Berliner Neubauten 96 – Das neue Königliche Marstall-Gebäude

Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Ansicht vom Schlossplatz

Architekt: Kgl. Geh. Hofbaurath Ernst Ihne.

Für die Bedürfnisse des Königlichen Marstalls waren in Berlin bisher zwei räumlich getrennte Anlagen vorhanden, die in ihrem baulichen Kern noch aus der Zeit des Grossen Kurfürsten bezw. des Königs Friedrich I. stammten.

Die ältere und umfangreichere derselben, in denen die für den sogen. „grossen Dienst“ bestimmten Reit- und Wagenpferde, sowie die Pracht- und Gala-Wagen untergebracht waren, umfasste die bis zur Spree durchreichenden Grundstücke BreiteStrasse 32-37. Die eigentliche Marstall-Anlage war nach einem Brande der älteren, schon seit Anfang des 17. Jahrh. für denselben Zweck dienenden Gebäude von 1665-70 durch M. Matthias Smids errichtet und später durch Hinzukauf der benachbarten, meist nur zu Wohnzwecken benutzten Häuser, sowie durch den Neubau der sogen. „Ritter-Akademie“ (1803) erweitert worden; sie enthielt neben den gewölbten Stallungen und Wagenremisen eine offene und eine bedeckte Reitbahn. – Der zweite, für den täglichen „kleinen Dienst“ bestimmte Marstall befand sich in dem an der Dorotheenstrasse liegenden Flügel des sogen. „Akademie-Viertels“; er war das letzte Ueberbleibsel der grossen von König Friedrich I. geschaffenen neuen Marstall-Anlage, die in ihrer ursprünglichen Gestalt über jenes ganze Viertel sich erstreckte, allmählich aber durch Verwendung einzelner Theile zur Unterbringung der Akademien für Kunst und Wissenschaft, sowie einer Kavallerie-Kaserne bis auf jenen Rest verkleinert worden war.

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Unter König Wilhelm I. reichten diese Baulichkeiten nicht nur räumlich aus, sondern es entsprach die Trennung derselben auch dem thatsächlichen Bedürfniss, da der für den täglichen Dienst bestimmte Marstall in nächster Nähe des königlichen Palais sich befand. Für die wesentlich erweiterte Hofhaltung S. M. des regierenden Kaisers und Königs, der seinen Berliner Wohnsitz bekanntlich wiederum ins Schloss verlegt hat, traf beides nicht mehr zu. Die Nothwendigkeit eines neuen Marstall-Baues, unter Aufgabe der Anlage an der Dorotheenstrasse, machte daher um so stärker sich geltend, als das Gelände der letzteren längst für andere Zwecke (den Neubau der Kgl. Bibliothek) in-Aussicht genommen ist, die ebenso dringend Befriedigung erheischen.

Den letzten Anstoss zu dem Entschlusse S. M., auf dem Gelände an der Breiten Str. ein neues monumentales Marstall-Gebäude zu errichten, das für die gesammten Bedürfnisse der königlichen Hofhaltung ausreicht, dürfte der Umstand gegeben haben, dass die aus Verkehrs-Rücksichten gebotene Verbreiterung der Kurfürsten-Brücke und der Königstr. die Erwägung nahe legte, ob aus diesem Anlass nicht auch entsprechende Veränderungen an den Baulichkeiten des Schlossplatzes herbei zu führen seien. Wurde die Verbreiterung der Brücke und Strasse nach Süden hin bewirkt, dann mussten die Wohnhäuser fallen, welche als flache Maske die nördliche Grenze des Marstall-Grundstückes vom Schlossplatz trennten. Und aus der Nothwendigkeit, an dieser frei gelegten Grenze statt des bisherigen Brandgiebels eine des gegenüber liegenden Schlosses nicht unwürdige Fassade zu schaffen, entwickelte sich, gleichsam von selbst, der Gedanke eines den gesammten Marstall umfassenden Neubaues.

