Das neue Siechenhaus in Leipzig

Architekt: Rathsbaudirektor Hugo Licht. Nach nicht ganz dreijähriger Bauzeit ist zu Anfang des laufenden Jahres in dem Siechenhause zu Leipzig ein neuer städtischer Bau seiner Bestimmung übergeben worden, der sich den voraus – gegangenen Schöpfungen seines Erbauers, Hrn. Rathsbaudirektor Hugo Licht, würdig anreiht.

Das neue Siechenhaus – eine Tochter-Anstalt des Johannis-Hospitals, das die Mittel zur Ausführung der Anlage hergegeben hat und ebenso für Betrieb und Unterhaltung derselben sorgen wird, hat seinen Platz im SO. der Stadt. und zwar an dem, das Gelände zwischen dem Bayerischen Bahnhof und dem Neuen Friedhof durchschneidenden Windmühlenweg erhalten. Die mit ihrer Strassenseite nach SW. gerichtete, mit ihrer Hinterseite an das Grundstück des städtischen Krankenhauses zu St.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Jakob grenzende Baustelle umfasst 23 700 qm. Auf derselben sind z. Z. ein Hauptgebäude von 2359 qm, ein Kinderhaus von 623 qm und ein Wirthschafts-Gebäude von 682 qm errichtet worden. Der Rest von 20 036 qm ist zu Wegen und Garten-Anlagen verwendet; doch ist bei den letzteren der Platz für einen späteren Erweiterungs-Bau in der Grösse des Kinderhauses von vorn herein vorgesehen worden. (Man vergl. den beistehenden Lageplan.)

Lageplan

Wie der Name schon andeutet, ist die Anstalt zur Aufnahme und Verpflegung solcher Personen bestimmt, welche infolge angeborener oder erworbener, körperlicher oder geistiger Gebrechen erwerbsunfähig sind und gleichzeitig zwar nicht einer ärztlichen Heilbehandlung, wohl aber einer besonderen Pflege und Ueberwachung bedürfen. Ihre gegenwärtige Grösse ist derart bemessen, dass sie Raum für 180 erwachsene Sieche und 40 sieche Kinder, zusammen also für 220 Pfleglinge, sowie für ein Verwaltungs- und Betriebs-Personal von etwa 30 Personen gewährt. Die Einrichtungen des Wirthschafts- Gebäudes sind jedoch so getroffen, dass diese Kopfzahl von 250 auf 350 gesteigert werden kann, ohne dass eine Erweiterung bezw. ein Umbau der bezgl. Betriebsräume nothwendig wird.

Das Hauptgebäude, von dem in den beigefügten Abbildungen eine Grundriss-Skizze des Erdgeschosses, ein Aufriss der Straßenseite und ein die architektonische Ausbildung der Einzelheiten veranschaulichendes, perspektivisches Bild gegeben sind, besteht aus einem, von einem Mittelbau durchsetzten Langbau und 2 an den Enden desselben nach beiden Seiten vorspringenden Flügeln, Es enthält ausser dem Kellergeschoss ein Erdgeschoss, 2 Obergeschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss.

Grundriss

Im Mittelbau liegt an den Strassenseite das grosse Haupt-Treppenhaus, in welchem 2 überwölbte, auf Säulen ruhende Läufe von 2,10 m Breite, die auf einen mittleren, 3,50 m breiten Vorplatz münden, bis zur Höhe des II. Obergeschosses empor führen; unter dem rechten Treppenlaufe ist in der Vorhalle des Erdgeschosses ein Raum für den Pförtner abgezweigt. Der hintere Theil des Mittelbaues enthält im Erdgeschoss neben dem zum Garten führenden Eingangsflur die Zimmer für Verwaltung und Arzt, darüber den durch beide Obergeschosse reichenden, mit 2 Seitenemporen versehenen Betsaal des Hauses.

