Ein neuer Seehafen an der Unter-Elbe

Die schnelle Entwickelung des Seehandels und der Schiffahrt seit dem Abschluss der grossen Kriege im Anfange des Jahrhunderts hat die Anforderungen an die Seehäfen mehr und mehr gesteigert, nicht allein inbetreff der räumlichen Ausdehnung, sondern – mit dem stetigen Grösserwerden der Schiffe – auch hinsichtlich der Tiefe der Hafenbecken, der Einfahrten und der Zugänge, also der Fahrwasser von der See her.

Unsere wichtigsten Seehandelsplätze liegen meist weit landeinwärts am oberen Ende von Flussstrecken, welche in der früheren Zeit hinreichend schiffbar waren, die Plätze an der Nordsee etwa da, bis wohin die Wirksamkeit der Fluthwelle reicht. Mit dem zunehmenden Tiefgange der Schiffe genügten die Fahrwasser den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr, zumal ihre Wassertiefe sich stellenweise auch absolut verminderte, weil die natürliche Versandung oder Verschlammung, oder sonstige nachtheiligen Veränderungen nicht überall beseitigt wurden oder beseitigt werden konnten.

Seit geraumer Zeit haben Neufahrwasser für Danzig, Swinemünde für Stettin, Travemünde für Lübeck u. a. m. steigende Bedeutung gewonnen; andrerseits ist beispielsweise das früher als Seehafen blühende Emden beim Mangel eines weiter seewärts gelegenen, grösseren Seeschiffen zugänglichen Hafens ganz zurück gegangen. Allerdings kam dort hinzu, dass ungünstige staatliche Verhältnisse durchgreifenden Verbesserungen des Fahrwassers usw. im Wege standen. Dasselbe galt für die Weser und ohne Zweifel war dies einer der wesentlichsten Gründe, welche schon vor mehr als 6 Jahrzehnten den umsichtigen und weit blickenden Bremischen Staatsmann, Bürgermeister Smidt, veranlassten, an der Unter-Weser, unter Benutzung der Mündung des kleinen Nebenflusses Geeste, einen neuen Seehafen, Bremerhaven, zu gründen, welcher es der alten Hansastadt ermöglicht hat, ihre Stellung als zweiter Seehandelsplatz Deutschlands zu behaupten.

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Zu dem damals dort hergestellten und später bedeutend erweiterten ersten Schleusen-Hafen sind seitdem zwei andere, grössere hinzu gekommen; daneben ist am südlichen Ufer der Geeste seiner Zeit von der Kgl. Hannoverschen Regierung zum Wettbewerb der vortreffliche und geräumige Geestemünder Hafen erbaut worden; ausserdem sind in Vegesack und den oldenburgischen Orten Nordenhamm, Brake und Elsfleeth die Hafenanlagen erweitert; endlich wird das während des Elends der Kleinstaaterei für den Seeverkehr fast unbrauchbar gewordenen Fahrwasser der Weser neuerdings gerade gelegt und vertieft, so dass schon jetzt Schiffe von 4 m Tiefgang bis zur Stadt Bremen herauskommen können, wo die vorhandenen Hafen-Anlagen vor 2 Jahren um ein fast 2 km langes Freihafen-Becken vermehrt worden sind. Aber das Alles genügt für den reissend zunehmenden Verkehr auf der Weser noch nicht, sondern in Bremerhaven wird schon der Bau eines vierten Hafenbeckens geplant, das durch eine vierte Schleuse mit hinreichend grosser Schleusenkammer für die grossen Schnelldampfer mit dem Fahrwasser des Stromes verbunden werden soll.

Hamburg ist bezüglich seiner Verbindung mit der See viel günstiger als Bremen daran, weil das Fahrwasser der Unter-Elbe gerader und breiter ist als das der Weser, und bei seiner, im ganzen westnordwestlichen Richtung, der Fluthwelle freieren Eintritt gestattet; auch weil die aus der Flussmündung ausströmende grosse Wassermenge dem Ebbestrom eine grössere Geschwindigkeit verleiht, als irgend anderswo an der deutschen Küste und dadurch eine starke Einwirkung auf die Erhaltung der Wassertiefe ausübt. Obgleich das Fahrwasser trotzdem in seinem obersten Theile schmal und schwierig wird, hat dies doch den lebhaften Seeschiffs-Verkehr nicht gehindert, derselbe hat vielmehr derart in Hamburg-Altona seinen Mittelpunkt gewonnen, dass die sonstigen Hafenplätze an der Unter-Elbe, wie Harburg, Glückstadt, Cuxhaven usw., für den Handel keine nennenswerthe Bedeutung haben erlangen können.

