Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 I. & II.

Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Architekten Delane, Thomas und Louvet

Von Albert Hofmann.

I. Einleitung und Gesammtanlage

Plus ca change, plus c’est la méme chose. Je mehr das wechselt, je mehr bleibt es dasf selbe. Wenn das Herr Francois de Neufcháteau, den man jetzt in Paris auch durch ein Denkmal ehren will, hätte sehen können!

Als ein Mann von umfassender Bildung und als ein geistreicher Schriftsteller wurde er unter dem Direktorium, im Jahre 1798, zum Minister des Inneren berufen und kam als solcher auf den Gedanken, den Glanz der republikanischen Feste durch industrielle Ausstellungen zu erhöhen. Die erste Ausstellung dieser Art wurde am 1. Vendémiaire des Jahres VI. der ersten glorreichen französischen Republik auf dem Marsfelde eröffnet. Sie dauerte nur 13 Tage und hatte nur 110 Aussteller; aber sie erfüllte ihren Zweck, der darin bestand, die Aufmerksamkeit des Volkes durch eine glanzvolle Schaustellung von den Vorgängen der inneren Politik abzulenken. Dieser tiefe Zweck soll alle französischen Ausstellungen bis heute beherrscht haben, das hat auch Hr. Francois Coppée, einer der neuesten Nationalhelden und Gegner der um ihr Dasein schwer kämpfenden dritten französischen Republik empfunden, als er schrieb: „Um das Volk abzulenken von dem französischen Empfinden, das sich in ihm auflehnt, zeigt man ihm weit draussen, in der Pracht der Abendsonne, beide Ufer des Flusses entlang, das Gewirre von Palästen, von Thürmen und vergoldeten Kuppeln! Welch’ eine Beute für einen Eroberer!“ Plus ca change, plus c’est la méme chose.

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Aber wir haben uns nicht mit den politischen Gründen für die Abhaltung der französischen Weltausstellung unserer Tage zu beschäftigen, um so weniger, als sie nicht die einzigen und vielleicht auch nicht die wichtigsten geblieben sind. Der Erfolg der Ausstellung vom Jahre 1889, die Erhaltung des französischen préstige auf diesem Gebiete, des einzigen, welches vorläufig noch erhalten werden kann, und nicht zuletzt wirthschaftliche Erwägungen kluger Art haben dazu geführt, dass sich Regierung, Aussteller und Besucher instinktiv in dem Gedanken begegneten, in diesem Jahre in Paris zu gemeinsamer Arbeit wieder zusammenzutreten. Man glaubte, dass die Ausstellung von 1900 die französische Initiative in der Weltkultur wieder eröffnen, die Geschäfte beleben, Industrie und Handel einen neuen Antrieb geben und ein Zeitalter der Arbeit, der Erfindung und des Fortschrittes sichern werde. Man beeilte sich förmlich, für das Jahr 1900, welches einer regelmässigen Wiederkehr der französischen Weltausstellungen in Zeiträumen von etwa 11 Jahren entsprach, eine französische Weltausstellung zu sichern; denn man sah im Auslande mit Besorgniss Pläne auftauchen, die grosse Völkerversammlung vom Jahre 1900 (les grandes assises de 1900) in einer anderen europäischen Hauptstadt abgehalten zu sehen. Man sagte sich, dass nachdem Frankreich das XIX. Jahrhundert mit der Organisation der ersten der nationalen Ausstellungen eröffnet habe, es das Jahrhundert grosser wissenschaftlicher, künstlerischer und wirthschaftlicher Errungenschaften auch schliessen müsse. Man setzte sich mit gerechtfertigtem Selbstvertrauen darüber hinweg, dass seit der Londoner Ausstellung des Jahres 1851 ein halbes Jahrhundert verflossen war, welches die Ausstellungen aus einem nur schwachen Rinnsal zu einer Hochfluth hatte anschwellen sehen, man fühlte sich nicht beängstigt, durch die Thatsache, dass in den Jahren 1890-1895 160 grössere Ausstellungen abgehalten worden waren, darunter die von Chicago, Lyon, Bordeaux, Kopenhagen und ein Jahr später die von Berlin. Und so begab es sich denn, dass man mit einer gewissen nationalen Begeisterung den Anträgen des Deputirten Francois Deloncle folgte, für das Jahr 1900 für Paris eine allgemeine Ausstellung zu beschliessen. Man fühlte sich zu dieser Initiative auch durch ein volkspsychologisches Moment berufen, welches neben den Gründen politischer und wirthschaftlicher Natur eine gewisse Bedeutung beanspruchen konnte. Der 1875 in Versailles gestorbene französische Publizist und Literarhistoriker Edgar Quinet, einer der geistreichsten Köpfe des republikanischen Frankreich, hatte einmal als ein Merkmal des französischen Nationalcharakters die Eigenschaft desselben betont, „d’exprimer la pensée de tous, sans sortir de soi“. Das hängt mit der französischen Nationalkultur zusammen, die im Laufe der Jahrhunderte ihre ideellen Bestandtheile aus dem Besitz aller Völker schöpfte, mit welchen sie in Berührung kam, und dadurch wohl befähigt war, die Gedanken aller zum Ausdruck zu bringen, ohne an nationaler Eigenart zu verlieren. Dadurch behauptete Frankreich auch die Hegemonie unter den Völkern Europas und diese wieder verlieh ihm das Anrecht, auch die Weltausstellung des Jahres 1900 innerhalb seiner Grenzen abzuhalten.

