Berliner Neubauten 70 – Das Reichshaus.

Architekt: Baurath, Professor Dr. Paul Wallot. Am 15. November d. J. soll das Reichshaus durch die Feier einer von S. M. dem Kaiser zu vollziehenden Schlussstein-Legung seine Weihe erhalten, um unmittelbar darauf von den Vertretern der deutschen Regierungen und des deutschen Volkes in Besitz genommen zu werden.

Wir stehen damit am Vorabend eines Ereignisses, dessen hohe nationale Bedeutung für die Angehörigen unseres Berufs noch in ganz besonderer Weise sich steigert. Denn während die Gesammtheit der Deutschen in diesem Bau zunächst das leuchtende Denkmal ihrer, nach langem Ringen wiedergewonnenen nationalen Einheit und Macht erblickt, sehen wir in ihm zugleich das Werk, in welchem das künstlerische Wollen und Können unserer Zeit zu vollem Ausdruck gelangt ist und an welchem dasselbe von der Nachwelt vorzugsweise wird gemessen werden.

Wenn wir es angesichts dessen unternehmen, vor unseren Lesern ein Bild der gewaltigen Schöpfung Wallots zu entrollen, so versteht es sich wohl von selbst, dass es dabei nur um eine in flüchtigen Umrissen gehaltene Skizze sich handeln und dass diese allein auf die Grundzüge der Anlage sich erstrecken kann. Hoffentlich ist es uns vergönnt, im Laufe der Jahre, welche noch bis zur völligen Vollendung des Baues vergehen werden, weiterhin mit mancher künstlerischen und technischen Einzelheit desselben uns zu beschäftigen. Die Fülle des Schönen und Bemerkenswerthen, das er enthält, wird freilich auch eine noch so gross angelegte Sonder-Veröffentlichung niemals bewältigen können.

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Weitläufig auf die Vorgeschichte des Baues einzugehen, dürfte in einem Blatte, dessen ältere Jahrgänge zu einem wesentlichen Theile mit den Aktenstücken derselben gefüllt sind, kaum erforderlich scheinen. Nachdem ein erster, noch im Jahre der Gründung des neuen deutschen Kaiserreichs eingeleiteter Versuch, den Entwurf für das Reichshaus imwege des öffentlichen internationalen Wettbewerbs zu gewinnen, theils an der Mangelhaftigkeit des ungenügend vorbereiteten Programms, theils an der Ungunst der durch den gewählten Bauplatz gegebenen Bedingungen gescheitert war und es sich überdies herausgestellt hatte, dass das fragliche Gelände zunächst nicht zur Verfügung des Reichs gestellt werden konnte, ist fast ein Jahrzehnt damit hingebracht worden, eine andere, mehr geeignete Stelle zur Errichtung des Baues ausfindig zu wachen. Unter 64 verschiedenen Plätzen, die hierfür in Vorschlag gebracht und zur Erwägung gezogen wurden, kamen jedoch zuletzt nur 2 ernstlich infrage: das auf der Westseite des Königsplatzes gelegene, z. Z. mit dem Kroll’schen Etablissement bebaute Gelände und der an die Nordseite des Königsplatzes sich anschliessende sogen. Alsenplatz. Jener wurde von der Regierung warm empfohlen, vom Reichstage dagegen mit erheblicher Mehrheit abgelehnt. Für diesen traten alle Sachverständigen aufs nachdrücklichste ein; seine Wahl konnte jedoch zur entscheidenden Abstimmung nicht gestellt werden, da es nicht gelang, Kaiser Wilhelm I. zu einer entsprechenden Abänderung der von seinem Bruder und Vorgänger geplanten Platzanlage zu bewegen. In diesem peinlichen Zwiespalt wirkte die plötzlich sich darbietende Möglichkeit, die bereits für den Wettbewerb des Jahres 1871/72 zugrunde gelegte Baustelle auf der Ostseite des Königsplatzes zu erwerben, wie eine Erlösung. Trotzdem man sich der Schwierigkeiten und Nachtheile wohl bewusst war, welche dem Bau aus der eigenartigen Lage dieses Geländes erwachsen mussten, war der Wunsch, endlich zu einer Entscheidung zu gelangen, bei allen betheiligten Körperschaften doch so übermächtig, dass man sich schnell über die endgiltige Wahl desselben einigte. So wurde denn zu Anfang d. J. 1882 ein zweiter, diesmal auf deutsche Architekten beschränkter öffentlicher Wettbewerb um den Entwurf des Reichshauses erlassen, aus welchem am 24. Juni dess. J. die Arbeit des Architekten Paul Wallot in Frankfurt a. M. siegreich hervorging.

Mit der Einsetzung einer aus Mitgliedern des Bundesrathes und Reichstages gebildeten, durch Zuziehung einiger Sachverständigen (Geh. Oberbrth. Adler und Geh. Ober-Regsrth. Persius) verstärkten Baukommission und dem von dieser an Hrn. Wallot ertheilten Auttrage, seinen Entwurf unter Benutzung des Gesammtergebnisses des Wettbewerbs für die Zwecke der Ausführung umzuarbeiten, schliesst die Vorgeschichte und beginnt die Geschichte des Reichshausbaues.

Auch inbetreff der letzteren wollen wir keineswegs bei allen einzelnen Entwicklungs-Stufen des zur Ausführung gebrachten Entwurfs, geschweige denn bei allen im Verlaufe dieser eingetretenen Vorkommnisse länger verweilen, sondern uns – unter Hinweis auf die s. Z. in d. Blatte erschienenen ausführlicheren Erörterungen und Pläne – im wesentlichen mit einer Hervorhebung derjenigen Thatsachen genügen lassen, ohne deren Kenntniss man weder dem Bauwerke noch seinem Schöpfer nach allen Seiten gerecht werden kann.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 541 oben

Dass der i. J. 1882 preisgekrönte Entwurf Wallot’s ein genialer „Wurf“ war, darüber war damals und ist noch heute die Mehrheit aller wirklichen Sachverständigen einig. Aber es kann unmöglich geleugnet werden, dass diese im Laufe weniger Wochen entstandene Arbeit – an dem Maassstabe der für die wirkliche Ausführung zu stellenden Ansprüche gemessen – doch nur als eine „Skizze“ zu betrachten war, die nach verschiedenen Richtungen hin einer Aenderung und Verbesserung bedurfte. Ueber die Nothwendigkeit solcher durchgreifenden Verbesserungen ist kaum Jemand so klar gewesen, wie der Architekt selbst. Wenn er sich trotzdem in dieser Beziehung eine gewisse Zurückhaltung auferlegte und sich zunächst damit begnügte, den Wünschen zu entsprechen, welche seitens seiner Auftraggeber an ihn herantraten, so entsprang dies einer bei seiner schwierigen Lage durchaus gerechtfertigten Vorsicht. Denn der ihm ertheilte Auftrag war noch kein endgiltiger und der Rechtstitel, auf den er sich verschiedenen ihm ungünstigen Strömungen gegenüber stützen konnte, war einzig und allein der Sieg, den er mit jener Skizze über die gesammte deutsche Architektenschaft davongetragen hatte.

