Der Teichmann-Brunnen in Bremen

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Bildhauer: Prof. Rudolf Maison in München

Am 15. Nov. d. J. ist in Bremen der nach seinem Stifter benannte „Teichmann-Brunnen‘“ feierlich enthüllt worden. Gustav Teichmann hatte eine beträchtliche Summe ausgesetzt, durch sie den Domshof der hanseatischen Handelsstadt mit einem monumentalen Brunnen zu schmücken.

Aus einem zur Gewinnung eines geeigneten Entwurfes veranstalteten Wettbewerb ging der Bildhauer Professor Rudolf Maison in München mit einer eigenartigen und alle Fesseln herkömmlicher Ueberlieferung abstreifenden selbständigen Arbeit als Sieger hervor und hatte die in diesem Falle seltene Genugthuung, auch mit der Ausführung des Denkmales in Bronce betraut zu werden.

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Das Werk war eine der Hauptzierden der plastischen Abtheilung der verflossenen Dresdener Kunstausstellung und ist der vollen Oeffentlichkeit seit dem genannten Zeitpunkte übergeben.

Unter den Bildhauern unserer Tage nimmt Rudolf Maison eine gesonderte Stellung ein. Seine Werke zeichnen sich so sehr durch eine selbständige Haltung, durch eine freie Gedankengebung, durch eine von aller Ueberlieferung losgelöste naturalistische Sprache aus, dass die so betretenen eigenen Wege bisweilen bis hart an die Grenze führen, welche freie künstlerische Selbständigkeit von künstlerischer Seltsamkeit scheidet. Man erinnere sich in letzterer Beziehung an den Entwurf des Künstlers für das Bismarck-Denkmal in Berlin. Abgesehen von diesen Grenzüberschreitungen aber, in die jeder Künstler von starker Gestaltungskraft und jeder Denker von reicher Phantasie gelegentlich verfallen wird und die in den meisten Fällen eher ein Zeichen eines übersprudelnden Reichthums als eines Mangels der Erfindung und Empfindung ist, verdient Maison die nachdrücklichste Beachtung aller derer, welchen ein wirklicher Fortschritt der Kunst ernstlich am Herzen liegt. In den beiden Reitern auf dem Reichstagsgebäude in Berlin zeigte Maison, dass er, noch etwas unter dem Einfluss der französischen Bildhauer stehend, es sehr wohl verstand, eine freie künstlerische Schöpfung einer bestehenden architektonischen Umgebung anzupassen. Bei seinem Kaiser Wilhelm-Denkmal für Aachen konnte man die Wahrnehmung machen, dass er da, wo er glaubte auf solche Rücksichten nicht achten zu brauchen, in freier Weise seiner poetischenEmpfindung Lauf liess und ein Werk von so schöner Auffassung schuf, dass das infrage kommende Komité es, wenn wir recht unterrichtet sind, für – zu schön fand, um den Entwurf zur Ausführung zu bringen. In einem Hochrelief „der Krieg“ gab der Künstler Beweise einer so strotzenden wilden Kraft, eines so wuchtigen, stürmenden Gefühls, dass diesem seltenen Werke wenig ebenbürtige an die Seite zu setzen sind. Und in dem neuen Monumental-Brunnen auf dem Domshof in Bremen nun schuf Maison wieder ein Werk von so freier und neuer Form, dass es sich die gebührende Beachtung im Laufe der Zeit auch da erzwingen muss, wo dieselbe heute noch nicht bemerkt werden kann.

Das Motiv ist nicht neu, wohl aber die Art seiner Durchführung. Unsere Abbildung giebt ein annäherndes Bild des Brunnens. Ein symbolisches Meerwesen, ein Meerzentaur, trägt auf seinem mächtigen Rücken das die Meerschiffahrt andeutende Boot, welches ein kraftvoller Schiffer mit ruhigem Selbstvertrauen durch die Brandung der Wogen zu lenken sucht. Eine Meernixe reckt sich aus den Wellen zum Boote empor, sich an ihm festklammernd. Ueber dem Vordertheil des Schiffes schwebt Merkur, in der einen Hand das Reis des Erfolges hoch haltend, in der anderen den kaufmännischen Gewinn fest bewahrend. Das felsige Gestein, auf welchem die Gruppe steht, wird von naturalistischen Meereswesen belebt. Die ganze Gruppe ragt aus einem weiten Wasserbecken hervor, in dem an einzelnen Stellen Felsen den Spiegel durchbrechen. Alles ist in die unregelmässige, naturalistisch bewegte Linie aufgelöst; das einzige, was zusammenfassend wirkt, ist der Beckenrand.

