Der grosse Brand in London am 19. November 1897 und einige andere Brände der Neuzeit

(Nach einem Vortrage des Hrn. Branddir. Westphalen im Arch.- und Ing.-Verein zu Hamburg.) Redner hat im Anfang Dezember vergangenen Jahres eine dienstliche Reise nach London ausgeführt, um die Brandstelle des grossen Brandes vom 19. Nov. 1897 zu besichtigen und ein Urtheil zu gewinnen, wie es möglich war, dass der Brandherd trotz der sich eines hohen Rufes erfreuenden Londoner Feuerwehr eine so ausserordentliche Ausdehnung erreichen konnte.

Das Feuer war gegen 1 Uhr Mittags ausgebrochen, aber erst nach 6 Uhr Abends war die Feuerwehr darüber Herr geworden und im Stande, die Weiterausbreitung des inzwischen auf etwa 180 m Länge und 85 m Breite (siehe Skizze) angewachsenen Flammenmeeres zu verhindern, obschon nicht weniger als 44 Dampfspritzen mit 297 Mann zur Stelle waren. Die Brandstelle liegt im „Cripplegate“, einem Theile der City von London, in der Nähe der St. Giles Kirche. Die betreffenden Strassen: Well Street, Hamsell Street, Jewin Street und Jewin Crescent sind nur 6-9 m breit. Der Verkehr in diesen engen Strassen ist während der Geschäftsstunden ein ausserordentlich starker. Lastwagen und Personenfuhrwerk winden sich in diesem Gedränge, einem elastischen langgestreckten Körper ähnlich, längs des Fahrweges und die schmalen Fussteige reichen für die Fussgänger bei weitem nicht aus. Ein richtiges Bild dieses enormen Verkehrs, der die Strassen ganz unerhört überlastet, kann man sich nur durch persönliche Anschauung machen. In welcher Weise sich dort Wagen und Menschen – allerdings in bestmöglicher Ordnung – an einander vorbeischieben und zwängen, spottet jeder Beschreibung und wird in keiner Stadt des europäischen Kontinents auch nur annähernd erreicht.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Die Brandstelle umfasste keineswegs alte Fachwerk- oder Holzbauten, vielmehr Gebäude neueren Datums aus Ziegelmauerwerk mit Innenkonstruktionen aus Eisen oder Holz, von 5-6 Geschossen, mit Dachdeckung aus Zink oder Schiefer. Alle Geschosse dienten als Waarenlager und Geschäftsräume. Das Feuer brach im Erdgeschoss des Hauses Wellstreet No. 15 aus und verbreitete sich äusserst rasch nach oben in ein Lager von Straussenfedern, so dass die Menschen aus den oberen Geschossen sich nur mit Mühe über die Dächer der Nachbarhäuser retten konnten. Die Mittagsstunde war der raschen Entwicklung des Feuers ungemein günstig; die zahlreichen Arbeiter und Arbeiterinnen waren zu Tisch gegangen und hatten vorher, wie üblich, die Fenster der Arbeits- und Lagerräume geöffnet, um frische Luft – soweit solche in diesem Theile Londons überhaupt zu haben ist – hereinzulassen.

Der grosse Brand am 19. November 1897 in London

Durch diesen Umstand hatte das Feuer überall sofort starke Luftzuführung und konnte sich über die Lichthöfe der Grundstücke und über die schmalen Strassen hindurch rasch verbreiten. Wie gross die Gluth gewesen sein muss, geht daraus hervor, dass, trotzdem kein irgendwie erheblicher Wind herrschte, das Dach der mehr als 40 m vom Brandherde entfernten St. Giles Kirche mehrmals Feuer fing, so dass es Mühe kostete, dieselbe zu retten. Auch waren zahlreiche Geldschränke, welche später aus dem Schutt ausgegraben wurden, total ausgebrannt und werthlos geworden.

