Die Sonderausstellung der Stadt Berlin auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896

Abgesehen von der materiellen Unterstützung, welche die Stadtgemeinde dem Unternehmen der Berliner Gewerben Ausstellung durch Hergabe des Treptower Parkes und verschiedene andere Leistungen hat zutheil werden lassen, hat sie dasselbe noch weiter gefördert, indem sie selbst als Ausstellerin aufgetreten ist.

Eine derartige Betheiligung war übrigen eigentlich selbstverständlich, denn die Stadtgemeinde kommt fast in allen Zweigen ihrer Thätigkeit in innige Berührung mit dem Gewerbeleben der Stadt und ausserdem ist sie durch die Betriebe der Gas-, Wasser- und Kanalisationswerke selbst in die Reihen des Gross-Gewerbes eingetreten. Um jedoch ein geschlossenes Bild von der Gesammt-Thätigkeit der Stadt in den verschiedenen Verwaltungen zu geben, sind die Ausstellungs-Gegenstände zweckmässiger Weise nicht in die einzelnen Gruppen eingereiht, sondern in einem eigenen Gebäude von etwa 1200 qm Grundfläche, nördlich der Treptower Chaussee, zwischen den Gebäuden für Chemie und Fischerei, zusammengefasst worden.

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Der Grundriss dieses Gebäudes wird gebildet von einem quadratischen Mittelbau von 14/14 m, dem neben dem Haupteingang zwei Thürme vorgelagert sind, von 2 seitlichen Flügeln von 20 m Länge und 12 m Tiefe, sowie von 2, beiderseits vor die Langfronten vorspringenden Eckbauten von 10 m Länge und 17 m Tiefe. Ueber dem Mittelraume, der zu Repräsentationszwecken frei gehalten ist, wölbt sich eine hohe, in ein spitzes Thürmchen endigende Kuppel, während die beiden Portalthürme mit hohem prismatischem Dach abgedeckt sind. Die Seitenflügel besitzen einfache Satteldächer, während die Eckbauten ihre Giebelseite den Langfronten zukehren. Sie enthalten noch je einen Nebeneingang. Das Gebäude ist in Holzfachwerk mit Drahtputzgefachen hergestellt, der hohe Sockel ganz überputzt. Das Balken- und Sparrenwerk ist farbig behandelt, während die Flächen in der Hauptsache einfach geweisst sind. Das Innere, das durch wenige Zwischenwände in eine grössere Zahl von Kojen getheilt und einfach ausgestattet ist, zeigt das Holzgespärre des Daches, während der Kuppelraum mit Stoff ausgeschlagen wurde. Zu einer reichen Ausschmückung des linksseitigen Anbaues durch Glas- und Wandmalereien sowie bildnerischen Schmuck sind die Arbeiten der I. und II. Handwerkerschule und einiger Fortbildungsschulen herangezogen worden, die von dem gediegenen Können dieser Anstalten Zeugniss ablegen. Das Gebäude, welches einen Kostenaufwand von etwa 110 000 M. erforderte, ist nach den Plänen des Stadtbaurath Geh. Brth. Blankenstein unter Mitwirkung des Stadtbauinsp. Frobenius ausgeführt.

Gehen wir nun zu den Ausstellungs-Gegenständen selbst über und beginnen mit dem linken Seitenbau. Hier und in dem anschliessenden Theil des linken Seitenflügels haben die Ausstellungen der gewerblichen Unterrichtsanstalten Platz gefunden. Zu diesen gehören nicht weniger als 15 Fachschulen. Weitere Anstalten sind der Gewerbesaal, die städtische Webeschule, die I. und II. Handwerkerschule, die Tagesklasse für Elektrotechnik, die Baugewerkschule usw.

Es seien einige Zahlen angeführt, um die Bedeutung des gewerblichen Unterrichts, soweit er unter der Aufsicht der Stadtgemeinde steht, bezw. von ihr unterstützt wird, hervorzuheben.

Die 15 Fachschulen, welche sämmtlich nach 1882 entstanden sind, hatten im Winterhalbjahr 1895/96 zusammen eine Schülerzahl von 2085, der 1892 gegründete Gewerbesaal 1394, die 1882 eröffnete städtische Webeschule 238, die beiden 1880 bezw. 1802 gebildeten Handwerkerschulen zusammen 3090, die 1883 eröffnete Baugewerkschule 265, insgesammt 7972 Schüler. Im Stadthaushalt sind für das Jahr 1896/97 als Beiträge für die 24 gewerblichen Unterrichtsanstalten (die Fortbildungsschulen sind hier ausgeschlossen) folgende Summen eingesetzt: Staatszuschuss 85 989 M., Beitrag der Innungen und Vereine 8915, der Interessenten 12 720, Zuschuss der Stadt 281 842 M. Hierzu kommt noch das Schulgeld, sodass insgesammt 424 000 M. zur Verfügung stehen.

