Die königliche Kunstschule in Stuttgart

Architekt: Oberbaurath v. Bok. Vor kurzem ist durch Einfügung des dafür bestimmten Skulpturenschmucks ein neuer Staatsbau der württembergischen Hauptstadt, die kgl. Kunstschule, zu gänzlicher Vollendung gelangt.

Wir benutzen diesen Anlass um unsern Lesern eine kurze, durch die beigefügten Abbildungen (Ansicht, Lageplan und Grundrisse) erläuterte Mittheilung über den Bau zu geben.

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Wie so viele öffentliche Gebäude in unsern modernen, schnell anwachsenden Grossstädten, hat auch das in Rede stehende eine lange, unerfreuliche Vorgeschichte – ausgefüllt durch die Noth, einen geeigneten Bauplatz dafür ausfindig zu machen. Schon vor einem Viertel-Jahrhundert trat immer dringender das Bedürfniss hervor, für die bis dahin in dem ältern Gebäude des Museums der bildenden Künste an der Neckarstrasse vereinigten Kunstanstalten des Staates – die plastische, Gemälde- und Kupferstich- Sammlung, sowie die Kunstschule ausgiebigeren Raum zu beschaffen. Man glaubte anfänglich, dass für diesen Zweck eine Erweiterung des Museums durch 2 nach hinten vorspringende Flügelbauten genügen würde und bewilligte hierfür i. J. 1873 eine aus der französischen Kriegsentschädigung übernommene Summe. Aber bevor der Bau begann, ward man sich klar darüber, dass der auf diese Weise zu gewinnende Raum ausschliesslich zur Erweiterung der Sammlungen benöthigt werde, und man entschloss sich demzufolge, für die Bedürfnisse der Kunstschule die Errichtung eines selbständigen Gebäudes ins Auge zu fassen. Hierfür war i. J.

1876 auch schon die Summe von 587 700 M. angewiesen worden, als die sehr gerechtfertigten Bedenken gegen den von der Direktion der Schule vorgeschlagenen Bauplatz (an der Urbanstrasse, hinter dem Museum) die Verwirklichung des Plans wiederum zu Fall brachten. Während nämlich das Schulgebäude bei jener Anordnung dem Museum zu gegenseitigem Schaden allzu nahe (bis zu 4,5m) gerückt wäre, hätte es auf der Ostseite mit seinen unteren 2 Geschossen fensterlos an die Bergwand der, rd. 12 m über der Neckarstrasse liegenden Urbanstrasse sich lehnen müssen (!) und nur eine verhältnissmässig schmale Nordfront erhalten. Leider konnte sich das Lehrer-Kollegium nicht dazu entschliessen, in die Wahl eines andern, in grösserer Entfernung von dem Museum gelegenen Platzes zu willigen und so trat denn, nachdem andere Versuche zur Ausnützung des oberhalb des Museums in der Urbanstrasse gelegenen Bauplatzes, einer Theilung der Schule in 2 Gebäude usw. kein befriedigendes Ergebniss geliefert hatten, ein vollständiger Stillstand in den bezgl. Bestrebungen ein. Jedoch wurde wenigstens durchgesetzt, dass man, um den dringendsten Nothständen des Unterrichts abhelfen zu können, auf dem zuletzt erwähnten Bauplatz ein provisorisches Atelier-Gebäude in Fachwerk-Konstruktion errichtete, für welches aus den bewilligten Mitteln die Summe von 25 500 M. zur Verwendung kam; dasselbe enthält 3 Ateliers für die Klasse des Zeichnens nach der Antike und 4 Bildhauer-Ateliers.

Lageplan

Die endgiltige Lösung der Frage erfolgte 4 Jahre später unter dem Zwange der Schwierigkeiten, welche die Festhaltung des für den Bau der Kunstschule angewiesenen Betrags verursachte. Da das Lehrer-Kollegium der letzteren sich noch immer nicht zu einer Verlegung der Anstalt in eine entferntere Stadtgegend entschliessen konnte, in der Nähe aber nun die von dem provisorischen Atelier-Gebände besetzte, lediglich durch einen schmalen Streifen des Nachbar-Grundstücks zu erweiternde Baustelle zur Verfügung stand, so entschied man sich dafür, auf einen Bau in der ursprünglich geplanten Ausdehnung zu verzichten und das Programm des Gebäudes, so weit einzuschränken, dass es im Anschluss an den zu erhaltenden provisorischen Atelierbau – auf der bezgl. Baustelle Platz finden konnte (!). Statt der zur Verfügung stehenden Bausumme von rd. 560 000 M. wurde demnach nur eine solche von 137 000 M. (einschl. Grunderwerb 154 000 M.) in Anspruch genommen. Dabei ergab sich schliesslich noch das Missgeschick, dass man das Programm doch stärker beschränkt hatte, als im Interesse der Anstalt zu verantworten war, so dass die sofortige Vergrösserung des Gebäudes um ein 4. Geschoss ins Auge gefasst werden musste. Da aber jede Aussicht abgeschnitten war, von der ursprünglich bewilligten, mittlerweile für andere Zwecke beanspruchten Summe nachträglich einen entsprechend höheren Betrag retten zu können, so erwuchs dem Architekten die wenig beneidenswerthe Aufgabe, mit den für ein dreigeschossiges Haus bewilligten Geldern thatsächlich einen viergeschossigen Bau herstellen zu müssen.

