Neger, Fingos (die minder geachteten Neger, deren Namen auf deutsch „Hunde“ bedeutet), Basutos, Geikas (aus Kaffraria), Barotseyneger, sog. Kapboymischlinge u. a., zusammenzufassen wären, sind für das Verständnis der Arbeiterfrage Südafrikas und des Compoundsystems von Bedeutung. Der Kaffer betrachtet die Zeit der Arbeit als eine Periode der Heimsuchung. Er ist nicht faul während seiner Arbeitszeit, weil er darin ein Uebergangsstadium zu dem paradiesischen Land langanhaltender Faulheit sieht. Die Minenarbeiter stehen in Aklordlöhnen.

Soviel Förderwagen täglich voll kostbaren „blauen Grundes“, soviel Schillinge, bei achtstündiger Schichtarbeit. Das spornt ihn zu möglichst reger Thätigkeit an. Er arbeitet, wenn seine Trägheit nicht stärker ist, als die Sehnsucht nach dem dolce far niente im Heimatland, vielleicht 4 bis 5 Jahre – dann geht’s nach Hause. Er kauft sich drei bis vier Frauen, erhält vom Häuptling seines Stammes sein Land und seine Hütte angewiesen, lebt hauptsächlich von Mealiesgrütze, macht leichte Schnitarbeiten und läßt seine Frauen alle schwere Arbeit, einschließlich der Feldarbeit, verrichten. Es ist in den Eingeborenendistrikten Natals gar keine Seltenheit, die bessere Hälfte solch eines faulen Kaffern neben dem Esel vor dem Pflug eingespannt zu sehen. Fortan wird nicht leicht menschliche Kraft oder Ueberredung den Kaffern zu irgendeiner nennenswerten Arbeit bringen. Sein Kapital hat er erworben und in Frauen angelegt, die ihn bis an sein seliges Ende ernähren müssen. So giebt es vielleicht an 200 000 Kaffernrentiers in den Landstrichen des Transkei, in Pondoland und östlichem Griqualand, zwischen der Kapkolonie und Natal. Dabei fährt das Land der Eingeborenen selbst gar nicht so schlecht. In dem Jahr, als der Burenkrieg begann, wurden von der Regierung rund 30 000 Pässe für Kaffernarbeiter aus jenen Gebieten nach Transvaal, Kimberley u.s.w. ausgegeben. Rechnen wir nun, daß jeder, der von der Arbeit zu dem Paradies des Nichtsthuns heimkehrte, 30 bis 40 Pfd. Sterling mitbringt, so macht das rund eine Million Pfd. Sterling aus, die die Kaufkraft des Landes bildet.