Den Rest des linken Flügels nimmt das Schulwesen einschl. der Turn- und Volksbadeanstalten, ferner das Krankenhauswesen mit den Irrenanstalten, schliesslich die Ausstellung der städt.

Desinfektionsanstalt ein. Im rechten Seitenflügel sind die Armen-, Park- und Friedhofs- sowie Markthallen-Verwaltung untergebracht. In den Ausstellungen der vorstehend aufgeführten einzelnen Verwaltungen kommt auch die Thätigkeit der Hochbau-Abtheilung auf ihren verschiedenen Gebieten zum Ausdruck. Es sind ferner vertreten das statistische Amt, die Bauabtheilung II., die städtischen Gasanstalten, die Kanalisation und die Wasserwerke. Die beiden letztgenannten Verwaltungen nehmen den ganzen rechten Seitenbau ein und haben noch eine ganze Reihe grösserer Gegenstände ausserhalb des Gebäudes im Freien ausgestellt.

Die Entwicklung der Berliner Gemeindeschulen von 1868 bis 1895 ist in einer graphischen Darstellung zur Anschauung gebracht. 1869 gab es imganzen 557 Klassen, im Herbst 1895 deren 3540. Namentlich ist seit 1870 mit Aufhebung des Schulgeldes ein starker Andrang zu den Gemeindeschulen zu verzeichnen, sodass die Herstellung zahlreicher neuer Schulgebäude erforderlich wurde. Interessant ist ein Plan der Stadt mit der Darstellung der von den Schulkindern zurückgelegten Wege bis zur Schule bezw. die Vertheilung der aus den einzelnen Stadtbezirken kommenden Schüler auf die verschiedenen Gemeindeschulen. Für den Architekten namentlich von grossem Interesse ist die Entwicklung der Gemeindeschule in ihren Grundrissen.

Es sind 6 charakteristische Beispiele angeführt, In einer Reihe von Blättern werden auch die höheren Schulen vorgeführt und die verschiedenen Heizsysteme, welche zur Anwendung gekommen sind.

Dem Schulwesen schliesst sich das Turn- und Badewesen an. Wir finden ein hübsches Modell der Turnhalle des askanischen Gymnasiums mit der gesammten inneren Ausrüstung an Geräthen, mit der Heizung und Ventilation. Das Badewesen ist vertreten durch die grosse neue Doppel-Flussbadeanstalt oberhalb der Cuyrystrasse an der Oberbaumbrücke, die mit einem Kostenaufwand von 96 000 M. hergestellt worden ist, ferner durch Pläne der städtischen Volksbadeanstalt in Moabit und an der Schillingsbrücke. Mit dem Bau dieser in den Jahren 1891-92 mit einem Kostenaufwand von 350 000 bezw. 415.000 M. ausgeführten Anstalten ist der Hochbauabtheilung der Stadt ein neues Feld der Thätigkeit eröffnet worden. Für die nächsten Jahre sind bereits weitere derartige Bauten, welche Brause- und Wannenbäder sowie eine grosse Schwimmhalle enthalten, in Aussicht genommen.

Die Waisenverwaltung ist mit Zeichnungen der Erziehungsanstalt für verwahrloste Knaben in Lichtenberg, die Armenverwaltung mit Plänen des städt. Obdachs in der Fröbelstrasse und des Hospitals und Siechenhauses in der Prenzlauer Allee vertreten. Die ausgestellten Pläne geben ein Bild von der Bedeutung der auf diesem Gebiete geschaffenen Anstalten. Es sei noch angeführt, dass das Obdach nach seiner letzten Erweiterung rd. 2 ½ Mill. M. erfordert hat und 2800 Personen gleichzeitig nächtliche Aufnahme gewähren kann. Im Familienobdach, das verarmten Familien und auch einzelnen Personen u. Umst. für einige Zeit Zuflucht gewährt, können 600 Personen unterkommen. Im Siechenhaus finden 790 Sieche Unterkunft. Die Baukosten betrugen fast 2,4 Mill.

