Die Architektur-Abtheilung der Münchener Jahres-Ausstellung im Glaspalast 1898

Wer die Architektur-Abtheilungen des Münchener Glaspalastes vom vergangenen und von diesem Jahre gesehen hat, wird unzweifelhaft bestätigen, dass sie zwei der merkwürdigsten Extreme bilden. Im vorigen Jahre eine reich beschickte Ausstellung, welche in sachlichen und nationalen Vielseitigkeit wohl geeignet war, ein annähernd übersichtliches Bild vom tektonischen Schaffen eines kurzen Zeitraumes zu geben, dabei aber fast planlos angeordnet und dürftig, sehr dürftig untergebracht; in diesem Jahre die Gestaltung dreier Räume von bestechendem Reiz, in ihnen aber eine Ausstellung architektonischer Zeichnungen und Modelle, welche auch die bescheidensten Forderungen, die man an eine Sonderabtheilung einer grossen Kunstausstellung stellen kann, weit hinter sich lässt.

Es wäre ein müssiges Beginnen, nach der Ursache dieser seltsamen Erscheinung zu forschen; für den Wissenden liegt sie auf der Hand. Wer Künstler ist, ist selten zugleich auch Agitator, und wer Agitator ist, ist selten zugleich auch Künstler. Eine wohl eingerichtete und in ihrer künstlerischen Anordnung auf die Menge wirkende Ausstellung aber bedarf sowohl der künstlerischen wie der agitatorischen Mitwirkung von Kräften, welche sich durch die Litteratur oder durch Reisen einen Ueberblick über das architektonische Schaffen erworben haben und welche bereit sind, diese Wissenschaft in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Sind diese Kräfte an und für sich auch nicht gar so selten, so sind doch die Zufälle seltener, in welchen eine vielfach ausgebreitete Thätigkeit sie die Musse erübrigen lässt, zu einem gemeinnützigen Werke zusammenzuhelfen. So entstehen denn die oft torsoartigen Architektur-Ausstellungen, welche wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Wo die künstlerische Anordnung durch eine rege Vereinsthätigkeit in dieser Richtung unterstützt wird, wie es z. B. in diesem Jahre in Berlin der Fall war, da ist aus dem Zusammenwirken von Kunst und Agitation wohl eine geschlossene, abgerundete Erscheinung zu erhoffen, wenn man sich in architektonischen Dingen nicht auf die Ausstellungs-Kommissionen verlässt. Dass von diesen eine Förderung architektonischer Dinge nicht zu erwarten ist, ist eine Erfahrung, die nachgerade so alt ist, wie die Ausstellungen selbst; sie ist in diesem Jahre in Berlin wieder gemacht worden und hat zweifellos auch die Münchener Architektur-Abtheilung beeinflusst, wenn auch anerkannt werden soll, dass das Entgegenkommen in diesem Jahre augenscheinlich grösser war, wie im vergangenen. Zu diesem Entgegenkommen ist sowohl der Umstand zu rechnen, dass die Gruppe für Architektur und dekorative Kunst eine eigene Jury hatte, welcher die Hrn. Prof. Jos. Bühlmann als Vorsitzender, Martin Dülfer, Prof. Georg Hauberisser, Prof. Heinr. Freih. v. Schmidt, Prof. Em. Seidl und Prof. Gabr. Seidl angehörten, sowie auch der weitere Umstand, dass es gelungen ist, leidlich gute Räume in leidlich guter Verbindung mit den übrigen Räumen der Ausstellung zu erhalten.

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Ihre dekorative Ausgestaltung war einer Künstlergruppe anvertraut, welcher Prof. Friedr. v. Thiersch vorstand. Dürfen wir zuerst einen Blick auf die Räume werfen, welche lediglich um ihrer selbst willen und nicht zugleich auch als Ausstellungsräume geschaffen wurden, so möchten wir unseren bildlichen Darstellungen (Die Abbildungen S. 557 und 565 verdanken wir der Güte der Redaktion der Zeitschrift: „Kunst und Handwerk“ in München.) und der historischen Reihenfolge folgend, zunächst den römisch-pompejanischen Wohnraum erwähnen, aus welchem die Breiten dieser und der folgenden Nummer einen Fries, die Abbildung S. 557 die Nischenwand und die Abbildung der Beilage entgegengesetzte Wand des länglichen, mit einem Tonnengewölbe überspannten köstlichen Raumes darstellten. Die Entwürfe zu ihm stammen von dem Architekten Prof. Em. Seidl. Mitwirkende dabei waren die Hrn, Kunstmaler Franz Naager-München für die pompejanischen Wandmalereien, Rappa & Giobbe-München für die graziösen Stuckarbeiten, die Marmor-Industrie in Kiefersfelden für den Marmorboden, Johann Odorico für die Terrazzo-Arbeiten usw. Für die Ausstattung mit Geräthen sorgten die Firmen Theod. Heiden, Rudl & Behringer, Wenzel Till, J. Littauer und Franz Steigerwald & Neffe, sämmtlich in München.