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900

Nachdem die parlamentarischen Erörterungen für das Unternehmen abgeschlossen waren, trat man im September des Jahres 1893 durch Berufung einer Oberkommission für die Weltausstellung in die praktischen Vorarbeiten ein. Es verdient an dieser Stelle hervorgehoben zu werden, dass ein Ingenieur, Alfred Picard, es war, den man zum General-Kommissar und obersten Leiter der Ausstellung ernannte. Picard ist Elsässer von Geburt, Strassburger; er hat die Mitte der fünfziger Jahre noch nicht erreicht. Seine Studien absolvirte er in der polytechnischen Schule in Paris und in der école nationale des ponts et chaussées. Nach einem Aufenthalte im Orient wurde er Ingenieur in Metz und während des deutsch-französischen Krieges Leiter grosser Barackenbauten in Verdun und technischer Arbeiten der Loire-Armee. Als Ingenieur in Nancy widmete er sich dem Wasserbau, wurde um die Wende der achtziger Jahre in das Ministerium der öffentlichen Arbeiten berufen und General-Inspektor des ponts et chaussées. Auf der Weltausstellung des Jahres 1889 war er Vorsteher der Gruppen „Eisenbahnen“ und „Mechanik“ und veröffentlichte über die Ausstellung einen Generalbericht, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit so auf ihn lenkte, dass er zum Präsidenten der hervorragendsten technischen Berathungskörper berufen wurde. Seine fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen betreffen die Speisung der Kanäle, eine Geschichte der französischen Eisenbahnen usw. Neben ihm berief man in die Ober-Kommission den Architekten Bouvard, Generalinspektor der Bauten der Stadt Paris, welchem die Ausstellung von 1889 ihren reichen Kuppelbau vor der Maschinenhalle verdankte; ferner den Generalinspektor des ponts et chaussées Huet, als Vorstand der Abtheilung Wegebau, Kanalisation und Beleuchtung; den Direktor der schönen Künste Roujon usw. Auf der Grundlage einer Summe von 100 Mill. Frcs., zu welcher die Stadt Paris 20 Mill., der Staat gleichfalls 20 Mill. Frcs. beisteuerten, sollten die Pläne für die Ausstellung sich aufbauen.

Dass die letztere nur in Paris stattfinden konnte, hatte zwei Hauptgründe, die einmal in der straffen Verwaltungs-Zentralisation Frankreichs, durch welche Paris auch der kulturelle Mittelpunkt des Landes wurde, dann aber auch in der Bedeutung der französischen Hauptstadt als Stadtbild liegen. Giebt es eine wundersamere Stätte für eine französische Weltausstellung, ja für eine Weltausstellung überhaupt? Man muss in den Reisetagebüchern des kaiserlich russischen Staatsrathes Victor Hehn, der nach einem wechselvollen Leben in russischen Diensten seit 1874 seinen Wohnsitz in Berlin aufgeschlagen hatte und hier bis zu seinem 1890 erfolgten Tode seine Reiseerlebnisse aufzeichnete – man muss in diesen Stimmungsbüchern nachlesen, mit welcher Begeisterung der vielgereiste Kulturhistoriker von der Königsstadt an der Seine spricht, um der Bedeutung der Weltausstellungsstadt gerecht zu werden. Denn sie ist im Grunde eine Königsstadt, trotz allem, was die Revolutionen ihr genommen und die Kaiser ihr zugefügt haben.

„Wenn ich“, schreibt Hehn, „von irgend einem hohen Standpunkt auf Paris herabsehe, die ungeheure Hauptstadt, dann fühle ich mich in der Gegenwart eines der wundervollsten und grössten Kunstwerke, das aus der Hand nicht blos eines einzelnen Volkes, sondern der Geschichte, der Menschheit und aller Welttheile hervorgegangen. …. Jahrhundert auf Jahrhundert baute hier an und legte hier nieder, was es wusste und wollte, was es litt und gewann. Einziehend und ausstossend, ewig verzehrend und ewig erzeugend, schlägt die verborgene Lebenskraft dieser Hauptstadt ringsum mit undulirendem Zittern nach allen Himmelsgegenden fort. Es ist ein geweihter Ort, und kein Geschlecht verging, das nicht in Hass oder Liebe, bewusst oder unbewusst in folgenreichem Keim oder freischwebender Frucht, deren Wurzel du nicht siehst, hier seinen Zoll entrichtet und an dieser Stätte sein Dasein in die Summe der grossen Arbeit, die man Geschichte nennt, eingetragen. …… Ein unbestimmtes Getöse, ein kaum sichtbarer Schleier schwebt immerdar über dem Riesenkörper. Es ist der Dampf der Gedanken, der Nebel der Weltgeschichte, der Schatten unzähliger Existenzen, der Dunstkreis grosser Verhältnisse und Thaten und das Gegenbild, das sich über unergründlichen Tiefen zeichnet. Horch, wie es rollt, braust und innerlich bildet!“