Wir haben bei dieser Vorgeschichte des Baues, welche die schwäbischen Verhältnisse leider in eigenthümlicher Beleuchtung zeigt, absichtlich etwas länger verweilt. Denn gewiss wird mancher Leser u. Bl., der schon in ähnlichen Nöthen sich befunden hat, an dem Bewusstsein sich trösten, dass es anderwärts auch nicht besser bestellt ist.

Die Anlage selbst ist so einfach, dass es zu den mitgetheilten Abbildungen einer weitläufigen Beschreibung wohl kaum bedarf.

An den mehrfach erwähnten, eingeschossigen Atelierbau in verputzter Fachwerk-Konstruktion schliesst der für die Kunstschule aufgeführte Neubau, als ein mit 2 schwach vorspringenden Kopfbauten ausgestattetes Rechteck von 13,5 m grösster Breite und 37,7 m (nach Norden gerichteter) Länge sich an. Der Eingang erfolgt, durch den in den Hof führenden Thorweg des Anbaues, in den an der Urbanstrasse liegenden Kopfbau, dessen Erdgeschoss durch eine Zwischendecke so getheilt ist, dass über den Räumen für den Verwaltungs-Beamten und dem Sitzungszimmer der Lehrerschaft, noch eine Dienstwohnung für den Hausdiener gewonnen werden konnte. Die Haustreppe liegt an der nach S. gerichteten Hinterseite, neben ihr die für eine solche Anstalt unentbehrlichen kleineren Nebenräume, die in jedem Geschoss gleichfalls durch die Zwischendecke getheilt sind. Die Anordnung der Atelier-Räume, die durch den mit geschickter Raumersparniss angelegten Korridor zugänglich gemacht sind, ist in der Weise erfolgt, dass in den Kopfbauten vorzugsweise die Ateliers der Lehrer (im Hauptgeschoss an der Urbanstrasse Atelier und Sprechzimmer des Direktors), sowie kleinere, nicht auf Nordlicht angewiesene Schüler-Ateliers, die Bibliothek usw. liegen, während im Zwischenbau jedes Geschosses 1 grosses, nach Bedarf in 3 Abtheilungen zu zerlegendes Schüler-Atelier sich befindet. Die Räume des obersten Geschosses sind mit Oberlicht versehen; auf dem Dach des Gebäudes, von welchem man eine prächtige Aussicht über das Stuttgarter Thal geniesst, ist zum Zweck von Wolkenstudien eine geräumige Plattform angebracht. – Die lichten Geschosshöhen betragen im Erdgeschoss 5,75, im I. und II. Obergeschoss 4,80 m, im III. Obergeschoss 4,20 m.

Die Fassaden des Gebäudes sind in Werkstein-Ausführung (unter Verwendung von Kunststein zu gewissen Gesims-Gliederungen) und – im Anschluss an die Architektur des benachbarten Museums – in den Formen strenger italienischer Hochrenaissance ausgestaltet worden. Bei aller Einfachheit entbehren sie nicht eines würdigen und vornehmen Eindrucks. Als bezeichnenden Schmuck haben sie die von Herrn Bildhauer Rheineck in französischem Kalkstein ausgeführten Skulpturen an der Urbanstrasse erhalten: in den Nischen des I. und II. Obergeschosses die Standbilder von Raphael und Michel Angelo, Apelles und Phidias, in den beiden Füllungen des III. Obergeschosses 2 Kinderfriese, welche gleichfalls der Darstellung von Malerei und Bildhauerkunst gewidmet sind. – An der entgegengesetzten Westseite und der langen Nordfront sind an den Hauptpfeilern Felder ausgespart worden, an denen Medaillon-Portraits von Künstlern und allegorische Darstellungen, in Malerei ausgeführt, angebracht worden sind.

Das Innere konnte bei einer Ausführungs- Summe, welche für 1 cbm des i. g. 10 500 cbm umbauten Raumes enthaltenden Gebäudes nur 13 M. zur Verfügung stellte, selbstverständlich nur sehr einfach gehalten werden. Die Treppen sind aus dem dem Marmor nahe kommenden Schnaitheimer Stein hergestellt, die Korridore durch eiserne Träger mit Beton-Ausfüllung überdeckt. Die Heizung erfolgt, da zur Anlage einer Zentralheizung die Mittel fehlten, durch Mantelöfen, die nach Angabe des Erbauers in Wasseralfıngen hergestellt wurden. Das Atelier des Direktors ist; mit 2 aus dem ehemaligen Kloster Zwiefalten stammenden Thür-Architekturen ausgestattet worden.

Grundriss

Architekt des Gebäudes ist Herr Oberbaurath v. Bok, welcher der Anlage von Anbeginn an seine Kraft gewidmet hat und dessen Einsicht sowie zäher Thatkraft man es wohl in erster Linie zu danken hat, dass diese so mannichfach verwickelte und verschleppte Baufrage trotz aller ihr entgegen gethürmten Schwierigkeiten schliesslich doch noch zu einem verhältnissmässig glücklichen Ende geführt werden konnte. An der Ausführung waren die Hrn. Reg.Bauführer Pantle und Bauführer Lutz betheiligt.

Ansicht in der Urbanstrasse

Mögen auch die Hoffnungen auf ein Aufblühen der Stuttgarter Kunstschule sich erfüllen, welche man an die Errichtung einer neuen, geräumigeren und würdigen Heimstätte für sie geknüpft hat.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.