Das königliche Kurhaus in Bad Reichenhall

Vorderseite

Arch.: Heilmann & Littmann in München.

Das im Jahre 1895 bereits 9000 Kurgäste zählende Soolbad Reichenhall am Fusse des Untersberges entbehrte bis zu diesem Jahre eines gesellschaftlichen Mittelpunktes, eines Gebäudes für Konzerte, Tanz, mit Lese- und Konversationssälen usw.

Seit Jahren schon waren die leitenden Kreise des Bades bemüht, diesem Mangel zu begegnen, ohne aber dass, dies gelungen wäre, bis die kgl. bayerische Staatsregierung der Angelegenheit ihre Aufmerksamkeit widmete. Das Eingreifen derselben bezog sich zunächst auf den Ankauf von vier Villen, welche an der Stelle des nunmehrigen Kurhauses, an der Ecke der Bahnhof- und der Kurstrasse, in das Kurgelände empfindlich einschnitten. Durch den Erwerb dieser Baulichkeiten war für das neue Kurhaus ein ausgezeichnet gelegener Platz gegeben, durch welchen die Kuranlagen zugleich in der wünschenswerthesten Weise abgerundet wurden. Des weiteren beantragte die Staatsregierung in der bayerischen Kammer der Abgeordneten die Genehmigung eines Betrages von 300 000 M. zur Deckung der Kosten für ein neues Kurhaus, die auch mit dem Zusatze erfolgte, dass der Mehrbetrag der Bausumme dem aus den Ueberschüssen der Badetaxen angesammelten Baufond zu entnehmen sei. Nachdem so die Finanzfrage des Unternehmens gelöst war, betrat die kgl. Staatsregierung einen von ihr schon wiederholt und mit bestem Erfolge eingeschlagenen, Weg und übertrug die Ausführung des neuen Kurhauses um eine Gesammtsumme und aufgrund der ihr vorgelegten Pläne einer leistungsfähigen Unternehmerfirma, dem Baugeschäfte Heilmann & Littmann, G. m. b.H. in München. Wiederholt und insbesondere beim Neubau des Hofbräuhauses in München hatte diese Firma ihre technische und künstlerische Leistungsfähigkeit, ihre straffe, dabei aber doch grosse Gesichtspunkte beobachtende Geschäftsführung im hellsten Lichte gezeigt und auch der zum Beginn dieser Saison vollendete Bau des Kurhauses in Reichenhall hat die gehegten berechtigten Erwartungen vollauf bestätigt.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Wie die dieser Veröffentlichung beigegebenen Abbildungen zeigen, welche einer Brochüre: „Das Königl. Kurhaus in Bad Reichenhall“, die als Denkschrift zur Feier der Eröffnung erschienen ist (Kommissions-Verlag von L, Werner, München 1900.), entnommen sind, bildet das neue Kurhaus eine zentral geordnete Bauanlage, deren Mittelpunkt der grosse Saal ist, um welchen sich die übrigen Räume gruppiren. Vom Haupteingang an der Kurstrasse führt eine aus 6 Stufen bestehende Treppe zum Untergeschoss, in welchem, die ganze Breite des Saales einnehmend und 11,50 m tief, die Hauptgarderobe untergebracht ist, 15 Stufen führen vom Vestibül in das Foyer des Hauptsaales, der 486 qm umfasst und sowohl als Konzert-, wie als Ball- und Konversationssaal dient. 650 Stühle füllen ihn und können auf kurzem Wege durch eine Bodenöffnung in das Untergeschoss gebracht werden, wenn im Saal getanzt wird oder Promenadenkonzerte abgehalten werden. Auf einer in den Saal eingebauten und denselben rings umgebenden Gallerie befinden sich 350 Klappsessel. In der Hauptaxe des Saales liegt die 11 m breite und 6 m tiefe Orchesternische, deren Bodenfläche bei grösseren musikalischen Aufführungen durch ein anschliessendes Podium auf rd. 70 qm gebracht werden kann. Hinter dem Orchester liegt ein Solistenzimmer, darunter das Stimmzimmer, darüber ein Raum zur Aufstellung einer Orgel. Der Saal wird durch hohes Seitenlicht in reichlicher Weise erhellt, sodass die um ihn gelagerten Nebenräume seine Bestimmung, in keiner Weise beeinträchtigen. Von diesen Nebenräumen liegen an der Nordwestseite das Lesezimmer für Belletristik, der grosse Lesesaal für politische Zeitungen, ein kleines Lese- und Schreibzimmer und eine Herrengarderobe mit Nebenräumen, zugleich als Nebenausgang dienend. Die Damenräume liegen neben dem Haupteingang. An der gegenüber liegenden Seite des Saales liegen, durch eine geräumige Gartenterrasse erweitert, der Konversations- und Speisesaal, nördlich daneben ein Raum für Nichtraucher, dazu wieder Garderobe und Nebenräume; südlich folgen ein Billardzimmer, ein Musiksalon und Nebenräume für Damen. Der Restaurations- oder Speisesaal kann durch versenkbare Fenster mit der vor ihm liegenden 27 m langen und 7 m breiten Gartenterrasse in unmittelbare Verbindung gebracht werden. Von der Terrasse aus führt eine Freitreppe in den Kurgarten. Geräumige Thüren verbinden den Hauptsaal mit den beiderseits gelegenen Nebensälen, sodass bei grösseren Veranstaltungen eine Benutzung sämmtlicher Räume in ununterbrochener Folge möglich ist.