Hierzu haben wesentlich die seit 1872 eifrig und mit grossem Kostenaufwande betriebenen Bemühungen zur Verbesserung des Fahrwassers beigetragen, welche sich auf die etwa 52 km lange Strecke von Hamburg bis Glückstadt ausdehnen. Vor 20 Jahren etwa hatte die gebaggerte Rinne bei mittlerem Niedrigwasser stellenweise nur die Breite von 57 m, bei 3,4 m Tiefe; jetzt ist die Rinne überall mindestens 143 m breit und fast 5 m tief. Da der mittlere Fluthwechsel bei Hamburg noch über 2 m beträgt, so können unter gewöhnlichen Verhältnissen bei Hochwasser noch Schiffe von 7 m Tiefgang bis Hamburg herauf kommen. Erst in neuester Zeit, seit die transatlantischen Dampfer immer grössere Abmessungen annehmen, und namentlich seit dem Aufkommen der grossen Schnelldampfer reicht diese Wassertiefe nicht mehr aus und es macht sich der Mangel eines Hafens an dem breiten und tiefen, für Schiffe aller Grössen und jeden Tiefgangs geeigneten Theile der Unter-Elbe fühlbar.

Neue Hafen-Anlage bei Cuxhafen

Die gegenwärtigen Hafen-Anlagen in Cuxhaven, die einzigen, welche für den Seeverkehr unterhalb Hamburgs inbetracht kommen, entsprechen den dafür zu stellenden Anforderungen in keiner Weise. Das Hafenbecken für Schiffe ist zwar, von der Einfahrt ab gemessen, etwa 500 m lang und 85 m breit, hat aber bei mittlerem N.-W. an der Einfahrt nur 4,1 m, weiterhin 3,5 m und oben blos 2,6 m Tiefe. Da es nun nicht durch Schleusen geschützt, sondern als Tidehafen dem Steigen und Fallen des Wasserspiegel ausgesetzt ist, und da das wirkliche N.-W. sehr oft unter den mittleren Stand fällt, so kommen schon mittelgrosse Schiffe unter gewöhnlichen Verhältnissen dort auf den Grund. Der Hafen ist mithin für die sogen. grosse Schiffahrt ungeeignet, zumal auch Vorrichtungen zur Ausbesserung beschädigter Schiffe nur in geringem Umfange vorhanden sind; ein Trockendock fehlt.

Bei der Bedeutung, welche Cuxhaven nach seiner Lage – an der Ausmündung des verkehrsreichsten, bis dahin für Schiffe jeder Grösse fahrbaren deutschen Stromes und von dem nächsten grösseren Hafen, Hamburg, noch etwa 100 km entfernt – wenn nicht für den Seehandel, so doch als Zufluchts- und Nothhafen für die Schiffahrt im allgemeinen zukommt, ist der Gedanke, dort einen wirklichen Seehafen zu schaffen, ein nahe liegender.

Vor 18 Jahren bildete sich auch eine Gesellschaft zu dem Zweck und gleichzeitig zum Bau der schon lange schmerzlich entbehrten Eisenbahn von Harburg nach Cuxhaven. In Bezug auf den Bau des Hafens aber blieb es bei einem schwachen Versuch und die ertheilte Konzesssion wurde schliesslich im Jahre 1883 wieder zurück gezogen.

Jetzt, da die Schiffahrts-Verhältnisse es immer dringender fordern und da in einigen Jahren nach Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals eine weitere bedeutende Zunahme des Verkehrs in der Elbe-Mündung mit Sicherheit zu erwarten steht, hat die Hamburgische Regierung sich entschlossen, unter Ablehnung eines privaten Anerbietens den Bau eines Seehafens bei Cuxhaven selbst in die Hand zu nehmen. Unter dem 6. Juni d. J. hat der Hamburger Senat einen bezüglichen Antrag an die Bürgerschaft gerichtet, der inzwischen von dieser gutgeheissen worden ist.

Diesen Vorgängen sind sowohl die hier gemachten Angaben als auch der beigefügte Lageplan entnommen.

Der neue Seehafen soll kein Schleusenhafen, sondern ein Tidehafen werden mit der Bestimmung:

1. den grossen Schnelldampfern jederzeit das Ein- und Auslaufen zu gestatten behufs schleuniger Abgabe oder Aufnahme ihrer Fahrgäste;

2. als Nothhafen für beschädigte Schiffe und als Zufluchtshafen zu dienen, namentlich wenn die Schiffahrt durch Eis gehindert ist.

