Am 16. d. Mts. ist im Beisein Sr. Maj. des Kaisers und in Gegenwart von Vertretern der deutschen Handelskammern und zahlreicher anderer Ehrengäste der Elbe-Trave-Kanal durch eine Feier vor dem Burg-Thore in Lübeck dem Verkehr übergeben worden.
Fünf Jahre sind also gerade verflossen, seit am 31. Mai 1895 an gleicher Stelle der Grundstein gelegt worden ist zu diesem Werke, von dem die alte Hansestadt einen neuen Aufschwung ihres Handels erwartet, der durch veränderte handelspolitische und Schiffahrtsverhältnisse, namentlich aber seit der Nord-Ostsee-Kanal es Hamburg ermöglichte, als übermächtiger Konkurrent in der Ostsee zu erscheinen, mehr und mehr zurückgegangen war. Nach langen Verhandlungen und Kämpfen, die bis in den Anfang der 80er Jahre zurückreichen, hat das nur 80 000 Seelen zählende tatkräftige Staatswesen das Ziel seines Strebens, d. h. den Anschluss an die Elbe durch einen zeitgemässen Grossschiffahrtsweg und damit an ein industriereiches Hinterland erreicht, das nach Ausführung des Mittelland-Kanales noch erheblichen Zuwachs erhalten wird. Neue Handelsbeziehungen werden auf diese Weise Lübeck erschlossen, neues Leben wird seinem Hafen zugeführt werden, während anderseits für die inbetracht kommenden preussischen Landestheile aus der Schaffung einer kurzen, billigen Wasserstrasse zur Ostsee und damit der Erschliessung neuer Absatzgebiete Vortheile erwachsen, die in der Betheiligung des preussischen Staates an dem Kanalbau mit 7 500 000 M., also mit 1/3 der ursprünglich veranschlagten Kosten zum zahlenmässigen Ausdruck kommen. Mögen sich die Hoffnungen, die sich an diesen Kanal knüpfen, in vollem Maasse erfüllen!
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Zum nicht geringen Theile verdankt der Lübeckische Staat die glückliche Lösung der Kanalfrage und die rasche, mit knappen Mitteln ermöglichte Durchführung des Baues der Tüchtigkeit seiner Techniker, namentlich und in erster Linie dem verdienten Leiter des Wasserbauwesens, dem seit 1888 an dieser Stelle stehenden Wasserbaudirektor P. Rehder, der den Gesammtplan des Kanals aufgestellt, und dem Wasserbauinspektor Hotopp, der mit der Konstruktion der Schleusen den Kanalbau auf neue Wege gewiesen hat.
Die „Deutsche Bauzeitung“ hat im Jahre 1893 auf S. 260 und 265 unter Beibringung von Lage- und Höhenplänen bereits eingehende Mittheilungen über den ursprünglichen Entwurf gemacht, welcher als Grundlage des zwischen Lübeck und Preussen abgeschlossenen Vertrages gedient hat, aufgrund dessen die Ausführung des Kanales Lübeck übertragen wurde. Dieser Vertrag erhielt am 20. Juni 1894 in Preussen Gesetzeskraft. Es sei daher jetzt nur eine kurze Darstellung der allgemeinen Anlage und der wesentlichen Abweichungen gegenüber dem Vorentwurf gegeben. Es bleibt vorbehalten, später des Näheren auf die Bauausführung und auf die besondere Ausbildung der Bauwerke des Kanales, namentlich auf die sinnreichen, technisch vortrefflich gelösten ganz neuen Betriebs-Einrichtungen der Schleusen zurückzukommen.
