Emil Götze

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Nach fast anderthalbjährigem, durch ein ernstes Halsleiden bedingten Fernbleiben von der Bühne ist der Kölner Tenorist und preußische Kammersänger Emil Götze vor einigen Wochen zum ersten Male in der rheinischen Metropole wieder aufgetreten und vom dortigen Publikum mit einer Begeisterung empfangen worden, wie sie sich in Deutschland nur selten äußert.

Auch wo er bisher auf Gastspielen sonst noch aufgetreten ist, namentlich in Berlin und Wien, hat der Künstler den gleichen Enthusiasmus zu entfesseln verstanden, so daß man ihn zu den gefeiertsten Gesangskünstlern der Gegenwart zählen darf. Emil Götze, dessen Porträt unsere Leser auf Seite 185 finden, ist am 19. Juli 1856 zu Leipzig geboren.

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Während er seiner Militärpflicht genügte, wurde ein Mitglied des sächsischen Königshauses auf die wunderbar schöne Tenorstimme des jugendlichen Vaterlandsvertheidigers aufmerksam, in dessen Verhältnissen nun plötzlich eine ungeahnte Wandlung vor sich ging. Dank königlicher Fürsorge würde Götze auf dem Dresdener Konservatorium die sorgfältigste musikalische Ausbildung zu Theil, in der er so rasche Fortschritte machte, daß er bereits im Oktober 1878 zum ersten Male auf der Dresdener Hofbühne auftreten konnte. Der Erfolg war ein so glänzender, daß er sofort auf drei Jahre engagirt wurde, und in dieser Stellung fand er nun auch Muße, sich als Konzertsänger zu bethätigen. Namentlich in seiner Vaterstadt Leipzig riß er gelegentlich einer Kirchenaufführung die gesammte Zuhörerschaft durch den Wohllaut seines jugendfrischen Organs, in dem sich Kraft und Anmuth paart, hin.

Emil Götze. Nach einer Photographie gezeichnet von D. Lorch
Emil Götze. Nach einer Photographie gezeichnet von D. Lorch

Alsdann schloß Direktor Julius Hofmann in Köln unter glänzenden Bedingungen einen Kontrakt mit ihm ab, der 1884 erneuert wurde und bis 1890 in Kraft ist. In Köln, wo der junge Künstler vom ersten Tage an der ausgesprochene Liebling des Publikums wurde, war Götze bestrebt, den Rollenkreis seines Repertoires zu erweitern und sich neben rein lyrischen Parthien, wie Lyonel und Johann von Paris, auch die heroischen, wie Johann von Leyden, Faust, Radul, Lohengrin u. s. w zu eigen zu machen. Von dort aus unternahm er auch verschiedene Gastspielreisen, auf denen er, wie schon erwähnt, überall den glänzendsten Erfolg hatte.

Als Eduard Hanslick, der bekannte und gefürchtete Wiener Musikkritiker, ihn zum ersten Male gehört hatte, schrieb er: „Die Stimme dieses kräftigen, offen und lebensfroh blickenden, noch sehr jungen Mannes entspricht vollkommen seinem Aeußern, das eine sympathische Mischung von Held und Naturbursche darstellt. Eine Fülle von Kraft, Weichheit und Wohllaut, eine Leichtigkeit der Tongebung, die keinen Gedanken an Anstrengung aufkommen läßt, bezaubern sofort an diesem Sänger. Sein Vortrag ist warm, kräftig, ungekünstelt. Ich weiß nicht, ob Götze für Rollen von mystischem oder zwiespältigem dramatischen Charakter den richtigen Ausdruck trifft – offenbar ist er nicht der Mann der grübelnden Reflexion – aber was sich mit einer frisch zugreifenden Sinnlichkeit, mit ungebrochener Gesundheit des Leibes und der Seele, mit warmer, ungeschminkter Empfindung erreichen läßt, das erreicht Götze sicher und siegreich. Da glänzt auf seinem Antlitz ein Frühroth von Glück und Freiheit, das ebenso anziehend wie ansteckend ist.“

Und später fügte er noch hinzu: „Wahrlich, eine Tenorstimme von so gleichmäßiger Kraft und wohllautender Fülle bekommt man selten zu hören. In ihrem Timbre erinnert sie mich an Tichatschek, in der Leichtigkeit ihrer hohen Brusttöne an Wachtel. Wachtel’s Stimme hatte mehr Glanz, Götze’s besitzt mehr Wärme. Mit einem gewinnenden Ausdrucke von jugendlichem Kraftgefühl und Frohmuth schmettert er seine hohen A und B heraus, ohne die Stimme irgendwie zu forciren. Er läßt sich in Kraftstellen nie zu unschöner Uebertreibung, in Liebesscenen niemals zu süßlichem Girren und Winseln verleiten.“

Nach seinem Gastspiel an der Berliner Hofoper im Jahre 1885 wüurde der gefeierte Künstler zum königlichen Kammersänger ernannt. Leider zeigten sich bei ihm schon im Frühjahr 1886 die Anfänge eines Leidens, das in einer Entzündung der Schleimhaut der hinteren Kehlkopfwand bestand. Wucherungen auf den Schleimhäuten, die sich bildeten, wurden operativ beseitigt, aber der Sänger ließ sich verleiten, zu früh wieder aufzutreten, wodurch die Narben wieder aufbrachen. Götze hat darauf sich einer anderthalbjährigen Kur unter Leitung des Professor Burger in Bonn unterzogen, hat längere Zeit in Afrika, Italien und der Schweiz geweilt, und ist erst jetzt und zwar – wie sich zur Freude seiner Verehrer herausgestellt hat – im Vollbesitze seiner prachtvollen Stimmmittel zu seiner künstlerischen Thätigkeit zurückgekehrt.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 8/1890 des das Buch für Alle.