Das tiefe Fahrwasser der Elbe zieht sich bei Cuxhaven dicht am Ufer entlang. Die Tideströmung ist dort sehr stark, die stärkste an der deutschen Küste; der Ebbestrom hat unter gewöhnlichen Verhältnissen die Geschwindigkeit bis zu 1,86 m in der Sek. oder 3,6 Knoten, in aussergewöhnlichen Fällen noch bedeutend mehr. Die Richtung des Stromes geht parallel dem Ufer.

Wie aus dem Lageplan ersichtlich, wird die Erbauung von 2 Hafenköpfen etwa 30 m weit ausserhalb des „Schutzhöfts“ bezw. der Linie „Schutzhöft-Paralleldamm“ beabsichtigt, und zwar aus Mauerwerk in 8 m Wassertiefe; die je 120 m langen Aussenseiten derselben liegen in einer geraden Linie und parallel mit der Stromrichtung, wie mit dem Ufer. Dazwischen ist eine 100 m breite Einfahrt gelassen, deren Axe demnach senkrecht zur Stromrichtung steht.

Die Hafenköpfe sind an beiden Seiten der Einfahrt nicht wie sonst üblich (z. B. in Bremerhaven, Wilhelmshaven), voll und abgerundet, sondern als nur etwa 7 m breite, scharfkantige Mauern gehalten, innerhalb deren das Hafenbecken sich sogleich bis auf 170 m, dann bis auf 250 m Breite erweitert. Die Länge desselben ist auf etwa 300 m bemessen; weiterhin soll an deren nordwestlicher Kaje ein 300 m langer und 80 m breiter Hafenarm sich anschliessen. Die Ausführung eines zweiten solchen Armes an der in diesem Fall zu verlängernden südöstlichen Kaje ist der Zukunft überlassen.

Die Wassertiefe soll in der Einfahrt und in dem ganzen Hafen auf 8 m – immer auf den mittleren N.-W.-Stand bezogen – gehalten werden. Demzufolge, und der Sicherheit gegen Unterspülung halber, ist beabsichtigt, die Mauern der Hafenköpfe und Kajen unter Wasser bis auf 10 m Tiefe zu führen; über Wasser wird die Höhe von 5 m als genügend angesehen.

Schienen-Gleise von dem nahen Bahnhofe aus sind nur im Interesse des Passagier-Verkehrs der Dampfer – nicht aber für Handelszwecke in Aussicht genommen; sie reichen daher nur bis an das innere Ende des Hafenarmes. Auf Krähne und andere Lade-Vorrichtungen ist nicht gerücksichtigt; Reparatur-Werkstätten sind nicht vorgesehen, auch kein Trockendock, für dessen etwaige künftige Herstellung nur ein Platz bezeichnet ist; die Ausführung des Docks unterbleibt der auf etwa 3 ½ Millionen M. geschätzten Kosten halber, da dieselben voraussichtlich nicht rentiren würden.

Als Bauzeit für den Seehafen sind 3 Jahre angenommen, die Kosten bei den vorstehend angedeuteten Beschränkungen ohne den Grunderwerb zu 7 Millionen M. veranschlagt, die jährlichen Unterhaltungs-Kosten einschliesslich Baggerung zu höchstens 80 000 M. Zur Deckung der Ausgaben wird beabsichtigt‚ in Cuxhayen demnächst, ebenso Hafen- und Tonnengelder zu erheben. Die Hamburger Packetfahrt-Aktien-Gellschaft hat sich verpflichtet, nach Eröffnung des Hafens 15 Jahre lang an Miethe für 200 m Kaje und einen daran stossenden Streifen Land von 30 m Breite zum Bau eines Schuppens, sowie als Pausch-Quantum für Hafen- und Tonnen-Gelder den Betrag yon 90 500 M. jährlich zu zahlen.

Ausser der Erbauung des Seehafens ist noch der Ausbau des vorhandenen, bisher nur vom Quarantaine-Hafen aus zugänglichen Fischer-Hafens beabsichtigt, der bis auf etwa 218 m Länge und 137 m mittlerer Breite vergrössert, bis auf 2,4 m unter mittlerem N.-W. vertieft, mit einem Vorhafen (zugleich Liegehafen für Zoll-Fahrzeuge), versehen und durch eine besondere, 50 m breite Einfahrt mit der Elbe in unmittelbare Verbindung gesetzt werden soll.