Eine erste Bearbeitung des Wallot’schen Konkurrenz-Entwurfs gelangte noch i. J. 1882 zum Abschluss. Unter Festhaltung der wesentlichen Züge sowohl in der Anordnung des Grundrisses wie in derjenigen der Fassaden hatte sich der Künstler darauf beschränkt, durch Verschiebung einiger Haupträume jenen für die Gebrauchszwecke des Hauses zu verbessern, diese durch Erhöhung des Unterbaues und Durchführung einer Attika noch wirkungsvoller und stattlicher zu gestalten. Die Akademie des Bauwesens, welcher der Entwurf zur Begutachtung unterbreitet worden war, hatte sich unbeschadet einzelner Bedenken im allgemeinen über ihn nicht ungünstig geäussert, und so erschien der Beginn des Baues in kurze Nähe gerückt, als die vom Bundesrathe ausgesprochene Erwartung, dass es bei weiterer Durcharbeitung der vorgelegten Skizzen gelingen werde, dem Sitzungssaale eine geringere Höhenlage zu geben, plötzlich eine der wesentlichsten Voraussetzungen des Planes verschob. Denn während Wallot – mit der ungeheueren Mehrzahl seiner Mitbewerber – jenem Saale seine Stelle im oberen Hauptgeschosse des Hauses angewiesen hatte, konnte dieser Forderung in befriedigender Weise nur genügt werden, wenn man den Sitzungssaal ins Erdgeschoss verlegte, was wiederum bedingte, letzteres zum Hauptgeschosse des Hauses zu machen.

Der Künstler erhielt nunmehr den Auftrag, seinen Entwurf in diesem Sinne umzuarbeiten und entledigte sich desselben bis zum April d. J. 1883. Doch standen die Rücksichten, welche ihn bisher genöthigt hatten, nach Möglichkeit an seiner ursprünglichen Skizze fest zu halten, noch in so unverminderter Geltung, dass auch sein neuer Entwurf (Abgebildet (in Fassade u. Hauptgrundriss) auf S. 281, Jahrg. 83 d. Bl.), der den entscheidenden Körperschaften diesmal schon in einem Modell vorgeführt wurde, von den wesentlichen Zügen jener Skizze im Grundriss nicht allzu weit sich entfernte. Beibehalten war insbesondere die Ausbildung einer als Hauptader des inneren Verkehrs dienenden Queraxe und die hierdurch bedingte Anordnung von 4 Höfen. Neu war vor allem die Anlage der Wandelhalle als eines von dem Vorraum des Sitzungssaales bis zur Westfront reichenden mächtigen Raums, an den seitlich die Restauration, sowie die Lese- und Schreibsäle sich anschlossen. Auch das Fassadenbild war im allgemeinen das alte geblieben, wenn auch die veränderte Geschosstheilung die Wahl eines anderen Systems für die Gliederung der Fronten bedingt hatte. Während in der alten Fassade auf einen niedrigen Sockel ein in Rustica-Quaderung behandeltes Erdgeschoss und auf dieses ein durch Pilaster getheiltes hohes Obergeschoss folgten, waren jetzt das zum Hauptgeschoss gewordene, in der westlichen Hauptfront mit weiten Rundbögen durchbrochene Erdgeschoss und das Obergeschoss zu einer einzigen mächtigen Pilasterstellung zusammen gezogen, für die ein hohes Rustica-Sockelgeschoss den Unterbau bildete.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 541 unten

Die Akademie des Bauwesens, der auch dieser neue Entwurf zur Begutachtung vorgelegt wurde, sah sich nicht in der Lage, denselben als Grundlage für die Bauausführung zu empfehlen; namentlich wurden von ihr die zu untergeordnete Behandlung der Einfahrten für den kaiserlichen Hof, sowie für die Mitglieder des Bundesraths und Reichstages, die zu wenig ergiebige Beleuchtung des Sitzungssaales durch die unter dem offenen Kuppelbau liegende Glasdecke, endlich die zu geringe Grösse der Höfe gerügt und die Berechtigung jenes, nur zu Repräsentationszwecken dienenden Kuppelbaues angefochten. Doch bezeichnete die Akademie als Hauptgrund für die Mängel der vorliegenden Lösung ausdrücklich den Umstand, dass der Architekt es versucht habe, der ihm gestellten völlig neuen Aufgabe unter Beibehaltung der allgemeinen äusseren Formen seines früheren Entwurfs gerecht zu werden, und empfahl daher, durch Herrn Wallot auf Grund der veränderten Bedingungen einen neuen Bauplan aufstellen zu lassen, ohne ihn an die äussere Erscheinung seines preisgekrönten Entwurfes zu binden. – Das in diesen letzten Sätzen zum Ausdruck gelangte Vertrauen in die künstlerische Persönlichkeit Wallots fand lebhaften Anklang sowohl bei der Reichstags-Baukommission wie beim Reichstage, der in seiner Sitzung vom 9. Juni 1893 nahezu einstimmig den Wunsch äusserte, dass der Bau des Reichshauses unter möglichster Festhaltung des Wallot’schen Planes zur Ausführung gebracht und dass dabei auf eine Tieferlegung des Sitzungssaales Bedacht genommen werde.

