Berliner Neubauten 67 – Die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde, Lindenstrasse 48-50

Architekten: Cremer & Wolffenstein. Wie das starke Anwaclısen der Berliner Bevölkerung eine ansehnliche Vermehrung der christlichen Kirchen erforderlich macht, so veranlasst es auch den Bau neuer Gotteshäuser für die jüdische Gemeinde.

Zu der ursprünglich einzigen Synagoge derselben in der Heidereuter-Gasse und der grossen, 1859 bis 1866 erbauten, sogen. „Neuen Synagoge“ in der Oranienburger-Strasse, ist eine weitere Synagoge in der Kaiserstrasse und neuerdings noch eine solche in der Lindenstrasse getreten. Diesem jüngsten jüdischen Gotteshause ist die nachfolgende Mittheilung gewidmet.

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Leider müssen wir dieselbe mit einer Aeusserung des Bedauerns darüber eröffnen. dass auch für diesen Bau wie für die vorangegangenen Synagogen Berlins – eine Baustelle gewählt worden ist, welche dem Architekten eine Lösung der Aufgabe im höchsten monumentalen Sinne unmöglich machte. Während die Synagogen-Neubauten anderer deutschen Städte wir nennen nur Breslau, Danzig, Hannover und München – als frei stehende Bauten, in harmonischer Entwickelung des Aussenbaues aus der inneren Anlage, zur Erscheinung kommen und als eine bedeutsame Bereicherung des Denkmalschatzes jener Städte betrachtet werden können, bemisst die reiche jüdische Gemeinde der deutschen Hauptstadt die Mittel für ihre neuen Gotteshäuser so sparsam, dass dieselben auf dem Hinterlande gewöhnlicher, von Nachbar-Gebäuden umschlossener Wohnhaus-Grundstücke zur Ausführung gebracht werden müssen, während das, was von ihnen an der Strasse sichtbar gemacht werden kann, lediglich als eine zu der Bedeutung der Anlage ganz ausser Verhältniss stehende „Andeutung“ erscheint. Wenn dann – wie s. Z. bei der grossen Haupt-Synagoge und bei diesem jüngsten Neubau – hierzu noch der Umstand tritt, dass die betreffende Baustelle räumlich beschränkt und unregelmäßig geformt ist, so wird die betreffende Aufgabe für den Architekten zu einer ebenso schwierigen wie undankbaren. Ist doch in beiden Fällen ihre Lösung nur mittels konstruktiver Anordnungen ermöglicht worden, die an sich dem Geschick des zuhilfe gezogenen Ingenieurs zwar zum Ruhme gereichen, aber trotzdem etwas gekünstelt genannt werden müssen. Um so grösseren Dank verdient es, wenn unter solchen ungünstigen Verhältnissen dennoch eine künstlerische Schöpfung entsteht, bei welcher der unbefangene Beschauer des Gegebenen aufrichtig sich erfreuen kann, ohne von den Spuren der überwundenen Schwierigkeiten gestört zu werden.

Fassade des Vorderhauses in der Lindenstrasse

Zur Gewinnung geeigneter Entwürfe für den hier vorgeführten Bau hatte die jüdische Gemeinde im Sommer d. J. 1888 einen Wettbewerb unter den Mitgliedern des Berliner Architekten-Vereins veranstaltet, in welchem der von den Architekten Cremer & Wolffenstein eingereichte Plan unter 12 Arbeiten den ersten Preis sich errang. Der Beginn der Bau-Ausführung, welcher ein in mehren Punkten veränderter Entwurf zugrunde gelegt wurde, hat sich jedoch bis zum Frühjahr d. J. 1890 verzögert. Die Einweihung der Synagoge hat sich noch zu den hohen jüdischen Festtagen des laufenden Jahres ermöglichen lassen; sie ist am 27. September erfolgt.

Wie die Grundrisse zeigen, setzt sich die Anlage aus einem auf dem vorderen Theile des Grundstücks errichteten, mit 2 Seitenflügeln versehenen Vorderhause und der eigentlichen Synagoge zusammen, welcher das breitere Hinterland angewiesen ist. Letztere, die mit ihrer linken Seiten- und der Hinterwand an die Grenze gerückt ist, steht mit dem Vorderhause durch Zwischenbauten in Verbindung. Neben dem ersten architektonisch durchgebildeten Hofe, welchem die Front des Gotteshauses sich zukehrt, sind zur Seite des letzteren noch 2 kleine Lichthöfe und ein grösserer, durch eine Durchfahrt zugänglicher Hinterhof gewonnen worden.

