Zu seinem sechzigsten Geburtstag. Als ich mich dankend von dem großen Maler und liebenswürdigen Menschen verabschiedete, gab er mir lächelnd die Hand und sagte: „Bitte sehr, bitte sehr! – Und machen sie’s gnädig!“
Das ist ein bezeichnendes Wort für den knorrigen Mann mit dem gut geschnittenen Gesicht, für seines Wesens Freundlichkeit mit dem humorvollen Einschlag und die bescheidene Abwehr aller aufdringlichen Feier. Er hatte mir erzählt von der fröhlichen Festlichkeit, die die Freunde seiner geschätzten Kunst und seines gastlichen Hauses zu seinem sechzigsten Geburtstag eben veranstaltet hatten. Die im Gesellschaftsleben Berlins bekanntesten Persönlichkeiten, wie der greise Menzel, Leyden, Hildebrandt, Knaus, Koberstein, Pietsch, hatten sich da in seinem schönen Heim in der Hildebrandtstraße zusammengefunden, um den Meister zu ehren. Und in freudigster Erinnerung sprach der Gefeierte von seinem Ehrentag, und sein Herz war noch voll von den sinnvollen Gaben und Darbietungen, die man von allen Seiten trotz seiner stillen Zurückhaltung in sein Haus hineinzutragen gewußt hatte.
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Der Meister erzählte von seinem Geburtstag in behaglichem Plaudern. Hier zu schenken und in seinen Geschenken und freundlichen Gaben so verstanden zu werden, muß das Geschenk für den Geber wie für den Begabten wertvoll und sie beide froh machen. Man merkte es den Zügen seines lebendigen Gesichts wirklich an, wie er sich in seinem ganzen künstlerischen Schaffen verstanden fühlte durch jene Art und Weise, mit der man ihn aus dem Kreise der Freunde des Zoologischen Gartens erfreut hatte. Von all den Einwohnern des Berliner Tierparks, dem er so viel Anregung zu seinen Bildern verdankt, und in dem er so hingebende Studien gemacht hat, hatte es der nach Darwin am meisten dazu Berechtigte übernommen, die Glückwünsche der Tierwelt zu überbringen. Ein freundlich dreinschauendes Affenexemplar bot ein Begrüßungsdiplom dem Meister dar, das die vorzüglichsten Vierfüßler in unzweideutiger Klauenschrift unterzeichnet hatten (s. nebenstehende Abbildung).
Und wieder nach anderer Richtung hin erinnerte der große Maler sich in gleicher Dankbarkeit der künstlerischen Veranstaltung, die wohlbekannte Freunde des allzeit gastfreien Meyerheimschen Hauses, wie Max Friedländer, Dr. Lewandowski, Helene Jordan, Prof. Kruger-Menzel, durch ein von Robert Kahn komponiertes und dirigiertes Quartett ihm dargebracht hatten. Denn sein musikalisches Verständnis bleibt hinter dem für seine eigene Kunst nicht zurück, wie er auch zu den regelmäßigsten Besuchern der Joachimschen Quartettabende gehört. Und besonders freudig bewegt sprach er von dem gedanken- und phantasiereichen Singspiel seines alten Freundes, Professors Posner, der Goethes „Jahrmarktsfest von Plundersweilern“ zum Vorwurf einer sinnvollen Würdigung der Meyerheimschen Spezialkunst nahm. Voll Humor schilderte der Sechzigjãhrige, wie das Verbot des allgemeinenSspielbuden- und Menagerietreibens auf dem Jahrmarkt einer Tierbändigerin Anlaß giebt, in einem Festzug von Meyerheimschen Bildgestalten die poetische Schönheit und Lebenskraft all der Figuren und Kreaturen aufzuzeigen, ohne die ein echtes Jahrmarktsfest ebensowenig denkbar ist wie die Kunst eines Paul Meyerheim. Und wie der Meister in Gedanken an den wohlgelungenen Scherz noch jetzt fröhlich lachte, kam mir der ganze Ernst seines Lebenswerkes zu vollstem Bewußtsein.
Die Fülle seiner Arbeiten zog an meinem Auge vorüber. wie sie vor einigen Jahren die denkwürdige Kollektivausstellung im Uhrsaal des alten Akademiegebãudes vereinigt hatte. Wem sollte auch der Eindruck, den man damals von Meyerheims Gesamtschaffen bekam, so schnell wieder entschwinden! Wie freuten sich damals die alten Verehrer und Freunde seiner Kunst über dies abgerundete Gesamtbild, und wieviel Respekt mußten auch die Gegner ihm zollen! Spricht doch aus jedem einzelnen Werk nicht nur die souveräne Beherrschung des Gegenstandes, sondern auch die glühende Farbenfreude des Malers. Denn er malt nicht das Tier, um das Tier zu konterfeien, sondern er stellt es in eine Komposition, der die farbige Harmonie Sinn und Zweck ist. Nach dieser Richtung hin hat er etwas von der Art der Modernen und Jüngeren wie Slevogt und die aus dem Kreise der Sezession.
Solche Kunstgedanken begleiteten mich auf dem Rundgang durch das Atelier an der Seite des Meisters. Viel hat man dem Herrn des Raumes hier nicht gelassen. Nur wenige eben entstehende Bilder haben sich gerade noch den Liebhaberbegierden entzogen. Ein prächtiger Löwenkopf blickt mich von der Staffelei herunter lebendig an. Heideerinnerungen erweckt das Bild der grasenden Ziegen auf der Alm, und der zeitgemäße Vorwurf einer reisenden jungen Dame im Eisenbahnkupee wollte auch meine Reiselust anregen. sonst sah ich an Kunstwerken die von dem Hausherrn selbst hochgeschätzten Baryeschen Tierskulpturen und wunderbare Gipsabgüsse von Pferden von dem berühmten russischen Bildhauer Baron von Clod. Was aber an den mit alten französischen Gobelins geschmückten Aterlierwänden meine Aufmerksamkeit besonders fesselte, war eine prachtvoll gezeichnete Rückenaktstudie von der Meisterhand Eduard Meyerheims, des berühmten Vaters des berühmten Sohnes.
Wohl hätte ich auch von dem Lebenden vor mir über sich selbst, über seine eigene Kunst und sein Verhältnis zu den Jüngeren gern einiges gehört, aber seine liebenswürdige Bescheidenheit ließ es nicht dazu kommen. Im Scherz erinnerte er mich an seine gelegentlichen Veröffentlichungen und seine ersten Illustrationen von Büchern wie „Ueber die Hegung der Höhlenbrüter“ und über „Ausstopferei von Vögeln und Säugetieren“. Das war alles, was er von sich und seiner Lebensarbeit sagte.
Aber was braucht auch der Mund des Meisters zu reden, wo seine Werke so deutlich sprechen!
Dieser Artikel erschien zuerst am 19.07.1902 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „F. H.“