Architekt: A. Anderberg. – Konstrukteur: P. Ax. Lindahl.
Am 19. September 1898 ist das neue Opernhaus in Stockholm mit grossen Feierlichkeiten eröffnet worden. Die Vorgeschichte des neuen Hauses reicht mehr als ein Jahrzehnt zurück. Schon im August 1887 wurde von der schwedischen Regierung ein Preisausschreiben zur Erlangung von Entwürfen für ein neues Opernhaus erlassen, welches im Sommer 1888 dahin entschieden wurde, dass einem Entwurf des Architekten Karlson der 1. Preis, dem Architekten Anderberg der II. Preis und den Architekten Lallerstedt und Enblom der III. Preis zuerkannt wurde (s. Dtsche. Bztg. 1888 S. 267).
Als Bauplatz für die neue Oper war entweder die Stelle des alten Opernhauses oder ein anderer dem Staate gehöriger freier Platz in Stockholm zu wählen. In dem Wettbewerb zeichnete sich auch ein deutscher Architekt, Heinrich Seeling in Berlin, durch eine klare Grundrisslösung aus. Er hatte seinen Bau auf der durch eine hervorragende Lage ausgezeichneten Heilig-Geist-Insel ausgeführt gedacht; das Grundstück gehörte jedoch nicht dem Staate, und so musste der Plan formell fallen. Unter den preisgekrönten Arbeiten des Wettbewerbes ragte der Entwurf von Anderberg hervor; die „Deutsche Bauzeitung“ schrieb damals (S. 267 1888): „Die erste Stelle unter den preisgekrönten Arbeiten wird jeder in die besonderen Verhältnisse Uneingeweihte . . . offenbar dem Entwurf von Anderberg zugestehen, der nur den II. Preis sich zu erringen vermocht hat“.
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Damals noch erschien der Baubeginn völlig aussichtslos; es scheinen aber bald darauf Umstände eingetreten zu sein, welche die Baupläne energisch förderten.
Es bildete sich ein Finanz-Comité zur Beschaffung der auf 5 550 000 Kronen (1,12 M.) veranschlagten Mittel, sodass der Bau anfangs der neunziger Jahre (die Ausführungspläne waren 1893 verfasst) in Angriff genommen werden konnte. Mit der Verfassung der Pläne wurde der Architekt A. Anderberg betraut, ihm stand als konstruktiver Berather bei den vielen aus der Oertlichkeit sich ergebenden schwierigen Fragen P. Ax. Lindahl zur Seite. Als Bauplatz wählte man die Stelle des in den Jahren 1775-1782 nach den Plänen von Adlercrantz errichteten Grossen Theaters (Stora Teatern) auf dem Gustav Adolf-Platz, der in hervorragender Lage am Norrström, einem durch die Heilig-Geist-Insel eingeengten Meeresarm gegenüber dem königlichen Schloss liegt. Das alte Theater war durch Gustav III. erbaut, hier ereilte ihn auf einem Maskenballe in der Nacht vom 15. zum 16. März 1792 die Kugel seines Mörders Ankarström. Das Haus war weder nach Grundrisslösung noch nach seiner Formengebung ein hervorragender Bau; dazu die für das Königshaus trüben Erinnerungen und man begreift, dass man dem Niederlegen des alten Gebäudes Hindernisse nicht bereitete.