Grundriss der Abtheilung für Architektur und Kunstgewerbe im Glaspalst zu München 1898

Es ist ein bezauberndes Stück antik römischen Lebens, welches uns aus diesem Raume entgegenströmt. Darf ich einen Vergleich ziehen mit dem, was man in dieser Beziehung den Besuchern der Pariser Weltausstellung des Jahres 1889 in der rue des habitations bot, so kann nur die thurmhohe Ueberlegenheit des Seidl’schen gegenüber dem entsprechenden Garnier’schen Raume festgestellt werden. Wer erinnerte sich nicht bei seiner Betrachtung des schönen Schiller’schen Gedichtes „Pompeji und Herculanum“:

„Die zierlichen Zimmer
Reih’n um den einsamen Hof heimlich und traulich sich her.
Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke sich dehnen,
Wie von buntem Gestein schimmernd das Estrich sich hebt!
Frisch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben“. –

Nicht minder bestechend in seinem graziösen Reiz war der Raum, welchen Prof. Friedr. von Thiersch einzurichten übernommen hatte und welchen wir in unserer nächsten Nummer zur Darstellung bringen. Der Katalog sagt von ihm, dass seine architektonischen Einzelformen, sowie die Motive der Wandmalereien einem Hofe entlehnt seien, welcher sich im Fuggerhause zu Augsburg befindet und der als eins der frühesten Werke deutscher Renaissance in seinen Bauformen von der venetianischen Frührenaissance abhängig ist. Die nur noch in Spuren vorhandenen Wandmalereien tragen die Jahreszahl 1515 und werden Hans Burgkmair zugeschrieben. Das Fuggerhöfchen, soweit es das Eintagsmaterial zuliess, in seinem alten Glanze wiederzugeben, war die feine Absicht des Künstlers. Es haben dabei mitgewirkt die Hrn. Arch. R. Senf, Maler Jos. und Georg Widmann und Mangold, sowie die Firmen Böck’s Wittwe und Barth & Co., sämmtlich in München. Die Ausstattungsstücke lieferten L. Bernheimer, A. Bondi in Florenz, Julius Böhler und Bildhauer Rauch in München. So ist etwas entstanden, was wieder in anderer Art wie der römische Wohnraum ein reizvoller Anziehungspunkt dieses Theiles der Ausstellung für weitere, auch nicht sachverständige Kreise, geworden ist und der zahlreiche Besuch dieser Räume zeigte, dass die mit ihrer Herstellung verbundene Absicht erreicht worden ist. –

Abbildung Seite 557

Sind die beiden hier genannten Räume Ausstellungsstücke an und für sich, gleichsam naturgrosse Modelle, so ist der mittelalterliche Raum, welcher neben dem römischen auf unserer Beilage dargestellt und von Hrn. Prof. Karl Hocheder entworfen wurde, sowohl naturgrosses Modell wie Ausstellungsraum. Ausserordentlich schlicht ist seine aus Wandflächen, Oeffnungen und dem Holzdeckenabschluss gebildete Gestalt. Bewegung kommt in dieselbe lediglich durch die Verschiebungen des unteren und des oberen Grundrisses in der dem Beschauer entgegengesetzten Ecke. Die einheitliche Raumwirkung unterbricht in malerischer Weise die schöne Mittelstütze mit ihrem kralligen Unterzug. Was der Raum in architektonischer Hinsicht sonst bietet und womit er in einen ausgesprochenen Gegensatz zu den übrigen beiden Räumen tritt, das ist seine in jeder Beziehung überraschende Anspruchslosigkeit. Keine Farbe, kein Ornament, kaum ein Profil. Auch wenn man die Einrichtungsgegenstände, welche durch Hocheder , Littmann und Pfann ausgewählt wurden, hinwegdenken würde, würde er kaum an Eindruck verlieren, weil dieser Eindruck in der Hauptsache in einer Gegensatzwirkung beruht, von welcher die zufälligen Ausstellungsstücke unabhängig sind. Diese sind sorgfältig und angemessen gewählt: Altäre (Böhler), Todtenschilde, Teppiche, Gobelins, ein Missale (Attenkofer), Stühle, Glasbilder, Statuen (Radspieler) usw. sind das mannichfaltige Geräth, welches den Raum belebt.