Der Teichmann-Brunnen in Bremen
Der Teichmann-Brunnen in Bremen

Es entsteht nun die nicht uninteressante Frage, ob man in der Auflösung aller Linien bei einem Denkmal auf einem von Häusern umsäumten Platze so weit gehen darf, wie es hier geschehen ist. Der Domshof in Bremen ist keineswegs ein idealer Platz, dafür sorgen schon die ihn umsäumenden Häuser. Aber er ist neben seiner ausgesprochenen Eigenschaft als architektonischer Platz gleichwohl eine städtische Flächenbildung, die mit einer idealen Baugruppe, mit Rathhaus und Dom und mit der hinter ihnen liegenden Börse in einer engen Beziehung steht. Darf man nun auf einem solchen Platze dem künstlerischen Gegensatze ein Recht soweit einräumen, dass aus einem Gegensatze gewissermaassen eine Dissonanz entsteht? Gewiss ist auch eine Dissonanz ein künstlerisches Mittel in der Reihe wirkungsvoller Momente, aus denen sich ein Kunstwerk zusammensetzt, aber sie muss in einer Beziehung zu ihrer Umgebung stehen. Ist das bei unserem Brunnen der Fall?

Um diese ohne Zweifel schwer wiegende Frage beantworten zu können, ist es vielleicht nützlich, einmal einen Blick nach Rom zu werfen, wo Bernini auf der Piazza Navona den berühmten Mittelbrunnen mit dem Obelisk aus dem Zirkus des Maxentius vor Porta San Sebastiano auf Geheiss des Papstes Innocenz X. aus dem Hause Pamphili errichtete. Man erinnert sich, dass der Obelisk auf einem frei und durchaus naturalistisch behandelten Felsblock ruht, der aus dem Brunnenbecken emportaucht, und dass um ihn die Marmorstatuen der vier Hauptströme der damals bekannten Erdtheile, des Nil, des Ganges, der Donau und des la Plata-Stromes völlig malerisch lagern. Ergänzt wird die Gruppe durch ein Pferd, durch Schlangen, durch Meerthiere und -Pflanzen usw. Die Wirkung dieser naturalistischen Gruppe auf dem streng regelmässigen Platze ist eine vorzügliche, man hat keinen Augenblick das Gefühl, als ob zwischen ihr und dem ehemaligen Stadium des Domitian ein Gegensatz, der nicht zu überbrücken wäre, bestehe, wie es bei der Bremer Gruppe thatsächlich der Fall ist. Und wenn man sich über diese Wirkung Rechenschaft abzulegen versucht, so bleibt der einzige Ausweg in der Annahme, dass die strenge Gestalt des Obelisken die die Gegensätze verbindende Brücke bildet. Man ist versucht, hieraus die Lehre – wenn man von einer solchen sprechen darf, man könnte es auch Erfahrung nennen – abzuleiten, dass es nöthig ist, freie künstlerische Gestaltungen mit ihrer Umgebung in einen, wenn auch noch so bescheidenen Einklang zu setzen. Ohne weiteres darf wohl angenommen werden, dass die freie Ungebundenheit der schönen Bremer Gruppe Niemand auffallen würde, wenn diese in einer landschaftlichen Umgebung mit einer gleichfalls ungebundenen Linienführung stände. Schon bemerkbar aber wäre ein gewisser Gegensatz, wenn es sich um eine landschaftliche Anlage von regelmässigen Zügen handelte. Auffallen muss dieser Gegensatz aber auf dem Domshof in Bremen.

Und noch eins: so wie die Gruppe geschaffen ist, leidet sie in ihrer völligen Zerklüftung, ohne einen ragenden Mittelpunkt von einiger Masse, an einer gewissen Bescheidenheit des Maasstabes. Der Künstler der Fontana dell’ Elefante auf dem Domplatze in Catania wusste wohl, was er that, als er den ägyptischen Obelisken auf den Rücken eines Elephanten stellte. Eine entsprechende Massenwirkung und eine gewisse Strenge der Linienführung scheinen doch Forderungen zu sein, die man nicht ungestraft übersehen darf. Dafür ist der Bremer Brunnen bei allen Vorzügen seiner bildnerischen Erscheinung ein warnendes Beispiel.

Dieser Artikel von Albert Hofmann erschien zuerst am 30.12.1899 in der Deutsche Bauzeitung.