Mit diesem Beschlusse des Reichstages, dem Bundesrath und Reichskanzler ohne weiteres beitraten, war der feste Ausgangspunkt für eine weitere gedeihliche Förderung der Angelegenheit gegeben. Schon am 18. Juni erhielt Hr. Wallot durch das Reichsamt des Inneren unter den ehrenvollsten Bedingungen eine endgiltige Berufung zur Ausarbeitung des der Ausführung zugrunde zu legenden Entwurfs sowie demnächst zur künstlerischen Oberleitung des Baues, für dessen technische und geschäftliche Leitung wenige Wochen später der damalige Bauinspektor bei der Berliner Ministerial-Baukommission Hr. Haeger gewonnen wurde. Und noch im Herbst d. J. 1883, nachdem die beiden Abtheilungen der „Reichstags-Bauverwaltung“ unter Berufung der nöthigen Hilfskräfte ihre Thätigkeit eröffnet hatten, wurde der Abbruch der Baulichkeiten ins Werk gesetzt, welche bisher auf der Baustelle gestanden hatten, Inzwischen hatte Hr. Wallot auch die Aufgabe gelöst, die ihm seitens der Reichstags-Baukommission zunächst gestellt worden war: die Aufstellung eines neuen Entwurfs, bei welchem den von der Akademie des Bauwesens geäusserten Bedenken nach Möglichkeit Rechnung getragen werden sollte. Bestimmte Vorschriften waren ihm in dieser Beziehung allerdings nur insofern auferlegt worden, als an der schon in seinem letzten Plane angenommenen Höhenlage des grossen Sitzungssaales über dem umliegenden Gelände (5,5 m) festzuhalten war. Gleichzeitig war der Wunsch ausgesprochen worden, dass der zur Krönung des Gebäudes erforderliche Kuppelaufbau nach Westen hin verschoben werden möge. – Die Art, wie der nunmehr an keine persönlichen Rücksichten mehr gebundene Künstler der ihm entgegen stehenden, scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten Herr wurde, fordert zu aufrichtiger Bewunderung heraus. Ohne einen einzigen wirklichen Vorzug seiner früheren Entwürfe aufzugeben – denn die von ihm geopferte Queraxe hatte lediglich akademischen Werth – war es ihm gelungen, einen Grundriss zu erfinden, der, die Schwächen der früheren vermeidend, an Zweckmässigkeit wie an Grossartigkeit alles weit überragte, was bis dahin von ihm selbst wie von anderen Architekten für die gleiche Aufgabe und die gleiche Baustelle entworfen worden war. Einer Begründung dieses Urtheils bedarf es hier nicht, da die damals entstandenen Grundrisse (Dieselben sind mitgetheilt auf S. 505 u. 513, Jhrg. 83, der etwas veränderte Grundriss des Hauptgeschosses nochmals auf S. 269, Jhrg. 84 d. Bl.) bis auf einzelne, später noch vorgenommene Verbesserungen mit den auf S. 544 und 545 mitgetheilten, demnächst zu würdigenden – Grundrissen des ausgeführten Baues übereinstimmen. – In der Fassade, die sich im übrigen eng an diejenige des letzten vorausgegangenen Entwurfs anschloss, aber selbstverständlich der späteren Durchbildung der Einzelheiten noch weiten Spielraum liess, trat als wichtigste Aenderung die Beseitigung des Kuppelaufbaues über dem Sitzungssaale hervor. Statt seiner war der Mittelraum der grossen, hinter den Räumen der Westfront sich hinziehenden Wandelhalle mit einer Kuppel auf hohem achtseitigen Tambour bekrönt worden.

Die Vorlage der betreffenden Pläne an die Reichstags”Baukommission erfolgte im September 1883; nach einer abermaligen Durcharbeitung, bei der allen seitens der einzelnen Mitglieder jener Kommission, des Reichstags-Präsidiums und des Reichsamts des Inneren geäusserten Wünschen Rechnung getragen worden war, erlangten sie im Dezember 1883 auch die Genehmigung S. M. des Kaisers. Das Frühjahr 1884 wurde mit Ausschachtung der Baugrube und sonstigen Vorbereitungen für die Ausführung ausgefüllt. In vollen Betrieb gelangte die letztere, nachdem am 9. Juni 1884 – also ein Jahr nach dem entscheidenden Beschlusse des Reichstages – durch S. M. Kaiser Wilhelm I. die feierliche Verlegung des Grundsteins stattgefunden hatte.

Es würde den durch den Umfang d. Bl. gegebenen Rahmen weit überschreiten und für den Zweck dieses Berichtes auch wohl keinen grossen Werth haben, wenn wir den Fortgang der Bauausführung Schritt für Schritt und Jahr für Jahr verfolgen wollten. So wollen wir sie überhaupt unberücksichtigt lassen und hier lediglich der einschneidenden Veränderung gedenken, welche während derselben an dem Entwurfe vorgenommen wurde – der Zurückverlegung des Kuppelaufbaues von der vorderen Mittelhalle auf den grossen Sitzungssaal. Die Veranlassung hierzu gab, wie wir bereits auf S. 35, Jhrg. 90 d. Bl. berichtet haben, die entschiedene Weigerung S. M. Kaiser Wilhelm I., eine Anordnung jener Westkuppel zu genehmigen, bei welcher der obere Theil des von ihr bedeckten Hohlraums von der Wandelhalle durch eine flache Zwischenkuppel getrennt werden sollte. Einer Hinzuziehung jenes Raumes zur Wandelhalle glaubte der Architekt sich widersetzen zu müssen, weil dabei nicht nur das Verhältniss derselben gestört, sondern auch ihre Heizbarkeit schwer beeinträchtigt, wenn nicht gar vereitelt worden wäre. So blieb nichts übrig, als auf jene Vorderkuppel ganz zu verzichten und den für die künstlerische Erscheinung der Gesammtanlage unentbehrlichen krönenden Aufbau – im Anschlusse an den ursprünglichen Gedanken des Architekten – wieder über dem Sitzungssaale anzuordnen. Allerdings war es nicht mehr möglich, zu jenem früheren Entwurfe Wallots zurück zu kehren, da die Umfassungsmauern des Saales zu schwach angelegt waren, um einen so hohen Aufbau zu tragen. Durch einige nachträglich angebrachte Verstärkungen und einige sehr geschickte konstruktive Anordnungen, deren Verdienst Hrn. Geh. Brth. Zimmermann gebührt, ist es indessen immerhin gelungen, den Saal mit einer aus Metall und Glas hergestellten, von einer Laterne bekrönten Oberlicht-Kuppel zu versehen, die an eigenartigem Reize hinter jenem früher geplanten Aufbau nicht zurücksteht, wenn sie ihm an Wirkung auch nicht ganz gleichkommt. Ueber den gegenwärtigen Stand des Baues, der zwar gebrauchsfertig hergestellt ist, aber seines vornehmsten Schmuckes durch Werke der bildenden Kunst bekanntlich noch zum grossen Theile entbehrt, werden wir bei Besprechung seiner inneren und äusseren Erscheinung noch zu berichten Gelegenheit haben.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 544 oben

