Architekt: Stadtbaurath Ludwig Hoffmann in Berlin.
In der Mitte des laufenden Jahres etwa wurde die neue Volks-Badeanstalt in der Bärwaldstrasse in Berlin ihrer Bestimmung übergeben, und damit die grosse Zahl der hervorragenderen städtischen Gebäude um ein werthvolles monumentales Werk bereichert.
Die Bärwaldstrasse, an welcher das geräumige Grundstück liegt, ist eine breite Alleestrasse, welche auf die künstlerische Gestaltung des Hauses nicht ohne Einfluss war. Eine besondere praktische Bedeutung erhielt die neue Anstalt dadurch, dass sie mit einem an der Wilmsstrasse gelegenen neuen Schulgebäude in eine unmittelbare Verbindung gebracht werden konnte. Die Anstalt erhebt sich in einem Unter- und drei Obergeschossen. Sie zerfällt im Grundriss in 3 regelmässige Raumgruppen, welche in der Aussen-Ansicht zumtheil und charakteristisch in die Erscheinung treten. Man betritt die Anstalt in der Mittelaxe der an der Bärwaldstrasse gelegenen Hauptfront. Zu beiden Seiten des Haupteinganges liegen Kassen, neben ihnen Warteräume für Männer und für Frauen. In der Hauptaxe liegt die grosse Schwimmhalle, vor ihr symmetrisch zwei stattliche gebrochene Treppen, welche von einem breiten Vestibül zugänglich sind, das in etwas grösseren Abmessungen angeordnet wurde, weil an dieser Stelle der Verkehr von und nach den Warteräumen, nach dem Schwimmbade, nach den seitlich gelegenen Bädern und nach den Obergeschossen zusammenströmt. Die Erhellung dieses Vestibüls findet sowohl vom Haupteingang, wie über die Kassenräume hinweg, durch die Haupttreppen, die weit gegen dasselbe geöffnet sind, und durch die seitlich anschliessenden Korridore statt.
An der grossen Schwimmhalle von 176,5 qm Fläche liegen die Räume für den Bademeister und die Bademeisterin, sowie Seifenräume und Klosets. Die 69 Wannen- und 60 Brausebäder befinden sich im Erd- und im I. Obergeschoss; im ersteren werden sie an der Fassade durch risalitartige Vorsprünge angedeutet, im letzteren, in welchem sie die volle Ausdehnung der Fassade einnehmen, durch kleine Fenster, welche ihrem zellenartigen Charakter entsprechen. Die Brausezellen können von der Schule aus durch einen bedeckten Gang und eine Nebentreppe unmittelbar erreicht werden.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Wird das I. Obergeschoss noch völlig durch Bäder und Warteräume in Anspruch genommen, so enthält das II. Obergeschoss in seinem vorderen, höher geführten Gebäudetheil (die hinteren Gebäudetheile bleiben liegen) die Wohnungen der Beamten. Es hat also jedes Stockwerk eine verschiedenartige Bestimmung, die auch in der architektonischen Ausbildung der Fassade zum Ausdruck kommt.
Im Dachgeschoss wurden 3 Warmwasser-Reservoire und 1 Kaltwasser-Reservoir derart aufgestellt, dass der darunter befindliche Bodenraum noch als Trockenboden nutzbar gemacht werden kann. Soviel über die Raumeintheilung, die eine ungemein schlichte und natürliche ist und die volle Durchfluthung der Räume mit Licht und Luft ermöglicht. Seitlich, gegen die Schule, liegen das Kessel- und das Maschinenhaus.
Was dieses Gebäude zu einem ungemein anziehenden und eigenartigen macht, das ist die Wahl des Baustiles der italienischen Renaissance für seine Aussengestaltung. Der Architekt fühlte einen gewissen Zwang zu grosser, geschlossener Behandlung des Aufbaues durch den Charakter der vor dem Hause hinziehenden breiten Alleestrasse. Um zu dem grossen Eindruck des Aufbaues zu kommen, genügte ihm aber nicht allein die Wahl des Stiles, sondern innerhalb desselben verwandte er mit grossem Geschick und ohne merkliche Beeinträchtigung der praktischen Gesichtspunkte künstlerische Kleinmittel zu unzweifelhaft glücklicher Wirkung. Zu diesen Mitteln zählt z. B., dass im Erdgeschoss eine Fensteraxe unterdrückt, dass anstelle eines grossen ein kleines Fenster geschaffen und dadurch der monumentale Eindruck dieses Geschosses bedeutend erhöht wurde.
Das so wenig beachtete künstlerische Gesetz des Gegensatzes, mit welchem die italienische Renaissance so unvergleichlich grosse Wirkungen hervorzubringen wusste!
Zu diesen künstlerischen Mitteln zählt weiter, dass die Quader aus Wünschelburger Sandstein mit Bossen versetzt wurden, die, ohne jede weitere Bearbeitung blieben und lediglich die Bruchfläche mit allen ihren interessanten Zufälligkeiten zeigen. Auch hierdurch erhält die Fassade einen kraftvollen, grossen Charakter, ohne in den Eindruck der Monotonie zu verfallen, denn die tausend Zufälligkeiten des Bruches geben ihr ein merkwürdiges Kleinleben.
