Die Londoner Zentral-Untergrundbahn

Abbildg. 1 Lageplan, 2 Querschnitt des Stationstunnels und 4 Zugänge zu den Wartehallen der Bankstation

(Aus englischen Zeitschriften entnommen von B. Ohrt.) Im Anschluss an das von Ing. C. O. Gleim über die Londoner Zentral-Eisenbahn Gebrachte (vgl. S. 344, Jhrg. 1896) dürften nachstehende Einzelheiten, welche dem Engineering und anderen englischen Zeitschriften entnommen sind, für unsere Leser von Interesse sein.

Für diejenigen Leser jedoch, welchen der genannte Jahrgang nicht zur Verfügung steht, mag kurz wiederholt werden, dass die bezeichnete Bahn mit dem Herzen der Geschäftsstadt von der „Bank of England“ nach dem westlichen Vorortsgebiete bei Hammersmith in einer Länge von etwa 10,5 km hinausgeht, dass sie mit den beiden Endstationen 14 Haltestellen erhält, dass sie unter den verkehrsreichsten Strassen der Welt entlang geführt wird, und endlich, dass sie seit 1895 in der Ausführung begriffen ist (s. Lageplan). Die geologischen Verhältnisse in London sind für die Herstellung von Untergrundbahnen insofern ausserordentlich günstig, weil sich fast durchweg in einer Tiefe von 6-9 m (oft sogar noch weniger tief) eine feste Klaischicht von grosser Mächtigkeit vorfindet, die nur in äusserst seltenen Fallen Wasser führt. So ist es denn auch bei dem Bau dieser Bahn möglich gewesen, die Tunnelirung fast durchweg im Trockenen ausführen zu können, nur an drei Stellen, wo sich wasserdurchlässiger Boden vorfand, ist bei dem Bau die Zurhilfenahme von Pressluft zur Bewältigung des Wasserandranges nothwendig geworden.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Immerhin waren die zu überwindenden Schwierigkeiten nicht zu unterschätzen, wenn man bedenkt, dass die Bankstation z. B. 18,3 m, die Oxford-Circusstation 24,4 und die Notting-Hill-Gatestation sogar 28 m unter dem Strassenpflaster liegen.

Für jede Fahrrichtung wird ein Tunnel ausgebaut, die beide meist neben einander liegen, und nur an einigen Stellen, wo dieses lokale Verhältnisse verlangten, sind dieselben übereinander geführt. Die Tunnelröhren bestehen aus eisernen Ringen von je 0,5 m Länge, die mit ihren Flanschen aneinander gesetzt und verschraubt werden, während jeder dieser Tunnelringe selbst wiederum aus 6 Segmenten zusammengefügt ist. An den beiden Endpunkten der Bahn münden beide Fahrtunnel in einen gemeinschaftlichen Tunnel, dessen innerer Durchmesser 9,15 m ist, in welchen beide Gleise hineingeführt und durch Weichen mit einander verbunden werden, so dass hier die Züge von einem Gleise auf das andere und hierdurch von einem Tunnel in den anderen überführt werden können. An den Zwischenstationen mündet jeder Fahrtunnel in einen solchen von 6,4 m innerem Durchmesser, dessen einzelne Ringe auch 0,5 m lang und aus 12 Segmenten zusammengesetzt sind (Abbildg. 2). Die Fahrtunnel werden an der inneren Seite zwischen den Rippen und Flanschen mit Konkret ausgefüllt und abgeputzt, während die sichtbaren inneren Flächen der Stationstunnel mit weissen glasirten Ziegelsteinen verblendet werden. Die Stirnmauern zwischen Fahrtunnel und dem Stationstunnel werden aus einer etwa 1 m starken Klinkerschicht ausgemauert.

Bei der Herstellung dieser Bahn ist inbetreff der Gradientenführung ein neues Prinzip zur Ausführung gelangt. Hinter jeder Station fällt nämlich die Trace auf etwa 100 m mit einer Neigung von 1:30, während vor jeder Station auf einer Länge von etwa 200 m die Gleise 1:60 ansteigen, so dass die Stationen durchweg etwa 3 m höher liegen, als die eigentlichen Fahrstrecken. Mit dieser Höhenanordnung der Gleise bezweckt man eine Ersparniss der anzuwendenden Betriebskraft, indem die erforderliche Geschwindigkeit der abfahrenden Züge durch ihr eigenes Gewicht auf dem Gefälle ohne Zurhilfenahme der Betriebskraft erreicht wird, während vor der Station sich die Geschwindigkeit wiederum auf der Steigung selbstthätig verringert. Man schätzt die Ersparniss an Energie, die durch diese Anordnung gemacht werden soll, auf etwa 1/3 der Kraft, die zum Betriebe auf einer ebenen Bahn erforderlich sein würde.