In ihm und in einem kleinen benachbarten Raum ist das untergebracht, was man Architektur-Abtheilung genannt hat. Da hängt in energischer Federzeichnung Martin Dülfers eigenartiges Wohnhaus für den Freiherrn Cl. v. B. in der Maria-Theresienstrasse 27; da steht das Modell zu Theodor Fischers trotzigem und ernstem Bismarckthurm auf der Rottmannshöhe am Starnbergersee, ein seiner Vollendung entgegengehendes Werk von monumentaler Gestaltung. Da steht ferner das Modell für das stattliche Kaufhaus „Domhof“ in der Kaufinger-Strasse in München, bei welchem die Architekten Heilmann & Littmann den Beweis lieferten, dass es selbst bei einem gewaltigen Waaren- oder Geschäftshause wie bei dem inrede stehenden sehr wohl möglich ist, neben den äussersten Bedingungen vornehmer kaufmännischer Geschäftsreklame und realistischen Geschäftsbetriebes die idealen Forderungen zu erfüllen, welche in künstlerischer Beziehung der genius loci erhebt. Hans Grässel’s Sockel mit Vase, wohl als Grabdenkmal aufzufassen, ist ein feines Werk dekorativer Klein-Architektur. Als wir vor nahezu 2 Jahren den Entwurf von E. Haiger für ein Völkerschlacht-Nationaldenkmal bei Leipzig veröffentlichten, da thaten wir es mit aufrichtiger Freude über die ganz neue Wege gehende Formgebung dieses interessanten Werkes. Dieses Bestreben, Neues zu schaffen, ist auch das Ziel einer Reihe kleinerer Werke, wie Villen, zu welchen sich der genannte Künstler mit Henry Helbig verbunden hat. Auch diese bescheideneren Werke sind auf neuen Pfaden errungen. Die Gründe, diese einzuschlagen, wollen uns aber hier gezwungener erscheinen, wie bei dem erstgenannten Werke. Die absolute Negation jedes profilartigen Abschlusses, die übertrieben gesuchte Art einfacher und schlichter Gestaltung, welche bei der Art der Darstellung fast in ein komisches Extrem übergeht, verräth doch die vielfach zu beobachtende Wahrnehmung, dass auch die Bewegung nach dem Neuen Gefahr läuft, sich in nebensächliche Spielerei – immer ein beachtenswerthes Maass künstlerischen Vermögens zugegeben – zu verlieren. – Der Künstler Kurhaus ist in seiner Erscheinung nichts weniger als das. Es ist kein Gebäude zur Erhaltung des Lebens, es erscheint vielmehr als eine Todtenstadt, aus der alles Leben geflohen ist. Lebhaft wurden wir an den düsteren Campo santo von Verona erinnert. Eine vortreffliche malerische Arbeit ist der Entwurf von Prof. Georg Hauberrisser in München zur Wiederherstellung der Probsteikirche in Troppau. Mit überlegter Absicht sind die beiden Thürme des Aufbaues so verschieden gehalten, dass sie eine unsymetrische, malerische Gruppe. bilden. Die Gipsstudie für das Männerschwimmbad des nach den Plänen Hocheders in der Ausführung begriffenen Müller’schen Volksbades an der Isar in München lässt ein Urtheil wohl über die Raumwirkung, kaum aber über die künstlerische Haltung zu. An Thiersch’s Modell zum Treppenhause des neuen Justizpalastes kann das schrittweise Ausreifen dieses schönen Bautheiles bis zur Ausführung mit Anschaulichkeit verfolgt werden. Tüchtige Arbeiten stellte Franz Rank sowohl allein wie in Gemeinschaft mit Fedor Lehmann aus. Von den übrigen Arbeiten wären noch zu nennen das Modell zu einer Turnhalle mit Vereinshaus für Rosenheim von Joh. Schobloch-München, die flotten Federskizzen mit Motiven aus Nürnberg von G. Steinlein-Obersendling, die Tiroler Gasthäuser im Oetzthale von W. Walther-Berlin, das Modell Hocheders für einen Pavillon auf dem Maximiliansplatz in München und die ausgezeichneten Arbeiten des Bildhauers Prof. Anton Pruska, so die schöne Grabplatte und die Widmungstafel nach dem Entwurf Theodor Fischers, die Arbeiten für die Bauten von Gabriel Seidl usw.