Diese Arbeiten sollen innerhalb eines Jahres mit einem Aufwande von 600 000 M. ausgeführt werden; zur Deckung der Unterhaltungs-Kosten ist die Erhebung geringer Hafen-Abgaben beabsichtigt. Die neue Hafen-Anlage würde demnach im Vergleich zu der jetzigen, ganz unzureichenden, als eine grosse Verbesserung anzusehen sein; jedoch erscheint sie im wesentlichen nur dazu bestimmt, den Stadt-Hamburgischen Interessen Rechnung zu tragen. Diesen genügt ein Fluthhafen, denn die Schnelldampfer erhalten die für ihren Betrieb nothwendige geschützte, Anlegestelle, und für Schiffe in Noth oder bei Eisgang werden Liegehäfen geschaffen. Aber aller Handels-Verkehr und die Möglichkeit, Schiffe zu docken oder auszubessern, sollen ausgeschlossen bleiben.

Entspricht nun die Anlage in der geplanten Gestalt und mit diesen Beschränkungen den Anforderungen, welche vom seemännischen Standpunkte und im Interesse der Schiffahrt im Allgemeinen und des Reiches an dieselbe gestellt werden müssen? Dies zu beurtheilen soll im Folgenden versucht werden.

Was zunächst die 100 m breite Einfahrt in den Seehafen anlangt, so liegt deren Axe, wie oben erwähnt, senkrecht zur Richtung des Fahrwassers und der beständig wechselnden, oft starken, mitunter reissenden Tide-Strömung, welche an den in das Fahrwasser hinaus gebauten Hafenköpfen mit voller Gewalt entlang fliesst. Das einlaufende Schiff müsste demnach seinen Kurs um 8 Strich oder einen rechten Winkel ändern und nach beschriebenem Bogen mit dem Bug die Einfahrt richtig treffen. Die Breite des Fahrwassers, welche zwischen den 10 m Tiefen-Linien etwa 750 m beträgt, genügt wohl auch dem längsten Schiffe zur Drehung, zumal den Hamburger Schnelldampfern, welche Doppelschrauben besitzen; das Manöver muss aber sehr genau und mit verhältnissmässig grosser Fahr-Geschwindigkeit ausgeführt werden, und es darf keinerlei Störung eintreten, was – wenn auch an Bord alles vorzüglich funktionirt – bei dem in dieser Gegend sehr lebhaften und durch die Zoll-Abfertigung vielfach verzögerten Verkehr auf dem Wasser sich oft erst im letzten Augenblick übersehen lassen wird, zumal bei unsichtigem Wetter. Es kommt ferner inbetracht, dass die, namentlich bei starken oder stürmischen Winden vorherrschende Windrichtung WNW. bis NW. Ebenfalls mehr oder weniger senkrecht zur Einfahrts-Axe steht und in Verbindung mit dem dadurch verursachten Seegange etwa quer auf das einlaufende Schiff wirkt und dessen Manöver unter Umständen sehr erschwert.

Läuft das Schiff dann in die Einfahrt ein, so kommt das Vorder-Ende in stilles (stromfreies) Wasser, während der Strom noch mit voller Kraft auf das Hinter-Ende wirkt, wodurch er das Schiff aus dem Kurse bringt und es auf einen der beiden Hafenköpfe zu versetzt. Dies macht schon Schiffen der üblichen Grösse das Einlaufen schwierig, wie viel mehr noch den Schnelldampfern, welche auf der Elbe jetzt mehr als 140 m und in England bereits über 170 m Länge haben, und die vielleicht schon in wenigen Jahren des Wettbewerbes halber noch länger werden gebaut werden müssen!

Gelingt es dem Schiffe nicht, glatt durch die Einfahrt zu kommen, so erleidet es an den schmalen und scharfkantigen Mauern der Hafenköpfe unfehlbar Havarie; kommt es durch, so bedarf es bei seiner durch die Strömung behinderten Steuerfähigkeit und der, nothwendiger Weise, grossen Fahrt eines breiten und langen freien Raumes im Hafen, ehe es zum Stehen gebracht werden kann.

Ist aber der Hafen so mit Schiffen besetzt, wie dem Plane nach beabsichtigt ist, so können Zusammenstösse nicht ausbleiben. Bei Eisgang würden sich diese Schwierigkeiten noch um Vieles erhöhen.

Die geplante Einfahrt erscheint daher nicht zweckentsprechend. Die Weite von 100 m würde zwar bei anderweitiger Anordnung der Hafen-Mauern zur Noth genügen; dass aber in einem Fahrwasser mit starker Tideströmung die Axe der Einfahrt bei den heutigen Schifffahrts-Verhältnissen nicht senkrecht zur Stromrichtung liegen darf, sondern dass sie mit derselben einen möglichst spitzen Winkel bilden muss, ist eine durch die Erfahrungen von Jahrzehnten theuer erkaufte Lehre. Und dies allein genügt noch nicht; es muss auch durch die Anordnung der Hafenköpfe und Mauern dafür gesorgt werden, dass der Strom das einlaufende Schiff nicht von der Seite trifft, sondern dass es sich in möglichst flachem Bogen, also mit möglichst geringer Kurs-Aenderung in diese Richtung legen kann und dass es thunlichst vor dem Erreichen der Enge der Einfahrt schon in stromfreies Wasser kommt.