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900

Hehn nennt die Stadt ein organisches Gebilde, gestaltet und gruppirt wie ein Krystall. Die innere Bewegung moralischer Mächte vertheile die Häusermassen, ordne die Welt von Mauern und Dächern und bilde sie zu einem Körper. Auf dem linken Ufer der Seine liegt Paris, die Hauptstadt Frankreichs, dort sind alle nationalen Anstalten, aus denen Frankreich beherrscht, erleuchtet und erzogen wird (s. Lageplan). Dort sind auch die Gräber und Denkmäler der Helden des Volkes. Auf dem rechten Ufer aber liegt Paris, die Weltstadt. Hier ist alles noch glänzender, noch reicher; hier tauscht Paris mit der Welt, hier empfängt es, von hier aus entsendet es. Hier stehen der ägyptische Obelisk und der Triumphbogen als die Denkmäler der geistigen und kriegerischen Eroberungen der Welt. Hier stehen das Königsschloss der Tuilerien und der Louvre; die Königswohnung für die politischen Herrscher und die Königswohnung für die geistigen und künstlerischen Schätze der Welt. Hier verlaufen die Boulevards, jener glanzvolle Strassenzug, der auf den schützenden Bollwerken von ehemals durch die umstürzende Kraft der Zeit und der vorwärts schreitenden Entwicklung geschaffen wurde. So erscheint Paris als eine organische Bildung von natürlichster Vollkommenheit, ein Organismus wie der menschliche Körper, ein Organismus mit Herz, Blut und Gliedmaassen. Und wie Paris, so ist Frankreich in diesem Augenblicke, „überall beseelt und mit überall gegenwärtiger Einheit.“

Aber freilich, dieses Bild ist zu glänzend, um nicht auch seine Gegner zu haben; der Ruhm ist zu strahlend, um nicht auch den Neid aus seiner dunklen Höhle herauszulocken. Man hat sie zu gleicher Zeit die Metropole des ästhetischen und des physischen Lasters genannt, man hat sie auch noch anders genannt, schlimmer, verabscheuungswürdiger. Und doch zieht sie immer wieder an, die lächelnde, fieberhaft schöne Lutetia an der Seine. Mag politischer Niedergang, mag soziale Decadence, mögen die Anzeichen der Revolution uns dieses Bild zeitweise trüben und die Greuelthaten des gewaltsamen Umsturzes es uns gar entfremden, es übt immer wieder und wohl noch auf lange Zeit hinaus seine bezaubernde und berauschendeWirkung aus. „Merkwürdige, wunderreiche Stadt! Ich überschaue dich und höre dein Leben, riesenhafter Körper aus Stein, mit gemauerten Rippen, mit Adern, die man Strassen nennt. … . Wie viel Fäden wechselnden Geschickes und selbstgesponnener That – ein fruchtbares, ein staunenswerthes Gewebe! …. Wer zählt oder ordnet die Gedanken, die an dieser Stätte geboren wurden, die Verwicklungen, die Wirkungen, Folgen und Gründe?“ Nur wer Paris kennt, versteht Hehn in diesen begeisterten Worten. Es ist, wie wenn ein Liebhaber an seine ferne, stolze Geliebte schreibt, deren bestrickendem Einfluss er mit dem ganzen heissen und leidenschaftlichen Empfinden der natürlichen Regung erlegen ist. Es war ein guter Deutscher, ein leider viel zu wenig beachteter Kunstschriftsteller von selbständiger Gesinnung und Anschauung, es war der Schwabe Ludwig Pfau, der es einmal aussprach, dass, wenn man schon nicht in Paris leben könne, es gleichgiltig sei, wo sonst man lebe. Wenn auch die Zeiten vorbei sind, in welchen der Deutsche Frankreich und Paris als seinen politischen und künstlerischen Erzieher betrachtete, so bleibt doch auch heute noch Paris für ihn ein Kunstmittelpunkt und Bildungszentrum ersten Ranges, und Börne behält immer noch bis zu einem gewissen Grade Recht, wenn er Paris mit einem goldenen Becher vergleicht und wünscht, ihn bis zum Rande mit dem süssesten Weine vollgefüllt zu schen „bis es überströmt, bis es herabströmt auf das Tischtuch, wo wir Fliegen herumkriechen und naschen“.

Lageplan der Weltausstellung von Paris 1900
Lageplan der Weltausstellung von Paris 1900

Die deutsche Huldigung an den französischen Kunstgeist im Deutschen Hause in Paris in diesen Tagen hat Börne gerechtfertigt.

Das ist Paris, das ist die Stadt der Weltausstellungen. In ihr endet alles mit Liedern, tout finitpar des chansons, und sie ist und bleibt immer amüsant. So ist sie der strahlende Rahmen, der jeder Ausstellung zum Erfolge verhilft, zum Erfolge verhelfen muss. Denn man darf es dreist sagen: Dreiviertel des Erfolges der Weltausstellung kommen auf die Stadt und mit dieser unbestrittenen Wahrheit müssen sich auch die Schwärmer für eine etwaige Berliner Weltausstellung abfinden.

