Ueber Wohnstrassen und die Landhaus-Baugesellschaft Pankow

Die Hildebrandt’sche Privatstrasse im Thiergartenviertel Berlins hat einen kaum 5 m breiten Fahrdamm und zu beiden Seiten je 1,5 m breite Fusswege: Dem Uebelstande, der bei einer Anbauung dicht an der Strasse sich in der Beschränkung von Luft und Licht hätte äussern können, ist durch die Anlage mehr oder minder breiter Vorgärten ausgewichen worden.

Die Staub und Lärm erregende Strassenfläche ist somit auf ein Mindestmaass eingeengt, im Verein mit hier und da belassenen Bauwichen ist an die Stelle der Langeweile einer geraden, ununterbrochen durchgeführten Bauflucht malerische Bewegung getreten und für die Erhellung und Durchlüftung der Strasse reichlich so gut gesorgt, wie in grosstädtischen Verkehrsstrassen. Es ist eine echte Wohnstrasse mitten in einem der reichsten Stadttheile, vornehmlich von Künstlern bewohnt. Das Beispiel hat denn auch zur Nachfolge verlockt; in den letzten Jahren sind zur Aufschliessung kostbaren Hinterlandes ähnliche Privatstrassen entstanden, z. B. von der Thiergarten- bezw. Potsdamer Strasse ausgehend, von denen einige sogar nur von einem Ende her zugänglich sind, also vornehme ruhige Sackgassen oder Hofstrassen, während die Hildebrandt’sche Privat Strasse, die zwei bedeutende Verkehrsstrassen mit einander verbindet, noch von einem nicht unerheblichen Reiterverkehr durchzogen wird. Aber auch früher sind schon derartige Wohnstrassen und Wohnplätze in Berlin geschaffen wordeü, selbst in weniger feinen Gegenden – der Verfasser gestattet sich dieserhalb auf seine Abhandlung „Verkehrsstrasse und Wohnstrasse“ in den Preussischen Jahrbüchern Bd. 73, Heft 1, S. 85 zu verweisen. Es kommt damit offenbar ein soziales Bedürfniss zum Vorschein, das zu befriedigen man der Privatunternehmung überlassen hat. Denn es fehlt in der That an wirklichen Wohnstrassen im Berliner Stadtgrundriss; die als solche gedacht sind, haben einen Zuschnitt erhalten, den Hr. Blum in den „Berliner Wohn‚und Verkehrsfragen“ (vergl. S. 513 vor. Jahrg. d. Bl.) also beschreibt: „Je breiter die Strassen sind und in je ausgiebigerem Maasse die Grösse der Grundstücke die Anlage geräumiger Höfe gestattet, desto höher können die Wohnhäuser gemacht werden, ohne den Insassen weniger an Luft und Licht zu bieten, als niedrige Häuser in engen Strassen und mit schornsteinartigen Höfen“. Abgesehen von dem inneren Widerspruche, der im Nachsatze liegt – denn niedrige Häuser an schmalen Strassen haben eben keine schornsteinartigen Höfe – wird dabei ganz übersehen, dass man die Mehrzahl der Bewohner zwingt, statt an offenen Strassen an geschlossenen Höfen zu wohnen, wo sie nicht einmal billig wohnt, weil die vom Bebauungsplan gewährte Möglichkeit einer fünfgeschossigen Ueberbauung die Baugrundpreise in die Höhe treibt.

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Diesen Zustand als einen befriedigenden anzusehen gelingt nur dem, für den auch die Wohnfrage lediglich im Zeichen des Verkehrs steht. In weiten Kreisen der Bevölkerung wird dieser Zustand jedoch als ein unbefriedigender empfunden und daher kommt der Drang für Manchen, der es eben kann, in den Vorort zu ziehen, um sich zwischen eigenen vier Pfählen anzusiedeln.

Aber auch die Vororte können schon nach Berliner Muster die Strassen nicht breit genug mehr machen. Da in den meisten dieser Strassen kaum jemals nennenswerther Verkehr zu erwarten ist und die niedere Bebauung eben so gut, wenn nicht gar bessere Licht- und Luftverhältnisse bietet, so erklärt sich der Schematismus einer hohen Bebauung im wesentlichen aus der Absicht, allen Grundbesitzern möglichst gleichmässige Vortheile zuzuwenden.