Abbildg. 1 giebt den Lageplan des Kanals, Abbildg. 2 den Höhenplan desselben nach der thatsächlichen Ausführung. Der Kanal verbindet die Trave in Lübeck im Zuge des alten Stecknitz-Kanales, der damit nach 500jährigem Bestehen verschwindet, in möglichst gerader Linie über den Möllner See mit der Elbe in Lauenburg. Er besitzt eine Gesammtlänge von rd. 67 km, wovon nur 25,63 km auf Krümmungen entfallen, deren Halbmesser nıcht unter 600 m sinkt. Die Linienführung entspricht fast genau dem ersten Entwurfe, dagegen zeigt das Längsprofil erhebliche Abweichungen, da die ursprüngliche Schleusenzahl von 9 beiderseits der Scheitelstrecke um je 1 vermindert ist. Die Gesammtzahl beträgt also nur noch 7 und es ist damit eine wesentliche Erleichterung für die Schiffahrt, eine Ersparniss an Betriebs- und Unterhaltungskosten und ausserdem noch eine weitere Verbesserung in landwirthschaftlicher Beziehung erreicht. Ausserdem ist die Möglichkeit geschaffen worden, dem Kanal bei gesteigertem Verkehr von der Elbe her in einfacher Weise durch Anlage von Pumpwerken das fehlende Betriebswasser zuzuführen. Der Kanal ersteigt die fast 30 km lange Scheitelhaltung von der Trave her mit 5 Schleusen und fällt mit 2 Schleusen zur Elbe ab. Die Grösse der Staustufen ist aus dem Höhenplan ersichtlich. Sie schwankt zwischen 1,65 m bei der Behlendorfer Schleuse No. 4 des Lageplans), 3,68 bis 4,18 m bei der Donnerschleuse (No. 5) und schliesslich 3,89 bis 5,81 m bei der Lauenburger Schleuse (No. 7). Die Scheitelhaltung, deren höchster Wasserstand im Längsprofil noch auf + 12 N.N. angegeben ist, wurde nachträglich auf + 11,83 gesenkt, um Schwierigkeiten mit der Stadt Mölln aus dem Wege zu gehen. Der Wasserspiegel kann zwecks Speisung der übrigen Kanalstrecken um 0,50 gesenkt werden.
Der Querschnitt des Kanales ist in den Abbildgn. 3, 4 und 5 zur Darstellung gebracht. Die Sohlenbreite ist auf 22 m, die geringste Wassertiefe auf 2 m, bei einer Böschung von 1:2, die Wasserspiegelbreite also auf 32 m bemessen. Die Anlage der Bermen und Leinpfade gestattet eine spätere Verbreiterung der Sohle auf 27,30 m bei gleichzeitiger Vertiefung auf 2,5 m. Die grössten Elbkähne von 78 m Länge, 11,5m Breite, 1,75 m Tiefgang und 1000 t Tragfähigkeit finden dann noch das 4fache ihres Querschnittes als wasserhaltenden Querschnitt vor. An allen Schleusen sind ober- und unterhalb durch Verbreiterung der Sohle auf 36 m bei einer Längsausdehnung von 300 m Liegehäfen geschaffen, die gleichzeitig als Ausweichstellen für besonders grosse Schiffe dienen. Ausserdem sind noch in der Scheitelhaltung 3, in der Lauenburger Haltung 1 weitere Ausweiche hergestellt mit 27,30 m Sohlenbreite auf 300 m Länge. Die Bermen sind hinter einem Flechtzaun zur Abhaltung des Wellenschlages mit Reth bepflanzt. In der Scheitelhaltung sind die Böschungen theilweise durch eine Betondenke mit Eiseneinlagen geschützt.
Die Schleusen sollten ursprünglich 75 m nutzbare Kammerlänge bei 11 m Weite und 2,5 m Drempeltiefe erhalten. Die Thorweite ist jedoch bei der Ausführung auf 12 m, die nutzbare Kammerlänge auf 80 m bemessen, während die Kammer in einer Längenausdehnung von rd. 59 m eine Breite von 17 m erhalten hat. Es können also die grössten Elbkähne oder mehrere kleinere Kähne nebst Schlepper aufgenommen werden. Die Schleusen mit grösserem Gefälle sind zur Herabminderung des Wasserverlustes mit Sparbecken versehen, die Krummesser Schleuse (No. 2) besitzt ein solches mit 2800 qm Fläche, die Donner Schleuse (No. 5) zwei von je 2800 qm, die Witzeezer Schleuse (No. 6) zwei von je 2730 qm und schliesslich die Lauenburger Schleuse (No. 7) drei von je 2280 qm. Es werden durch diese Sparbecken im Mittel etwa 35 % der Schleusenfüllung erspart. – Die Gesammtkosten der 7 Schleusen betragen nur 3,5 Mill. M. Die Konstruktion ist eine sehr sparsame. Für dıe Häupter und Mauern, die getrennt von der Sohle hergestellt sind, wurde ausschliesslich Stampfbeton verwendet. Die Sohle selbst ist nicht wasserdicht, sondern nur als dünne Betonabdeckung ausgeführt. Auch die Auskleidung der Sparbecken besteht nur in einer dünnen Betonlage. Das Oberthor ist als Klappthor, das untere als gewöhnliches Stemmthor ausgebildet. Beide werden in sinnreicher Weise durch Pressluft bewegt, die durch das Gefälle der Schleuse selbst erzeugt wird. Die Füllung und Entleerung erfolgt ohne jede Anwendung von Schützen oder Ventilen ausschliesslich durch Hebereinrichtungen Hotopp’schen Patentes, die mit den Umläufen in den Schleusenmauern in Verbindung stehen. Das Oeffnen bezw. Schliessen der Thore nimmt je 1 Minute in Anspruch. Die Füllungszeit ist natürlich bei den einzelnen Schleusen verschieden. Sie beträgt bei der Krummesser-Schleuse 7 Minuten, bei Einschaltung des Sparbeckens 10 Minuten. Von einer Stelle aus kann ein Mann durch Drehung weniger Hähne und Hebel den ganzen Schleusenbetrieb leiten, sodass sich derselbe ausserordentlich einfach, sicher und billig gestaltet.