Mittelalterlicher Raum vom Prof. K. Hocheder-München

Sieht man von den schönen drei Räumen ab, welche von feiner Künstlerhand im Glaspalast entstanden sind, so ist es höchstens eine Visitenkarte, welche die Baukunst diesmal im Glaspalast hat abgeben lassen. Und doch steht dieselbe gerade in München in schöner Blüthe. Die beiden Seidl, Heilmann & Littmann (Mitarbeiter Goebel), Martin Dülfer, Theodor Fischer, Pfann & Blumentritt, die beiden Thiersch, Hocheder, Grässel, Bertsch, Hauberrisser und eine stattliche Reihe weiterer Künstler entwickeln auf architektonischem Gebiete eine sehr mannichfaltige und fruchtbare Thätigkeit, welche das Stadtbild Münchens von Jahr zu Jahr in einer den Forderungen der Oertlichkeit trefflich entsprechenden Weise verschönert. Ihre reiche Thätigkeit ist im Glaspalaste nur sehr bescheiden zum Wiederscheine gekommen. Der Fremde besitzt vielfach weder die Zeit, noch die Ortskenntniss, die zahlreichen Werke zu eigener Anschauung aufzusuchen. Was an den Hauptstrassenzügen liegt, entgeht wohl der Aufmerksamkeit nicht, aber wie manche Perle liegt unbeachtet in einer Nebenstrasse. Hierauf aufmerksam zu machen, wäre eine dankbare Aufgabe für die Architektur-Ausstellungen, die sie bei reicherer Beschickung auch wohl zu erfüllen imstande wären. Das bezieht sich nicht allein auf München. Freilich vielfach liegt es an den Architekten selbst, welche den idealen und realen Gewinn der Ausstellungen unterschätzen; in gleicher Weise liegt es an der allenthalben beobachteten Zurückhaltung der Ausstellungs-Kommissionen. Hierin Wandel zu schaffen, wären in erster Linie die örtlichen Fachvereine berufen. In ihnen ruht die Zukunft unserer Architektur-Ausstellungen.

Und nun im folgenden Schlussworte noch einige Zeilen über die dem Kunstgewerbe zur Entfaltung dienenden Innenräume vom architektonischen Gesichtspunkte.

Renaissancehof a. d. Fuggerhause in Augsburg, nachgebildet von Prof. Fr. v. Thiersch-München

Für die Entfaltung des Kunstgewerbes kommen in München sechs Räume inbetracht, welche als hochbedeutsame Leistungen betrachtet werden müssen (s. den Grundriss). Da ist zunächst, abseits von der kunstgewerblichen Abtheilung, die Vorhalle, die nach dem Entwurf von Mart. Dülfer von Anton Pössenbacher ausgeführt wurde. In einer freien Auffassung des Stiles Louis XVI. durchgebildet, ist der elegante Vorraum in seiner feinen Farbengebung aus Silber, verschiedenfarbiger Bronze, Grau und Violett eine die künstlerische Auffassung Dülfer’s vortrefflich wiedergebende Arbeit, durchaus verwandt mit dem grösseren Raum, welchen Dülfer weniger als Selbstzweck, denn als Ausstellungsraum für das Kunstgewerbe entwarf und welchen Völker, die „Vereinigten Werkstätten“ und Schmidt & Co., in Einzelheiten nach Entwürfen von Frl. Erber und Bernhard Pankok ausführten. Auch hier eine lichte Gesammt-Farbenstimmung aus Weiss, Silber, Graugrün, Violett, verschiedenen Bronzetönen usw., auch hier eine zwischen Louis XVI. und Empire sich bewegende architektonische Formengebung, aber durchsetzt mit einem chinaisirenden Flächenornament. Ein anheimelnder Theil des Raumes ist der Nischenausbau mit seinen kleingetheilten Fenstern. Ernster und tiefer in der Farbenwahl, aus rothen und blauen Grundtönen in mannichfaltiger Schattirung zusammengestimmt, ist der schöne Raum von Theodor Fischer, der durch Fritsche, Schmidt & Co. und Barth & Co. usw. ausgeführt wurde. Es ist kaum möglich, von dem Raume eine Beschreibung zu geben, da er so sehr auf Stimmung berechnet ist. Historische Formen sind an ihm nicht zur Verwendung gekommen, man wird in ihm vielfach an aussereuropäische Einflüsse erinnert. Der Raum ist eigenartig und von jenem strengen Ernst in der Stimmung, welche diesem hervorragenden Leichter und heiterer ist wieder der Raum, welchen Hr. Arch. Wilh. Bertsch beeinflusste. Karl Gross, L. Ulsess, Franz Naager, Carl Ule usw. waren seine Mitarbeiter. Der Raum erhebt in bescheidenerem Grade den Anspruch, für sich selbst zu wirken, er lässt mehr die Ausstellungs-Gegenstände zur Geltung kommen. Die letzteren sind auch nicht durchweg zum Charakter des Raumes passend ausgesucht, denn sie bilden in der Hauptsache das Ausstellungsgut des Münchener-Kunstgewerbe-Vereins; eine einheitliche Wirkung ist daher weder beabsichtigt, noch deshalb auch erreicht. Streng einheitlich degegen ist der von den Architekten Helbig & Haiger entworfene und eingerichtete Raum, eine sehr beachtenswerthe Leistung. „Als der Grossvater die Grossmutter nahm“, zu Anfang unseres Jahrhunderts, da mochten sie wohl einen solchen Raum mitbekommen haben, wenn sie vorsichtig in der Wahl ihrer Eltern waren. Denn der Raum ist bei aller Einfachheit der Formgebung kostbar. Pössenbacher führte ihn in der Hauptsache aus und in seiner bemerkenswerthen künstlerischen Erscheinung führt er uns vor Augen, wie schnell wir leben und wie sehr die Biedermeierzeit für uns bereits beginnt, eine historische Zeit in des Wortes überkommener Bedeutung und ihr Stil ein historischer Stil zu sein. Weiter auf den Raum einzugehen, wäre Sache der kunstgewerblichen Berichterstattung.