Eine breite, nach der Strasse zu durch ein Gitter geschlossene, nach dem Vorhofe geöffnete Halle, welche die unteren Geschosse des Vorderhauses durchbricht, sorgt für eine ausgiebige und würdige Verbindung der Synagoge mit der Aussenwelt und ermöglicht es dem auf der Strasse Vorübergehenden, wenigstens einen Durchblick auf die einzige Schauseite derselben zu gewinnen – ein Motiv, das in dem ursprünglichen Entwurf der Architekten noch stärker betont war. In demselben war nämlich das Vorderhaus in zwei völlig getrennte Hälften getheilt, die Schauseite der Synagoge demnach an einen nach der Strasse geöffneten Vorhof verlegt was jedoch aufgegeben werden musste, da eine Trennung der Räume für die Religionsschule als unzulässig angesehen wurde. Das eigenartige Moment dieser Gesammt-Anordnung aber ist, dass die Axe des Vorderhauses bezw. des Vorhofes mit derjenigen der Synagoge selbst nicht übereinstimmt; die Front der letzteren tritt nämlich nur als ein dreiaxiger Bau in die Erscheinung, während das Gotteshaus in Wirklichkeit 4 Axen besitzt. Diese „architektonische Täuschung“, welche dem Besucher des Gebäudes natürlich ebenso unmerklich bleibt, wie die nicht ganz parallele Lage beider Axen, vor allem aber der Umstand, dass dabei in die Axe der Synagoge ein Pfeiler fällt, hat – wie wir nicht verhehlen wollen – einzelnen, besonders gewissenhaften Vertretern des Fachs zu Bedenken Veranlassung gegeben, während die durch sie ermöglichten Vortheile es andererseits wohl gewesen sein dürften, die dem Entwurf der Architekten s. Z. den Sieg verschafft haben.

Das Vorderhaus enthält in den beiden unteren Geschossen einerseits der Vorhalle die Wohnung eines Rabbiners, andererseits derselben 2 Wohnungen für Kastellan und Pförtner; das oberste Geschoss wird von den Räumen einer Religionsschule eingenommen, die 8 Klassen mit 257 Sitzplätzen und 1 Konferenz – Zimmer umfasst. Die Verbindung unter den Geschossen wird durch 2 vom Hofe zugängliche Treppen hergestellt, neben welchen im hinteren ‘Theile der Seitenflügel die grossen Treppen zu den Frauen-Emporen der Synagoge liegen.

Grundriss

Auch die Anordnung der letzteren weicht von der des ursprünglichen Entwurfs nicht unwesentlich ab. In diesem Entwurf bestand der Innenraum aus einem überhöhten Mittelschiff von 2 mit Oberlichten versehenen Gewölbefeldern, welches auf 3 Seiten von Nebenschiffen umgeben wurde, Die grosse Tiefe dieser, auf den Seiten-Emporen nicht weniger als 7 Sitzreihen enthaltenden Nebenschiffe hätte es für die Inhaberinnen zahlreicher Empore-Plätze unmöglich gemacht, die Kanzel und den Thora-Schrank zu sehen, was nach der Auffassung der hiesigen Gemeinde als unzulässig gilt. Statt jener Langhaus-Anlage wurde daher unter entsprechender Steigerung der Raumwirkung eine Zentral-Anlage mit 18 weitem, von einer Oberlicht – Kuppel überspanntem Mittelraum, schmaleren Seiten- Emporen und einer tieferen West-Empore gewählt; für die durch die Verringerung der Emporen – Grundfläche verloren gegangenen Plätze wurde Ersatz beschafft, indem über den hinteren Theil der grossen West-Empore noch eine zweite Empore (mit 210 Plätzen) angelegt wurde. Die Zahl der Sitzplätze, denen bei einer Breite von 53 cm eine zwischen 93 und 95 cm wechselnde Tiefe gegeben worden ist, beträgt programmgemäss sowohl im unteren (Männer-) Raum wie auf den (Frauen-) Emporen je rd. 900, während auf der Orgel- und Sänger-Empore hinter dem Allerheiligsten noch 50 Plätze vorhanden sind.