Für den Betrieb des Kanales ist späterhin ein elektrischer Schleppbetrieb vom Ufer her in Aussicht genommen. Die beiderseitigen Leinpfade sind so angeordnet, dass ein Betrieb mit elektrischen Schlepplokomotiven durchführbar ist.
Die Ueberbrückungen des Kanals, die ursprünglich Mittelpfeiler und demnach 2 Oeffnungen von je 14,60 m Weite erhalten sollten, sind durchweg in 1 Oeffnung von mindestens 27 m Lichtweite ausgeführt, während die Lichthöhe von 4,20 m auf 4,50 m erhöht worden ist.
Der Kanal wird von wi mit einem Gesammtkostenaufwande von 4 Mill. M. überspannt, dazu kommt noch ein hoher Viadukt der Eisenbahnlinie Hagenow-Oldesloe bei Berkenthin. Von diesen 31 Brücken sind 6 Eisenbahnbrücken, welche, von der Lübecker Eisenbahnbrücke aus gerechnet, folgende Linien überführen: Lübeck-Hamburg, Hagenow-Oldesloe, Lübeck-Büchen, Berlin-Hamburg, Büchen-Lauenburg. Auch die Widerlager der Brücken sind sämmtlich in Stampfbeton, meist mit Klinkerverkleidung, hergestellt. Die Ausführung der Eisenkonstruktionen hat einen Kostenaufwand von rd. 2 Mill. M. erfordert.
Der Kanal wird an 3 Stellen von Wasserläufen gekreuzt, die grössere Dückeranlagen im Gesammtbetrage von 250 000 M. erforderten. Die Dücker sind als flusseiserne Rohre in Betonbettung und mit einer inneren Zementmörtel-Auskleidung hergestellt.
Hafenanlagen sind in erheblicher Ausdehnung in Lübeck geschaffen. Hier ist in der gesenkten Wakenitz ein Hafen von 1000 m Länge ausgeführt, der auf beiden Ufern mit Lösch- und Ladeeinrichtungen ausgestattet ist. Kaianlagen von je 400 m Länge sind im Möllner See und in Lauenburg angeordnet, ausserdem sind kleinere Lösch- und Ladeplätze an 18 Stellen längs des Kanales vorgesehen.
Die anschlagsmässigen Gesammtkosten des Kanales selbst haben 22 754 000 M. betragen, wozu noch 800 000 M. kommen für solche Anlagen, die Lübeck allein zur Last fallen. Da Preussen zu den Kanalkosten 7 500 000 M. zugiebt, andererseits aber die für den Grunderwerb ausgeworfenen Kosten um 1 Mill. M. überschritten sind, so fällt auf Lübeck allein ein Betrag von rd. 17 Mill. M.
Die Ausführung des Kanales hat imganzen gegen 4 Jahre gedauert, denn wenn auch schon am 31. Mai 1895 die Grundsteinlegung erfolgte, so konnte doch erst nach nochmaliger Durcharbeitung und endgiltiger Genehmigung des Entwurfes am 30. Juli 1896 der erste Spatenstich gethan werden. Die Ausführung des Kanales ausschliesslich der Eisenkonstruktionen und Brücken usw. und der maschinellen Einrichtungen ist in nur 2 Loose getheilt vergeben worden und zwar an die Firmen Vering in Hamburg und Th. Holzmann in Frankfurt a. M. Die erstere Unternehmung führte die Strecke Lübeck-Alt-Mölln zum Betrage von rd. 6,62 Mill. M., die letztere die Strecke Alt-Mölln bis Lauenburg für 6,67 Mill. M. aus. Zur Herstellung des eigentlichen Kanales war ein Bodenaushub von über 10,5 Mill. cbm erforderlich, der zumeist mit Trockenbaggern bewirkt werden konnte. Die grösste Zahl der gleichzeitig am Kanal beschäftigten Arbeiter betrug etwa 2500.
(Die den veränderten Entwurf betreffenden Angaben sind aus einem in der Zeitschr, f. Binnenschiffahrt 1899 veröffentlichten Vortrage des Wasserbaudirektors Rehder entnommen.)
Dieser Artikel erschien zuerst am 20.06.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Fr. E.“