Bei der alten Hafen-Einfahrt in Wilhelmshaven, deren Axe senkrecht zur Stromrichtung steht, ist das Einlaufen schon bei Stillwasser und für Schiffe von nur 80-110 m Länge mit einem gewissen Risiko verbunden; bei der neuen, günstiger gelegenen Einfahrt hat die Hafenmauer eine so starke Krümmung – von nur etwa 250 m Halbmesser dass blos gut steuernde Schiffe ihr zu folgen vermögen.

In Bremerhaven hat man das Einlaufen in die zu dem Neuen und Kaiser-Hafen führenden, senkrecht zum Weser liegenden Einfahrten durch gekrümmte, etwa 80 m weit vorstehende Flügel-Deiche zu erleichtern gesucht; aber je länger die Schiffe werden um so mehr erweist sich dies als unzureichend. Bei dem dort zu erbauenden vierten Hafenbecken will man sich diese Erfahrungen zunutze machen; daher ist die Lage der Einfahrt so geplant, dass ihre Axe mit der Stromrichtung und dem Fahrwasser einen Winkel von nur etwa 45 Grad bildet, dass die für die einlaufenden Schiffe kursgebende Hafenmauer einen flachen Bogen von etwa 600 m Halbmesser macht, und dass gegenüber ein etwa 100 m weit gleichlaufend mit der Einfahrts-Axe vorgeschobener Flügeldeich den Strom abhält. Ganz ähnlich – doch nur mit etwa halb so langer Ost-Mole (statt Flügeldeich) und wegen der Doppelschleusen doppelt so breitem Vorhafen – ist die Einfahrt in die elbseitige Mündung des Nord-Ostsee-Kanals entworfen. Hier wird selbst das längste Schiff, ohne einen grossen Theil des Fahrwassers zu beanspruchen, mit ganz allmählicher Kurs-Aenderung und kleiner Fahrt unweit der Hafenmauer entlang, im Bedarfs-Falle auch unter Benutzung von Trossen, in den Vorhafen und demnächst in den Hafen einlaufen können.

Alle diese Einfahrten als zu Schleusen-Häfen führend, sind nur zur Benutzung bei Stillwasser bestimmt; um so dringender geboten ist die Anwendung der hier für ein leichtes und sicheres Einlaufen getroffenen Einrichtungen bei dem Cuxhavener Seehafen, in welchen die grossen Schnelldampfer jederzeit, also auch bei starkem Strome und stürmischem Winde einlaufen sollen.

Die Fläche des Hafenbeckens ist zu etwa 60 000 qm bemessen, die Zahl der ihn gleichzeitig benutzenden Schiffe auf 50 grosse Handel-Schiffe geschätzt, welche 40 000 qm Raum beanspruchen würden; es blieben dann nur 20 000 qm oder der dritte Theil der ganzen Wasserfläche für das Einlaufen und Verholen frei. Wie es scheint, sind dieser allerdings nur ganz allgemeinen Schätzung die gegenwärtigen Schiffahrts-Verhältnisse zugrunde gelegt; die Zahl der auf der Unter-Elbe verkehrenden Schiffe ist aber in dem Jahrzehnt 1879-88 von rund 15 000 auf 19 000 gestiegen, von dem etwa 1800 Fahrzeuge zählenden Binnenschiffahrts-Verkehr in Cuxhaven und den den Ortsverkehr vermittelnden Passagier-Dampfern, den Schlepp-Dampfern usw. abgesehen, und sie wird voraussichtlich weiter zunehmen. Ferner kommt demnächst noch der Verkehr nach der Ostsee, welcher jetzt durch den Eider-Kanal geht – 2258 Schiffe, jährlich im Durchschnitt von 1871 bis 1880 – und ohne Zweifel schnell wachsen wird, hinzu. Indessen, wenn es auch, bei den angenommenen 50 Schiffen bliebe, so müssten dieselben bei der Kajelänge von etwa 740 m, wovon ein Theil zunächst der Einfahrt nur beschränkt ausgenutzt werden kann, schon in 5-6 Reihen neben einander liegen; und da die ganze Hafenlänge nur knapp 300 m beträgt, so würden beim Einlaufen eines langen Dampfers Zusammenstösse kaum zu vermeiden sein.