Das Krankenhauswesen und die Irrenpflege sind durch Pläne der grossen, mit allen Erfordernissen der Neuzeit ausgestatteten Anstalten vertreten, die in dem letzten Jahrzent ausgeführt worden sind. Wir finden hier das Krankenhaus am Urban, die Irrenanstalt Herzberge bei Lichtenberg und die Anstalt für Epileptische Wuhlgarten bei Biesdorf. Angegliedert ist die Ausstellung der Desinfektionsanstalt I. in der Reichenberger-Strasse, die in Zeichnungen, Photographien, Werkzeugen und Verpackungs Gegenständen besteht. Die Anstalt desinfizirt ihr übersandte Gegenstände und auch die Wohnungen nach ansteckenden Krankheiten. Eine II. in Verbindung mit dem Obdach ausgeführte Desinfektions-Anlage dient nur den Zwecken dieser Anstalt selbst.

Die Park- und Gartenverwaltung hat die Ausstellung mit einer Reihe von Plänen der neueren Park, Platz- und Friedhofs-Anlagen, sowie mit einem Modell des Wassersturzes am Viktoriapark beschickt, die Markthallen-Verwaltung mit zahlreichen Zeichnungen und Photographien der Zentral-Markthalle am Alexanderplatz und der Markthallen in der Buckowerstrasse und am Arminiusplatz in Moabit. Ein Plan zeigt die Vertheilung der Markthallen im Stadtgebiet. In den 12 Jahren seit Ausführung des ersten Theiles der Zentral-Markthalle sind nicht weniger als 14 Hallen entstanden, die einen sehr erheblichen Aufwand erforderten. Für den älteren Theil der Zentral-Markthalle z. B. sind 21, Mill., für den neueren, lediglich dem Grosshandel dienenden, mit allen nöthigen Einrichtungen an Kühlräumen usw. ausgerüsteten Theil 2,5 Mill. M. verausgabt worden.

Reiches Material von graphischen Darstellungen, Schriftwerken und Tabellen, welche über die verschiedensten Fragen, so auch über Wohndichtigkeit, Zahl der in einem Raum lebenden Personen usw. Aufschluss geben und ein eingehendes Studium erfordern, stellt das städt. statistische Amt aus. Die vom Vermessungsamte bewirkte Aufnahme des städt. Weichbildes ist in zahlreichen Plänen und Karten veranschaulicht.

Ausserordentlich interessant und reichhaltig ist der Theil der Ausstellung, welcher sich auf das Ingenieurwesen der Stadt bezieht. Er bildet eine werthvolle Ergänzung der sonst gerade auf dem Gebiete des Ingenieurwesens sehr lückenhaften allg. Bau-Ausstellung und giebt wenigstens auf dem engeren Gebiete des städtischen Ingenieurwesens ein vollständiges Bild der umfassenden Thätigkeit der letzten 20 Jahre.

Die Tiefbauabtheilung ist namentlich durch Photographien und Pläne ihrer Brücken vertreten. Wir finden insbesondere Bauten aus den letzten 10 Jahren, auf die wir, da sie zum grossen Theile schon Gegenstand von Einzel-Veröffentlichungen in der Dtsch. Bztg. gewesen sind, nicht näher eingehen wollen.

Im Modell wird die Friedrichsbrücke und die gesammte Mühlendammanlage vorgeführt. Letzteres Modell ist besonders lehrreich, übrigens schon von früher her bekannt. Mit der Hafenanlage am Urban hat sich die Stadtgemeinde neuerdings auf ein neues Gebiet begeben, das noch sehr der Entwicklung und Unterstützung der Stadtgemeinde bedarf. Die mit einem Kostenaufwande von 1,5 Mill., ohne den Grunderwerb, hergestellte Anlage bietet 70 Fahrzeugen Gelegenheit zum Entladen. Es sind fahrbare und feste hydraulische Krahne vorgesehen. Ein perspektivisches Bild veranschaulicht die ganze Anlage.

Wir gehen nun zu der Ausstellung der städtischen Betriebe der Gas-, Wasser- und Kanalisationswerke über. Namentlich die Ausstellung der beiden letzteren Werke erweckt durch zahlreiche schöne Modelle ganz besonderes Interesse.