Römisch-Pompejanischer Raum von Prof. Emauel Seidl-München

Durchaus einheitlich trotz mancher Leihgaben ist auch der Raum, welchen H. E. von Berlepsch in München entwarf und in der Durchführung überwachte. Seine Mitarbeiter waren Giobbe & Rappa für die Stuckarbeiten der Decke, C. Fischers Wittwe für die Holzarbeiten der Wände und Thüren, Maile & Blersch und Buyten & Söhne in Düsseldorf. Was durch diese Firmen nach den Entwürfen v. Berlepsch’s geschaffen wurde, verdient die grösste Beachtung. Ein merkwürdiger Reifeprozess ist in dem Künstler vor sich gegangen. Als Architekt, der er von Haus aus ist, hat er es in seiner späteren Beschäftigung als Maler verstanden, die starre Tradition abzustreifen und sich freier zu bewegen. Und in dieser doppelten Eigenschaft eines Künstlers, dem sein architektonisches Gefühl eine feste Grundlage für organischen Sinn und struktives Empfinden verleiht, den aber die freie Beschäftigung mit der Malerei von den Fesseln der Tradition befreite und mit freiem malerischem Denken bereicherte, tritt er in das ein, was wir bisher Kunstgewerbe zu nennen pflegten, und schafft hier unter dem befruchtenden Einfluss jener Doppeleigenschaft einer freien Gebundenheit Werke von höchster Beachtung. Die Auffassung des Pflanzenornamentes entspringt dem gewissenhaftesten Naturstudium; allenthalben ist der struktive und architektonische Aufbau der Pflanze beobachtet und wiedergegeben. An die Stelle künstlerischer Gewalt, mit welcher das Pflanzenelement von den sogenannten „Führern“ unserer modernen Bewegung mit überlegenem Originalitätsgefühl traktirt wird, setzt Berlepsch die ehrfurchtsvolle Achtung vor dem Willen der schönen Natur. In dieser Pietät glaube ich, liegt bei aller individuellen künstlerischen Freiheit jenes Imponderabile, welches uns den schönen Raum lieb gewinnen lässt. Ich habe unter den Neuerern, welche uns etwas allzu laut als führende Geister angepriesen werden, wenige kennen gelernt, welche so viel Selbstzucht, künstlerisches Gewissen und starkes Empfinden in sich vereinigen, wie v. Berlepsch, welcher in der neuen Richtung und auf dem neuen Arbeitsgebiet, welches er sich gewählt hat, fast unbemerkt aus einem glimmenden Punkte zu einer leuchtenden Flamme sich entwickelte. Er dürfte, wenn er in dieser Art weiter arbeitet, eine gewisse Gewähr dafür bieten, dass eine Bewegung, die so laut einsetzte, doch, entgegen aller Befürchtung, bleibende Werthe schafft. Und das ist der bescheidene Trost für den, welcher in dem Lärm des modernen Posaunen-Künstlerthums den Muth verlieren wollte. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 29.10. & 05.11.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „H.“.