Der eine Hafenarm von 24 000 qm Fläche kommt hierbei nicht inbetracht, da er für die Schnelldanpfer zur Verfügung bleiben soll; der vorbehaltene 2. Hafenarm reicht zur Abhilfe nicht aus. Eine fernere erhebliche Erweiterung des Hafens würde die Verlegung des Seedeich bedingen.

Die Wassertiefe soll in der Einfahrt, wie im ganzen Hafen auf 8 m unter dem mittleren N.-W.-Stande gehalten werden. Für die jetzigen Schnelldampfer würde dies bei normalen Tiden gerade ausreichen, schwere Panzerschiffe aber würden schon auf Grund kommen. Das N.-W. fällt jedoch bei östlichen Winden, die in den ersten Monaten des Jahres, also wenn der Hafen voraussichtlich am stärksten gefüllt ist, oft wochenlang anhalten, fast immer unter den mittleren Stand, i. J. 1888 z. B. nicht weniger als 440 mal, also bei 62%/, sämmtlicher N.-W. im Jahre. Und in 64 von diesen Fällen, von denen 56 auf die Winter-Monate kommen, sank das Wasser, wenn man den mittleren Stand mit +/- 0,0 m bezeichnet, auf -0,6 bis -1,5 m, in Februar 1870 sogar bei 4 auf einander folgenden Gezeiten auf -1,83 bis -1,90 m. Selbst ein Stand von -2,37 m ist ein mal, am 4. Februar 1825, beobachtet worden. Abgesehen von einzelnen Fällen aber ergiebt das Mittel aus fast 50jährigen Messungen, dass das N.-W durchschnittlich 22 mal im Jahre auf -0,68 m und etwa 2 mal im Jahre auf -1,2 m und darunter sinkt; etwa 2/3 aller Fälle kommen auf die Monate Januar bis März.

Schiffe von 7,6 m Tiefgang, wie im Plane angenommen, würden demnach häufig den Grund berühren und in den ersten Monaten des Jahres, wenn sie Eises wegen im Hafen liegen, durchschnittlich 13 mal um 0,28 m, 1 bis 2mal um 0,8 bis 1,1 m, in Ausnahmefällen sogar bis beinahe 2 m trocken fallen, immer die Einhaltung der vollen Soll-Tiefe von 8 m voraus gesetzt. Schon das blosse Berühren des Grundes ist aber bei Dampfern der Boden-Ventile wegen unerwünscht, das Trockenfallen langer hinterlastiger, emfindlicher Schiffe bis zu 1 m oder mehr könnte selbst auf ganz ebenem Grunde Schäden ernster Art verursachen.

Die Höhe der Hafenköpfe und Kajemauern über dem mittleren N.-W. ist zu 5 m angenommen; da der Hub der Fluth im Durchschnitt 2,8 m beträgt, so bleiben nur 2,2 m Ueberschuss.. Nun sind die Fälle, wo das Hochwasser mehr als 5 m Höhe erreicht, zwar selten, indessen kommen sie bei nordwestlichem Sturm doch dann und wann vor und zwar stets im Winter; z. B. im Januar 1885 mit +5,8 und +5,2 m, im Dezember 1863 mit +5,4 m; der höchste Stand war der im Februar 1825 mit +6,3 m. Alsdann würde bei schwerem nordwestlichem Sturm die ganze Umgebung des Hafens einschliesslich der Festmache-Pfähle bis an die Deiche unter Wasser stehen und aller Verkehr unterbrochen sein. Was für Schaden unter solchen Umständen die um diese Zeit. wahrscheinlich gedrängt im Hafen liegenden, dem Sturm ausgesetzten Schiffe leiden würden, wäre nicht abzusehen.

Dass von dem Bau eines Trockendocks der zweifelhaften Rentabilität wegen zur Zeit Abstand genommen werden soll, erscheint gleichfalls als ein wesentlicher Mangel der Anlage, zumal es in Cuxhaven nur Aufschleppen für Fahrzeuge giebt und die nächsten Docks erst in dem etwa 100 km aufwärts liegenden Hamburg-Altona zu finden sind. Diese Unterlassung ist um so auffälliger, als es ein zur Aufnahme der grossen Hamburger Schnelldampfer geeignetes Trockendock weder in Hamburg oder sonst auf der Elbe, noch überhaupt in Deutschland giebt; die Schiffe müssen zum Docken ins Ausland, nach England, geschickt werden.