Ausstellungs-Palast auf dem Champ de Mars
Ausstellungs-Palast auf dem Champ de Mars
Palast auf der Esplanade des Invalides
Palast auf der Esplanade des Invalides

Und wenn man nach 10 oder 11 Jahren, wenn die bisher regelmässige Wiederkehr der Ereignisse an eine neue Weltausstellung denken lässt, wenn man dann erkennen sollte, dass die Zeit der Weltausstellungen in diesem Sinne vorüber ist und der ewig nach Neuem haschenden menschlichen Begier nun etwas Anderes geboten werden müsse – es kann ihr nur von der gastfreien Königsstadt an der Seine dargeboten werden. Sie ist noch immer die Herrin der Welt, trotz allem, was sich bis heute in ihren Mauern, auf diesem heissen Pflaster, begeben hat und noch aus dem Sturm der Leidenschaften geboren wird. Plus ga change, plus c’est la méme chose. Wir wollen dieses vielgesprochene Wort nun einmal in etwas anderem Sinne nehmen. (Schluss folgt.)

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900.

I. (Schluss.)

In Paris also, in der „ville lumiére“, sollte sich die neue Ausstellung, von welcher der Handelsminister Jules Roche sagte, dass sie die Synthese und die begriffliche Umgrenzung der Philosophie des XIX. Jahrhunderts sei (l’exposition de 1900 constituera la synthése, déterminera la philosophie du XIX. Siécle), ausbreiten. Heisse Kämpfe gingen der Bestimmung des Ausstellungsplatzes voran. Man hatte Vorschläge eingefordert und wir haben über das Ergebniss im Jhrg. 1893 S. 253 f. unserer Zeitung berichtet. Die Vorschläge gingen nicht allzuweit auseinander. Diejenigen, welche von dem Gedanken ausgingen, die Ausstellung von 1900 müsse auch in ihrer Entfaltungsstätte ein neues Bild zeigen, schlugen St. Cloud, das Bois de Boulogne und den Park von Vincennes vor. Andere wieder wollten die Grenze der Stadt nicht verlassen, um den Besuch der Ausstellung nicht durch allzu grosse Entfernungen zu beeinträchtigen. Eine dritte Gruppe wollte die Ausstellung theilen und den einen Theil etwa in die Champs-Elysees, den anderen nach Vincennes verlegen. Einen bemerkenswerthen Vorschlag, die Ausstellung als Gürtelstreifen an der Enceinte von Paris anzulegen, haben wir an der oben genannten Stelle veröffentlicht. Es hat auch nicht an Vorschlägen gefehlt, welche auf das traditionelle Ausstellungs-Gebiet zwischen Trocadéro und Industriepalast zurückgriffen, dasselbe aber dadurch erweitern und verändern wollten, dass sie die Seine zu überwölben vorschlugen. Schliesslich schwankte die Entscheidung zwischen einem Gelände bei Auteuil mit der wunderbaren Nachbarschaft des Bois de Boulogne, und dem bisherigen, entsprechend zu erweiternden Ausstellungs-Gelände. Man entschied sich für letzteres in der Erwägung der zweckmässigsten Lage und des Umstandes, dass die Bauten und Anlagen der Stadt der Ausstellung eine Umrahmung zu geben geeignet seien, wie sie sich kostbarer nicht denken lasse. Die Einwände, dass es nicht möglich sei, auf dem schon so bekannten Gelände etwas wirklich Neues zu schaffen, wurden mit dem Hinweise entkräftet, dass drei vorhergegangene Weltausstellungen, die von 1867, 1878 und 1889 auf dem gleichen, lediglich erweiterten Gelände stattgefunden hätten und dass es gleichwohl möglich gewesen sei, jeder ein verändertes und neues Gepräge zu geben. Das sei auch bei der neuen Ausstellung um so mehr möglich, als ihr Gesammt-Gebiet gegen das der Ausstellung von 1889 um 12 ha, von 96 auf 108 ha erweitert werden und eine Steigerung der bebauten Fläche von 29 auf 46 ha stattfinden solle. So entschied man sich denn, aus Trocadéro und Champ de Mars, sowie aus den Champs-Elysees und der Esplanade des Invalides zwei Haupt-Ausstellungsflächen zu schaffen, die einmal durch die Seine und dann durch die den Fluss begleitenden beiden Uferstreifen mit einander verbunden werden sollten. Man legte so das Ausstellungs-Gebiet in das Herz der Stadt und gab ihm dadurch, dass man die Wasserflächen der Seine mit in dasselbe einbezog, ein neues Moment von bedeutender künstlerischer Wirkung. Es hatte sich nunmehr im Laufe von nahezu einem halben Jahrhundert, von der Ausstellung des Jahres 1858 bis zu der von 1900, das Gesammt-Gelände von nur 16,8 ha auf 108 ha und das bebaute Gebiet von 12 ha auf 46 ha gesteigert.