Zuvörderst haben wir mit der Grundriss-Anordnung des Hauses uns zu beschäftigen, der wir – selbst auf die Gefahr hin, vor unseren älteren Lesern überwiegend Bekanntes zu wiederholen – hier eine kurze zusammenhängende Darstellung widmen müssen. Denn es will uns scheinen, als sei es in den letzten Jahren, während alle Welt der immer klarer hervor tretenden künstlerischen Gestaltung des Baues ihre Neugier und Theilnahme zuwendete, selbst unter den Fachgenossen nicht mehr genügend gewürdigt worden, welche Meisterleistung in dem Wallot’schen Grundplane vorliegt. Der Laienwelt ist eine solche Leistung, so lange sie nur auf dem Papier sich übersehen lässt, also auch noch während des Baues, bekanntlich nahezu unverständlich und gleichgiltig. Sie kommt ihr erst zum Bewusstsein, wenn das Haus in Benutzung genommen ist, und wird auch dann noch kaum als ein besonderes Verdienst geschätzt, sondern als etwas „Selbstverständliches“ betrachtet.

Der Hauptkörper des Reichshauses bildet im Grundriss ein Rechteck, das zwischen den Ecken der 4 Thürme, die es einfassen, im Sockelgeschoss 131,80 m lang und 88,30 m tief ist. Aus diesem Rechteck springen die Thurmrisalithe noch um je 2,80 m, die westliche Vorhalle (bis zu dem Sockel der Säulen) um 5,50 m, die östliche Vorhalle um 4,70 m vor, so das die äussersten Abmessungen des eigentlichen Baues, ohne die um weitere 27 m vorspringende Freitreppen- und Rampen-Anlage vor dem Westportal, 137,40 m in der Länge und 104,10 m in der Tiefe betragen. Die ursprünglich festgesetzten Abmessungen von 136,0 m zu 95,0 m, an denen noch während der ersten Hälfte des Baues mit anscheinend unerbittlicher Strenge festgehalten wurde, sind also zugunsten einer kräftigeren Reliefwirkung des Hauses, namentlich in der Tiefe nicht unwesentlich überschritten worden.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 544 unten

Die gesammte Baumasse gliedert sich in einen breiten durchgehenden Mittelbau und 2 Seitentheile, die je einen 29 m langen, 16,28 m breiten Hof umschliessen. Von diesen beiden Höfen empfangen sämmtliche Räume auf der Innenseite der Flügel sowie die seitlichen Räume des Mittelbaues unmittelbares Licht. Nur die beiden im Innern des letzteren liegenden grossen Haupträume, die den Sitzungssaal zunächst umgebende Raumzone und die Vorsäle des Ostflügels sind durch Oberlicht erhellt.

Die Haupteingänge in das Haus befinden sich in den Axen der 4 Fronten. Unter denselben hat der auf der Westseite liegende, durch eine Säulenvorhalle ausgezeichnete Zugang, der über eine Freitreppe und Rampe unmittelbar in’s Hauptgeschoss führt, bekanntlich nur „repräsentative“ Bedeutung; die bevorstehende Feier der Schlusssteinlegung wird eine der wenigen Gelegenheiten sein, bei denen er überhaupt zur Benutzung kommt. Es ist dies eine Anordnung, welche wir als ein unvermeidliches Zugeständniss an die Lage des gewählten Bauplatzes zu betrachten uns gewöhnt haben, und die jedenfalls dem Architekten nicht zurlast füllt. Dem unbefangenen Beschauer, der die Vorgeschichte des Hauses nicht kennt, wird sie freilich als ein schwerer organischer Fehler erscheinen und es ist in der That dieser Punkt, an dem die bisher zu unserer Kenntniss gelangte Kritik ausländischer Sachverständiger zunächst einzusetzen pflegt. – Der Süd- und Nord-Zugang münden ins Sockelgeschoss, während der östliche, der über eine, in ihrem mittleren Theile bedeckte Rampe erfolgt, eine etwas höhere Lage erhalten hat; für alle 3 Zugänge sind stattliche, durch Sockel- und Hauptgeschoss reichende Vorhallen angeordnet. Von der Nord-Vorhalle aus führt eine Durchfahrt über den Nordhof hinweg, unter dem Mittelbau hindurch nach dem Südhof, und von diesem durch den südöstlichen Flügelbau nach der Sommerstrasse. Um das Gefüge der Innenräume in seinem organischen Zusammenhange zu verstehen, geht man am besten vom Grundriss des Hauptgeschosses aus. Leicht wird man hier neben dem als Kern und Mittelpunkt des Hauses sich darstellenden grossen Sitzungssaale 3 selbständige Raumgruppen unterscheiden können, und zwar:

  1. die zum Aufenthalte und Verkehr der Abgeordneten vor Beginn und während der Sitzungen bestimmten Räume in der westlichen Hältte des Hauses;
  2. die Räume des Bundesraths in dem zwischen der Ost- und Süd-Vorhalle gelegenen Viertel;
  3. die Räume des Reichstags-Vorstandes, des Büreaus und der Bibliothek in dem entsprechenden Viertel zwischen Ost- und NordVorhalle.

Indem wir bei jeder dieser Gruppen und zuletzt beim Sitzungssaale kurz verweilen, wollen wir zugleich die zu ihnen gehörigen Räume im Sockel- und Zwischengeschoss inbetracht ziehen.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 545

Die Reichstags-Abgeordneten betreten das Haus entweder von der Süd- oder von der Nord-Vorhalle her. Da die erste dem Brandenburger Thore, von wo voraussichtlich der Hauptzugang der Abgeordneten erfolgen wird, näher liegt, so kann angenommen werden, dass sie die bevorzugte sein wird. Et ist daher hier eine monumentale Treppen-Anlage geschaffen worden, die in einem unteren Laufe ansteigend, in zwei getheilten Oberläufen zum Hauptgeschosse emporführt, und zwar rechts zu den Räumen des Bundesraths, links unmittelbar zur Wandelhalle der Abgeordneten. Für gewöhnlich wird dieser Aufgang allerdings nur selten benutzt werden. Die Abgeordneten werden vielmehr aus der Süd- wie aus der Nord-Vorhalle seitlich zu der im Sockelgeschoss liegenden Kleider-Ablage sich wenden und, diese durchschreitend, eine der beiden, alle Geschosse des Hauses mit einander verbindenden Haupttreppen ersteigen, aus der sie die Wandelhalle in der Axe betreten.