Endlich ist die Herstellung von Reparatur-Werkstätten ausser Betracht gelassen, auch kein geeigneter Platz dafür vorbehalten; dies würde gleichfalls zur Folge haben, dass alle einer erheblichen Ausbesserung bedürftigen Schiffe nach wie vor nach Hamburg hinauf gehen müssten, sofern ihr Tiefgang es gestattet. Wenn hiernach das Stadt-Hamburgische Interesse bei der neuen Hafen-Anlage sorgfältig berücksichtigt erscheint, so lässt sich nicht das Gleiche bezüglich des allgemeinen Schiffahrts- und Handels-Interesses sagen. Dies verlangt bei der Lage von Cuxhaven und dem jetzt schon sehr starken, aber mit Sicherheit noch einer großen Steigerung entgegen gehenden Verkehr die Herstellung eines gefahrlos einzusteuernden, geräumigen, bedeutender Erweiterung fähigen Schleusen-Hafens mit Einrichtungen für Handels-Verkehr, mit Trockendocks für die grössten, wie für die kleinere Schiffe und mit ausreichenden Wekstätten zur Ausbesserung auch grösserer Beschädigungen, wie sie bei den unterhalb und oberhalb Cuxhafens nicht seltenen Zusammenstössen, Dtrandungen oder Grundberührungen vorkommen, kurz, eines Hafens nach Art desjenigen von Bremerhaven, nur nicht von dessen Ausdehnung, aber den Anforderungen der Neuzeit angepasst.

[Die Wasserfläche der Hafenbecken von Bremerhaven beträgt jetzt 25 ha, die von Geestemünde etwa 9 ha.]

Dass dabei dem Staate Hamburg nicht Ausgaben für Anlagen auferlegt werden dürfen, an denen er kein Interesse hat, bedarf nur der Erwähnung; zu solchen würden die Betheiligten heranzuziehen sein. Der Hauptsache nach wird indessen jede Verbesserung der Schiffahrts-Anlagen auf der Unter-Elbe wieder Hamburg zugute kommen, welche das ganze Verkehrsgebiet beherrscht und immer beherrschen wird.

Die Befürchtung, dass die Entwicklung von Handels-Verkehr in Cuxhaven der Stadt Hamburg Abbruch thun würde, erscheint sachlich, sowie nach den anderweitig gemachten Erfahrungen unbegründet. Denn einestheils führt ein schon jetzt für Schiffe bis zu 7 m Tiefgang brauchbares und noch weiter vertiefbares Fahrwasser von See nach der Stadt hinauf, und See- und Binnenschiffahrt des wichtig deutschen Stromes treffen dort zusammen; in dieser ausserordentlich günstigen Lage ist die Bedeutung Hamburgs für den Handel begründet und sie kann ihm nicht genommen werden, weil die Flussschiffahrt nicht nach der Elbe-Mündung hinunter verlegt werden kann. Und anderntheils zeigen die Vorgänge auf der Weser, wo die Handelshäfen sich seit etwa 35 Jahren in wahrhaft erstaunlicher Weise vermehrt und vervollkommnet haben und trotzdem wiederum neue geplant werden, dass der Handel dadurch nicht leidet, sondern im Gegentheil aufs Ueberraschendste gefördert wird. Danach darf man wohl den Satz aufstellen, dass – sofern nur überhaupt die Vorbedingungen vorhanden – die Schiffahrt und der Handel den Häfen folgen.

Ausser dem allgemeinen Schiffahrts-Interesse kommt noch das des Reichs und im Besonderen das der Reichs-Marine wesentlich inbetracht. Für letztere gewinnen die Unter-Elbe und namentlich Cuxhaven erst jetzt ihre volle Bedeutung theils dadurch, dass sie die Vertheidigung der Flussmündung zu Lande wie zu Wasser übernommen hat und dass Panzerfahrzeuge eigens für diesen Zweck gebaut werden, theils infolge des Wieder-Deutschwerdens von Helgoland, das grade vor dem Elbe-Fahrwasser liegt und dessen Verbindungen alle nach Cuxhaven weisen, theils durch die Erbauung des Nord-Ostsee-Kanals und dessen Ausmündung etwa 30 km oberhalb Cuxhaven bei Brunsbüttel. Danach werden künftig wohl schon in Friedenszeiten Schiffe unserer Kriegsflotte bei Cuxhaven viel verkehren; einige Fahrzeuge sind jetzt bereits dauernd dort stationirt. In Kriegszeiten aber, wenn es gilt, den Feind mit vereinten Kräften bei Helgoland zu schlagen, wird die durch den Nord-Ostsee-Kanal kommende Flotte ihren Stützpunkt in Cuxhaven haben; ausserdem dürften für die örtliche Vertheidigung Flotillen von Panzerfahrzeugen, Torpedobooten, Wachtbooten, Minen- und Schleppdampfern usw. daselbst stationirt werden. Was Alles dafür zum Zweck der beständigen Gefechts-Bereitschaft erforderlich ist, soll hier nicht erörtert werden: nur auf einen Punkt sei noch besonders hingewiesen.