Der schnelle Fortschritt der gesammten Tunnelarbeiten ist ausserordentlich befördert worden durch die mehrfache Anwendung des von dem Ingenieur Greatheat erfundenen Schildes und des von dem Ingen. Thompson konstruirten elektrisch betriebenen Excavators.

Die Greatheat’schen Schilder wurden in zwei verschiedenen Grössen angewendet, einer mit einem Durchmesser von 3,86 m für die Fahrtunnel und einer für die Stationstunnel mit einem Durchmesser von 6,96 m.

Dieser letztere ist zusammengesetzt aus zwei eisernen Ringen und aus Stahlplatten, die aus 22 einzelnen Segmenten an den Rippen und Flanschen mit einander verschraubt sind und die an der Vorderseite eine Schneide besitzen (s. Abbildg. 3).

Abbildg. 3 - Greatheat-Schild u. Thompson Excavator
Abbildg. 3 – Greatheat-Schild u. Thompson Excavator

An der inneren Seite dieser Ringe befinden sich 22 hydraulische Winden, die sich mittels eines Ansatzes an ihrem Kolben gegen den letzten Tunnelring anlegen, und die so konstruirt sind, dass vor und hinter dem Kolben Wasser eintreten kann.

Ist nun am Vorort durch den weiter unten beschriebenen Excavator genügend Boden fortgeschafft, so wird Wasser in die Winden gepresst und das Schild vorgedrückt, wodurch mittels der Schneide der Rest des Bodens am Rande des Tunnelprofiles gelöst wird. Dann wird Wasser hinter den Kolben eingelassen, wodurch diese nachgezogen werden und Platz schaffen, in welchen dann ein neuer Tunnelring von 0,5 m Länge wieder eingebaut werden kann. Da der Durchmesser der Schneide etwas grösser ist als der des Tunnelringes, so sind in jedem Segment der Tunnelringe Löcher vorhanden, durch welche Zementmörtel eingepresst wird, um den Raum auszufüllen, der zwischen dem äusseren Tunnelring und dem Gestein entstanden ist. Der Thompson’sche Excavator besteht aus einem Wagen, der so eingerichtet ist, dass Erdtransportwagen in ihn hineingeschoben werden können. An der Vorderseite des Wagen ist eine Baggerleiter von 5 m Länge aufgehängt, die mit 17 Zähnen versehen ist und die durch einen auf dem hinteren Ende des Wagens aufgestellten elektrisch betriebenen Motor senkrecht, wagrecht und vorwärts bewegt werden kann. Mit Hilfe der Zähne dieser Baggerleiter und vermöge ihrer Beweglichkeit wird der Klaiboden innerhalb des vorgenannten Schildes am Vorort gelöst, rückwärts geführt und in den Transportwagen geschüttet.

Ist die Baggerleiter mit dem Maschinenwagen eingestellt so arbeitet die Leiter in einem Zeitraum von 1-1½ Stunde soviel Boden im Profil des Tunnels heraus, als wie zum Einbringen eines neuen Tunnelringes erforderlich ist, und weil zum Einbringen eines Tunnelringes auch etwa dieselbe Zeit verwendet wird, so können mit den übrigen erforderlichen Arbeiten zusammen gewöhnlich in 10 Stunden 3 Ringe von je 0,5 m Länge eingebracht werden. Selbstverständlich wird schichtweise Tag und Nacht gearbeitet; die Zahl der zur Bedienung dieses Apparates erforderlichen Mannschaft betrug anfangs 8, konnte aber später auf 6 herabgemindert werden.