Dazu kommt die seit der Renaissance und dem Barockzeitalter überlieferte Anschauung von der Grossartigkeit gerader, breiter Strassenzüge. (Vergl. den Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen von Camillo Sitte, Wien 1889, Verlag von Carl Graeser). Wie leicht jedoch die Anhänger eines auf solchen Grundlagen ruhenden Städtebausystems, das innerhalb der wirklichen grosstädtischen Grenzen sicherlich seine Berechtigung hat, geneigt sind, als das für alle Verhältnisse passende anzusehen, haben die Verhandlungen des österreichischen Architekten- und Ingenieurvereins über den Baulinienplan für Alt-Wien (vgl. S. 500 u. ff. Jahrg. 1896 d. Bl.) noch neuerdings auf das deutlichste dargethan. Selbst ein Mann wie Stübben, der einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen trachtet, hat es angesichts dieser Verhandlungen über sich gebracht, nach der einen Seite Herrn Camillo Sitte eine tadellose Verbeugung zu machen und nach der anderen Seite die angestrebte Reform der Städtebaukunst als „tönende Schlagworte, ästhetische Einseitigkeiten und unklare Alterthümeleien“ abzuthun. Bei anderen Männern haben die zumtheil merkwürdig erregten Reden der Wiener Fachgenossen, namentlich aber die Auslassungen des „Debatters ersten Ranges“, des Architekten König, einen etwas anderen Eindruck hinterlassen; wenn der Schöpfer der Neustadt von Köln a, Rh. in diesen Verhandlungen eine gesunde Gegenwirkung gegen die neueren Bestrebungen verspüren will, so beweist das doch weiter nichts, als seine innerliche Hinneigung zur Einseitigkeit der alten Richtung. Mit dem Niederstimmen von Sitte, der nicht nur über den Städtebau ein gutes Buch zu schreiben versteht, sondern auch, was man in Wien nicht zu wissen scheint, im Städtebau sich praktisch bethätigt, wie sein Stadterweiterungsplan für Olmütz beweist, wird die Bewegung, die auf eine Besserung der Wohnbedingungen vom wirthschaftlichen und der Stadterscheinung vom künstlerischen Standpunkte gerichtet ist, nicht zum Stillstand gebracht – dafür hat sie schon zu viele, wenn auch einstweilen noch stille Freunde, die mitten in der grossen, auf eine Erstarkung des Volksbewusstseins gerichteten geistigen Strömung unserer Tage stehen. Diese haben übergenug von der „höheren“ Kultur Pariser Schule, die uns Allerweltsstädte bescheert hat; sie wollen wieder individuelle Städte nach germanischer Art. Im Anfang mag ja wohl, wie bei jeder Neuerung so auch in dieser Bewegung, manche Uebertreibung mit unterlaufen, aber ist es denn keine Uebertreibung, wenn ein Gegner z. B. in dem oben bereits angezogenen Aufsatze „Berliner Wohn- und Verkehrsfragen“ auf S. 526 vor. Jhrgs. d. Bl. allen Ernstes zur Verschönerung Berlins vorschlägt, die einzige geschlossene Wand, die dem Reichstagshause gegenübersteht, am Schiffbauerdamm in der Richtung auf die Ecke der Karl- und Louisenstrasse zu durchbrechen, ohne dass dazu irgend eine Nothwendigkeit für den Verkehr nachgewiesen wäre?! Was die Schöpfung Wallot’s nicht zur vollen Wirkung ihrer Wucht kommen lässt, ist der übermässig grosse Königsplatz, die nach drei Seiten offene Lage!

Eine Wandlung in den künstlerischen Grundsätzen des Städtebaues wird sich um so schneller vollziehen, je entschiedener eine dem deutschen Knittelverse verwandte nationale Bauweise die „Regeln“ und „Ordnungen“ romanisirender Kunstauffassung überwindet. Die Ansätze dazu sind im modernen Wohnhausbau erkennbar – wer hat nicht schon den schneidenden Gegensatz herausgefühlt, in dem die frei und frisch in die Natur hineingestimmten Landhäuser des Grunewalds, der neuesten und vornehmsten Niederlassung vor den Thoren Berlius, zu den breiten Staubfllächen mancher der abgezirkelten Strassenzüge stehen?