Kriegstanz der boys in einem Compoundlager

Während der Arbeitszeit ist der Drang der Kaffern nach Alkohol ebenso stark, wie gefährlich. Er würde, wenn er könnte, alles in Spirituosen anlegen, was er verdient. Sein Verhältnis zu den Weißen ist, wie ich schon früher ausführte, durch den Krieg ein etwas schiefes, für beide Teile wenig nützliches geworden. Aber schon an und für sich ist es darum immer ein schwieriges gewesen, weil die Behandlung der Eingeborenen als Bürger des Landes, als politisches Wesen, außerordentlich verschieden war. Freisinnige Engländer sagten mir, die Buren hätten es immer besser verstanden, die Eingeborenen zu behandeln, als die Engländer, die unter der sentimentalen und stark unpraktischen „Negrophilie“ des Mutterlandes fühlen und handeln. In Transvaal jedenfalls hatten die Schwarzen keinerlei politische Rechte, ebenso allerdings auch in Natal. In der Kapkolonie aber, wo die schwarze Rasse denn auch thatsächlich, wie der vulgäre Ausdruck lautet, dem weißen „auf den Kopf spuckt“, wo in Wahlzeiten weiße Kandidaten zu den vergnügt grinsenden Kaffern und ihren „ladies“ kommen, um Stimmen zu erbetteln, wo heute der Schwarze nicht mehr unter 5 Schilling täglich arbeiten will, herrscht zwischen Weißen und Schwarzen vollständige politische Gleichberechtigung. In dem neuen Transvaal und der Oranjekolonie will Lord Milner ebenfalls die Gleichberechtigung anstreben. Diese Ungleichheit und Unsicherheit in der Auffassung und Behandlung tragen natürlich nur dazu bei, den Schwarzen zu demoralsieren und die Lösung der Arbeiterfrage, der ganzen Einborenenfrage zu erschweren. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß die volle Lösung erst in dem auf gemeinsamer staatsrechtlicher Grundlage aufgebauten zukünftigen Südafrika gefunden werden wird. Man wird dann aus praktischer Erfahrung heraus einen Weg finden müssen, der die Gefühlspolitik gegenüber der schwarzen Rasse mit dem Nützlichkeitsprinzip vereinigt, ihre enorme Vermehrungsfähigkeit, ihre angeborenen Eigentümlichkeiten in Rechnung zieht und schließlich auch von der sentimentalen Auffassung über „die ursprünglichen Herren dieses Landes“ abgeht. Am Ende aller Erwägungen darf man wohl nicht vergessen, daß die Bantuneger, denen im Grunde genommen all die sogenannten „Eingeborenen“ hier angehören, selbst Eingewanderte sind, die vor nicht gar so langen Zeiten die eigentlichen Urbewohner, in erster Reihe die Hottentotten, verdrängten oder doch an die Wand drückten.

Inzwischen nun haben, wie schon angedeutet, die Monopolisten von Kimberley die Arbeiterfrage, so weit möglich, durch das Compoundsystem, das vielumstrittene, praktisch gelöst, und man machte mir dort kein Hehl daraus, daß in den Augen nüchtern urteilender Praktiker auch in der nächsten Zukunft des südafrikanischen Minenwesens dieses System eines beschränkten Zwanges gegenüber den Arbeitern jedenfalls die größte Rolle spielen und sich wahrscheinlich als das finanziell und politisch ratsamste herausstellen werde.

Auf den Europäer macht die Sache – über dies Gefühl vermag wohl keiner hinwegzukommen, der die Compounds besucht – einen deprimierenden Eindruck, weil man die Vorstellung der frei, selbstwillig und dabei recht hart Arbeitenden mit dem Begriff der Gefangenschaft nicht recht zu vereinigen vermag. Das Gefühl wird nur wenig gemildert, wenn man durch Beobachtung die Anschauung gewinnt, daß diese Schwarzen heute noch eine Mischung zwischen kleinen Kindern und großen Affen sind. Man muß zugeben, daß es diesen Leuten gegenüber keinen andern Schutz vor Diamantdiebstählen, die immer noch vorkommen, giebt, als dies System der Ueberwachung, das schließlich in eine mehrtägige „Detention“ ausläuft, während der die Hände in Lederfutterale eingeschlossen und noch andere scharfe Diebstahlsbehinderungen in Anwendung gebracht werden. Manches entzieht sich der Beschreibung. Man hört auch, daß selbst das nicht die diebischen Gelüste der Schwarzen unterdrückt. Der Aufseher in dem Detentionsraum erzählte mir, daß kürzlich ein Kaffer sich eine Wunde am Unterschenkel beigebracht, darin 35 Diamanten verborgen und schließlich einen Fetzen aus seinem Hemd als Pfropfen hineingesteckt hatte, auch die Qualen, die infolge der unvermeidlichen Entzündung der Wunde verursacht wurden, mannhaft trug, bis endlich Entdeckung erfolgte. Dabei werden von der De Beersgesellschaft für jeden Diamanten, der als gefunden abgegeben wird, 10 Prozent des Wertes vergütet. Der Wert solcher gefundener Steine soll sich jährlich auf rund 8 Millionen Mark belaufen. Man wird auch fernerhin bei der Beobachtung dieser Arbeiter inne, von welch enormer Bedeutung die zwangsweise Enthaltung von Alkohol ist. Alles Erdenkliche können die „Boys“ in den Compounds sehr billig kaufen Fleisch, Delikatessen, Kleidungsstücke – nur keinen Schnaps. Wenn sie sich heimlich aus Mealies sogenanntes Kaffernbier selbst brauen, das ihnen übrigens auf ärztliche Verordnung als Skorbutverhütungsmittel zuweilen verabreicht wird, werden sie bestraft. Moralisch und physisch ist das von vortreffem Einfluß. Ferner werden die Leute nicht in die Compoundslager geschickt, wie Verbrecher in ein Gefängnis. Sie schließen einen Arbeitsvertrag auf Monate oder Jahre. Indem sie ihn schließen, wissen sie genau, welcherlei Freiheitsbeschränkungen ihrer warten, daß selbst ihre Weiber und Kinder das Lager bloß bis zur Schwelle betreten dürfen. Dann wird ins Feld geführt, daß die wirtschaftliche Schädigung der Handelswelt einer Stadt, wie Kimberley, durch die Monopolisierung des Verkaufs innerhalb der „Camps“ nicht so groß ist, wie man annimmt. Die De Beersagesellschaft hat sich dem Staat gegenüber verpflichtet, alle Waren, die den Lagern verkauft, so weit dies möglich ist, aus Kimberley zu beziehen. Endlich – und das ist die Hauptsache – muß festgestellt werden, daß von einer unmenschlichen Behandlung der Schwarzen in den Compounds, entgegen früher vielfach ausgesprochenen Behauptungen, nicht die Rede sein kann. Der Eindruck des Lebens, das sich dort abspielt, ist vielmehr beinah ein wohlthuender. Die Leute wohnen und ernähren sich dort besser, sauberer, als in ihren Krals. Für gemeinnützige Institute, Hospitäler, Schule, Gottesdienst ist gesorgt. Es geht ein fröhlicher Zug durch die Gesellschaft. Einige wenige blieben bis zu 15 Jahren in ihren Arbeitskontrakten.