Es hat einige Mühe gekostet, ehe die Vertreter der Stadt Berlin sich geneigt zeigten, auf diese Absichten, welche ihnen zu Anfang d. J. 1893 durch ein Schreiben des Hrn. Ministers der öffentlichen Arbeiten bekannt gegeben waren, einzugehen. Erst ein Jahr später bewilligten sie (mit einer knappen Mehrheit und nach erregten Verhandlungen) die zum Ankauf jener Häuser am Schlossplatz erforderliche Summe. Und erst nach diesem Zeitpunkte konnte an die Aufstellung des Entwurfes zu dem neuen Marstall-Gebäude heran getreten werden, mit welcher S. M. der Kaiser seinen Architekten, Hrn. Geh. Hofbrth. Ernst Ihne beauftragte. Der Bau selbst wurde im Herbst 1896 begonnen und bis zum Jahre 1899 so kräftig gefördert, dass die nördliche Hälfte desselben in Benutzung genommen werden konnte. Mittlerweile sind auch die Bauten auf der Südhälfte so weit vorgeschritten, dass zu Anfang d. J. 1901 die Vollendung der ganzen Anlage erwartet werden darf. –

Wenn die letztere im Vorstehenden wiederholt als „Neubau“ bezeichnet worden ist, so ergiebt ein Blick aüf die mitgetheilten Grundrisse allerdings, dass dieses Wort nur auf diejenigen Theile sich bezieht, welche – am Schlossplatz, längs der Spreefront, an der südlichen Nachbargrenze und noch ein Stück an der Breiten Str. (No. 31 u. 32) sich hinziehend, sowie durch 2 Querflügel erweitert – die Räume für die eigentlichen Marstallzwecke sowie Wohnungen für die niederen Bediensteten enthalten. Die an der Breiten Str. liegenden Häuser No. 33, 34, 35 u. 36, d. h. die 1803 durch Gentz erbaute Ritter-Akademie, das a. d. J. 1624 stammende ehem. v. Ribbeck’sche Haus und das Vorderhaus des Smids’schen Neubaues von 1665 sind als geschichtliche (durch spätere Zuthaten leider etwas entstellte) Denkmäler älterer Berliner Baukunst vom Neubau verschont geblieben; sie dienen zur Aufnahme der Bureau- und Kassenräume des Kgl. Ober-Marstall-Amtes sowie zu Wohnungen für die Oberbeamten desselben: –

Unter Hinweis auf die beigefügten Abbildungen wird eine kurze Erläuterung der für die neuen Bautheile getroffenen Anordnung genügen.

Sowohl die Rücksicht auf die Umgebung der Anlage, die sich zwar dem gegenüber liegenden Schlosse unterordnen musste, unter den benachbarten Wohn- und Geschäftshäusern aber als eine monumentale Schöpfung sich behaupten sollte, wie das im Verhältniss zu der verfügbaren Grundfläche sehr beträchtliche Raumbedürfniss wiesen darauf hin, dem Gebäude eine ansehnliche Höhenentwicklung zu geben. Der 83 m lange Flügel am Schlossplatz und der Haupttheil des i. g. 176,50 m langen Flügels an der Spree haben – abgesehen von dem Keller, der bei letzterem in der Fassade noch als Unterbau zur Erscheinung tritt – 4 Geschosse erhalten, die beim Schlossplatzflügel 6,90 m, 4,70 m, 6,70 m und 4,30 m, beim Spreeflügel 5,95 m, 5,95m , 6,45 m und 4,45 m hoch sind. Die Oberkante der Attika liegt rd. 26 m über dem Schlossplatz, also um 4 m niedriger als die Attika des Schlosses. Im südlichen, etwas zurück springenden Theile des Spreeflügels und in den ihm sich anschliessenden Gebäuden an der Nachbargrenze und der Breiten Str. sowie im nördlichen Querbau ist die Zahl der Geschosse auf 5 bezw. 6 gesteigert.

Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Grundriss
Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Grundriss

In den beiden unteren Geschossen des Spreeflügels sind die Pferdeställe mit ihrem Zubehör an Putzkammern, Sattelkammern usw. untergebracht; der hintere selbstständige Theil ermöglicht die Absonderung einzelner Pferde in Krankheitsfällen usw. Es ist dabei auf einen durchschnittlichen Bestand von 270 Pferden gerechnet. Die zum oberen Stalle führende bedeckte Rampe geht vom mittleren Hofe der Anlage, dem sogen. „Fahrhofe“ aus. – Im Schlossplatzflügel, der den durch eine vorgelegte offene Halle bedeutsam hervorgehobenen Haupteingang enthält, liegen im Erdgeschoss links Bureaus und eine Greschirrkammer, rechtsseitig die Pförtner-Wohnung und die mit den Obergeschossen durch einen Aufzug verbundene Wagenwäsche nebst einem Raum für den Wagenhälter und eine Sattler-Werkstatt; in dem darüber liegenden Zwischengeschoss haben weitere Geschirr- und Montirungs-Kammern Platz gefunden.

Das zweite Obergeschoss beider Flügel ist fast in ganzer Ausdehnung zur Unterbringung der im Besitze des Königl. Hofhaltes befindlichen etwa 300 Wagen und Schlitten verwendet. Und zwar stehen im Spreeflügel die Gebrauchswagen, während im Schlossplatzflügel, wo theilweise auch das oberste Geschoss noch zu dem Raume hinzugezögen worden ist, eine Art von Museum zur Aufstellung der Gala- und Krönungswagen sowie mehrer Wagen, an die sich geschichtliche Erinnerungen knüpfen, eingerichtet worden ist. Zur Beförderung der Wagen nach unten dient neben dem schon erwähnten, von der Wagenwäsche ausgehenden Aufzuge ein zweiter Aufzug, der unmittelbar auf den ersten, gewöhnlich als „Remisenhof“ bezeichneten Hof der Anlage mündet, wo ihre Bespannung erfolgt. Es sei beiläufig bemerkt, dass das Glasdach, mit welchem dieser Hof bedeckt ist, gehoben werden kann.

Der schon oben erwähnte Querflügel, der den Hof nach Süden abschliesst, enthält nur im Erdgeschoss eine grosse Remise und im Anschluss an dem Spreeflügel einige Putz- und Geschirrkammern, Im übrigen ist er, wie das 3. Obergeschoss des Spreeflügels, die 3 Geschosse über der Krankenstation und das Gebäude an der Südwestecke des Marstalls, welches nur im Erdgeschoss einige Räume für die Rossärzte und eine Beschlagschmiede enthält, in ganzer Ausdehnung zu Wohnräumen für die Bediensteten des Marstalls eingerichtet, der i. g. nicht weniger als 45 Familien und 80 Unverheiratheten Unterkunft bietet.

Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Archit. Königl. geheimer Hofbaurath Ernst Ihne
Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Archit. Königl. geheimer Hofbaurath Ernst Ihne

In dem grossen vom Spreeflügel nach Westen vorspringenden Querbau zwischen Fahrhof und dem Hofe des Wohnhausbaues endlich sind im Erdgeschoss wieder einige Remisen, Leutestuben,. Geschirrkammern sowie eine zweite Wagenwäsche untergebracht. Darüber liegen zwei, auch im Zusammenhänge zu benutzende Reitbahnen von je 16 m zu 32 m; an den Aussenseiten derselben befinden sich offene Galerien, in der Hinterwand je eine Loge für die Zuschauer. Nicht minder gelungen wie diese Grundriss-Lösung erscheint die baukünstlerische Gestaltung des Aufbaues, von der unsere Abbildungen eine so ausreichende Vorstellung geben, dass wir auf eine Beschreibung derselben wohl verzichten können.