Wie es möglich war, diese ungeheure Ausdehnung mit werthvollem Ausstellungsgut und den entsprechenden Gebäuden zu füllen, lässt sich im Augenblicke noch nicht ganz übersehen. Jedenfalls ist es Thatsache, dass die „nur“ 96 ha einnehmende Ausstellung von 1889 mit „nur“ 29 ha bebauter Fläche in vielen Theilen den Eindruck gewaltsamer Füllung machte. Allerdings fehlte in jenem Jahre der in der Ausstellung gelegenen Verherrlichung der Tendenzen der französischen Revolution wegen das Ausstellungsgut von Deutschland und Oesterreich gänzlich, das anderer Staaten zu einem nicht unbedeutenden Theil. Gleichwohl ist es nicht unmöglich, dass die Füllung der ungeheuren Räume der diesjährigen Ausstellung nicht ohne leichten Zwang oder leichtere Beurtheilung möglich sein dürfte.

Unser Lageplan erläutert die Art der Bebauung des Geländes und Beziehungen der Baulichkeiten untereinander. Von den auf 100 Mill. Frcs. angenommenen Gesammtkosten sollten 73 Mill. Frcs. auf die Bauten und Einrichtungs-Arbeiten, 12 Mill. auf Verwaltung und Jury und 15 Mill. auf allgemeine Ausgaben kommen. Die Schlussabrechnung wird wohl eine andere Vertheilung dieser Summen ergeben.

Bei der Bebauung des Ausstellungsgeländes ist zu unterscheiden zwischen vorübergehenden und zwischen bleibenden Konstruktionen. Geblieben sind in der Erscheinungen Flucht von der Marsfeldgruppe der Trocaderopalast, der Eiffelthurm und die zumtheil in eine Festhalle umgewandelte Maschinenhalle. Sie werden vermuthlich auch weiter erhalten bleiben. Als bleibende Bauwerke sind in der Gruppe Invaliden-Esplanade-Tuilerien neu geschaffen die beiden Kunstpaläste und die Brücke Alexanders III. derart, dass in der Hauptaxe des Invalidenhauses eine grossartige Avenue nach der Avenue des Champs Elysees erschlossen wurde. Dadurch hat die Gruppirung der dortigen Gegend eine werthvolle Umgestaltung erfahren. Merkwürdige Veränderungen hat sie im Laufe dreier Jahrhunderte erlebt. Aus dem Jahre 1609 ist ein Plan von Francois Quesnel erhalten, nach welchem gegen Ende der Regierungszeit Heinrichs IV. das Palais und der Garten der Tuilerien ganz im Westen von Paris lagen und eine Bastion der Pariser Stadtumwallung dort das Gelände umgab, wo heute der Eintrachtsplatz liegt. Unter Ludwie XIV. schon beginnen dann durch Bullet, Blondel und Lenótre die baulichen Umgestaltungen in grösserem Maasstabe. Durch Maria von Medici wird der Cours-la-Reine angepflanzt und der Eintrachtsplatz nimmt gegenüber den Tuilerien einen halbkreisförmigen Abschluss an. Diese Form behält er auch noch unter Louis XV. In einem Plan von Louis de Bretez vom Jahre 1739 tritt aber schon das Invaliden-Palais dazu und eine Fähre vermittelt den Verkehr über die Seine in der Axe des Invalidenpalastes. Hier findet sich zum ersten Male die natürliche Lösung einer Axenbeziehung angedeutet, die erst 1900 zur Vollendung kommen sollte. Und daran war offenbar der Plan von Verniquet vom Jahre 1789 schuld, nach welchem der Eintrachtsplatz, vor dem Place Louis XV., seine heutige Gestalt annahm, die Champs Elysees aber mit Ausnahme der grossen Avenue völlig bepflanzt wurden und gegenüber der Invaliden-Esplanade nur das Carré Marigny ausgespart wurde, aber ohne Beziehung zu der Invalidenesplanade. Diese Beziehung findet sich erst, jedoch noch unvollkommen, in einem Plane von Jacoubet vom Jahre 1836, als der Eintrachtsplatz unter Louis Philippe seine heutige Gestalt annahm und in das Gelände der Champs Elysees mehr Gliederung gebracht wurde. Aber was Jacoubet anstrebte, wurde durch die Errichtung des Palais de l’Industrie auf dem Carré Marigny aus Anlass der Pariser Weltausstellung des Jahres 1855 völlig wieder aufgehoben und erst die Abtragung des Palais, das sich wie eine Schranke vor die Invalidenesplanade legte, liess erkennen, was für eine grossartige Avenue hier geschaffen werden könnte, die heute vor unseren Augen als eines der grossartigsten Städtebilder ausgebreitet daliegt. Hatte die Pariser Weltausstellung des Jahres 1878 der Stadt die bauliche Ordnung der Gegend des Trocadéro-Hügels und das grossartige Palais des Trocadéro selbst gebracht, so bereicherte die Weltausstellung der Jahrhundertwende das Stadtbild mit keinem geringeren Geschenk der Kunst, als die Invalidenesplanade für das rechte Seineufer erschlossen und mit den Champs Elysees in Verbindung gebracht wurde und als die beiden Kunstpaläste errichtet wurden, um dem Invalidenhotel, der vergoldeten Kuppel Mansart’s ein Gegenstück zu geben. Die Eintagsbauten der Esplanade werden freilich die ganze Grösse dieses unvergleichlichen Bildes noch etwas beeinträchtigen, doch wenn sie einst verschwunden sein werden, wird sich das reiche Bild in seiner ganzen Schönheit darbieten. Wenn man in die Axe dieser Avenue den Haupteingang zur Ausstellung gelegt hätte! Warum mag es nicht geschehen sein?