Das königliche Kurhaus in Bad Reichenhall
Das königliche Kurhaus in Bad Reichenhall

Zu beiden Seiten des dreitheiligen Haupteinganges führen breite, zweiarmige Treppen einerseits zur Gallerie, mit welcher sie durch Vorräume in Verbindung stehen und in deren Höhe neben ihnen Bedürfnissräume für die Galleriebesucher angeordnet sind, andererseits zum Untergeschoss, welches neben den bereits berührten eine Reihe wichtiger Räume enthält. Zunächst die geräumigen Küchen- und Kelleranlagen unter dem Restaurationssaal und der Terrasse; dann, vom Garten aus zugänglich, an einem Durchgang einerseits ein Raum für Fahrräder, andererseits Bedürfnissräume für die Gartenbesucher. Auf der gegenüberliegenden Saalseite liegen im Untergeschoss die Hausmeisterwohnung, Räume für die Kellner, Köche und das weibliche Dienstpersonal, ein Direktorzimmer und einzelne kleinere Nebenräume, alles geschlossen und zweckmässig angelegt. Es ist eine gewisse schlichte Natürlichkeit, welche die Anlage des Grundrisses durchzieht und sie kommt in gleicher Weise auch in dem wohlgelungenen Aufbau zum Ausdruck. – (Schluss folgt.)

Das königliche Kurhaus in Bad Reichenhall.

Lageplan
Lageplan

Bei dem Aufbau des Gebäudes war durch die Beschränkung der Baumittel dieVerwendung von Haustein für das Aeussere ausgeschlossen und es konnte dieses Material selbst am Sockel und an anderen dem Blick und den Einflüssen der Witterung ausgesetzten Theilen umsomehr gegen Beton vertauscht werden, als nicht nur Oberbayern durch die vorzüglichen Materialien eine besondere Kunst des Betonbaues ausgebildet hat, die in gleicher Weise hohen künstlerischen wie konstruktiven Anforderungen genügt, sondern auch Reichenhall besonders ein, wie die Architekten sagen, musterhaftes Material zu dieser Bauweise darbietet. Die Fassadenflächen wurden durch eine wirkungsvolle Putztechnik geschmückt im Anschluss an die Vorbilder, welche das bayerische Hochgebirge in so vortrefflichen Beispielen und in so reicher Auswahl im Laufe der letzten Jahrhunderte hervorgebracht hat. Auf diese Vorbilder ist auch die Wahl eines maassvollen Barockstiles zurückzuführen, unter dessen Anwendung es mit dem hervorragenden künstlerischen Geschick der Mitarbeiter des Baues gelungen ist, nicht nur eine weise Oekonomie der Bauformen walten zu lassen, sondern auch die Flächen mit den einfachsten Mitteln der Putztechnik zu beleben. In der glücklichen Putzstilistik, wie sie insbesondere in der Rückfront zum Ausdruck kommt, liegt mit ein Hauptverdienst des trefflichen Baues. Etwas reichere ornamentale Mittel haben für die Auszeichnung des Haupteinganges gedient. Bei seiner künstlerischen Gestaltung war augenscheinlich das Belvedere in Wien das vielbenutzte Vorbild; vielleicht empfindet man hier etwas den mangelnden Sockel des Mitteltheiles des Haupteinganges.