Als Hr. Staatsminister Thielen i. J. 1893 bei der Stadt die Freilegung der nördlichen Grenze des Marstalls anregte, deutete er an, dass an höchster Stelle beabsichtigt werde, hier die von Schlüter für diesen Zweck entworfene Fassade zur Ausführung zu bringen. Dieser Angabe lag insofern ein Irrthum zugrunde, als ein Schlüter’scher Entwurf für die Marstallfront am Schlossplatz nicht vorhanden ist, sondern lediglich ein (unter heutigen Verhältnissen unausführbarer) Plan von de Bodt, sowie der in dem bekannten Werke von Broebes enthaltene, vermuthlich von diesem herrührende Entwurf, den wir im Jhrg. 1894, No. 30 u. Bl. wiedergegeben haben. Sollte S. M, der Kaiser und König ursprünglich in der That die Absicht gehegt haben, diesen Entwurf zu verwirklichen, so hat er hierauf doch später verzichtet und seinem Architekten freie Hand gelassen. Dass für diesen Bau, der in unmittelbarer Nähe des Schlosses sich erhebt und als eine Nebenanlage desselben anzusehen ist, Bauformen gewählt werden mussten, welche denen der Entstehungszeit des Schlosses entsprachen, verstand sich allerdings von selbst. Die ihm damit gestellte Aufgabe hat der Künstler meisterhaft gelöst. Ohne bestimmte Theile älterer Bauten zu kopiren, hat er doch in den Geist wie in die Formensprache der Berliner Barock-Baukunst im Zeitalter Friedrichs I. aufs beste sich einzuleben verstanden. In der Wahl einzelner Motive bald an die verschiedenen Theile des Schlosses, bald auch an das Zeughaus und andere Bauten anklingend, hat er es verstanden, ein Werk zu schaffen, das sich jenen würdig anschliesst und doch als ein selbständiger Organismus mit eigenartigem Gesicht sich darstellt. Sowohl die Verhältnisse der Fassaden, von denen insbesondere diejenige der Spreeseite einen wahrhaft grossartigen Eindruck macht, wie der architektonische Maasstab ihrer Gliederungen sind aufs glücklichste getroffen. Auch der dekorative Schmuck, den diese in Rackwitzer und Cudowaer Sandstein ausgeführten Fassaden durch Hrn. Prof. Otto Lessing erhalten haben, ist seiner alten Vorbilder nicht unwürdig. In welcher Beziehung allerdings die figürlichen Darstellungen an den beiden Brunnen in den Eckrisaliten der Schlossplatzfront – der von den Okeaniden beklagte Prometheus und die Befreiung der Andromeda – zur Bestimmung des Gebäudes stehen, ist uns nicht gelungen zu enträthseln.

Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Ansicht vom Schlossplatz
Das neue Königl. Marstall-Gebäude in Berlin. Ansicht vom Schlossplatz

Das Innere, in durchweg monumentalen Konstruktionen ausgeführt, ist entsprechend einfacher gehalten, entbehrt aber weder der Würde noch des künstlerischen Reizes. Wohlthuend wirkt in den zur Aufstellung der Wagen dienenden Räume die Unterbrechung der auf Säulen überwölbten Theile durch die den äusseren Risaliten entsprechenden grösseren Säle, die in Putzarchitektur dekorirt sind. Die Ausgestaltung der Reitbahnen konnte bisher nicht besichtigt werden.

Als künstlerischer Gehilfe bei Entwurf und Ausführung des Baues hatHrn. Geh. Hofbrth. Ihne Hr. Arch. Wassermann zurseite gestanden, während Hr. Ing. H. Barth sämmtliche Eisenkonstruktionen berechnet hat. Von den bei der Ausführung betheiligten Firmen sind an erster Stelle Held & Francke für die Rohbauarbeiten, Wimmel & Co. für die Steinmetzarbeiten, Steffens & Nölle für die Eisenlieferung und die Eisenkonstruktionen mit Ausnahme der von Thyssen & Co. gelieferten eisernen Hofüberdachung, C. Hauer für die Zug-, Stuck- und Kunstmarmor-Arbeiten, Pellario & Co. für die Terrazzoböden und A. Benver für die Stalleinrichtungen zu nennen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 16.06.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „ – F. – „