Ueber die Einzelheiten der Gesammtanlage giebt unser Plan eine so erschöpfende Auskunft, dass weitere Erläuterungen wohl entbehrt werden können. Die Anlage ist eigenartig und von grossem Wurf. Darin bestätigt auch die Weltausstellung der Jahrhundertwende die französische Tradition. (Fortsetzung folgt.)

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900.

II. Der grosse Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

Architekten; Deglane, Thomas und Louvet.

Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Einblick in die runde Skulpturenhalle des Rückwätrigen Theiles. Architekt Thomas in Paris
Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Einblick in die runde Skulpturenhalle des Rückwätrigen Theiles. Architekt Thomas in Paris

Es ist die bedeutendste der bleibenden neuen Konstruktionen der Ausstellung dieses Jahres. Als man am 15. April d. J. die Avenue Nicolaus II., welche im Zuge der Alexander-Brücke die Champs Elysees schneidet und die rechts und links von dem grossen und dem kleinen Kunstpalast eingesäumt wird, eröffnete, da schrieb ein französischer Beurtheiler: „Et ce fut un long cri

Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Architekten Delane, Thomas und Louvet
Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Architekten Delane, Thomas und Louvet

d’admiration.“ Man ist im Laufe der letzten 10 Jahre genügsamer geworden in Paris und was noch im Jahre 889 als eine traditionelle Nachahmung ehemaliger grosser Zeiten eine nur bedingte Anerkennung gefunden hätte, erringt diese Anerkennung heute in uneingeschränktem Maasse. Das hängt mit dem Stillstand der französischen Kunstbewegung und mit dem Zurückgehen des gesammten Wirthschaftslebens in Frankreich zusammen. Wer auch nur 15 Jahre zurückblicken kann, dem eröffnen sich diese Wahrnehmungen mit erschreckender Deutlichkeit und lehren ihn, dass das Frankreich der dritten Republik in dieser Form nicht mehr lange bestehen kann. Die tiefgehenden Erschütterungen, welche die Krisen der letzten Jahre am Staatsorganismus hervorgerufen haben, sind unzweifelhaft die Vorboten kommender Dinge. Wer aber vermöchte in Frankreich zu sagen, welcher Art dieselben sind; wer vermöchte zu sagen, wie bald sie eintreten oder wie lange sie sich noch verzögern, wer vermöchte zu sagen, ob sie dem schönen Lande eine frischere Periode neuer Wirthschaftsthätigkeit bringen!

Erdgeschoss
Erdgeschoss
Obergeschoss
Obergeschoss

Der Stillstand aller Dinge ist in Paris, welches auch in diesem Falle infolge der straffen zentralen Gestaltung des Wirthschaftslebens, die in der Hauptsache auf Napoléon I. zurückgeht, das gesammte Frankreich vertritt, ein so auffallender und er wirkt gegenüber dem Geräusch der Ausstellung so beängstigend, dass man nur in einem gewaltsamen Ersatz des Alten neues Aufblühen erblicken kann. Manche meinen, diese Krisis trete bald nach Schluss der Ausstellung ein und es hätte die letztere überhaupt nur den Zweck gehabt, die Krisis zu vertagen. Dann behielten der Minister Napoléons I. und Hr. Francois Coppée Recht. Es ist gewiss möglich, dass die nach der Ausstellung eintretende natürliche Ernüchterung den Lauf der Dinge beschleunigt. Jedenfalls ist die nicht zu leugnende Zurückhaltung in allen öffentlichen Unternehmungen, insbesondere auch in der öffentlichen und privaten Bauthätigkeit, ein Umstand, der dem wiederholten Besucher von Paris besonders auffällt. Keine Unternehmungen von irgend welcher Bedeutung, zu welchen nicht, wie bei der komischen Oper und anderen Gebäuden eine gewisse Zwangslage drängte, sondern eine frische Entwicklung aus freier Anregung die Veranlassung bot, sind in den letzten 10 Jahren unternommen worden. Der Umbau der Universität ist seit längerer Zeit im Wesentlichen beendet; der Bau der Kirche des Sacré Coeur auf dem Montmartre zieht sich als eine schleichende Unternehmung durch Jahrzehnte schon hin, der Umbau des Bahnhofes von St. Lazare ist eine vereinzelte Unternehmung; selten nur entdeckt man in den Pariser Strassen einen Neubau. Das öffentliche Verkehrswesen wird im Inneren der Stadt noch im Wesentlichen durch den Omnibus und die Droschken beherrscht: nirgends, so weit man blicken kann, ein Ansatz zu einer gesunden vorwärts strebenden Thätigkeit. Es scheint, als ob sich der öffentlichen Faktoren eine gewisse Resignation bemächtigt habe und als ob diese auch auf die Vertreter der Kunst und Technik übergegangen sei. Hier wird kaum der hoffnungsreiche und fröhliche Hauch gespürt, der in Deutschland, Belgien, Holland und Oesterreich, ja selbst in den nordischen Staaten das Kunstleben durchzieht. Die französische Architektur-Ausstellung in dem hier zu schildernden Palast spricht Bände für diese Wahrnehmung. Es überwiegen die Aufnahmen, es stehen die Oberfläche, die Architektur lebt in einer Art gezwungener Beschaulichkeit, seit 1889 hat sie sich ın demselben Maasse rückwärts bewegt, in welchem sie sich in anderen Staaten vorwärts bewegt hat. Die Tradition des XVIII. Jahrhunderts, seines Endes und seiner Wende, beherrscht die architektonische Kunst. Aus dieser selbstgenügsamen und von alten Errungenschaften zehrenden Bescheidung begreift sich wohl das oben angeführte Wort des französischen Schriftstellers. Der Maasstab für Beurtheilung ist ein anderer, ein kleinerer geworden.