Abbildg. 1 Lageplan, 2 Querschnitt des Stationstunnels und 4 Zugänge zu den Wartehallen der Bankstation
Abbildg. 1 Lageplan, 2 Querschnitt des Stationstunnels und 4 Zugänge zu den Wartehallen der Bankstation

Ganz besondere Schwierigkeiten sind von den bauleitenden Ingenieuren bei dem Ausbau der Bankstation zu überwinden. Wie schon von Ingenieur C. O. Gleim s. Z. in seinem Bericht kurz behandelt wurde, wird unter dem Platz vor der „Bank of England“, auf dem 7 Strassen münden und welcher der belebteste Platz der Welt ist, eine grosse unterirdische Wartehalle geschaffen werden, von dem zu der darunter liegenden Bahnstation 5 Schächte mit Aufzügen und 1 Schacht mit einer Wendeltreppe hinabführen sollen (Abbildg. 4). Um diese Wartehalle herstellen zu können, mussten vorerst rund um diese Halle zwei unterirdische übereinander liegende Gänge hergestellt werden, von denen der untere dazu dient, alle Gas-, Wasser-, Siel- und andere Leitungen aufzunehmen, die von den einmündenden Strassen über dem Platz führten. Es mussten also alle diese einzelnen Leitungen stückweise abgefangen und in die in dem Gang geschaffene Sammelleitung zusammengefasst werden. Der darüber liegende 2. Gang ist von den Bürgersteigen der umliegenden 7 Strassen entweder unmittelbar durch Treppen oder durch Treppen und Gänge zugänglich und dient einmal zu einem unterirdischen öffentlichen Durchgang unter dem belebten Platz und zugleich als Zugang zu der Wartehalle der Bankstation.

Da unmittelbar über der Decke dieses oberen Ganges und der Wartehalle das Strassenpflaster des Platzes liegt, so ist die Einbringung dieser Decke und die Wiederherstellung des Plasters dadurch umsomehr erschwert, als eine Parlamentsakte vorschreibt, dass hier nur Nachts gearbeitet werden darf, während Tags über die Arbeitsstelle abgedeckt werden muss. Da nun aber das Hinlegen und das Wegräumen der provisorischen Abdeckung jedesmal eine beträchtliche Zeit der zur Verfügung stehenden Nacht raubt, so liegt ein Gesuch vor, die Arbeiten auch des Tags beschaffen und den Verkehr absperren zu dürfen. Inbetreff der Betriebsanlagen mag noch erwähnt werden, dass die Zuleitung des Stromes mittels einer 3. Schiene geschieht, die auf, mit Kreosot getränkten, hölzernen Isolatoren ruht. Die Stromzuführung geschieht nach dem 3-Leitersystem und es wird der Strom selbst durch 6 mächtige Dynamos, von denen jeder 850 Kilowatt liefert, erzeugt. Da voraussichtlich 4 derselben ausreichen werden, so wird eine Reserve von 50 % vorhanden sein.

Die Lokomotiven bestehen aus 2 vierrädrigen Drehgestellen mit Zentralachsen-Lagerung, von denen jedes 2 Motoren besitzt. Das Gesammtgewicht der Lokomotiven beträgt 45 t, die Länge derselben ist 8,8 m, die Höhe 2,9 m. Gebaut und geliefert sind die Lokomotiven von der General Electric Co. in Amerika. Jeder Zug soll aus 7 Wagen bestehen, welche zusammen 336 Personen a aufnehmen können, und mit etwa 24 km Geschwindigkeit in der Stunde fahren, einschl. Aufenthalt von 20 Sekunden auf jeder Station. Trotzdem genügend elektrische Energie vorhanden ist, kommen doch die Westinghouse-Bremsen zur Anwendung.

Zu den verschiedenen Stationen führen, je nach ihrer Bedeutung, Schächte von 9,15 m Durchmesser mit je 3 Aufzügen, oder solche von 7 m Durchm. mit je 2 Aufzügen, oder solche von 6,1 m bezw. 5,4 m Durchm. mit je 1 Aufzug. Die Aufzüge sind von der Firma Sprague Co. in New-York geliefert und werden von Elektromotoren mittels Schneckengetriebe in Bewegung gesetzt.

Das Kapital, welches für diese Bahn vorgesehen, beträgt einschl. Beschaffung der Betriebsmittel 65 Mill. M.

Die Arbeiten werden mit äusserster Anstrengung betrieben und man hofft die Bahn im Juli oder spätestens im August d. J. dem öffentlichen Verkehr übergeben zu können.

Von den 3 leitenden Ingenieuren ist Hr. John Fowler diesen Herbst gestorben, die beiden anderen sind Benjamin Backer und Basil Mott. Von diesen dreien dürften die beiden ersten, als Erbauer der Forthbrücke in der technischen Welt wohl noch in ruhmvoller Erinnerung sein.

Dieser Artikel erschien in seiner deutschen Übersetzung zuerst am 11.03.1899 in der Deutsche Bauzeitung.