Zu den genannten künstlerischen Mitteln zählt in dritter Linie der Umstand, dass das I. Obergeschoss ausschliesslich Badezellen enthält, welche nur nieder zu sein brauchen und sich mit einer nur kleinen Lichtöffnung begnügen können. Dieses kleine Geschoss mit dem Erd- und dem Sockelgeschoss zusammengezogen und mit einem kräftigen Gurtgesims abgedeckt, steht in einem starken künstlerischen Gegensatz zu dem zweiten Obergeschoss, in welchem die Fenster eine energisch gegliederte architektonische Umrahmung aus Sandstein erhalten haben, die auf einer glatten Putzfläche sitzt. Ein fein gezeichnetes Hauptgesims mit stark vorspringenden Sparren schützt das Obergeschoss. In dieser interessanten Behandlung steckt das vierte der hier zur Anwendung gebrachten künstlerischen Mittel. Wieder ist dann ein Gegensatz geschaffen zwischen der rauhen Quaderfläche des Erdgeschosses und dem reich umrahmten, sorgfältig profilirten und mit schönem plastischem Schmuck bedachten Eingangsthore. So ergiebt sich die Wirkung der Fassade in glücklichster Weise aus einer Reihe von Gegensätzen, die so selbstverständlich sind, dass sie nur eine feine Künstlernatur zur Anwendung zu bringen versteht. (Schluss folgt.)
Berliner Neubauten 101 – Die städtische Badeanstalt an der Bärwaldstrasse.
(Schluss.) Das künstlerische Gesetz des Gegensatzes, von dem die Aussengestaltungen des Hauses beherrscht werden, übt in gleicher Weise auch im Inneren seine berechtigte Herrschaft aus. In der Schwimmhalle z. B. stehen die sehr bewegt gehaltenen seitlichen Hallen, die insbesondere auch volle seitliche Beleuchtung erhalten, lebhaft ab gegen die übrigen Theile des vollkommen ruhig gestalteten, mit einer einfachen Tonne mit tiefen seitlichen Nischen überwölbten Raumes. Sind die oberen Theile der Schwimmhalle licht und weiss gehalten, so war beabsichtigt, dem Wasser des Schwimmbeckens eine helle, meergrüne Farbe zu verleihen. Es wurden zur Erprobung des Eindruckes in einer älteren Badeanstalt eine grössere Anzahl farbiger Thonplatten unter Wasser auf ihre farbige Wirkung untersucht, wobei sich ergab, dass ein mattes Graugrün der Platten bei dem zur Verwendung gelangenden, von seinen Eisenbestandtheilen befreiten Wasser die gewünschte Wirkung ergab.
Der ornamentale Schmuck der Halle wie des ganzen Hauses ist unter dem Gesichtspunkte seiner Beziehungen zur Wassersymbolik entworfen. Beim Portal, bei den Halleneinbauten der Schwimmhalle, bei den Schmiedearbeiten, bei den Holztheilen der Möbel, bei den graziös umrahmten Balkonen der Schwimmhalle, von welchen wir eine Abbildg. geben, allenthalben sind die Beweglichkeit des Wassers und die Formenwelt seiner Bewohner für die Grundmotive der reizvollen Ornamentik verwendet. Gelegentlich tritt in dieser auch das Wappenthier der Stadt Berlin, der Bär, auf, in bedeutsamer und schöner, lebensvoller Weise z B. am Portal. Dieser Portalschmuck stammt von dem Bildh. Prof. Otto Lessing, die Pfeilerköpfe der Schwimmhalle modellirte Hr. Bildh. Westpfahl, die Steinmetzarbeiten der Fassade wurden von Hof-Steinmetzmeister Schilling geliefert, die Malerarbeiten hatte Hr. Bodenstein übernommen, die Schmiedearbeiten wurden durch die Firma Schulz & Holdefleiss in Berlin gefertigt.
Die Sorgfalt der Ausführung macht vor den untergeordneteren Baderäumen sowie vor den Verwaltungs- und den Wohnräumen nicht Halt. Sie alle sind in ihrer Herstellung und Ausstattung mit der Würde bedacht, welche einem hervorragenden Monumentalbau der Stadt Berlin zukommt, wenn auch hier nichts über das Nothwendige hinaus geschehen ist. Das bezieht sich auch auf die Theile des Aeusseren, welche dem allgemeinen Anblick entzogen sind. Die Hoffassaden z. B. sind in einfachster Weise ausgebildet worden. Dadurch gelang es, von der nicht hohen Bausumme bei monumentalster Durchführung des Ganzen den Bautheilen einen Schmuck zuzuwenden, durch welche die Bestimmung des Gebäudes gekennzeichnet wird.
Die Kosten des Hauses betrugen rd. 710 000 M. Hiervon entfallen auf die Anlagen für die Beheizung, Ventilation, sowie für die Be- und Entwässerung rd. 116 000 M., sodass für den Bau selbst etwa 594 000 M. verbleiben. Hieraus berechnet sich 1 cbm umbauten Raumes auf etwa 23,4 M., und wenn die Summen für die vorhin genannten Arbeiten einbezogen werden, auf etwa 25,9 M.
Bei der Bearbeitung der Entwürfe standen dem Architekten in künstlerischer Beziehung Hr. Stdtbmstr. Schneegans, in technischer Beziehung Hr. Stadtbauinsp. Matzdorff zur Seite. Die Bauausführung stand unter der Leitung des Hrn. Stdtbauinsp. Neumann.
Wir halten mit unserer aufrichtigen Freude über die Bereicherung des Kunstbesitzes der Stadt Berlin durch diesen hervorragenden Monumentalbau nicht zurück.
Dieser Artikel erschien zuerst am 23. & 30.12.1901 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- H. -“.