Die Synagoge steht also inbetreff der Gesammtzahl ihrer Plätze den entsprechenden Bauten zu Breslau, Danzig und München annähernd gleich und wird nur von der hiesigen Haupt-Synagoge in der Oranienburger Strasse übertroffen.

Fassade der Synagoge am Vorhofe

Einer eingehenden Beschreibung des Baues glauben wir uns unter Hinweis auf die mitgetheilten Grundrisse und Durchschnitte, welche alles Erforderliche ausreichend klar stellen, enthalten zu können. Ueber die Konstruktion der Kuppel und des Daches, bei welcher das auf der linken Seite fehlende Widerlager durch sinnreich erfundene Verankerungen ersetzt werden musste, bleibt eine besondere Veröffentlichung vorbehalten. Die Anordnung der Vorplätze vor dem Allerheiligsten entspricht der in neueren Synagogen üblichen; d. h. es ist auf einen besonderen Al Memor Verzicht geleistet und der Platz zum Vorlesen aus der Schrift mit dem Vorsänger-Pulte verbunden worden.

Von der Ausgestaltung der beiden Schauseiten des Vorderhauses und der Synagoge, die im Backsteinbau mit sparsamen grünen Glasuren und unter Verwendung der tür Synagogen-Bauten immer allgemeiner üblich gewordenen Formen des Uebergangs-Stils erfolgt ist, geben die Holzschnitt-Abbildungen unserer Beilage eine Vorstellung. Die im Grundton tiefrothen Verblend- und Formsteine der Fassaden sind von Bienwald & Rother in Liegnitz geliefert worden.

Längsschnitt

Im Inneren, dessen mächtige Raumwirkung neben den Durchschnitten durch ein nach der Natur aufgenommenes perspektivisches Bild dargestellt ist, sind Säulen und Emporen-Brüstungen aus rothem Miltenberger Sandstein ausgeführt worden, während Wände und Gewölbe (einschl. der Rippen) verputzt sind. Der rothe Ton des Sandsteins, in welchem auch die durch Putz hergestellten Gliederungen angestrichen worden sind, bildet die Grundlage für die gesammte farbige Ausstattung des Innenraums, dessen Flächen einen hierzu passenden, grünlichen Steinton erhalten haben. Ornamentale Malerei und Vergoldung ist nur sparsam – in ausgedehntem Maasse nur an der breiten Laibung des Bogens, welcher das Allerheiligste umrahmt, angewendet. Letzteres ist in weissem Sandstein mit reicher ornamentaler Vergoldung ausgeführt. Ein goldgestickter Purpurteppich (von Gerson) verhüllt den Thora-Schrank; ebenso haben die Treppen einen purpurfarbigen Belag erhalten. Beleuchtungskörper aus glänzender Bronze (während die Kronen des Innenraums aus geschwärztem Schmiedeisen hergestellt sind), der in Eichenholz mit Vergoldung ausgeführte Orgel – Prospekt und ein von der Malerei der übrigen Gewölbe abweichender Schmuck des Gewölbes über der Orgelnische (Sterne auf blauem Grunde) tragen des weiteren dazu bei, das Allerheiligste auch in seiner äusseren Erscheinung als den wichtigsten Theil der Anlage hervor zu heben. Die Verglasung des Oberlichts und die obere Fensterreihe sind mit einfachen, durch farbige Friese eingerahmten Grisaille-Malereien aus der Oidtmann’schen Anstalt in Linnich, die unteren Fenster durch ein Mosaik aus lichtfarbigem Kathedralglas mit gemalten Friesen aus den Heinersdorff’schen Werkstätten geschmückt. Das Gestühl und die Wandpanneele sind in Eichenholz hergestellt.