Vorderseite
Vorderseite

Auch der innere Ausbau war von den Rücksichten auf die sparsam bemessene Bausumme beherrscht; dazu kamen die von ärztlicher Seite gestellten Forderungen, Stoffe und andere Bakterien-Ablagerungsstätten möglichst zu vermeiden. Für die Ausstattung des Vestibüls erschien es angemessen, den Marmor der benachbarten Brüche des Untersberges für Sockel, Treppen und Säulen zu verwenden. Wände und Decken erhielten einen einfachen Schmuck aus angetragenen Ornamenten. Bei den kleineren Sälen und Räumen wurde darauf geachtet, unter Vermeidung eines unangebrachten Prunkes ihnen vor allem den Charakter behaglicher Wohnlichkeit zu verleihen, soweit dies in einem öffentlichen Gebäude möglich ist. Höhere Akkorde, jedoch immer noch in maassvollen Grenzen, schlägt der Schmuck des grossen Saales an. Zu den seine Wände und die Decke zierenden angetragenen Ornamenten gesellt sich ein Deckenbild von der Hand des Prof. Kolmsperger in München, den Sonnenaufgang in den Bergen darstellend. Ein Bildniss des Prinzregenten von Bayern schmückt die Kaminwand des grossen Lesesaales und eine grössere Anzahl von Gemälden aus den Beständen der kgl. Gallerie in Schleissheim sind auf die kleineren Räume als vornehmer Schmuck vertheilt.

In technischer Beziehung ist zu erwähnen, dass die sämmtlichen Fundamente bis Sockeloberkante, die Pfeiler der Haupteingänge, der grösste Theil der Fensterverdachungen, alle Postamente, Balustraden, die Hauptgesims-Hängeplatten, alle Vasen, Büsten, kurz alle die Fassadentheile, deren Ausführung in Putz eine längere Widerstandsfähigkeit gegen die Witterung nicht gewährleistet hätte, in Beton ausgeführt wurden, zugleich ein glänzendes Zeugniss für die Ergiebigkeit dieser Bauweise. Die Modelle hierzu sowie auch für die angetragenen Ornamente der Fassaden und des Inneren wurden in München hergestellt. Die Fassaden sind in Kalkputz ohne Zementzusatz geputzt, die Dächer mit rothen Bieberschwänzen gedeckt. Wo nicht, wie beim grossen Saale des Tanzens wegen, Holzbalken gefordert waren, wurden die Zwischendecken aus Eisenbalken mit Beton erstellt. Der Dachstuhl des grossen Saales wurde in Eisen aufgerichtet, um die Möglichkeit zugewinnen, ihn zur Tragung des grossen Moniergewölbes des Saales mitbenutzen zu können. Dieses Gewölbe ist 18 m freispannend.

Grundriss
Grundriss

Inbezug auf die übrigen technischen und hygienischen Einrichtungen des Hauses, zunächst die Heizung, ist zu bemerken, dass das Kurhaus im Winter geschlossen ist, somit eine Winterheizanlage nicht nöthig wurde. Für die etwaigen kühlen Tage der von Mai bis Oktober sich erstreckenden Saison ist ein „Temperiren“ der Räume durch Ofenheizung vorgesehen. Die Beleuchtung der Räume erfolgt durch elektrisches Glühlicht auch für den grossen Saal, da es nicht möglich war, für den in Reichenhall allein zur Verfügung stehenden Wechselstrom geräuschlos brennende Bogenlampen zu erhalten. Aus hygienischen Rücksichten wurde in der inneren Ausstattung die Verwendung von Stoffen auf das Nöthigste beschränkt. Die Bodenbeläge wurden möglichst fugenlos hergestellt und in der Hauptsache Terrazzo und Linoleum verwendet. Nur der grosse Saal erhielt wiederum des Tanzens wegen einen eichenen Riemenboden. Die auf sämmtliche Räume erstreckte Ventilation erfolgt durch einen elektrisch betriebenen Absauger; die Zuführung der frischen Luft geschieht in einfachster Weise durch die oberen Fensterflügel. Die Bedürfnissräume sowie die zahlreich vertheilten Spucknäpfe haben Schwemmspülung. –