Zwischen den betreffenden, zugleich mit je einem Personen-Aufzuge ausgerüsteten Treppenhäusern und den Vorhallen liegen in der Höhe des Hauptgeschosses je eine Toilette und ein Sprechzimmer, im Zwischengeschoss ein weiteres Sprechzimmer und 2 Umkleidezimmer. Die grosse Wandelhalle, das Herz aller von den Abgeordneten benutzten Räume und der Mittelpunkt ihres Verkehrs innerhalb des Hauses, erstreckt sich zwischen den genannten beiden Treppenhäusern in einer Länge von nicht weniger als 96 m. Aus einem mittleren, mit einer Flachkuppel überdeckten und durch Oberlicht erhellten Raume von achteckigem Grundriss und 2 Seitenhallen bestehend, reicht sie durch Haupt- und Obergeschoss hindurch; die Querverbindung in letzterem ermöglichen je 2 Gallerien, welche die Seitenhallen begrenzen. An letzteren liegen nach dem Königsplatze zu einerseits die aus 2 mächtigen Sälen bestehende Restauration, andererseits der Zeitungs-Lesesaal und der Schreibsaal (Derselbe ist in den betreffenden Grundrissen auf S. 544 und 545, die etwas eilig hergestellt werden mussten und daher leider manche Unvollkommenheiten zeigen, irrthümlich als Sprechsaal bezeichnet.); von dem Lesesaal ist das dem Mittelbau zunächst liegende, durch eine Zwischendecke getheilte und durch eine besondere Treppe auch mit dem entsprechenden Raum des Sockelgeschosses in Verbindung gesetzte Joch für die Post abgezweigt. Vor sämmtlichen Lichtöffnungen der betreffenden Räume, die im Verein mit der Wandelhalle auch zur Abhaltung von Festen grössten Maasstabes vortrefflich sich eignen, sind Balkons angelegt, die einen schönen Ausblick in die reizvolle Umgebung des Hauses gewähren und den Abgeordneten bei Sommer-Sitzungen eine zeitweise Erholung im Freien gestatten.

Die Mitglieder des Bundesrathes können ihren Zugang zum Hause entweder durch die Südvorhalle, gemeinsam mit den Abgeordneten, oder durch die Ostvorhalle, gemeinsam mit den Besuchern der Hof- und Diplomaten-Logen sowie den Mitgliedern des Reichstags-Vorstandes nehmen; an beiden Puukten steht ihnen neben der monumentalen Haupttreppe noch eine besondere Nebentreppe zur Verfügung. Ein dritter Aufgang, der in Wirklichkeit vielleicht am meisten benutzt werden dürfte, ergiebt sich an der von der Sommerstrasse nach dem Südhofe führenden Durchfahrt. – Den Mittelpunkt des Verkehrs bildet auch für diesen Theil des Hauses eine als Vorsaal dienende, durch Oberlicht erleuchtete Halle. Der grosse Sitzungssaal des Bundesraths hat seinen Platz im südöstlichen Eckthurm des Hauses erhalten. Neben ihm liegen im Hauptgeschosse wie im Zwischengeschosse an der Südfront noch je 2 grössere, an der Ostfront 5 bezw. 4 kleinere Räume.

Für den Reichstags-Vorstand, soweit er nicht etwa die Vorräume der Abgeordneten mit benützen will, erfolgt der Zugang entweder aus der grossen Ostvorhalle, von der ein Treppenlauf unmittelbar in den der Halle des Bundesrathes entsprechenden Vorsaal führt, oder – mit dem Bureau gemeinsam – durch die Nordvorhalle und über die an der Nordostecke des Nordhofes gelegene, durch alle Geschosse reichende Haupttreppe. Von dem Reichstags-Vorstande wird lediglich die von jenem Vorsaal zugängliche Zimmerreihe an der Ostfront in Anspruch genommen; die Räume an der Ostfront sowie das gesammte Zwischengeschoss dieses Gebäudetheils sind dem Bureau zugewiesen, während der im nordöstlichen Eckthurm gelegene Saal die zum unmittelbaren Gebrauch der Abgeordneten bestimmte, mit den gangbarsten Werken ausgerüstete Handbibliothek enthält, die mit den Bibliothekräumen des Obergeschosses durch Treppe und Bücheraufzug verbunden ist. Unterhalb dieses Raumes liegt im Sockelgeschoss die Botenmeisterei, neben ihr die Expedition, von welcher eine Diensttreppe zu den oberen Bureau-Räumen empor führt. – Den Verkehr zwischen den verschiedenen Theilen des Hauses vermitteln, neben dem aus der grossen Wandelhalle unmittelbar zum Bureau und zum Bibliotheksaale führenden Nordkorridor, im Hauptgeschoss vorzugsweise die beiden hallenartigen Korridore auf der Innenseite der Höfe, welche die Vorsäle des Bundesrathes und des Reichstags- Vorstandes mit der grossen Wandelhalle verbinden und unter sich wiederum durch 2 schmalere, an der Vorder- und Rückseite des grossen Sitzungssaales liegende, durch Oberlicht erhellte Korridore in Verbindung stehen. Es dürfte für die Grösse der ganzen Anlage bezeichnend sein, dass jeder jener Korridore, die in ihrer behaglichen Ausstattung einen Lieblings-Aufenthaltsort der zeitweise den Saal verlassenden Abgeordneten bilden dürften, einschl. der seitlichen Erweiterungen nach dem Saale zu, an Flächeninhalt dem Foyer des bisherigen provisorischen Reichstagshauses gleichkommt. – Was den Sitzungssaal selbst betrifft, so war bekanntlich schon im Programm des Wettbewerbes festgsetzt worden, dass seine Abmessungen und seine Einrichtung dem bisher benutzten Reichstagssaale entsprechen sollten. Der Zugang zu ihm erfolgt seitens des Bundesrathes und des Präsidiums vom Korridor der Ostseite aus, seitens der Reichstags-Mitglieder vom Mittelraum der grossen Wandelhalle aus durch die 3 breiten Thüren der Westseite oder durch je 2 seitliche Thüren, von denen die in der Queraxe angeordneten jedoch hauptsächlich die Bestimmung ‚haben, bei Auszählungen des Hauses (dem sogen. „Hammelsprunge“) den mit Ja oder Nein abstimmenden Abgeordneten Verlasssen des Saales zu dienen.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 547