Alles das und noch einiges spricht für das System, und doch erfüllt es den Beobachter mit einer gewissen Traurigkeit, je mehr und je stärker es ihm im Licht einer schrecklichen Notwendigkeit erscheint. Jedenfalls – und das ist das Resultat meiner Studien in der Minenwelt von Kimberley und Umgebung – ist hier die Lösung der Arbeiterfrage Südafrikas zunächst auf einem toten Punkt angelangt, über den man auch wohl nach Jahrzehnten nicht hinauskommen wird. Ja, es würde mich nicht wundern, wenn sogar zunächst auch in der neuen Gestaltung der wirtschaftlichen Dinge hier unten die in den Kimberleyminen gesammelten Erfahrungen maßgebend sein werden.

So viel scheint mir festzustehen, daß der Krieg mit seinen Folgen an dem Minenwesen, mit Ausnahme vielleicht einer Modifizierung der Goldgesetze in Transvaal, worauf wir später kommen, wenig oder nichts verändern wird. Das einzige, was zu erwarten ist, könnte eine Ausbreitung der Konkurrenz für die Monopolisten in Kimberley sein, indem die neue Regierung in Transvaal eine größere Liberalität gegenüber dem Prospektieren obwalten lassen wird, als dies unter der stark konservativen, in dieser Beziehung oft zopfigen Burenregierung der Fall war. Damit wird natürlich der individuellen Bethätigung auf dem Feld der Schatzgräberei ein größerer Raum gegeben werden, und die Diamantgewinnung auch außerhalb Kimberleys, also in Transvaal und der Oranjekolonie, wird gehoben werden. Ob dies dem Land unmittelbaren Nutzen bringen oder sich erst im Lauf der Jahrzehnte, wenn neue Erfahrungen gemacht und neue Entwicklungsphasen durchlebt worden sind, zu einer Quelle des Glücks, des Reichtums und des sozialen Friedens herausgestalten wird, das läßt sich bei dem verworrenen Stand der Dinge jetzt schwer überblicken.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 49/1902, er war gekennzeichnet mit „Hugo von Kupffer.“.