Die Gaswerke stellen in Plänen die neueste Gasanstalt in Schmargendorf aus, welche für eine grösste tägliche Produktion von 350 000 cbm ausgebaut werden soll. Es werden die verschiedenen Gebäudegruppen und Eirichtungen dieser Anstalt, sowie Zeichnungen von Gasbehältern vorgeführt. Die Stadt besitzt jetzt 5 Anstalten. 1847 übernahm sie den ersten Betrieb. 1854 belief sich die Gesammtabgabe an Gas auf nicht viel über 6,5 Mill. cbm, im Jahre 1895 waren es über 107,5 Mill. Cbm. Die grösste stündliche Abgabe ist von 34 100 cbm im Jahre 1854 auf 595 400 cbm im Jahre 1895 gestiegen. Wir sehen also, dass trotz des elektrischen Lichtes hier noch keineswegs ein Stillstand eingetreten ist.

Die Verwaltung der Kanalisationswerke hat die Ausstellung reich mit Plänen, Druckwerken, Modellen und Musterstücken beschickt. Wir finden Stadtpläne mit den Radialsystemen, den Rohr netzen, einen Plan von Berlin und Umgegend mit den Pumpstationen, Druckrohrsträngen und Rieselfeldern, ferner Einzeldarstellungen der Pumpstationen, Hochbauten, Maschinen und Leitungen. Sehr lehrreich ist das Modell einer Pumpstation, eines Rieselfeldes, eines Geschäftshauses mit allen Rohrleitungen für Be- und Entwässerung. Die Modelle sind auseinandernehmbar eingerichtet, sodass man die ganze Konstruktion auch im Innern bloslegen kann. Sie sind vortrefflich geeignet, sich über die betreffenden Anlagen ein klares Bild zu machen und namentlich auch in Laienkreisen das wünschenswerthe Verständniss für solche Einrichtungen zu wecken. Ausserhalb des Gebäudes sind allerhand Musterstücke von Rohrleitungen, einige Beete eines Rieselfeldes usw. ausgestellt und angelegt. Besondere Aufmerksamkeit verdient darunter ein in natürlicher Grösse und dem üblichen Material ausgeführtes Stück eines begehbaren Strassenkanales mit allen Anschlussleitungen vom Haus und von der Strasse her.

In ähnlicher Weise wie die Kanalisation haben die Wasserwerke das Verständniss für ihre Anlagen durch Modelle zu unterstützen gesucht. Besonders werthvoll ist ein im Freien, vollständig den in Gebrauch stehenden Anlagen am Müggelsee entsprechend ausgeführtes Stück eines Filters, das thatsächlich im Betrieb steht. Die Anlage ist durchschnitten und man kann durch Glasplatten in das Innere hineinsehen. Ausserdem finden sich hier Theile der grossen Druckrohrleitungen und interessante Rohrstücke, welche zumtheil seit der ersten Anlage des Waässerwerkes am Stralauer Thor im Erdboden gelegen haben und im Betrieb gewesen sind. Es findet sich darunter ein Rohr, das im Jahre 1854 in Gegenwart Friedrich Wilhelms IV. in der Freund’schen Fabrik gegossen worden ist und eine entsprechende Widmung erhielt. Es ist nach den 30 Jahren, die es im Gebrauch gewesen ist, noch verhältnissmässig gut erhalten. Im Inneren des Gebäudes sind Pläne der gesammten Wasserversorgung der Stadt und der einzelnen Vororte, Modelle von Filtern und Rohrtheilen, Wassermesser und allerhand Theile von Hausleitungen usw. ausgestellt. Wir finden das Werk vom Müggelsee mit seinen besonderen Einrichtungen, die Vertheilungsstation in Lichtenberg, das Tegeler Werk, das Hochreservoir in der Belforter Strasse und andere Darstellungen. Wir können auch hier auf frühere Veröffentlichungen in der Dtschn. Bztg. verweisen.

Der Gesammteindruck der Sonderausstellung ist ein erfreulicher. Es findet sich zwar manches, was schon bei anderen Gelegenheiten zu sehen war, aber jedenfalls sind die Materialien in solcher Vollständigkeit noch nicht zusammengetragen worden.

Für den Fernstehenden namentlich aber bietet diese Ausstellung eine günstige Gelegenheit, sich über das mächtige Aufblühen Berlins und die rege Thätigkeit auf allen Gebieten für Verwaltung, namentlich des Bau- und Ingenieurwesens der letzten 10-20 Jahre ein anschauliches Bild zu verschaffen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 16.09.1896, er war gekennzeichnet mit “Fr. E.”.