Einer besonderen Erläuterung bedarf die Anlage der zum Sitzungssaale gehörigen, für die Zuhörer der Reichstags-Verhandlungen bestimmten Tribünen und Nebenräume. Die Anordnung der Tribünen weicht allerdings von derjenigen des bisherigen Sitzungssaales insofern völlig ab, als in diesem – wegen zwingender Rücksichten auf die vorhandene Bauanlage – die Haupt-Zuhörertribüne im Rücken der Sitze für den Bundesrath und das Präsidium hatte angelegt werden müssen, während die gegenüber liegende Langseite glatt geschlossen ist. Im neuen Reichshause ist die umgekehrte, nicht nur zweckmässigere, sondern auch ästhetisch günstigere Einrichtung getroffen. Die Sitze des Bundesraths und des Reichstags-Vorstandes liegen innerhalb einer mächtigen Nische an einer geschlossenen Wand, während die 3 anderen Wände des Saales nach Tribünen sich öffnen. Von letzteren ist die auf der Langseite gelegene, sowie ein Theil der Tribüne auf der rechten Seite des Saales (im parlamentarischen Sinne) für das Publikum bestimmt. Die Mittel-Tribüne der rechten Seite ist der Benutzung des Hofes, die ihr benachbarte den Mitgliedern des diplomatischen Korps vorbehalten. Von den Tribünen der linken Seite ist der kleinere östliche Theil zur Benutzung des Bundesrathes, der bis auf die West-Tribüne übergreifende Rest für die Berichterstatter der Presse bestimmt.

Die Besucher der Hof- und Diplomaten-, sowie der Bundesraths-Tribüne fahren an der Ost-Vorhalle vor und nehmen ihren Aufgang auf den beiden, seitlich der letzteren gelegenen Treppen. Für Diplomaten und Bundesraths-Mitglieder steht je ein Salon (über dem Ostkorridor des Saals), für den Hof stehen 2 Salons und eine Toilette zur Verfügung. – Das Publikum und die Vertreter der Presse betreten das Haus durch die Nord-Vorhalle, neben welcher (an dem linken Vorraume) der Schalter zur Ausgabe der Zuhörerkarten sich befindet. Wer einen Abgeordneten zu sprechen wünscht, begiebt sich von hier nach der unterhalb des nördlichen Theils der grossen Wandelhalle im Sockelgeschoss angeordneten Wartehalle, von wo er zu den Sprechzimmern geführt wird. Der Aufgang zu den Tribünen des Sitzungssaales erfolgt durch die beiden, westlich des letzteren, neben dem Mittelraum der Wandelhalle gelegenen Treppen, von denen die südliche vorzugsweise für die Mitglieder der Presse bestimmt ist, Den letzteren, die ihre Berichte zumtheil im Hause fertig stellen müssen, stehen neben den nöthigen Vorräumen und Toiletten im Zwischen- und Obergeschoss ein besonderer Erfrischungssaal, 7 Arbeitszimmer und 12 Telephonkammern zur Verfügung. Für die Bequemlichkeit des Publikums ist durch die entsprechenden Vorräume und einige Toiletten für Herren und Damen gesorgt.

Ein wichtiges Zubehör des Sitzungssaales sind endlich noch die Arbeitsräume der Stenographen, die ihren Platz im Sockelgeschoss unter den Zimmern des Reichstags-Vorstandes erhalten haben. Sie gelangen von dort zu ihren Arbeitsplätzen im Saal durch die vom Ost-Korridor hinter dem Unterbau desselben unmittelbar empor führenden Treppen. Eine bequeme Verbindung mit dem Büreau, sowie mit den Räumen der Abgeordneten und des Bundesrathes ist durch mehre Treppen vermittelt. Es erübrigt zum Schlusse noch derjenigen Räume des Sockel- und Obergeschosses zu gedenken, die nicht zu den oben ihrem Gebrauchszwecke nach zusammen gefassten Gruppen gehören.

Eine Gruppe für sich bilden die Säle für Kommissions-, Abtheilungs- und Fraktions-Sitzungen, die – mit Ausnahme von 3 an den äusseren Ecken der Westseite des Sockelgeschosses angeordneten, also unmittelbar neben den Kleiderablagen liegenden Sälen – sämmtlich im Obergeschoss vereinigt sind. Es sind in diesem Geschoss, zu welchem – abgesehen von den Diensttreppen – ausser den beiden westlichen Haupttreppen und der Bibliothek bezw. Bureau-Treppe noch die neben der Ostvorhalle liegende Treppe des Bundesrathes emporführt – 3 kleinere und 9 grössere Sitzungssäle mit den entsprechenden Vorräumen untergebracht, deren grösster (über der Ostvorhalle gelegene) bei 16,35 m Tiefe 24,06 m Länge misst, also nicht sehr weit hinter dem zwischen den Tribünen-Wänden 29 m zu 21,50 m messenden Haupt-Sitzungssaale zurücksteht. – Der nordöstliche Ecksaal des Obergeschosses, die an diesen stossenden Zimmer der Ostfront und der als Bücherspeicher ausgebaute mittlere Theil der Nordfront sind der Bibliothek eingeräumt, für welche bei wachsendem Bedürfniss später noch Räume im Dachgeschoss sich beschaffen lassen. – Im Sockelgeschoss sind unter dem südlichen Theil der grossen Wandelhalle und dem grossen Restaurationssaale die Wirthschaftsräume des Restaurateurs, unter dem Sitzungssaale des Bundesraths das Archiv angeordnet; neben letzterem haben der Haus-Inspektor und der erste Pförtner je eine kleine Dienstwohnung erhalten; jenseits der Durchfahrt liegen in demselben Theile des Hauses die Zimmer des Betriebs-Ingenieurs sowie der Polizei- und Feuerwache. – Es sei hier übrigens erwähnt, dass unter dem Sockelgeschoss noch ein – im wesentlichen für die Zwecke der Heizung und Lüftung bestimmtes Kellergeschoss sich befindet, auf dessen Einrichtung wir an dieser Stelle natürlich nicht eingehen können.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 553