Freilich, ein bewunderungswürdiges Gebäude bleibt das grosse neue Palais der Elyséischen Felder trotz aller Tradition und trotz allen Tradition und trotz allen klaffenden zwiespaltes zwischen Stein und Eisen, den man ihm mit Recht vorwerfen kann. Es ist gross im Wurf, es ist gross in der Beherrschung der künstlerischen Mittel, es ist bedeutend in der Technik. Es ist eine achtunggebietende Leistung eines grosse Verhältnisse beherrschenden Architekten: aber es bedeutet keinen Fortschritt.

Als im Jahre 1896 die Pläne für den Palast auf dem Wege des öffentlichen Wettbewerbes zu erlangen gesucht wurden, da erhielten den I. Preis Louvet, den II. Preis Deglane und Binet, den III. Preis Thomas, den IV. Girault und den V. Troppey-Bailly. Aus dieser Gruppe von Architekten schieden Binet und Troppey-Bailly aus; Binet, der dann die Eingangspforte schuf, vielleicht zum Schaden für die Durchbildung der Eisenkonstruktionen des Inneren, Troppey-Bailly, dem die Gipsherrlichkeit auf der Invalidenesplanade verdankt wird, jedenfalls zum Nutzen des Gebäudes. Es erhielt Girault die Oberleitung und es fiel Deglane die grosse Fassade an der Avenue Nicolaus II., Thomas der Theil an der Avenue d’Antin zu, während Louvet für die dazwischen liegenden Theile als Architekt bestellt wurde. Die verschiedenen Hände sind in der Ausführung deutlich zu erkennen.

Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Einblick in die grosse Eisenhalle mit der Freitreppe
Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Einblick in die grosse Eisenhalle mit der Freitreppe
Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Theil der Freitreppe (Nach L`Architekture). Architekt Louvet in Paris
Der grosse Kunst-Palast in der Avenue Nicolaus II. Theil der Freitreppe (Nach L`Architekture). Architekt Louvet in Paris

Die Grundrissanordnung des gewaltigen, etwa 240 m langen und nicht viel weniger tiefen Gebäudes ist aus den umstehenden Skizzen ersichtlich. Um eine imponirende Hallenarchitektur in Eisen ziehen sich ringsum Ausstellungssäle, die eine monumentale Steinarchitektur besitzen. Der Hallencharakter erstreckt sich jedoch nur auf den vorderen, ┴-förmigen Theil des Baues; der rückwärtige, gegen die Avenue d’Antin gelegene Theil des Baues besitzt mehr den Charakter einer Museums-Anlage mit zentraler Halle. Die Anordnung des zweigeschossigen Baues ist eine weiträumige und übersichtliche; doch hat die für die Zwecke dieser Ausstellung erfolgte Einbauung verschiedener Räume im Erdgeschoss die Uebersichtlichkeit wesentlich gestört.