Bezüglich der technischen Einrichtungen des Baues sei zunächst erwähnt, dass die Heizung des grossen Innenraums mittels einer durch den Berliner Vertreter der Firma Rud. Meyer in Hamburg, Hrn. Budaeus, ausgeführten Luftheizung erfolgt, die je nach Bedarf mit Zirkulation oder unter Zuführung frischer Luft betrieben wird. Von den 4 Kaloriferen derselben stehen je 2 unter der Vorsynagoge und unter dem Allerheiligsten. Zur Erwärmung des Bet- und Trausaals, sowie der Kleider-Ablagen dient je ein Heisswasser-Heizungs-System. Die Lüftung des Hauptraums erfolgt, soweit eine solche nothwendig ist, mittels des Oberlichtes und wird durch zwei Drahtzüge vom Keller aus geregelt. – Zur Beleuchtung dient überall elektrisches Glühlicht, neben welchem Gaslicht nur als Nothbeleuchtung zur Anwendung kommt. Doch ist einem etwaigen Versagen der elektrischen Beleuchtung dadurch vorgebeugt, dass jede Krone mit 2 getrennten Stromkreisen verbunden ist, also stets nur die Hälfte der Glühlampen verlöschen kann. Neben den kleineren Kronen in den Nebenschiffen und Wandarmen dienen als Haupt-Beleuchtungskörper 4 grosse Kronen von je 2 m Durchm. im Mittelraum; von den 36 Glühlampen, die jede derselben enthält, sind mit bestem Erfolge je 6 in einer geschlossenen Glasglocke mit Reflektor, die den Kern der Krone bildet, zusammen gefasst. Ausschlaggebend für die Wahl des elektrischen Lichts war neben den sonstigen Vorzügen desselben nicht zum letzten der Umstand, dass die Stadtgemeinde Berlin bei Kirchen auf die sonst für jede Glühlampe erhobene Abgabe verzichtet. Die Beleuchtungsanlage ist durch die „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft“ zur Ausführung gelangt. Die Beleuchtungskörper in Eisen hat Paul Mareus, diejenigen in Bronze (6 Kandelaber und 2 siebenarmige Leuchter auf den Vorplätzen des Allerheiligsten) hat Wentzel geliefert.

Querschnitt mit der Ansicht nach Osten

Inbetreff der sonstigen, an der Ausführung betheiligten Unternehmer sei noch erwähnt, dass sämmtliche Arbeiten des Rohbaues (Maurer-, Zimmer-, Klempner-, Dachdecker-Arb. usw.) an Held & Franke, die Steinmetz-Arbeiten an Schilling, die Ausführung der von Ing. R. Cramer entworfenen Eisen-Konstruktionen an die Werke von Lauchhammer, die Tischler-Arbeiten (ausschl. des Gestühls) an Klempau und Henschel, die Ausführung des Gestühls an Aschenbach und Paul Hyan, die Schlosser-Arbeiten an Fabian (Thorweg), Arnheim und Puls (Treppen), die Maler-Arbeiten an Bodenstein übertragen waren, Die Be- und Entwässerung ist von Moses, die Bildhauer-Arbeiten sind von Westphal ausgeführt. Die schöne Orgel, ein Werk mit 42 Stimmen, ist aus der bekannten Werktstatt von Sauer in Frankfurt a. O. hervorgegangen. Die Aufsicht und Leitung auf der Baustelle hat Hr. Architekt Topp geführt.

Ueberraschend muss bei einem Bau dieser konstruktiven Anordnung und dieses Umfangs die Kürze der knapp 1 1/2 Jahre betragenden Bauzeit erscheinen. In der That bildet die Art des Vorgehens, durch welche dieser Erfolg ermöglicht worden ist, eine der interessantesten Seiten der ganzen Bau-Ausführung. Letztere hat, wie schon erwähnt, im März v. J. begonnen. Im Oktober 1890 waren die Umfassungs-Mauern hoch geführt, die inneren Stützen aufgestellt und die Gurtbögen eingewölbt, so dass das Dach aufgebracht und (einstweilen mit Pappe) eingedeckt werden konnte. Unmittelbar daran schloss sich die Ausführung der Gewölbe, u. zw. zunächst der unteren Emporen-Gewölbe, sodann der oberen Seitenschiff-Gewölbe, endlich der Kuppel. Letztere wurde bei gleichzeitiger Arbeit von 16 Maurern freihändig auf Gratbogen-Rüstung ausgeführt, u. zw. Einschl. der 22 cm vortretenden Rippen. Diese Wölbarbeiten nahmen wenig mehr als 1 1/2 Monat in Anspruch, so dass der Ring des Kuppel-Oberlichts am 1. Dezember geschlossen werden konnte. Mittlerweile waren in dem (nur den Raum unter der Vorsynagoge dem südlichen Seitenschiff und dem Allerheiligsten umfassenden) Keller die Kaloriferen aufgestellt worden und es wurde nach Schliessung der Fenster mit Leinwand die Heizung ingang gesetzt. Am 15. Januar 1891 konnte mit den Putzarbeiten begonnen werden, für welche zu dieser Jahreszeit eine Auswahl der vorzüglichsten Berliner Putzmaurer zugebote stand und die infolge dessen schon Ende März zum Abschluss gelangten.