Zurzeit des Brandes war in ganz London kein anderes Feuer, alle Feuerwachen lagen wachbereit, es herrschte weder Nebel noch Wind, die Strassen waren belebt, das Feuer musste sofort bemerkt werden. Angeblich wurde dasselbe bald nach Ausbruch durch einen Boten auf der nächsten Feuerwache (White Cross Station) gemeldet, von wo auch sofort die erste Dampfspritze ausrückte. Sodann kamen nach einander weitere Dampfspritzen zur Stelle, nach etwa ½ Stunde sollen es deren 19 gewesen sein, und zuletzt 44. Wenn das Feuer selbst dieser ungemein grossen Spritzenmacht so lange Trotz bot, so sieht Redner die Ursache hiervon im wesentlichen in einigen Mängeln der Organisation.

Erstens war die Zahl der Mannschaften, zu gering. Die Gesammtstärke der Londoner Feuerwehr beträgt 997 Mann bei 60 Dampfspritzen. Es steht hierzu ganz ausser Verhältniss, dass auf der Brandstelle für die in Thätigkeit befindlichen 44 Dampfspritzen nur 297 Mann anwesend waren; selbst wenn man den Abgang an dienstfreien und auf den Stationen sonst unabkömmlichen Leuten von der Gesammtzahl berücksichtigt. Dies ist ein Fehler des Systems; die übrigen Mannschaften lagen auf vielen kleinen Stationen zerstreut, und hatten weder Wagen noch Pferde zur Verfügung. Allerdings Blieben dieselben für etwaige andere in ihren Bezirken ausbrechende Feuer wachbereit; allein der Erfolg war doch der, dass der erste Angriff zur Bekämpfung des grossen Brandes nicht mit genügendem Macht-Aufgebot erfolgen konnte.

Zweitens fehlte es an einheitlichem Kommando.

Es sind viel zu wenig Offiziere vorhanden, wodurch es dem Kommandeur bei rasch wachsenden grossen Bränden erschwert wird, rasche und richtige Anordnungen zu treffen. Er hat nicht die absolut erforderliche Zahl von Offizieren zur Verfügung, die ihm über den Fortgang des Brandes Meldungen erstatten und von ihm zur Ausführung der Spezial-Anordnungen beauftragt werden können. Ein einheitlicher Angriff kann trotz aller Tüchtigkeit der einzelnen Leute nicht gelingen, wenn jede anrückende Dampfspritze für sich allein nach momentaner Eingabe des Unterführers da zum Angriff ansetzt, wo es diesem zufällig gerade am geeignetsten erscheint, und zudem relativ zu langsam in Thätigkeit tritt, weil sie nur eine Handvoll Leute zur Bedienung hat. Wenn auch nicht zu verkennen ist, dass dem Anrücken grösserer taktischer Einheiten die Verkehrsverhältnisse in den engen Strassen der City ungeheuere Schwierigkeiten bieten, so kann Redner der Stadt London im Interesse der Verbesserung ihres Feuerlöschwesens doch nur wünschen, dass zu den zahlreichen Dampfspritzen ganz erheblich mehr Leute anstellt und diese dann auch jederzeit zum ersten Angriffe mit abgeschickt werden,

Sodann wendete sich Redner zu einigen anderen interessanten Feuersbrünsten der Neuzeit. In Melbourne in Australien fand eine solche gleichzeitig und annähernd in demselben Umfange wie in London statt, wobei trotz des schweren Sturmes die Feuerwehr einzelne Häuser auf der Brandstätte zu erhalten wusste. Interessant ist, in welchem Umfange in den australischen Tageszeitungen Abbildungen der Feuersbrunst geboten wurden.

Ferner fand in Pittsburg, Pa., am 3. Mai 1897 ein grosser Brand statt, welcher vorzügliche Gelegenheit bot, den Werth der neuerdings in Nordamerika ausgeführten feuersicheren Konstruktionen zu beurtheilen. In einem grossen sechsstöckigen Geschäftshause brannte das Innere vollständig aus, während die aus einem wandlosen Gerippe von Stahlstützen, -Trägern und -Balken, welche durch Hohlziegel geschützt waren, gebildete Innenkonstruktion fast ganz stehen blieb.

Schliesslich wurde noch eines in Berlin am 10. Oktober 1897 in einer grossen Tischlerei, in welcher die Säulen mit Drahtnetz geschützt waren, stattgehabten Brandes gedacht.

Dieser Artikel erschien zuerst am 09.03.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Mo.“.