Den Architekten Exter leitete daher ein ganz richtiges Gefühl, als er seine Villenkolonie zu München-Pasing mit nur 10 m breiten Wohnstrassen an die 20 m breite Landstrasse anschloss, mit schmalen Zubringern an den durchgehenden Verkehr.

Grundsätzlich sollte man überall zwischen Verkehrsstrassen und Wohnstrassen unterscheiden. Verkehrsstrassen dienen in erster Linie Verkehrszwecken und scheiden sich wieder in Strassen für den durchgehenden Verkehr der gesammten Bevölkerung, Hauptverkehrsstrassen und in Strassen für den ansässigen Handel und Wandel einzelner Stadttheile, Nebenverkehrsstrassen. Derartige Strassen mit geschlossenen Wandungen müssen dem Verkehrsbedürfnisse entsprechend breit sein; in ihnen sammelt sich das Geschäftsleben, das tiefe Baublocks zur Anlage von Schauläden, Kontoren, Lagerräumen, Speichern, Werkstätten, von Fabrikgebäuden, Fuhrparks, Vergnügungs- und Erholungssälen, Gasthäusern usw. erfordert; die Anlage von Wohnungen ist dabei erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Wohnstrassen dienen dagegen vornehmlich oder ausschliesslich Wohnzwecken; auch sie können geschieden werden in zwei Gattungen, in Strassen mit mehrgeschossigen Wohn-, hauptsächlich Miethshäusern, die zu Reihen geschlossen oder von Bauwichen unterbrochen werden, und in Strassen mit weniger hohen, landhausartigen Ein-, Zwei- und Dreifamilienhäusern, meist in offener Bauweise. Solche Strassen mit einem nur örtlichen Verkehr können dem Wohnbedürfnisse entsprechend schmal sein; in ihnen gehen nicht mehr Leute ein und aus, als darin wohnen, wenn sie eben richtig angelegt, d.h. so angelegt werden, dass sie dem allgemeinen Verkehre keine kürzere Verbindung bieten, als die benachbarten Verkehrsstrassen. Insbesondere sollen die grosse Baublöcke aufschliessenden Nebenstrassen weiter nichts als öffentliche Zugänge zu den Wohnungen sein. Spaziergänger verirren sich selten dahin; diese wollen sehen und gesehen werden.

Eine solche Wohnstrasse, die den Eindruck stiller Zurückgezogenheit machen muss, braucht nicht breiter als höchstens 9 m zu sein, ohne irgendwelche gesundheitliche Anforderungen zu verletzen. Im Gegentheil, wenn, wie gewöhnlich, die Baufluchten durch Vorgärten weiter auseinander gerückt werden, so stellt sich der Einfallwinkel für Licht und Luft sogar noch weit günstiger ein, als er selbst in recht breiten Strassen mit hoher Bebauung zu sein pflegt. Diese Erkenntniss wird sich zwar langsam, aber um so sicherer durchringen, seitdem der deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege sich dazu bekehrt hat. In einem besonderen Druckhefte, das seine in Magdeburg 1894 gepflogenen Verhandlungen der Oeffentlichkeit bekannt giebt, hat dieser Verein folgenden Leitsatz aufgestellt: „Die Strassen, welche lediglich zur inneren Auftheilung des Baulandes dienen, ohne einen grösseren Verkehr aufzunehmen, sind in thunlichst: geringer Breite, anzulegen. Vielfach ist es hierbei wünschenswerth, die Bauflucht hinter die Strassenflucht zurückzulegen, um die Herstellung von Vorgärten, Rasenflächen und Baumpflanzungen zu ermöglichen“. Nach dem Vorgange des Unterzeichneten sind damals auch von dem Berichterstatter, Hrn. Oberbaudirektor Hinckeldeyn, 9 m breite Strassen mit Fusswegen von je 1,4 m Breite empfohlen worden. Hierin liegt das natürliche Mittel, das auf die Dauer eine niedrige Bebauung verbürgt. Sobald die Strasse breiter wird, also – im Falle kein polizeilicher Zwang einschränkend wirkt – die Möglichkeit geboten ist, höher bauen zu dürfen, bleibt, wie die Erfahrung täglich lehrt, ein Landhaus nicht lange stehen. Dann kommt der Bauspekulant und baut an seine Stelle eine Miethskaserne bis zur äussersten Grenze der zulässigen Ausnutzung. Der genannte Verein hat dann auch in seiner vorjährigen Versammlung zu Stuttgart u.a. folgende Leitsätze, den Bebauungsplan betreffend, angenommen: „Insbesondere ist bei Abmessung der Strassenbreiten und Baublöcke dahin zu streben, dass für die verschiedenen Baubedürfnisse geeignete Strassen und Bauplätze gewonnen, Hinterwohnungen nach Möglichkeit vermieden, kleinere Wohnhäuser begünstigt werden. Es sind vorzusehen: Breite Verkehrsstrassen, mittlere und schmale Wohnstrassen; grosse Blöcke für Fabrikbauten und Landhäuser, mittlere für bürgerliche Wohn- und Geschäftshäuser, kleinere für die Wohnungen der minder begüterten Volksklassen“.

„Bestehende Bebauungspläne sind zu prüfen und im vorstehenden Sinne soweit möglich zu verbessern.“

Von diesen theoretischen Erwägungen ist nun in einem Vororte Berlins zur That geschritten worden, indem eine Baugesellschaft. die Anlage von Wohnstrassen versucht hat, wie sie vom unterzeichneten Verfasser in seiner vorher erwähnten Schrift charakterisirt worden sind.

Ausser den westlichen Vororten Berlins ist der zugkräftigsten einer Pankow, das zu seinen schon vorhandenen Verbindungen mit Berlin in Kürze auch noch mit dem Mittelpunkte der Stadt durch eine elektrische Bahn verbunden werden soll. Seitens der Behörden, denen die Entwürfe augenblicklich zur Prüfung unterliegen, ist die von der Firma Siemens & Halske geplante Anlage in den Grundzügen bereits genehmigt worden. Im Verein mit dem Schlossparke von Nieder-Schönhausen und den Waldungen der Kolonie Schönholz bildet Pankow einen Anziehungspunkt zu Ausflügen und zum Sommeraufenthalt, für den Norden Berlins. Auch dort hat der Bebauungsplan durchweg für fünfgeschossige Häuser breite Strassen und grosse Blöcke vorgesehen. Diese Bauweise, von der schon der zwischen der Stettiner Eisenbahn und der den Ort durchschneidenden Breiten Strasse, der einstigen Dorfaue, belegene Theil durchsetzt ist, nicht noch weiter vordringen zu lassen, hat die Bauordnung für die Vororte an eben dieser Breiten Strasse gegen Norden hin einen Riegel vorgeschoben. Für die Bebauung mit Landhäusern erweist, sich nun der geltende Plan als unpassend; denn auf Leute, die sich einen grösseren Garten oder gar einen Park zulegen können, ist im Norden Berlins weniger zu rechnen, als in anderen Stadttheilen z. B. im Westen.

Nichtsdestoweniger fordert der Schmuck schöner alter Bäume, der dem Ort einen eigenen landschaftlichen Reiz verleiht, mehr als irgend ein Vorzug anderer Vororte zu einer landhausmässigen Bauweise geradezu heraus. Dazu kommt der Zug der Zeit, der auch wieder weniger bemittelte Leute nach dem Besitze oder dem Genusse eines Landhauses streben lässt. Der Boden erscheint also für daraufhin gerichtete Unternehmungen in Pankow günstig, wenn nur die übergrossen Blöcke durch Zwischenstrassen aufgetheilt werden.

Vielleicht prüft dann die Gemeinde noch einmal den Bebauungsplan auf die Berechtigung der allzuvielen breiten Strassen überhaupt nach, und wenn es blos um die Ersparniss an den Strassenbaukosten wäre, die den Anliegern zur Last fallen. Immerhin ist der Baugrund auch im Weichbilde Pankows schon zu theuer, um Einfamilienhäuser auf Spekulation bauen zu können.

Schon bei dichtem Herangehen an die durch die Bauordnung für die landhausmässige Bebauung festgesetzten Grenzen ergiebt die Berechnung selbst für Mehrfamilienhäuser einstweilen eine so mässige Verzinsung, dass viel Muth, ja Begeisterung dazu gehört, einer guten Sache die Bahn zu brechen. Beides brachte der die Landhaus-Baugesellschaft „Pankow“ leitende Kgl. Baurath O. March in so hohem Maasse mit, dass er nach Niederkämpfung vieler Widerstände, die ihm bei allem Entgegenkommen der Behörden, namentlich des Landraths und.der Potsdamer Regierung, doch immer aufs neue erwachsen sind, jetzt mehre grosse Baublöcke durch schmale Wohnstrassen getheilt und zumtheil schon mit Familienhäusern bebaut hat. Davon im folgenden zwei Beispiele.

1. Der Elisabethweg, eine gekrümmte Wohnstrasse von 9 m Breite, wovon 6 m auf den Fahrdanm und je 1,5 m auf die beiden seitlichen Fusswege entfallen (vergl. die Abbildg.), geht von der Schlosstrasse ab, da wo dem kgl. Schlossparke gegenüber ein schmuckes von O. March umgebautes Wirthshaus steht, dem die lustigen „Pankgrafen“ den Namen gegeben haben, zur Parkstrasse hinüber, von beiden Eingängen her den Eindruck der Abgeschlossenheit bietend. Die Vorgärten sind auf 7 m Breite bemessen. Da die Strasse eine Öffentliche werden soll, ist die von ihr bedeckte Fläche von der bis 3/10 bebauungsfähigen Blockfläche abgezogen worden.

Landhausgruppe Elisabethweg in Pankow. Architekt Baurath O. March

Darin liegt eine grosse Härte, weil die Anlage als eine Verbesserung des Bebauungsplanes und somit der Wohnbedingungen überhaupt zu gelten hat. Das verdiente Aufmunterung, Belohnung, damit andere dem guten Beispiel folgen. Dazu kommt, dass im vorliegenden Fall die Strasse als Geschenk ins Eigenthum der Gemeinde übergeht, von der Baugesellschaft also ein Opfer gebracht wird, das nicht noch mit einer Einbusse an der Bebauungsfähigkeit belastet werden sollte. Die von der Gemeinde mit zu übernehmende Unterhaltungslast wird durch die Heranziehung steuerkräftiger Bürger reichlich wieder aufgewogen.

Da die Absicht der Behörden eine wohlwollende war, ist die Thatsache nur aus der Scheu vor einem Berufungsfall zu erklären. Welcher Missbrauch jedoch sich auf einen derartigen Berufungsfall hin einstellen könnte, ist nicht recht einzusehen; denn erstens würde die ursprüngliche Bebauungsfähigkeit imganzen ungemindert geblieben sein, wenn sie auch an einigen nachträglich eingefügten Nebenstrassen ein wenig sich gesteigert hätte. Zweitens handelte es sich einerseits um Landhausgebiet, dessen Weiträumigkeit eine so bedeutende ist, dass eine etwas grössere Bebauungsdichte an einzelnen Stellen kaum ins Gewicht füllt und andererseits um bereits festgelegte Baublocks, in die überhaupt nur eine beschränkte Zahl von Zwischenstrassen eingeschnitten werden kann. Aber auch über den vorliegenden Fall hinaus muss ganz allgemein gefordert werden, dass zur Beförderung der Anlage von Wohnstrassen der Verlust an Strassenland durch eine Erhöhung der Bebauungsfähigkeit ausgeglichen wird, und deshalb ist es sehr zu bedauern, dass das Zustandekommen eines Berufungsfalles an der Buchstabengerechtigkeit gescheitert ist. Dem Vernehmen nach soll bei der Neufassung der Berliner Bauordnung die Berechnung der Bebauungsfähigkeit mit Hilfe von Zonenstreifen erfolgen, die von der Strasse ab nach hinten zu abnehmende Bebauungsdichten darstellen. Wenn dann ein Baublock nachträglich getheilt wird, so erhält man nach Maassgabe desselben Grundsatzes für die neue Zwischenstrasse imganzen eine höhere Bebauungsfähigkeit. Das wäre ein durchaus gesunder Grundsatz, der auch in der Stadt noch zur Entstehung der fehlenden Wohnstrassen führen könnte, um wieviel mehr noch in den Vororten!

Im übrigen lehrt die fertiggestellte Strasse, deren Fahrdamm sogar überflüssiger Weise gepflastert ist – wahrscheinlich, weil die Gemeinde glaubt ihren Vortheil am besten zu wahren, wenn sie die höchsten Anforderungen an die ihr zu übereignende Strasse erhebt, während ein Steinschlag (Chaussirung) vollkommen genügt und dem Charakter einer Wohnstrasse auch mehr, entsprochen hätte – dass für ihre Zwecke auch 9 m Breite noch zu viel sind. In solchen Strassen, die nur als Zufahrten zu den darin gelegenen Häusern dienen, kommt es selten vor, dass sich zwei Fahrzeuge begegnen, und falls es geschieht, würde es nichts verschlagen, wenn ein Wagenrad auch einmal über den Fussweg geht. Sonst aber benutzen auch die Fussgänger meist den Fahrdamm. Man könnte also die Fusswege oder Bürgersteige unbedenklich auf 0,8 m breite Kiesstreifen einschränken, die eine nur flache Bordschicht vom Fahrdamm scheidet. Für die Gesammtbreite genügen dann schon 6-8 m.

Wie sich übrigens die schlimmen Lehren der Verkehrsfanatiker äussern, die alles glatt rasiren müssen auch da, wo niemals sich ein stärkerer Verkehr entwickeln kann, der Strassen-Aesthetiker, die im Baum nur einen beweglichen, nach Bedarf zu fällenden Gegenstand sehen, statt Achtung vor der Schönheit der Natur zu haben und den Verkehr darum herum zu lenken: das zeigt sich auch häufig im Kleinen. Nur schwer pflegt man mit der Ansicht durchzudringen, dass alte unersetzbare Bäume ohne zwingende Gründe nicht beseitigt werden dürfen, auch wenn sie einmal über die Schnur der geraden Fahrbahnen hinaus stehen. Beispiele in Berlin, wie die erhaltenen würdigen Baumveteranen auf dem Kurfürstendamm und in der Wichmannstrasse, wo streckenweise ein lebhafter Verkehr herrscht, beweisen auch in dieser Hinsicht den Durchbruch einer besseren Einsicht.

2. Der Amalienpark mit einer Landhausgruppe, die nahezu vollendet ist. Eines jener hier noch zahlreich vertretenen alten einstöckigen Landhäuser aus der Zeit Friedrichs des Grossen im einfachen Barockstil, der den ländlichen Charakter wohl zu treffen wusste, hat leider abgebrochen werden müssen, um den von mächtigen Baumkronen überschatteten Park, der sich in einer mittleren Breite von etwa 100 m bis zur Hartwigstrasse erstreckt, nach der Breiten Strasse hin zu öffnen (vergl. Abbildg. S. 69). Zwei ungefähr gleichlaufende, in der Mitte einen Gartenplatz einschliessende Strassenzüge von je 8 m Breite, die sich mit 5 m auf den Fahrdamm und mit je 1,5 m auf zwei Fusswege vertheilen, führen zu den am Rande herum erbauten Wohnhäusern. In diesem Falle hat die Baupolizei die Fläche einer ideellen, als gerade durchgelegt gedachten Strasse von 9 m Breite von der bebauungsfähigen Fläche abgezogen. Im übrigen ist auf dem Dispenswege genehmigt worden, die Bebauung,bis zu 3/10 der Fläche durchzuführen, obwohl thatsächlich zwei Strassen und ein Gartenplatz in der Mitte angelegt sind, die, um diese Form der Bebauung für alle Zeit zu erhalten, der Gemeinde ohne Entschädigung zum Eigenthum überwiesen wurden. Die noch im Privatbesitz verbleibenden eingefriedigten Grundstücke erscheinen alsdann durchschnittlich zu 4/10 bis 5/10 bebaut, während der noch fehlende Rest an unbebauter Fläche eben in der öffentlichen Anlage liegt. Dies ist, abgesehen von der bereits beleuchteten Härte des Abzuges einer Strassenfläche bei Ermittelung der Bebauungsfähigkeit ein bedeutsames Zugeständniss, das, falls ein für allemal grundsätzlich, also nicht auf langwierige und im Erfolge zweifelhafte Ausnahmeanträge hin gewährt, die March’sche Schöpfung zu einer vorbildlichen für ähnliche Fälle stempeln würde.

Landhausgruppe Amalienpark in Pankow – Lageplan

Der Amalienpark ist bereits am Eingange und und zu beiden Seiten mit zusammen sechs Landhäusern von der. Baufirma Höltzel & Trenner bebaut und zwar im Rahmen der für die Vororte geltenden Polizeivorschriften in je 2 Geschossen mit dreiviertel ausgebautem Keller und zur Hälfte ausgebautem Dachraum. Die drei noch fehlenden Gebäudegruppen sollen in diesem Jahre zur Ausführung kommen. Die Gebäude halten an den Nachbargrenzen 4 m Abstand und haben unter sich ebenso breite Bauwiche, Die Anordnung der Wohnungen ist die in Berlin übliche. Es sind meist Wohnungen von 4 bis 5 Zimmern, die in schlichter Vornehmheit ausgebildet werden, zum durchschnittlichen Miethspreise von 1000-1200 M. in den Geschossen und selbst noch zum Preise von 400 M. an traulich unter dem hohen Mansarddache des Hauses belegen. Die Geschoss-Wohnungen haben je eine geräumige offene Sitzhalle, die Dachwohnungen darüber je einen Altan, alle so gelegen, dass sich die Insassen nicht gegenseitig stören. Im Keller ist die Pförtnerwohnung untergebracht und ausserdem noch eine Wohnung zum Vermiethen an Sommergäste. Einige Erdgeschosswohnungen sind mit den darunter befindlichen Kellerräumen, einige Obergeschosswohnungen mit den darüber befindlichen Dachräumen durch innere Treppen zu grösseren Wohnungen von 7 bis 8 Zimmern vereinigt, die 1600 M. Miethe bringen sollen. Den Abschluss der im Sinne eines Ehrenhofes gedachten Anlage bildet am hinteren Ende des Platzes als beherrschendes Haupthaus ein Doppelhaus, das eine um so stattlichere Höhe erhalten muss, als der Erdboden nach der Hartwigstrasse hin etwas abfällt. Die Baubehörden wollten dann auch ausnahmsweise drei Geschosse für dieses Gebäude zulassen, wenn dagegen der Ausbau von Keller und Dachraum gänzlich unterbliebe, eine insoweit harte Bedingung, als nun guter Rath theuer war, wo der in Wohnhäusern solcher Art unentbehrliche Pförtner hin sollte!”

Es zeigt sich hier, wie s. Zt. bei Erlass der Bauordnung befürchtet wurde, eine der einseitigen Folgen, die eine Abstufung der Bauhöhen nach Zonen oder Bezirken mit sich bringt. Im Landhausgebiet kann man sich eben kein stolzes Schloss bauen. In dem vorliegenden Falle ist dieser Punkt nun durch die angerufene ministerielle Entscheidung im günstigen Sinne erledigt worden, so dass die ganze Wohnanlage mit den im Schaubilde (vgl. Bildbeilage) der besseren Uebersichtlichkeit wegen fortgelassenen Parkbäumen und den im ländlichen Baustil March’scher Färbung errichteten Wohnhäusern mit geputzten Wänden, grün gestrichenen Fensterläden und rothen Mansarddächern ein überaus wohlthuendes Gefühl der Befriedigung zu gewähren verspricht. Sollte auf diesem Wege noch eine landhausmässige Bebauung rund um die Grosstadt herum zu erzielen sein, so brauchte Berlin z. B. nicht mehr Frankfurt a. M. wegen seiner wohlgelungenen Stadterweiterung zu beneiden.