Sowohl an der Vorder- wie an der Rückfassade wird das Gebäude von einer reichen Säulenhalle begleitet, aus welcher ein Mittelbau mit vollem Mauerkörper und mit Doppelstellungen herausgezogen ist. Der Stil ist ein schöner Louis XVI., die Ordnung der Säulen eine reiche jonische, Figuren- und Vasenschmuck sind in grösstem Umfange verwendet. Was auffällt, das ist der schon berührte Zwiespalt zwischen der Eisenkonstruktion und der Steinarchitektur. Es ist auch nicht der leiseste Versuch gemacht, beide einander zu nähern oder sie in eine künstlerische Verbindung zu bringen. Das ist nicht einmal da versucht, wo das Eisen in der Gesammthaltung des Aeusseren mitwirkt, wie über dem Mittelbau der Vorderfassade. Die Schuld mag zumtheil auch daran liegen, dass beide Theile, Halle und Fassade, eine getrennte künstlerische Bearbeitung durch verschiedene Kräfte gefunden haben. Die Kuppellösung, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen darf, ist keine so bedeutende, wie sie hätte sein können, wenn man sie zu einem mitbestimmenden architektonischen Momente gemacht hätte. Im Inneren ist versucht, der Eisenkonstruktion eine gewisse formale Bedeutung zu geben, wenn auch nicht mit hervorragendem Erfolg. Denn den hier gegebenen Anregungen stehen die meines Erachtens weit bedeutenderen der belgischen Künstler gegenüber, die dem Eisen für sich allein und in seinen Beziehungen zum Stein thatsächlich eine bedeutsame neue Seite abzugewinnen versuchten. Bei einem so ungeheuren Raum, wie es die inrede stehende Eisenhalle ist, kann es sich beim Schmuck der Eisenkonstruktion nur um ein Hervorheben einzelner Punkte der Konstruktion handeln. Eine gewisse Konzentration und eine reichere Ausbildung hat dieser Schmuck beider grossen Freitreppe erhalten.Wir geben ein Beispiel davon. Es ist ein merkwürdiges, schilfartiges Linienspiel, mit welchem die strenge Konstruktionslinie versetzt und durchbrochen ist. „Vegetation constructive“ ist diese Art der Ausbildung des Eisens nicht mit Unrecht genannt worden. Wenn aber Boileau, der geistvolle Gestalter des Pont du Midi in Lyon, diese Treppe die „poésie du métal de grande construction“ genannt hat und ihr voraussagt, dass sie einst eines der bedeutendsten Stücke der „art nouveau“ der Wende des Jahrhunderts sein werde, so wird dieses Urtheil vor dem nüchternen Vergleich mit dem, was in anderen Ländern auf dem Gebiete der künstlerischen Durchbildung des Eisens geleistet worden ist, in seiner lebhaften Färbung wohl etwas verblassen. DerVersuch, das Eisen allein künstlerisch zu meistern, ist mit einigem Erfolg gelungen; der Versuch, Eisen und Stein in ein harmonisches Verhältniss zu einander zu bringen oder auch nur einander zu nähern, ist garnicht erst unternommen. Hier standen sich die Tradition und die neuen Bestrebungen als unversöhnliche Gegensätze gegenüber.

Sind sie das aber in der That?

Sonst ist das Gebäude im Aeusseren wie im Inneren von einer eindrucksvollen Grossartigkeit und Weiträumigkeit. Wohlgelungen in der räumlichen Wirkung wie in der architektonischen Durchbildung ist die dargestellte Rundhalle des Bautheiles gegen die Avenue d’Antin. Die Benutzung des Gebäudes geht aus unseren Grundrissen hervor; sie erhält später eine zumtheil andere Bestimmung dadurch, dass der Palast auch hippischen Veranstaltungen dienen soll, zu welchem Zweck er im Untergeschoss Ställe für 600 Pferde enthält. Doch auch hiermit dürften seine zukünftigen Zwecke nicht erschöpft sein; ihm wird in vollem Umfange die Bestimmung zufallen, welche der Industrie-Palast der 1855er Ausstellung besass, in welchem sich das gesammte öffentliche festliche Leben von Paris abspielte.

An dem sehr reichen bildnerischen Schmuck sämmtlicher steinerner Architektur-Theile waren eine grosse Reihe von Bildhauern mit Einzel-Statuen, Gruppen, Vasen usw.betheiligt. Gasq, Boucher, Desbois, Verlet, Lombard, Carlés, Lefévre, Cordonnier, Labatut, Bareau, Suchetet, Béguine, Lafond, Villeneuve usw. Im einzelnen in der Auffassung naturgemäss verschieden, ordnen sich die Bildwerke, seien sie nun Friese, Einzelfiguren, Gruppen oder Vasen in guter Weise dem Ganzen unter, für das sie eine werthvolle Bereicherung sind. –

Es ist ohne Zweifel aus der aus dem grossen, dem kleinen Palais und der Alexander-Brücke entstandenen Baugruppe mit ihrem festlich monumentalen Gepräge, dass die Ausstellung des Jahres 1900 ihr charakteristisches Gepräge erhalten hat. Ihr Schwerpunkt übertrug sich vom Marsfelde, auf dem er bis dahin gelegen hatte, hierher. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 26.05., 30.05. & 30.06.1900 in der deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie “Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900” besteht aus 9 Teilen:

I. Einleitung und Gesammtanlage

II. Der grosse Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

Nr. II. ist doppelt, Nr. III. fehlt, möglicherweise ein Fehler der Deutschen Bauzeitung?

II. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Der kleine Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

IV. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Brücke Alexander’s III.

V. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor

VI. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VI. Die Völker-Strasse

VII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VII. Alt-Paris, das Schweizerdorf und andere kleinere Veranstaltungen

VIII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VIII. Die vorübergehenden grossen Ausstellungsbauten

IX. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IX. Das Wasserschloss, der Festsaal und kleine Ausstellungsbauten