Das in etwa 6jähriger Bauzeit (1893-1898) entstandene neue Opernhaus gehört, trotzdem es nur 1240 Plätze, also ungefähr soviel wie das Stadttheater in Halle und das Opernhaus in Budapest enthält (gegen 2000 Plätze in Frankfurt a.M., Dresden und tschechisches Theater in Prag) zu den umfangreicheren Anlagen, denn es bedeckt eine Fläche von rd. 4270 qm und tritt damit in die Reihe der Opernhäuser in Frankfurt a. M., Dresden und Budapest. Mit einem Kubikinhalt von 115 000 cbm nähert es sich dem Opernhause in Frankfurt a. M. mit 121 700 cbm, das aber, wie erwähnt, 2000 Plätze enthält. Hinsichtlich der Kostensumme von 5 700 000 Kronen einschliesslich des Terrassenbaues an der rückwärtigen Front tritt es neben das Opernhaus von Budapest, das 5 760 000 Kronen kostete. Auf die Einheit bezogen, stellt sich der Kostenvergleich ohne Berücksichtigung des Terrassenbaues des Theaters in Stockholm folgendermaassen:
für 1 Platz Kr. | für 1 qm Kr. | für 1 cbm Kr. | |
Stockholm | 3497 | 1015 | 37,70 |
Frankfurt a. M. | 2115 | 1049 | 34,76 |
Dresden | 1890 | 727 | 36,15 |
Halle a. S. | 866 | 443 | 31,00 |
Budapest | 4545 | 1173 | 32,40 |
Tschech. Theater Prag | 900 | 610 | 24,50 |
Ueber die Anordnungen des Grundrisses und des Schnittes geben die beistehenden Abbildungen eine ausreichende Vorstellung. Die seitliche Umbauung des Zuschauerhauses mit Treppen und Verwaltungsräumen entspricht nicht mehr den neuesten Anforderungen an die Sicherheit der Theaterbesucher und man vermisst auch in der Anlage der Rangtreppen jene klare Uebersichtlichkeit, welche bei dem Ausbruch einer Katastrophe die Rettung erleichtert. Auch in anderen Dingen, wie in der Anlage von Foyer und Haupttreppe, in den Nebenräumen der Bühne und in der Anlage der Hofloge im Zusammenhang mit dem Foyer für den Hof und mit der Hoftreppe scheinen nicht die letzten Vortheile und sagen wir geradezu „Kniffe“ herausgearbeitet zu sein, durch welche sich der deutsche Theaterbau zurzeit auszeichnet. Unzweifelhaft geschieht dem Bau kein Unrecht mit der Behauptung, dass die künstlerische Durchbildung die organische und räumliche Anlage nicht unerheblich überragt.
(Schluss folgt)
Das neue Opernhaus in Stockholm.
Architekt: A. Anderberg. – Konstrukteur: P. Ax. Lindahl. (Schluss)
Bei der eigenthümlichen Lage der Baustelle am Wasser ergaben sich ausser den konstruktiven Schwierigkeiten, welche ein Opernhaus an sich bietet, aus den Grundverhältnissen eine Reihe ungewöhnlicher konstruktiver Anordnungen, welche die selbständige Stellung, die der Ingenieur P. Ax. Lindahl zu dem Bau eingenommen hat, vollkommen rechtfertigen. So steht der ganze hintere Theil des Bauwerkes, der Terrassenbau und ein Theil der das Bühnenhaus zur Linken vom Beschauer begleitenden Raumgruppen auf Pfählen; das Fundamentmauerwerk des Bühnenhauses und eines Theiles der dasselbe rechts begleitenden Baugruppe besteht aus Beton; aus dem gleichen Material ist die Gründung des Zuschauerhauses und des links davon liegenden Gebäudetheiles erstellt, während die übrigen Theile des Fundamentes entweder aus Granitmauerwerk oder aber aus einem Beton besonderer Mischung bestehen. Die Betonmischungen betrugen 1:3:5 und 1:5:7. Sämmtliche Deckenbildungen des Hauses sind in Eisen konstruirt, an dessen Lieferung das Walzwerk „Rothe Erde“ bei Aachen wesentlich betheiligt war. Interessant sind die aus Eisen erstellten konstruktiven Anordnungen der Ränge, bemerkenswerther noch die umfangreichen Eisenkonstruktionen des Bühnenhauses.
Das letztere hat eine Breite von 27,4 m bei einer Tiefe von 21,5 m. Daran schliesst sich eine Hinterbühne von etwa 6,3 m Tiefe zu 14 m Breite. Das Proszenium öffnet sich zu einer Weite von 11,4 m. Man sieht also: es sind mittlere Abmessungen, welche auch hier für das Haus gewählt wurden. Auf die Bühneneinrichtung selbst wollen wir nicht näher eingehen. Wer sich darüber unterrichten will, findet in der zur Eröffnung des Theaters herausgegebenen umfangreichen und vornehm ausgestatteten Festschrift ein durch zahlreiche Abbildungen erläutertes reiches Material. Dieser vom Theaterbau-Konsortium herausgegebenen Schrift (Operabvegnaden i Stockholm. Festskrift i anledning af dess invigning den 19. September 1898; Generalstabens litografiska anstalts förlag), einer Festschrift im wahrsten Sinne des Wortes, sind auch die diesem Aufsatze beigegebenen Abbildungen entnommen bezw. nachgebildet. Das Haus ist mit einem Kostenaufwande von 182 300 Kr. für die Anlage der Einrichtung elektrisch beleuchtet und bezieht die elektrische Energie gegen eine Ermässigung von 35-40 % aus den städtischen Elektrizitätswerken. Die Heizung ist eine kombinirte Dampf-Luftheizung; sie wurde mit einem Aufwande von 158 500 Kr. durch die Nya Aktiebolaget-Atlas konstruirt und angelegt.