Unbeschriftetes Bild vom Innenraum der Synagoge

Für den inneren Ausbau und die Dekoration blieb demnach noch ein volles Halbjahr übrig.

Die Kosten des nach jeder Richtung – insbesondere auch in akustischer Beziehung – gelungenen Baues, welche innerhalb des Anschlags geblieben sind, werden Alles in Allem rd. 820 000 M. betragen. Auf die innere Einrichtung einschl. des Allerheiligsten sind davon etwa 115 000 M. zu rechnen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-F.-“.

Kuppel-Konstruktion der Synagoge in der Lindenstrasse zu Berlin.

Kuppel-Konstruktion – Schnitt

In Vervollständigunpg unserer Mittheilungen über die neuerbaute Synagoge in der Lindenstrasse (D. Bztg. 1891 No. 83) bringen wir heute noch einige Erläuterungen über die konstruktiven Seiten der Ausführung.

Kuppel-Konstruktion – Grundriss

Eine selbstständige Entwicklung der Strebepfeiler, so dass diese den gesammten Gewölbeschub aufnehmen konnten, hätte den Grundriss in der unvortheilhaftesten Weise beschränkt und war insbesondere an der Nordost-Ecke, der Nachbargrenze halber, ganz unthunlich. Frei sichtbare Eisen-Anker im Innern des Raumes, in richtiger Höhe angebracht, hätten zu störend gewirkt. Es blieb nur eine eiserne Verankerung oberhalb der Gewölbe übrig.

Kuppel-Konstruktion – Aufsicht

Wie der Querschnitt ergiebt, treten die Gewölbe an einzelnen Stellen ziemlich nahe an die Dachflächen. Deshalb erschien eine Verbindung der Dach-Konstruktion mit der Gewölbe-Verankerung angezeigt.

In den Axen der die innere Kuppel stützenden acht Sandsteinsäulen stehen acht eiserne Stiele A, deren Köpfe durch die 4 Fachwerk-Binder B1 und 4 Walzträger B2 zu einem Fussring für das innere Zeltdach verbunden sind. Von den 8 Ecken dieses Fussringes führen die Gratsparren C C zu den 8 Ecken des oberen Schlussringes D. Auf dem Schlussring D ruht das kleine Glasdach als ein regelmässiges achtseitiges Zelt über dem inneren Kuppel-Oberlicht. In der niedrigen Wand über dem Schlussring D befinden sich acht Lüftungsklappen a. Von den 8 Zeltdachflächen sind jene beiden, die parallel der Längsaxe laufen, unmittelbar bis zu den Traufen verlängert, die übrigen sechs Zeltflächenwerden von dem sattelförmigen Hauptdach (vgl. Schnitt e d)durchdrungen.

An den Fachwerkbinder B1 sind nun die Anker E, für die Hauptgurtbögen in geneigter Stellung angehangen und, nach Anschluss an den Stielfuss A, in gleicher Richtung E2 bis zu den Frontwänden verlängert. Hier wird die nöthige Auflast durch den lothrechten Anker F erzeugt.

Für die Verankerung der beiden den Fronten parallelen Gurtbögen zwischen Kuppel und Konche wurde hierbei eine Gabelung (in E2 und B2) erforderlich, die sich schliesslich in den Frontwänden bis zu den Haus-Ecken, bezw. über den kleineren Gurtbögen hin bis zu den Giebelwänden fortsetzt. Durch die geneigte Lage der Anker E1 entsteht eine starke Belastung der Fachwerkbinder B1, der Stiele A und auch der inneren Sandsteinsäulen, (von je rd. 7000 kg) welche in den Kauf genommen werden musste.

Entsprechend den auftretenden Kräften wurde die Fugenrichtung in den Gurtbögen, abweichend vom Radius möglichst steil genommen. Die kleineren Gurtbögen wurden thunlichst hoch und breit übermauert, um das nöthige Gewicht zu erzeugen. Für den vorderen Gurtbogen (Schnitt c d) liess sich ein Anker versteckt in der Emporenbrüstung unterbringen.

Der Dachbinder darüber bietet nichts weiter Bemerkenswerthes. Die Eisenkonstruktionen sind nach dem Entwurf des Zivil – Ingenieurs R. Cramer von dem Eisenwerk Lauchhammer ausgeführt worden.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung.