Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 - V. Das Haupt-Eingangsthor. Arch. René Binet

Arch.: Réne Binet in Paris.
Von den vorübergehenden Konstruktionen der Weltausstellung, die nach dem Schlusse der Ausstellung wieder vom Erdboden verschwinden, ist das Haupt-Eingangsthor des Architekten Rene Binet, unmittelbar am Eintrachtsplatze gelegen, die Porte Binet, die bedeutendste, und es bedarf nicht einmal des scharfen Zusehens, um zu erkennen, dass sie trotz aller Schmähungen und trotz allen ätzenden Spottes, der über sie niedergegangen ist, mit ihrem reichen Inhalte von Keimen für eine Weiterentwicklung der Architektur das werthvollste Bauwerk der Ausstellung überhaupt ist. Dieses Werk allein bedeutet eine Fortbildung der im Jahre 1889 gegebenen Anregungen; es ist trotz vieler Absonderlichkeiten das einzige Werk der Ausstellung, welches losgelöst von aller Ueberlieferung, mit Muth und Scharfsinn und zugleich mit aussergewöhnlicher künstlerischer Kraft die Errungenschaften der Kultur unserer Tage in seinen Dienst zu zwingen versucht. Und das ist kein geringes Verdienst. Durch sein Thor tritt Rene Binet in die Reihe der hervorragenden Künstler des Jahres 1889, welche die Architektur um einen grossen Schritt weiter gebracht haben.

Das Thor liegt unmittelbar gegenüber der südwestlichen Ecke des Eintrachtsplatzes. Ich habe in dem einleitenden Aufsatze die Frage aufgeworfen, warum man es nicht in die Axe des Invalidenpalastes, an die Avenue des Champs Elysees gesetzt habe, um so den Besucher der Ausstellung gleich bei seinem Eintritt mit dem überwältigenden Eindruck der grossen Perspektive der Avenue Nicolaus II. zu empfangen. Die nüchternen Forderungen des Verkehrs sind es offenbar gewesen, welche das hier gegebene künstlerische Moment verdrängt haben. Bei starkem Andrang zur Ausstellung ist der Eintrachtsplatz der historisch und praktisch gegebene Vorplatz für Volksversammlungen und mit dem weiten Vorraum vor dem Thore selbst geeignet, eine grosse Volksmenge nebst dem ungeheuren Wagenverkehr aufzunehmen und zu leiten. Das wäre an der Avenue des Champs Elysees unmöglich gewesen, und so musste das Kunst-Interesse den Verkehrs-Interessen weichen.

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Was das Thor selbst anbelangt, so baut sich dasselbe als ein mächtiger, auf drei Doppel-Stützen ruhender Kuppelbau mit durchbrochener Schale auf. Von den drei Bögen des segmentförmig angeschnittenen, ungefähr gleichseitigen Dreiecks geben zwei Bögen von etwa 20 m Weite Zutritt zu den zahlreichen Schaltern, durch welche die bereits mit Eintrittskarten versehenen Besucher in die Ausstellung eintreten. Aus der Doppel-Stütze in der Hauptaxe ist ein bogenförmiger Eingang gebildet, welcher hohen Ausstellungs-Besuchern und festlichen Auffahrten vorbehalten ist. An den dritten Segmentbogen schliesst sich ein reiches Triumphalportal, welches in straffer Kreislinienführung in einen krönenden Knauf sich entwickelt und ausklingt, auf welchem eine allegorische Statue, die Stadt Paris ihre Ausstellungsgäste empfangend, ein treffliches Werk des Bildhauers Moreau-Vauthier, thront. Von dem Triumphalbogen ausgehend, schwingen sich im Viertelkreise zwei friesgeschmückte Anbauten zu zwei hochragenden schlanken Obelisken, welche den Portalhau flankiren. Die Friese, ausgezeichnete Werke des Bildhauers Guillot, 10,3 m lang und 2,2 m hoch, mit ungefähr lebensgrossen oder etwas über lebensgrossen Figuren, sind in einer feinen Realistik eine lebendige Apotheose der Arbeit. Sie werden begleitet von schlicht gezeichneten Thierfriesen, die nach den Modellen des Bildhauers Jouve durch Bigot in glasirtem Steingut ausgeführt wurden und in Stil und Farbengebung an die besten Funde des Doppelstromlandes erinnern, deren Nachahmung in der angewandten modernen französischen Kunst eine verheissungsvolle Rolle spielt. Unterhalb des bekrönenden Knaufes der Vorderseite des Triumphbogens rollen sich die Begleitlinien zu Voluten zusammen, die das Schiff von Paris und den französischen Hahn tragen.

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 - V. Das Haupt-Eingangsthor. Flankirender Obelisk
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor. Flankirender Obelisk

Die ungewöhnlich grossen Maasse des Bauwerkes sind aus unserer Grundrisskizze zu entnehmen. Danach beträgt die Entfernung der beiden Obelisken von Mittelpunkt zu Mittelpunkt 46,5 m; die Obelisken selbst steigen zu einer Höhe von etwa 50 m an. Der Triumphbogen öffnet sich in einer Weite von etwa 27 m und führt die krönende Figur „Notre Dame de l´Exposition“, bis zu einer Höhe von 49 m empor. Unmittelbar hinter dem Triumphbogen öffnen sich zwei gegen 6 m weite hohe Nischen, in welchen allegeorische weibliche Figuren in ägyptisirender Haltung stehen. Die Kuppel bedeckt eine Fläche von etwa 500 qm; unter ihr finden 2000 Personen Platz, während die gleiche Anzahl von Personen durch die 58 Zugänge zur Ausstellung aufgenommen werden kann. Man hat berechnet, dass in der Stunde 60 000 Personen Durchlass gewährt werden kann. Die 58 Durchgänge weisen eine schlichte, natürlich ausgebildete Holzarchitektur auf, die wir hier wiedergegeben haben, weil sie in den maasslosen Uebertreibungen, die das ganze Ausstellungsgebiet beherrschen, als Baulichkeiten von einfacher Natürlichkeit angenehm auffallen.

Die Formensprache des Thores geht aus unseren Abbildungen hervor. Sie nimmt das Gute, wo sie es findet, vorwiegend aus dem vorgriechischen Alterthum und aus der Formenwelt des fernen Ostens, jedoch in durchaus freier und selbständiger Verarbeitung, sowie in harmonischer Mischung. Mag Moreau-Vauthier das Vorbild für seine Pariserin mit der Eleganz ihrer Ballrobe, mit dem Reichthum ihres Umhanges und mit der einladenden Handbewegung im Moulin rouge, im Jardin de Paris oder auch in einem feinen Parker Salon geholt haben, er hat ein nicht minder charakteristisches Werk geschaffen, wie Binet, der seine Formen dem Alterthum und dem Osten entlehnte. Beide hatten nur ihren Zweck im Auge, welchem die Mittel in unbefangenster und freiester Weise dienstbar gemacht wurden.

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 - V. Das Haupt-Eingangsthor
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 - V. Das Haupt-Eingangsthor. Grundriss
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor. Grundriss

Die Farbenstimmung des Werkes ist eın lichtes Blau als Grundton, daneben grün, weiss, Gold und gelb. Das Formengewebe ertnimmt den maurischen Palästen den Fayenceschmuck, die Krystalle, die vielfarbigen Steine. Seine durchsichtige Polychromie ist zart und hell, sie verlangt Fluthen des Lichtes und will im Licht zerfliessen. Wenn sich die Schatten der Nacht auf die Ausstellung gesenkt haben, dann leuchtet das Thor in farbigem Lichtglanz von magischem Zauber. Die Linien der Architektur, die Flächen, die Ornamente, sind mit zahllosen Glühkörpern besetzt. Aus jedem Blumenkelche, jeder Fruchthülse leuchtet es farbig hervor. Von den Obelisken und von benachbarten Masten strählen die Fluthen des elektrischen Bogenlichtes und so hält der Besucher durch ein Meer von Licht und Feuer seinen Einzug in die Ausstellung.

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 - V. Das Haupt-Eingangsthor. Arch. René Binet
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor. Arch. René Binet

Die Wirkung ist bezaubernd. Kein greller Schein, sondern leise aufleuchtende grüne, rothe, gelbe und blaue Edelsteine, ein geheimnissvolles Leuchten, ein Glimmen und Glühen wie in dem aus farbigen Krystallen gefügten unterirdischen Palaste der Gnomen. Mit über 3000 Glühlämpchen soll das Thor in Flächen und Linien besät sein und 12 Bogenlampen lösen seine Formen in eine Atmosphäre von Licht auf. Lässt man dem Eintagserfolge eine gewisse und für Ausstellungen nicht zu bestreitende Berechtigung, so darf die Porte Binet mit ihrem magischen Glühen und Leuchten und ihrer Märchenpracht als das leuchtende Geheimniss der Ausstellung bezeichnet werden. Alles in allem: Ein Werk voll frischer Phantasie, vollkühnen Muthes, voll poetischen Empfindens, aber auch ein stark angefeindetes Werk: ein Werk, über das ebenso viel Spott wie Licht ausgegossen wurde. Und doch mit Unrecht. Als Rene Binet seine Hohe Pforte zur Ausstellung ersann, durfte er sich sagen, dass ein Ausstellungsstil kein Stil für die Ewigkeit sei und durfte seiner Phantasie die Flügel der Märchenpoesie leihen. Indem er dies that, schuf er ein eigenartiges Werk voll neuer Gedanken und Anregungen, voll fruchtbarer Keime zur Weiterbildung. Wir werden Rene Binet sobald nicht vergessen. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 28.07.1900 in der Deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie “Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900” besteht aus 9 Teilen:

I. Einleitung und Gesammtanlage

II. Der grosse Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

Nr. II. ist doppelt, Nr. III. fehlt, möglicherweise ein Fehler der Deutschen Bauzeitung?

II. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Der kleine Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

IV. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Brücke Alexander’s III.

V. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor

VI. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VI. Die Völker-Strasse

VII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VII. Alt-Paris, das Schweizerdorf und andere kleinere Veranstaltungen

VIII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VIII. Die vorübergehenden grossen Ausstellungsbauten

IX. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IX. Das Wasserschloss, der Festsaal und kleine Ausstellungsbauten