Der weitaus bedeutendste Theil des Verdienstes an dem schönen Gebäude kommt der künstlerischen Ausgestaltung desselben zu, wie sie Anderberg angab und leitete. So schlicht das Aeussere ist oder erscheint, so reich und prunkvoll bedacht ist das Innere, insbesondere die durch den königlichen Hof benutzten Räume. Die Bedingungen, welche der Charakter des Hoftheaters und der ersten Bühne der norwegisch-schwedischen Union an die Ausbildung des Hauses stellten, hat der Architekt mit vollem und feinem Verständniss erfüllt. Zwar wer das Aeussere in seiner bescheidenen, durchaus nicht theatralischen Sprache, mit seinen stark ausgesprochenen Horizontalen und mit seiner Sparsamkeit des bildnerischen Schmuckes nur flüchtig betrachtet, den wird etwas von dem nordischen Kältegefühl beschleichen und er vermisst das temperamentvolle Aussehen, welches die Theatergebäude der südlicher gelegenen Länder aufweisen. Wer sich aber die Mühe nimmt, das Werk eingehender zu studiren und die klimatischen Verhältnisse in Rechnung zieht, unter welchen es dauern soll, wird nicht nur die strenge Geschlossenheit und das beinahe würdig-ernste, das wenig-heitere des Aeusseren verstehen lernen, sondern er wird innerhalb dieser Begrenzung auch am Aeusseren Theile von hoher Schönheit und voller künstlerischer Ausreifung finden. Hierzu zählt an der Vorderansicht der dreibogige, durch korinthische Dreiviertelsäulen mit freistehenden Figuren gegliederte Mittelbau, der sich aus den ihn umgebenden ruhigen Flächen wirkungsvoll und nicht ohne den Eindruck maassvoller Pracht heraushebt. Hierzu zählt aber insbesondere der Terrassenaufbau der Rückseite, der nach italienischen Vorbildern in feiner Weise gebildet ist. Letzteren geben wir in der Abbildung, die Vorderansicht des Gebäudes am Kopfe der No. 76 wieder. Elemente der Späteren italienischen Renaissance und des noch maassvollen französischen Barock sind es, welche am Aeusseren und Inneren des neuen Bauwerkes in einheitlicher Verschmelzung zur Verwendung gelangt sind.
Zu festlichem Glanz erhebt sich die künstlerische Ausgestaltung im Inneren und es entspricht durchaus den Erwartungen, die man an das künstlerische Feingefühl Anderberg’s stellen darf, zu sehen, wie er bedacht war, die künstlerische Wirkung mit der Bedeutung der Räume fortschreitend zu steigern und sie in den durch den Hof zu benutzenden Räumen zu einem vollen und reichen Ausklang zu bringen.
Das in flacher Korbbogenlinie gewölbte, maassvoll mit Reliefornamenten versehene Vestibül ist licht gehalten; die lichte Gesammtstimmung lässt die auf farbigen Marmorpostamenten stehenden Bronzefiguren zu guter und den Raum nicht zerschneidender Wirkung kommen. Das Vestibül bereitet auf das reicher durchgebildete dreiarmige Treppenhaus vor, welches sich vor den Zuschauerraum mit seinen 3 Rängen lagert. Bei der architektonischen Haltung desselben sind alle die zu Aufsehen erregender Wirkung benutzten Anordnungen vermieden. In ruhiger Pracht schwingen sich die Ränge, deren oberster auf freistehender korinthischer Bogenstellung die schlicht gegliederte, maassvoll profilirte und mit einem duftigen Gemälde geschmückte Decke trägt. Der Reichthum des Zuschauerraumes ist auf die Umrahmung des Proszeniums ausgegossen und aus der nothwendigen Abnahme der künstlerischen Ausdrucksmittel im übrigen Theile des Zuschauerraumes kann auf die allgemeine Haltung desselben geschlossen werden. Recht eigenartig in der Ausbildung ist trotz der Verwendung geläufiger Motive die Haupttreppe, während die Steigerung des Reichthums bei der Ausschmückung der Königstreppe dieser leider keineswegs zum Vortheil gereicht hat. Das plastische Ornament dieses Treppenhauses ist schwer und lässt die feine Abwägung der einzelnen Theile zu einander vermissen.