Vielleicht dürfen wir hoffen, auch in unseren Lesern die Ueberzeugung erweckt oder doch befestigt zu haben, dass – von allem Formal-Künstlerischen abgesehen – schon die Grundrissbildung des Reichshauses als eine That ersten Ranges angesehen werden muss. Entsprechen die klare Uebersichtlichkeit der Anlage, die Ausgiebigkeit ihrer Beleuchtung, die Trefflichkeit der vorhandenen Verbindungen, die geschickte Vermittelung der verschiedenen Raumhöhen, die wirkungsvolle Raumfolge usw. allen Erfordernissen akademischer Schönheit – dass der Aufbau über dem Hauptsaale im Grundrisse nicht genügend vorbereitet ist, fällt nur in der Zeichnung, nicht in Wirklichkeit auf – so ist auch den aus der Bestimmung des Hauses abzuleitenden besonderen Bedingungen der Zweckmässigkeit in einem kaum zu übertreffenden Grade genügt. Was bei Erlass des letzten Wettbewerbs von allen Seiten ausdrücklich als vornehmster Wunsch betont wurde: dass das zu errichtende Gebäude, unbeschadet der seiner Bedeutung angemessenen monumentalen Würde, doch in erster Linie ein Geschäftshaus sein solle – es ist in bestem Sinne erfüllt worden. – Um das Verdienst einer solchen Leistung richtig zu beurtheilen, hat man nur nöthig, die grossartige Einfachheit des zur Ausführung gebrachten Grundrisses mit den verwickelten, zumtheil geradezu gekünstelten und kleinlichen Anlagen zu vergleichen, welche die meisten Entwürfe des ursprünglichen Wettbewerbs – unter ihnen selbst Wallots damalige Arbeit – zeigten. Nicht minder überzeugend wirkt ein Vergleich der Grundriss-Anlage unseres Reichshauses mit den Grundrissen der beiden grössten parlamentarischen Neubauten, die unmittelbar vor bezw. gleichzeitig mit ihm zur Ausführung gelangt sind: des österreichischen Reichsrathhauses von Hansen (Jahrg. 75, S. 267 u. Bl.) und des ungarischen Parlamentshauses von Steindl (Jahrg. 85, S. 16 u. Bl.).

Es ist freilich schon in der entscheidenden Sitzung des Reichstages von einem älteren, kundigen Parlamentarier, dem Abg. Dr. Aug. Reichensperger prophezeit wurden, dass es auch der Anordnung des Reichshauses nicht an Tadlern fehlen werde und dass viele Mitglieder des Reichstages, die in den bisherigen Räumen sich zufrieden fühlten, an die grösseren Verhältnisse des Neubaues nur schwer sich gewöhnen dürften. Wir bemerkten s. Z. hierauf, dass man eben auch an das Gute sich gewöhnen muss, dass man aber an dieses verhältnissmässig schnell sich gewöhne. Sollten einige Unzufriedene sich durchaus nicht bekehren lassen, so möchten wir rathen, ihnen einen Kursus in Wien oder Budapest aufzuerlegen. Sie werden sicher geheilt nach Hause kehren. –

Weitaus am meisten liegt dem „Publikum“ natürlich der äussere Aufbau und die Fassadenbildung des Werkes am Herzen. Erschöpft sich doch hiermit für die Mehrzahl selbst der Gebildeten das Interesse an öffentlichen Bauwerken, die sie im wesentlichen nur als Kulissen oder Hintergrunds-Dekorationen unserer Strassen und Plätze zu betrachten gewöhnt sind. Inbezug hierauf hat sich denn auch vorzugsweise die Kritik geltend gemacht, die vonseiten Berufener und Unberufener bisher am Reichshause geübt worden ist.

Vergleichen wir das in No. 58 Jahrg. 82 u. Bl. mitgetheilte Fassadenbild des siegreichen Wallot’schen Konkurrenz-Entwurfs mit der nahezu von dem gleichen Standpunkte aus gezeichneten perspektivischen Ansicht des vollendeten Baues, die wir der No. 90 beigelegt haben, so ergiebt sich, dass der Künstler im allgemeinen der von Anfang an gewählten Anordnung der Massen treu geblieben ist. Vier wuchtige, wagrecht abgeschlossene Thurmbauten an den Ecken, in der Mitte jeder Front ein vorspringender Mittelbau und als Krönung des Ganzen ein über dem zurück liegenden Hauptraume des Inneren errichteter, im Grundriss rechteckiger Aufbau, dessen nach der Form eines Klostergewölbes geschwungene Dachhaube in einer zierlichen Laterne endigt. Abgesehen von allen, zumtheil sehr erheblichen Abweichungen in der Gestaltung der Einzelheiten, auf die wir nicht näher eingehen wollen, liegt jedoch der sehr bedeutende Unterschied vor, dass jener krönende Aufbau, die sogen. „Kuppel“ des Hauses, mehr nach dem Mittelpunkte des letzteren vorgerückt ist und ganz beträchtlich weniger hoch aus der Baumasse sich heraus hebt.

Wir glauben den Anschauungen, welche in weiten Kreisen des Volkes über das Reichshaus gehegt werden, entgegenkommen zu sollen, indem wir von vorn herein rückhaltlos anerkennen, dass die zuletzt erwähnte, in ihren Ursachen ja von uns als unvermeidlich erläuterte Aenderung, der Gesammterscheinung des Baues nicht zum Vortheil gereicht hat. Denn es ist uns nicht zweifelhaft, dass dem Meister sowohl wie der späteren Volksthümlichkeit seiner Schöpfung gar kein schlimmerer Dienst erwiesen werden kann, als durch den vermeintlich in seinem Interesse unternommenen Versuch, kritische Aeusserungen über den Bau ohne Unterschied abzuweisen und letzteren in jeder Beziehung als schlechthin vollkommen zu preisen. Ein solcher Versuch, der als eine parteiische Vergewaltigung des eigenen Urtheils empfunden wird, muss auch diejenigen verstimmen und zu grundsätzlichem Widerspruch reizen, die sonst – unter sachverständiger Führung – durchaus befähigt und geneigt gewesen wären, in die Schönheiten des herrlichen Werkes mit voller Begeisterung sich einzuleben.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 565 – Aufriss eines Eckthrums mit dem System der Nebenfronten (Nach der Werkszeichnung 1 zu 75)