Landhausgruppe Amalienpark in Pankow

Kurz zusammengefasst hat sich also ergeben:

1. Es ist wirthschaftlich noch möglich, das Wohnbedürfniss für mittlere Einkommen in offener Bauweise zu befriedigen. Wenn auch grosse Kapitalien zu diesem Unternehmen aufgewendet worden sind, so ist ein solches doch nicht Spekulation des eigentlichen Grosskapitalismus, der müheloseren und ertragreicheren Gewinn zu suchen pflegt.

Einzelne der neugeschaffenen Trennstücke hätte die Baugesellschaft gleich als Baustellen vortheilhaft losschlagen können. Darin liegt ein Fingerzeig für die Gemeinden, sich nun selbst damit zu befassen, ihren Bürgern auf solchem Wege passende Baustellen zu vermitteln. Die Baugesellschaft hat aber weiter gezeigt, wie für den Mittelstand gebaut werden muss und damit auch den mit kleineren Kapitalien arbeitenden Unternehmer einen Wink gegeben.

Eine derartige Bebauung und Auftheilung der Blöcke kommt daher den mittleren Vermögen zugute.

2. Es ist somit auch künstlerisch möglich, das Wohnbedürfniss nach den individuellen Wünschen der Bevölkerung sowohl als auch zur Verschönerung des ganzen Stadtbildes zu befriedigen. Es würden damit Behagen im eigenen Hause, Freude am Wohnorte zurückkehren und den Bürger wieder sesshafter machen, als er augenblicklich ist.

Die Unterschätzung der Kunst, namentlich der Architektur als eines Kulturmittels hat wesentlich zu den herrschenden Uebelständen beigetragen.

Verspricht also dieses Ergebniss schon einen grossen sozialen Gewinn, so entsteht die weitere Frage, warum man die kleineren und kleinsten Einkommen bezw. Vermögen nicht daran theilnehmen lassen will? Warum darf nicht innerhalb gewisser Grenzen mit sog. Kleinbauten in die Landhausbezirke hineingegangen werden? Müssen denn Arbeiterhäuser immer vielgeschossige Kasernen sein?!

Schmale Wohnstrassen, die sich in den Landhausbezirken am leichtesten anlegen lassen, sind auch ein Bedürfniss für Kleinbauten, die kaum jemand an 15 oder 18 m breiten Strassen errichten wird. Es ist daher zu hoffen und als bestimmter Wunsch auszusprechen, dass die im § 6 der Bauordnung für die Vororte gekennzeichneten Kleinbauten auch in den der landhausmässigen Bebauung vorbehaltenen Gebieten (§ 5 derselben Bauordnung) zugelassen werden und zwar je eher desto besser durch Aenderung der bestehenden Bestimmungen bei der angeblich geplanten Neufassung der Bauordnung. Auf diesem Wege könnte die Arbeiter-Wohnfrage ein gut Stück der Lösung näher gebracht werden, die nur gelingen kann, wenn bei gleichzeitiger Erfüllung der gesundheitlichen Bedingungen eine volle Ausnutzung des Baulandes möglich ist. Die verdienstliche Thätigkeit des Berliner Spar- und Bauvereins, sowie die bekannten Volksbeglückungspläne von Weisbach verzichten freiwillig auf einen Theil der bebauungsfähigen Fläche, um ihren Zweck zu erreichen und sie thun recht damit innerhalb der hohen Bebauung – aber erziehlich können sie deshalb für die Privatspekulation nicht wirken. Ueberdies ist dem grössten geschlossenen Hofe an ethischem Werthe die schmälste offene Strasse stets vorzuziehen. Staat und Gemeinden müssen sich daher die Hände reichen zu einer die sozialen Bedürfnisse berücksichtigenden Prüfung der Bauordnungen und Bebauungspläne.

Theodor Goecke.

Dieser Artikel erschien zuerst am 30.01.1897 in der Deutsche Bauzeitung.