Von den durch den Mittelbau getrennten beiden seitlichen Theilen ist der eine für männliche, der andere für weibliche Sieche bestimmt. Die Einrichtung der Anstalt ist so getroffen, dass die Mehrzahl der Insassen in Gruppen von 12-15 Personen vereinigt ist, die über je 1 Wohnzimmer, (in dem auch die Mahlzeiten eingenommen werden), sowie über 2 Schlafzimmer verfügen. In jedem der 3 Wohngeschosse, welche übereinstimmend eine lichte Höhe von 4,20 m erhalten haben, sind auf jeder Seite 2 solcher Gruppen untergebracht, u. zw. die eine auf der Aussenseite des Flügels, die andere in dem Zwischenbau zwischen letzterem und dem Mittelbau. Die Grösse der betreffenden Räume ist so bemessen, dass auf den Kopf etwa 9 bis 10 qm Grundfläche und 40 cbm Luftraum kommen. Für bettlägerige Sieche oder solche, die aus sonstigen Gründen von den anderen getrennt werden müssen, ist in den Flügeln noch eine Anzahl kleinerer Schlafzimmer vorhanden; ausserdem befinden sich hier in jedem Geschoss beiderseits je 1 Baderaum, 1 Wärterzimmer nebst Theeküche und 1 Abort. Auch besitzt jeder Flügel seine eigene, mit 1,35 m Laufbreite angelegte Treppe, die vom Keller bis zum Dachgeschoss führt und von aussen unmittelbar zugänglich ist. Als eine Eigenthümlichkeit und ein besonderer Vorzug des Hauses ist endlich noch die Anordnung der offenen Loggien an der Innenseite der vorderen Flügel-Vorsprünge und der Hinterseite der Zwischenbauten zu erwähnen, welche auf ärztliches Verlangen getroffen wurde, Sie gestatten den Insassen der Anstalt bei günstigem Wetter einen geschützten Aufenthalt im Freien, ohne dass dieselben zu diesem Zweck Treppen zu steigen brauchen. Zum Spazierengehen bei ungünstigem Wetter gewähren die 2,90 m breiten Korridore ausreichende Gelegenheit.

Das Dachgeschoss enthält in den Flügeln die Wohnungen des Verwalters und des Hausmanns, während im Langbau noch 2 grosse und 8 kleinere Schlafräume für das Personal der Anstalt sich befinden.

Das Kinderhaus, von welchem der Grundriss des Erdgeschosses mitgetheilt ist, enthält nur 2 Geschosse, die gleichfalls in je eine Knaben- und eine Mädchen-Abtheilung getrennt sind. Im Erdgeschoss liegen 2 Wohn- und 2 Lehrzimmer, 1 Isolirzimmer, 2 Zimmer für die Pflegeschwestern sowie je ein Bad, 1 Theeküche und 1 Abort, im Obergeschoss 4 Schlafzimmer, 6 Isolirzimmer und 2 Schwesternzimmer. Loggien zum Genuss der freien Luft fehlen auch hier nicht. Die Grösse der Wohn- und Schlafzimmer ist so bemessen, dass auf den Kopf 5 qm Grundfläche und (bei 4,00 m lichter Geschosshöhe) 20 cbm Luftraum kommen.

Das neue Siechenhaus zu Leipzig (Windmühlenweg)

Das Wirthschafts-Gebäude, dessen Erdgeschoss-Grundriss gleichfalls gegeben ist, zeigt an der Vorderseite einen zweigeschossigen Mittelbau, der im Obergeschoss die Wohnung des Maschinisten und Vorraths-Gelasse, im Erdgeschoss die Nebenräume zur Wasch- und Kochküche enthält. Letztere sind als eingeschossige Flügel (von 5,40 m Höhe) zur Seite des Mittelbaues angeordnet; über den niedrigeren Hinterräumen dieser Flügel liegen in einem Zwischengeschoss Schlafräume für das weibliche Personal. Den hinteren Abschluss der Anlage, aus deren Mitte der Schornstein sich erlebt, bildet das Kesselhaus mit den Kolhenschuppen usw.

Von den 3 mit Tenbrink-Feuerung ausgerüsteten Kesseln, welche je 75 qm Heizfläche und 5 Atmosphären Betrjebs-Ueberdruck haben, versehen nur je 2 den Betrieb, während der dritte als Rückhalt dient. Sie sind von der Firma Götz & Nestmann in Leipzig hergestellt und haben den für die Zentral-Heizung des Hauptgebäudes, sowie für die Wasch- und Kochküche erforderlichen Dampf zu liefern. – Zum Betrieb der Wasch-Anstalt, deren Einrichtungen von der bekannten Firma Oscar Schimmel & Comp. in Chemnitz getroffen sind, dient eine 8 pferdige Dampfmaschine, welche 1 Hammer- und 1 Trommel-Waschmaschine, 1 Spüle, 1 Rolle, und 1 Trockenmaschine in Bewegung setzt. – Die Einrichtung der Küche war dem Kupferschmiedemstr. Chr. Salzmann in Leipzig übertragen; es sind 9 Kessel mit einem Fassungsraum von 15-150 l vorhanden, deren 4 grösste – je nach der Stellung eines an denselben angebrachten Vierwegehahns die Bereitung der Speisen entweder im Dampf- oder im Wasserbade gestatten. Als Baustoffe für die Ausführung der Fassaden des Hauptgebäudes haben im allgemeinen rothe Ullersdorfer Verblendziegel zur Verkleidung der Flächen, in Verbindung mit Cottaer Sandstein für die Gesimse, die Sohlbänke, die Säulen der vorderen Loggien und die zur dekorativen Belebung des Flichen-Mauerwerks verwertheten Streifen-Einlagen, Kümpfer- und Schlusssteine usw. Verwendung gefunden. Der Sockel des Gebäudes ist aus dem sehr festen, schwarz- und rötblich-grünen Diorit-Porpbyr von Beucha, bei Leipzig hergestellt. Die Loggien der Hinterseite sowie die Dacherker des Langbaues zeigen den Holzbau. Die flachen Dächer der Loggien sind mit Wellenzink, die Dächer der Treppenthürmchen an der Hauptfront mit grünen, schwarzen und gelben Biberschwanz – Ziegeln von Bucher in Saulgau (Württemberg), alle übrigen Dachflächen mit schwarzen Falzziegeln von Ludovici in Ludwigshafen a. Rh. gedeckt. Das Bild im Mittelgiebel der Strassenfassade – ein an die Verbindung der Anstalt mit dem Hospital zu St. Johannis erinnerndes Gotteslamm – ist (von Maler Georg Strasser in Leipzig) mit Keim’schen Mineralfarben auf einer geputzten Fläche gemalt. – Entsprechend, wenn auch mit sparsamerer Verwendung von Werkstein ist das Kinderhaus, noch einfacher das Wirthschafts-Gebäude gestaltet.