Die heutige Gefechtsweise zur See geht in viel höherem Maasse als früher, darauf aus, den Gegner nicht blos kampfunfähig zu machen, sondern zu vernichten. Die Artillerie such dies nach wie vor durch Beschädigung der feindlichen Schiffe in der Wasserlinie zu erreichen, die neueren Waffen aber, Sporn, Torpedo und Seemine, zielen allein auf Zerstörung unter Wasser ab. Es ist daher mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass nach einem künftigen Gefecht verhältnissmässig viele Schiffe des Dockens bedürfen werden, manche darunter in einem Maasse und vielleicht mit einem Tiefgange welche ihnen weder nach Hamburg hinauf zu fahren, noch durch den Kanal nach Kiel zu gehen mehr gestattet.

An der Kanal-Mündung bei Brunsbüttel, wo die erforderlichen Einrichtungen wohl hätten getroffen werden können, ist dies nach den veröffentlichten Plänen und Mittheilungen nicht beabsichtigt; der Reichs-Marine sollen nur 240 m Kaje im Binnenhafen für Proviant- und Kohlenschuppen vorbehalten bleiben, was selbst für diese Zwecke dem Bedarf im Kriege nicht annähernd genügen würde. Je weniger Vorsorge nun aber dort getroffen wird, um so mehr müsste dies in Cuxhaven geschehen, welches dem Gefechtsfelde noch um 30 km näher liegt; im Besonderen erscheint die Herstellung von Trockendocks aus militärischen Gründen geboten.

Die Sicherung guter Liegeplätze für die Zoll-Fahrzeuge im Sommer und Winter, sowie die Einrichtung eines angemessenen Quarantäne-Hafens sind gleichfalls Gegenstände, welche bei diesem Anlass in Erwägung zu nehmen sich empfehlen würde. Alles in Allem kann der Bau eines neuen Seehafens, zumal an einem so wichtigen Punkte wie Cuxhaven, nicht als eine rein Hamburgische Angelegenheit angesehen werden: derselbe ist auch für die deutsche Schiffahrt und den Seeverkehr und nicht zum mindesten für unsere Kriegsflotte von weit gehender Bedeutung.

Kann man sich den Fall wohl vorstellen – es sei ein Beispiel ohne Rücksicht auf wirkliche Verhältnisse gestattet – dass die Landes-Regierung von Elsass-Lothringen einen neuen Zentral-Bahnhof in Metz erbauen liesse, ohne dass dabei den militärischen und allgemeinen Verkehrs-Verhältnissen Rechnung getragen würde? Der Generalstab der Armee, das Reichs-Eisenbahnamt würden dafür sorgen.

Cuxhaven ist auch ein wichtiger fester Platz an des Reiches Grenze und ein Seehafen ist ein viel wichtigerer Gegenstand, als ein Bahnhof, da er den See-Streitkräften nicht blos für den Verkehr, sondern auch als Operations-Basis dient. Auf maritimem Gebiet fehlt aber die sachgemässe Organisation, welche am Lande bis ins Kleinste hinein die Anpassung des Einzelnen an das grosse Gefüge des Ganzen für Krieg und Frieden sichert. Ein Generalstab für die Marine ist – wie in der vom Ober-Kommando der Marine heraus gegebenen Marine-Rundschau kürzlich hervor gehoben – noch ein unerfüllter Wunsch und eine Reichs-Behörde für Seewesen, welche das Interesse des Seeverkehrs im allgemeinen wahrzunehmen hätte, obgleich schon seit Jahrzehnten dringend befürwortet, ist ebenfalls noch nicht geschaffen. Der vorliegende Fall ist ein solcher, der diesen Mangel deutlich vor Augen stellt und zu dem Schlusse führt: Eine solche Behörde für Seewesen ist nicht länger zu entbehren, wenn das deutsche Reich bei dem allseitigen scharfen Wettbewerb sein Feld auf dem Weltmarkte nicht allein behaupten, sondern, wie Handel und Industrie es gebieterisch fordern, noch erweitern will. Um diesen für das Gedeihen des Vaterlandes hoch wichtigen Zweck zu fördern, dürfte kein dienliches Mittel vernachlässigt werden!

Dieser Artikel von “Stenzel, Kapitän zur See a. D.” erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.