Die Delagoabai-Frage

Da die englischen Operationen auf dem Land sehr bald zum Stillstand gekommen sind und die britischen Truppen nach den blutigen Niederlagen wohl noch geraume Zeit gebrauchen werden, um sich zu neuem Vorgehen aufzuraffen, entfalten die Engländer eine um so emsigere Thätigkeit in ihrer uneingeschränkten Machtsphäre zur See.

Immer mehr kommen die praktischen Briten zu der Ansicht, daß man Transvaal, das im ehrlichen Krieg nicht besiegt werden kann, durch die Abschneidung jeglicher Zufuhr einfach aushungern müsse. Während in Süd und West die Territorien von Transvaal längst systematisch durch die Eroberungen von Cecil Rhodes umschnürt sind, bietet allein noch der portugiesische Hafen von Laurenzo Marques, die in letzter Zeit vielgenannte Delagoabai, Gelegenheit; mit der Außenwelt zu verkehren. Hier ist der Stapelplatz des gesamten Handels der beiden Burenrepubliken, hier wurden auch die neueste Mausergewehre, die in verschiedenen Schlachten eine so entscheidende Bedeutung gewannen, eingeführt.

Die Delagoabai

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Es war natürlich, daß sich die Aufmerksamkeit der Engländer sofort nach den ersten Niederlagen auf diese portugiesische Besitzung lenkte. Hier war Ja die Ursache aller Mißerfolge! So lange man die Ausfuhrquelle nicht verstopfte, solange war allerdings Transvaal unbesiegbar. Jetzt ist infolgedessen ein starkes Kreuzergeschwader in diesem neutralen Hafen stationiert, und es vergeht fast kein Tag, wo nicht Schiffe aller Nationen von den englischen Kriegsdampfern dort abgefangen werden. Es scheint aber, daß sich England nicht mehr lange mit der bloßen Blockade der Delagoabai begnügen werde; vielleicht wird der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo England definitiv von der Delagoabai Besitz ergreift. Dadurch erhält es die Möglichkeit, den Buren, die alle Frontalangriffe zurückgeschlagen, in die Flanke zu fallen.

Die Rhede von Laurenzo Marques. Im Hintergrund ein englischer Kreuzer

Laurenzo Marques, das sich vorzüglich als Flottenstation und sonst als sichere Operationsbasis eignet, ist durch eine Eisenbahn mit Pretoria verbunden, und die Entfernung ist bedeutend kleiner als die Linie Durban-Pretoria, die die britischen Truppen bisher zum Vormarsch benutzten. Allerdings befinden sich gerade auf der Linie von Laurenzo Marques bis Pretoria sehr schwierige Defilès und Flußübergänge. Die Gegend bei Komatipoort könnte leicht für die vormarschierenden Engländer zu einem zweiten Colenso werden. Auch scheinen die Buren gegen alle Eventualitäten gerüstet zu sein, und ohne allen Grund wird General Joubert seinen „Erholungsurlaub“ nicht gerade im äußersten Osten der Republik verbracht haben. Trotzdem würde eine Besetzung der Delagoabai durch England die Stellung Transvaals sehr verschlechtern, da es dadurch gezwungen würde, seine ohnedies schon schwachen Kräfte noch mehr zu zersplittern.

Zufluchtsstätte für arbeitslose Eingeborene in Laurenzo Marques

Außer Deutschland, das zur Wahrung seiner Handelsinteressen jetzt die beiden Kreuzer „Kondor“ von East-London und „Schwalbe“ von Dar-es Salaam nach Laurenzo Marques abgesandt hat, ist ganz besonders Frankreich durch seine Kolonie Madagaskar in dieser Frage interessiert. Ebenso Amerika, dessen Mehltransportschiffe – selbst Volksnahrungsmittel werden jetzt schon als Konterbande angesehen – aufgebracht worden sind. Und ob gerade England jetzt in dieser kritischen Lage eine Frage von so einschneidender Bedeutung aufrollen wird erscheint doch mehr als zweifelhaft. Aber kommen wird doch wohl einmal der Zeitpunkt, wo die englischen Truppen unter dem Schutze der Kriegsschiffe hier landen, und damit wäre wieder einmal die traurige Thatsache illustriert, daß nicht mehr Eisen, sondern das Gold die Kriege entscheidet.

Karl von Dahlen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.