Am 20. Sept. 1898 wurde mit dem Abbruch der auf dem Bauplatze stehenden Villen begonnen; bald darauf wurden die Gründungsarbeiten in Angriff genommen und die Weiterführung und Vollendung des Baues so gefördert, dass das Haus zum Beginn dieser Saison seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Die reinen Baukosten haben rd. 399 000 M., d. i. 18,4 M. für 1 cbm umbauten Raumes betragen; für die innere Einrichtung wurden weitere 50 000 M. nöthig, sodass die gesammten Kosten auf rd. 449 000 M. sich stellen.

Längsschnitt
Längsschnitt

Für die Entwurfsarbeiten für das Kurhaus war hauptsächlichster und feinsinniger Mitarbeiter Hr. Arch. Franz Habich, unter dessen Leitung die Hrn. Arch. Albrecht u. Aschenfeld mit der Bearbeitung der Einzelpläne betraut waren. In die örtliche Bauleitung theilten sich nacheinander die Hrn. Hintsche, Müller u. Schuster, Zur Bauausführung wurden, wo es irgend anging die Gewerbetreibenden von Reichenhall herangezogen, wobei die Generalunternehmerin einzelne Arbeiten durch Abgabe geschulter Handwerker unterstützte. Es führten aus: die Erd-, Maurer-, Betonirungs- und Rabitzarbeiten E. Schmidt in Reichenhall; die Steinmetzarbeiten die Marmorindustrie Kiefer in Kiefersfelden und die Granitwerke Blauberg in München; die Zimmerarbeiten Kugelstätter in St. Zeno und Brandauer in Reichenhall; die Tischlerarbeiten Fischer in Reichenhall; die Schlosser- und Kunstschmiedearbeiten G. Prechter & Sohn in Reichenhall, Pet. Kölbl Sohn und Brand & Lambrecht in München; die Spänglerarbeiten J. Schneider in München; die Glaserarbeiten X. Ostermaier in Reichenhall; die Stuckarbeiten Maile & Blersch und Rottenhöfer in München. Die Eisenlieferung und Eisenkonstruktions-Arbeiten hatten S. A.

Rückseite
Rückseite

Wassermann’s Nachfolger, Reichenhall, Eisenwerk München in München, F. S. Kustermann-München und das Hüttenwerk Achthal in Hammerau, die Parketarbeiten G. Wrede & Co. in Reichenhall, die Dachdecker- und Blitzableitungs-Arbeiten F. Ackermann in St. Zeno und das Thonwerk Kolbermoor, die Beton- und Terrazzopflaster-Arbeiten J. Odorico in München übernommen. Es lieferten ferner die Maler- und Anstreicher-Arbeiten J. Forster in Reichenhall und Barth & Co. in München; die Oefen J. Schulmayr in Reichenhall, J. Schweitzer und Sugg, Kaiser & Co. in München; die Herd- und Küchen-Einrichtung F. Wamsler in München; die Wasseranlagen J. Schneider in München in Verbindung mit Reichel & Glavian in Reichenhall; die Beleuchtungs-Anlagen das städt. Elektrizitätswerk Reichenhall; die Ventilations-Anlagen Gebr. Körting in München; Linoleum und Linkrusta F. Fischer & Sohn in München; die Tapezierer-Arbeiten F. Arnold in Reichenhall. Die ausführende Firma erklärt, dass die Reichenhaller Gewerbetreibenden „mit unermüdlichem Fleiss und hingebender Liebe an die zumtheil für sie neuartigen Aufgaben herantraten“. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 23. & 27.06.1900 in der deutsche Bauzeitung.