Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover

Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover

Architekt: Otto Lüer in Hannover Vor kurzem ist durch die Stadtverwaltung von Hannover eine Anlage geschaffen worden, die – u. W. bisher einzig in ihrer Art nicht nur den Pflichten der Pietät gegen die künstlerischen Leistungen vergangener Geschlechter gerecht wird, sondern auch die Stadt um einen neuen Anziehungspunkt von hervorragendem geschichtlichem und künstlerischem Interesse bereichert hat. Es wäre dringend zu wünschen, dass dieses Vorgehen bei recht vielen deutschen Stadtgemeinden Nachahmung fände. Denn Gelegenheit und ausgiebiger Stoff zu ähnlichen Anlagen sind in unzähligen Orten unseres Vaterlandes vorhanden.

Ihren echtesten und eigenartigsten Ausdruck haben das Kunstvermögen und die künstlerische Richtung jedes Zeitalters der Nachwelt stets in den Grabmälern überliefert, welche frommer und dankbarer Sinn dem Andenken verstorbener Mitbürger und Angehöriger widmete – anfangs in den Kirchen, später vorwiegend auf den Kirchhöfen. Es mögen nicht immer die besten Leistungen ihrer Zeit sein, die sich in diesen Denkmälern erhalten haben, aber im Gegensatze zu vielen gleichalterigen Bauwerken sind sie unter allen Umständen unverfälscht, weil jede Veränderung, wie sie bei jenen oft durch den Nutzungszweck bedingt wurde, ausgeschlossen war. Man kann den Gang der künstlerischen und insbesondere der stilistischen Entwicklung, welche das architektonische und bildnerische Schaffen innerhalb eines Ortes genommen hat, daher nirgends besser,und lückenloser studiren, als auf den alten Friedhöfen desselben – ein Studium, das durch die Fülle geschichtlicher Erinnerungen, die sich dabei häufig ergiebt, noch interessanter gemacht wird.

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Leider sind derartige Denkmäler, sobald das persönliche Interesse an ihrer Unterhaltung aufgehört hat, einem ziemlich schnellen Verderben ausgesetzt; viele derselben können auch an ihrem ursprünglichen Platze nicht verbleiben und finden dann meist einen noch verfrüherten Untergang. Das beliebte, immerhin aus guter Absicht hervor gegangene und daher dankbar anzuerkennende Verfahren, sie reihenweise an den Ausseren Kirchenwänden zu befestigen, ist nur ein Nothbehelf und zur Aufnahme in ein Museum – falls ein solches am Orte vorhanden ist und über den nöthigen Platz verfügt – werden doch nur wenige auserlesene Werke sich eignen. Beiläufig gesagt, werden die letzteren durch die Entfernung aus ihrer bisherigen stimmungsvollen landschaftlichen Umgebung in der Regel auch einen wesentlichen Theil des Reizes einbüssen, der sie bisher auszeichnete.

Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover
Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover

Wie hier ohne Aufwand grosser Mittel geholfen werden kann, hat nunmehr die Stadtverwaltung von Hannover gezeigt, dessen kunstsinniger und thatkräftiger Oberbürgermeister seine Abkunft als Sohn eines Architekten nicht verleugnet. Zur Unterbringung und zum Schutze der auf dem dortigen alten Nicolai-Kirchhofe und anderen älteren Begräbniss-Plätzen vorhandenen Denkmäler ist auf jenem Friedhofe, im Anschluss an die Kapelle desselben, der in den beigefügten Abbildungen dargestellte Denkmalhof angelegt worden. Auf der einen Seite von der in ihrem Kern und insbesondere der Chorpartie noch mittelalterlichen Kapelle begrenzt, wird er auf den 3 anderen Seiten von einer gegliederten und mit Lichtöffnungen durchbrochenen Mauer umschlossen, die ein kleines, nach innen vorspringendes Schutzdach trägt. An der Ostseite ist in der Axe auf 2 freistehenden Säulen eine giebelgekrönte Nische angeordnet, in welcher das Hauptstück der Sammlung, das von dem Bildhauer Jeremias Sutel herrührende Epitaph des Bürgermeisters Statius Vasmar, Platz gefunden hat; ursprünglich an der Aussenwand der Kapelle angebracht, ist dieses, durch den tragischen Tod seines Verfertigers früher sehr volksthümliche Werk durch lange Zeit unter einer Empore verborgen gewesen. Inmitten der Westseite öffnet sich ein Portal, dessen schmiedeisernes, einen Einblick in den Hof gestattendes Gitterthor nach bekannten barocken Vorbildern das perspektivische Bild eines Laubenganges darstellt. In Berücksichtigung des Umstandes, dass die hier vereinigten Denkmäler fast ausschliesslich dem 17. und 18. Jahrhundert angehören, sind die Stilformen der Anlage denen angeschlossen worden, die während des 17. Jahrhunderts in Hannover herrschten.

Von dem hohen malerischen Reiz der Anlage, die gewissermaassen als ein kleines Museum im Freien betrachtet werden kann, geben die mitgetheilten Ansichten eine Vorstellung. Derselbe wird sich jedoch noch wesentlich erhöhen, wenn erst die im Inneren gepflanzten weissen Kletterrosen sich in voller Ueppingkeit entwickelt haben werden und Mauern wie Denkmäler umranken.

Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover
Denkmalhof auf dem alten Nicolai-Friedhofe in Hannover

Die Anlage ist nach dem Entwurf und unter der Leitung des Architekten Otto Lüer entstanden; die Bildhauer-Arbeiten sind von dem Bildhauer Erlewein, die Kunstschmiede-Arbeiten von dem Schlossermeister Lippmann ausgeführt worden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 28.10.1899 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „F.“.