Haus Lieber in Karlsruhe

Architekt: Hermann Billing in Karlsruhe. Seit sie als ein Ausfluss fürstlicher Laune im Jahre 1715 durch den Markgrafen Karl Wilhelm im Zorne auf seine ihm nicht gefällige Residenz Durlach gegründet wurde, also in dem verhältnissmässig kurzen Zeitraum von wenig mehr als 180 Jahren, hat die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe des Grossherzogthums Baden ihre architektonische Physiognomie vielfach gewechselt.

Mit dem in den Jahren 1751-1776 erbauten Residenzschlosse zog der Barockstil mit französischer Färbung in Karlsruhe ein und schuf neben einer Reihe von Monumentalbauten mit mehr oder weniger charakteristischem Gepräge auch jene bescheidenen zweigeschossigen Häuschen, welche einst in regelmässiger und nicht eben lebendiger Folge die Strassen der eigenwillig als Fächerstadt angelegten neuen Residenz einsäumten. Sie sind heute noch sporadisch an nicht wenigen Stellen zu finden, werden aber von den modernen vielgeschossigen Häusern mehr und mehr erdrückt. Dieser Zeit der Anfänge, die bis in das Louis XVI. und Empire hinüberreicht, aus welcher Zeit unter anderem die graziöse Einzelheiten aufweisende Kreuzkirche stammt, folgt unter Weinbrenner eine Zeit römischen Einflusses. Mit einer für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlichen Grösse der Anschauung, von der noch heute die Anlage der Karl-Friedrich-Strasse mit dem Marktplatz Zeugniss ablegt, drückte Weinbrenner der jungen Stadt den Stempel seines weitreichenden künstlerischen Einflusses auf und verlieh ihr den Charakter ernster Monumentalität. Er verhalf ihr zu einer architektonischen Blüthe, die Meister Hübsch mit den zahlreichen seiner sorgfältigen Kunst verdankten Monumentalbauten wohl an Zahl, nicht aber auch an Gesammteindruck zu überbieten vermochte. Mit Hübsch zogen der romanische Stil und das Mittelalter in Karlsruhe ein, aber nicht der archaisirende romanische Stil, sondern eine Abart, welche, stark mit byzantinischen Elementen versetzt, mehr aus der Ueberlegung als aus dem Gefühl, mehr aus konstruktiven Erwägungen als aus dem Bestreben treuer Nachahmung der alten Beispiele hervorgegangen war. Es war Hübsch beschieden, eine Schule zu bilden, aus welcher eine Reihe hervorragender Architekten hervorgingen, welche dem architektonischen Stadtbilde Karlsruhes werthvolle Züge einfügten.

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Es seien hier nur Eisenlohr, der Urheber der auch heute noch mit Anerkennung begleiteten Bahnhochbauten, und Jakob Hochstetter, der Erbauer einer Kaserne in Gottesaue, des Friedrichsplatzes und verschiedener Privathäuser genannt. Dann kam die Aera Fischer, Berckmüller, Durm und Warth, mit welchen die hellenische und die römische Renaissance in Karlsruhe ihren Einzug hielten und in das bis dahin mehr ernste Bild der Stadt heitere und festliche Elemente brachten. Lang nahm in seinen Schulbauten eine vermittelnde Stellung ein. Nun aber trat die auch anderwärts beobachtete Erscheinung ein, dass in der zweiten Hälfte der siebziger und in den achtziger Jahren der Einfluss einer örtlichen Schule sich nicht mehr so rein erhalten liess, als dass er nicht mit fremden, von aussen kommenden Elementen, die stark andrängten, vermischt worden wäre und um so mehr nicht, als auch die noch lebenden Vertreter der letzten Schule den neuen Stileinflüssen gegenüber sich nicht ablehnend verhielten. So wurde der Boden auch für die Wiederaufnahme des mittelalterlichen Stiles vorbereitet, der aber diesmal in anderem Charakter auftrat, wie ein halbes Jahrhundert vorher unter Hübsch. Schäfer ging nach Karlsruhe, Meckel nach Freiburg und beide bereiteten dem Mittelalter die Wege. Es entstanden Schäfer’s altkatholische Kirche vor dem Mühlburger Thor und Meckels neue katholische Kirche vor dem Durlacher Thor, es entstand eine deutsche, nationale Richtung.

In ihr arbeitet auch Hermann Billing und das inrede stehende Einfamilienhaus mit Maleratelier ist ein anziehender Beweis dafür. Das Haus steht in der Jahnstrasse in Karlsruhe, in einem vor dem Mühlburger Thor neu erschlossenen Stadtviertel vornehmeren Stiles, dessen Entwicklung aber ersichtlich unter einer etwas planlosen Anlage zu leiden hat. Dieses Urtheil trifft leider auch für eine Reihe anderer Punkte der städtischen Erweiterung Karlsruhes zu.

Haus Lieber in Karlsruhe

Dem Bauprogramm gemäss sollte das Wohnhaus ein Einfamilienhaus sein und es sollte mit den Wohnräumen in Verbindung das Atelier des Besitzers stehen. Diese Forderung gab sowohl im Inneren wie im Aeusseren des Bauwerkes Gelegenheit zu malerischer Gruppirung. Von einem kleinen Vorplatze des Erdgeschosses aus führt einerseits eine einläufige Steintreppe zu dem Atelier, andererseits vermittelt er den Zutritt zu der Halle, in welcher eine eingebaute Holztreppe den Verkehr mit dem Obergeschoss ermöglicht. An die Halle schliessen sich die übrigen Wohnräume an. Um eine entsprechende, aber in der äusseren Gruppirung nicht störende Höhe für das Atelier zu gewinnen ist der Fussboden desselben 60 cm tiefer als der des Obergeschosses gelegt.

Die Durchbildung des Aeusseren ist aus der gezeichneten Ansicht und aus der Wiedergabe des Natureindruckes mit genügender Deutlichkeit zu erkennen. Dem Künstler schwebte die mittelalterliche Formensprache vor, und wie vortrefflich er dieselbe namentlich auch in dem Eindruck ihrer unbefangenen Aeusserung zu behandeln verstand, zeigt die Betrachtung des Bauwerkes selbst, bei welcher auch die wohlberechnete Farbenwirkung des grünen Mühlbacher Sandsteines, der dunkelgrün gestrichenen Holztheile des Fachwerkes und der theils grün, theils weiss gestrichenen Fensterkreuze und -Sprossen in gewollter Weise zur Mitwirkung kommt.

Erdgeschoss
Obergeschoss
Haus Lieber in Karlsruhe

Die Durchbildung des Innern erfolgte gemeinsam mit dem Bauherrn. Für die farbige Behandlung der einzelnen Zimmer wurden durchgehends starke und entschiedene Farbentöne gewählt, wie roth, grün, dunkelbraun. Die Decken sind theils weiss, theils bunt, einige schwarz.

Die Gesammtkosten des Bauwerkes ohne Platz haben nur 46 000 M. betragen und hiervon entfallen 26 000 M. auf den Rohbau, 16 000 M. auf den inneren Ausbau. – In seiner eigenartigen künstlerischen Haltung ist das Haus Lieber eine für Karlsruher Verhältnisse zunächst noch etwas ungewohnte architektonische Erscheinung, ein Umstand, den es mit dem ungemein reizvollen altkatholischen Pfarrhause Schäfers theilt. Beide aber werden bald Nachfolger erhalten und mit ihnen der gesunden Tendenz, die sie zum Ausdruck bringen, erweiterte Anerkennung verschaffen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19.03.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „H.“.