Der Eindruck ist hier ein so völlig verschiedener von den anderen Räumen, dass man eine andere Hand zu vermuthen berechtigt wäre.
Völlig im Charakter französischer Vorbilder gehalten ist der königliche Salon, von dem wir auf unserer Bildbeilage eine Abbildung gegeben haben.
Als Raum mit einem runden Vorsaal vor der königlichen Proszeniumsloge gelegen, besitzt er 3 Fenster an der einen Lang- und an der Stirnseite, sodass die andere Langseite die volle künstlerische Entwicklung zuliess. Der Raum ist durch ein Tonnengewölbe abgedeckt; die Wandungen zeigen eine Lisenenliederung, über welcher ein hohes Konsolengesims den Uebergang in die Tonne vermittelt. Alles ist auf das Reichste mit plastischen Ornamenten versehen und vergoldet. An den Seiten wechseln Spiegelfüllungen mit Wandgemälden ab. Die malenden Künstler waren Prinz Eugen, der das Bild mit dem Rundtempel schuf, Georg Pauli, welcher Deckengemälde malte usw.
Das Künstlerfoyer hat eine Ausstattung im Stile Louis seize, weiss mit Gold und etwas lichte Farbe, erhalten. Lisenen gliedern die Wände, über ihnen zieht sich ein breiter Fries hin, ein hohes Konsolengesims trägt die Decke. Medaillonporträts und andere Bilder zieren die farbigen Füllungen der Wände. Bescheidener im Gesammteindruck, ist das Künstlerfoyer nicht ohne den wohnlichen Reiz, welchen die Innenräume des Ausganges des vorigen und des Beginnes unseres Jahrhunderts auf uns machen.
Grösserer Reichthum in der Ausstattung ist wieder bei den Raumgruppen aufgewendet, welche in dem Terrassenbau beisammen liegen. Eine Ursache hierfür ist in der hervorragenden Lage dieses Bautheiles gegen die öffentlichen Anlagen des Platzes Karls XIII., bereichert durch den Blick auf die grossartige Wasserlandschaft, zu suchen. Die hier liegenden Haupträume sind das Opern-Cafe in der Hauptaxe, und der Speisesaal an der rechten Seite des Theaters. Das Opern-Cafe ist ein schöner, durch jonische Säulen gegliederter, gegen die Anlagen ausgebauchter Raum, dessen künstlerischer Schmuck in einer kräftigen Stuckdecke mit farbigen Gemälden besteht. – Feiner und eigenartiger ist der grosse Speisesaal, von welchem wir auf unserer Bildbeilage eine Ansicht gegeben haben und dessen künstlerischen Motiven auch das Kopfbild dieser Nummer entnommen ist. Hier wirkt französischer Einfluss zusammen mit englisch-deutscher Empfindung.
Der Raum ist durch Pilaster gegliedert, welcher die Unterzüge der geraden Kassettendecke tragen. Holzvertäfelungen verdecken die Wände bis zu einer breiten friesartigen Zone, welche dem plastischen und.farbigen Schmuck nach Art unserer Kopfleiste vorbehalten ist.
An den Kurzseiten befinden sich Kamine in französischer Auffassung. Der Gesammteindruck dieses Raumes ist der einer soliden, nicht aufdringlichen Pracht, der insbesondere durch die dunkle Stimmung aus Holz, Gold und Farbe hervorgerufen und erhalten, wird.
Zu erwähnen sind dann in diesem Theil des Gebäudes noch kleinere Speisesäle und in einem anderen Theile des Hauses, rechts der Haupttreppe, ein antikisirender, durch jonische Säulen gegliederter Kaffeesalon, der indessen in seiner intimen Wirkung an die übrigen Räume nicht heranreicht. Zweifellos gehört das neue Opernhaus in Stockholm zu den bedeutenderen der neueren Theater; die beträchtliche Bausumme von rd. 6 Mill. M. weist ihm seine Stelle neben den Opernhäusern von Frankfurt a. M., Budapest, Wien usw. an, denen es in künstlerischer Vollendung nicht nachsteht. Durch dieses Werk ist der Name des Architekten Anderberg als der eines feinsinnigen Künstlers von sicherer und fruchtbarer Gestaltungskraft in die Kunstgeschichte der nordischen Länder dauernd aufgenommen. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 23. & 30.09.1899 in der Deutsche Bauzeitung.