– Im Innern bestehen die Säulen des Haupt-Treppenhauses aus Istrianer Kalkstein (Pisino), die Stufen dieser Treppe aus Weser-Sandstein, während die Nebentreppen, sowie die Treppen des Kinderhauses aus Zementbeton auf Walzeisen-Trägern hergestellt und mit eichenen Trittstufen belegt sind.

– Die Heizung des Hauptgebäudes erfolgt in den ständig benutzten, eigentlichen Wohn- und Schlafräumen der Siechen durch eine Warmwasser-Dampfheizung, im Betsaal und den Vorräumen, durch eine Dampf-Luftheizung theilweise in Verbindung mit unmittelbarer Dampfheizung. Letzteres gilt auch für das Kinderhaus, während die Wohn- und Schlafräume hier, wie in den Wohnungen der Beamten durch Kachelöfen geheizt werden. Die Ausführung der Zentral-Heizungs-Anlage ist durch das Geschäft von Rietschel & Henneberg in Dresden bewirkt worden.

Das neue Siechenhaus zu Leipzig

Erscheint die ganze Anlage, vom Zweckmässigkeits-Standpunkte betrachtet, nicht nur als wohl gelungen, sondern geradezu als ein Muster ihrer Art, so fordert zu noch grösserer Anerkennung doch die künstlerische Gestaltung des Baues heraus. Hr. Baudirektor Licht, dessen umfassender Thätigkeit die Fachgenossenschaft seit lange mit wärmster Theilnahme folgt, hat auch in diesem neuesten Werke bewiesen, dass er in der Kunst, einen mit verhältnissmässig sparsamen Mitteln unternommenen Nutzbau durch das ihm eingehauchte individuelle Gepräge zu adeln und zum Range eines Monumental-Baues zu erheben, unter den deutschen Meistern der Gegenwart kaum einen Ebenbürtigen besitzt. Es ist im vorliegenden Falle das Motiv der Loggien und die Verlegung der Treppen an die Fassade, welches dem von uns mitgetheilten Gebäude seinen besonders eigenartigen Zug verleiht. Aber welche Sicherheit und Reife künstlerischer Empfindung, welche Gestaltungskraft spricht sich auch in der Art aus, wie die durchgehende Architektur der Fassade im Einzelnen durchgebildet ist! Und dabei ist diese Behandlung der Architektur, wenn sie auch in manchen Beziehungen der an älteren Bauten desselben Urhebers, insbesondere an der VIII.

Bezirksschule (Jhrg. 37 No. 15 d. Dtschn. Bztg.), angewendeten nahe steht, doch weit davon entfernt, Schablone zu sein, sondern enthält immer wieder neue Elemente so z. B. hier die allerdings etwas willkürlich anmuthende Heranziehung eiserner Balken zur Ueberdeckung der Fenster des I. Obergeschosses. – Man braucht nicht einmal an die trostlose Langweiligkeit und ewige Gleichförmigkeit der Gemeinde-Hochbauten in so manchen anderen, deutschen Grossstädten sich zu erinnern, um an solchem frischen und fruchtbaren Schaffen seine aufrichtige Freude zu haben.

Das Innere des Siechenhauses ist der Bestimmung des Gebäudes entsprechend durchweg sehr einfach und schlicht gehalten. Doch entbehren sowohl die monumentale Anlage des Haupt-Treppenhauses mit seinen Säulen und den Durchblicken durch die steigenden Bögen, wie der Betsaal durchaus nicht des künstlerischen Reizes.

Die Bauausführung begann, nachdem im Herbst 1886 die Baustelle eingerichtet worden war, im März 1887 und gedieh bis zum Schluss dieses Jahres bis zur Vollendung der beiden Hauptbauten im Rohbau. Die vollständige Fertigstellung der ganzen Anlage wurde im Herbst 1889 erreicht. Die Gesammtkosten derselben waren auf 865 500 M. veranschlagt.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-F.-“