In der That lässt sich unmöglich läugnen, dass bei der jetzigen Stellung und Höhenlage des mittleren Aufbaues zahlreiche Standpunkte sich ergeben, bei denen dieser entweder nur sehr mangelhaft zur Geltung kommt, oder in ungünstiger Weise von den Eckthürmen überschnitten wird. Und leider ist der Standpunkt, von welchem der letzte Nachtheil sich besonders fühlbar macht – der Punkt am Austritt aus dem Brandenburger Thor – gerade derjenige von welchem die meisten Besucher Berlins das Reichshaus zum ersten mal zugesicht bekommen. Läge der Sitzungssaal näher an einer der beiden Langseiten oder im wirklichen Mittelpunkte des Gebäudes und ragte der Unterbau der ihn überdeckenden Glashaube über die Eckthürme empor, anstatt von ihnen überragt zu werden, so würden jene Uebelstände überhaupt nicht vorhanden sein. Bei der Ansicht von entfernteren und nicht übereck gelegenen Standpunkten, wie sie auf der westlichen Hälfte des Königsplatzes, an der Friedrichsgracht (Bei Erwähnung dieser weiteren Standpunkte ist hier im Original leider ein unangenehmer Schreibfehler unverbessert geblieben. Statt „an der Friedrichsgracht“ muss es „am Schiffbauerdamm“ heissen.), auf der Marschall-Brücke, dem Schlüter-Stege usw. gewonnen werden können, ist von ihnen ja auch gegenwärtig nichts zu merken. Man darf aber wohl hoffen, dass auch das Laienpublikum allmählich daran sich gewöhnen wird, die von dort sich darbietenden Ansichten als die maassgebenden zu betrachten, mit den ungewöhnlichen Massenverhältnissen des aus grösserer Nähe gesehenen Baues aber ebenso sich abzufinden, wie das die Sachverständigen ohne weiteres gethan haben.

Von diesen – insbesondere soweit sie mit der Vorgeschichte des Baues bekannt waren – ist jenes eigenartige Verhältniss des mittleren Aufbaues zu dem Gesammtbilde des Hauses als ein eigentlicher Mangel, zum mindesten aber als Grund zu einem Vorwurfe wider den Architekten überhaupt wohl nicht empfunden worden. Denn als oberster Grundsatz ernster monumentaler Baukunst gilt es heute wieder, dass man nicht von aussen nach innen, sondern von innen nach aussen bauen soll, dass also die äussere Erscheinung eines Gebäudes nicht aus willkürlich gewählten Motiven zusammengesetzt werden darf, sondern aus dem Organismus seiner inneren Anordnung mit Nothwendigkeit sich ergeben muss.

In dieser Beziehung aber übertrifft die Fassadenbildung des zur Ausführung gebrachten Baues den ursprünglichen Entwurf des Künstlers in nicht geringerem Grade, als der Grundriss in sich reifer geworden ist. Klar und unzweideutig sind sämmtliche Räume des Hauses auch im Aufbau hervor gehoben: die wichtigsten der kleineren Versammlungssäle durch die kräftigen, im übrigen allerdings rein ästhetischen Zwecken dienenden Eckbauten, die grosse Wandelhalle durch den westlichen Mittelbau, der Haupt-Sitzungssaal durch die hochragende mittlere Glashaube, welche für die Bestimmung des unter ihr liegenden Raumes unstreitig noch bezeichnender ist, als der einst an dieser Stelle geplante offene Kuppel-Baldachin. Dass das Haus eine Versammlungsstätte ist, tritt nunmehr in den bedeutsamen Portalbauten der 4 Fronten deutlich hervor. Die monumentale Würde und Pracht der ganzen grossartigen Anlage aber lassen auch für denjenigen, der den sinnvollen bildnerischen Schmuck der Fassade noch nicht näher in Augenschein genommen hat, keinen Zweifel daran übrig, dass es nur um die vornehmste Versammlungsstätte der Nation, um das deutsche Reichshaus sich handeln kann. Gewaltig wie die Grundriss-Maasse des Hauses sind auch die Höhen-Abmessungen seiner Fassade, die in den Rücklagen der Langseite nach Axweiten von 5,90 m, in denen der beiden kürzeren Seiten nach solchen von 6,14 m gegliedert ist. Das durchlaufende Hauptgesims des Baues liegt mit seiner Oberkante rd. 27 m über dem Boden; die Attika der Rücklagen erhebt sich bis zu rd. 28,50 m, diejenige der Eckthürme bis zu 43,50 m. Der im Grundriss 35 m zu 39 m messende steinerne Unterbau der Glashaube über dem Sitzungssaale reicht auf eine Höhe von rd. 42 m, die Spitze seiner Laterne auf eine solche von rd. 75 m.

Wie bereits im ursprünglichen Konkurrenz-Entwurfe, lehnt das Architektur-System der Fassaden an die Stilformen vornehmer italienischer Hochrenaissance sich an, Während jedoch in jenem ersten Entwurfe einzelne Anklänge an Motive der Frührenaissance sich fanden, neigt die künstlerische Haltung des ausgeführten Baues – unbeschadet der Verwerthung einzelner, der Baukunst und Schmuckweise des Mittelalters entlehnter Anordnungen – imganzen mehr der Auffassung der Spätrenaissance sich zu.

Den Anstoss hierzu hat unzweifelhaft jene, schon in der Einleitung hervorgehobene Aenderung geliefert, die aus der Verlegung des grossen Sitzungssaales vom Obergeschoss in ein erhöhtes Erdgeschoss sich ergab: die Zusammenfassung des Haupt- und Obergeschosses in eine einzige Stützen-Ordnung und die hierdurch bedingte Anwendung eines grösseren Architektur-Maasstabes. Die Möglichkeit, einen solchen wählen zu können, war dem Künstler natürlich im höchstem Grade willkommen. Denn sie unterstützte ihn bei der Lösung des schwierigsten Theils seiner Aufgabe: die von ihm zu schaffenden Fassaden nicht nur für den unmittelbar davor stehenden Beschauer, sondern auch für die Ansicht von weiteren Standpunkten her zu gebührender Geltung zu bringen. War dieser Nothwendigkeit schon von vornherein durch das Motiv der gedrungenen, mittels der Säulen-Vorlagen nach unten sich verbreiternden Eckthürme und durch die bewegte Umrisslinie des Baues Rechnung getragen worden, so konnte nunmehr auch der gesammten Gliederung desselben ein wirksameres Relief gegeben werden.

Das Grundmotiv für diese Gliederung bildet jene Stützenordnung, deren kräftiges, bis zu 1,60 m ausladendes Gebälk den ganzen Bau umzieht und ihm gegenüber der malerischen Bewegung der darüber hinaus ragenden Theile den Eindruck monumentaler Ruhe und Einheit sichert. Die Stützen selbst, denen bei einem unteren Durchmesser von 1,60 m eine Höhe von 15,80 m (ohne die Sockel) gegeben worden ist, sind in den Vorlagen der Eckthürme, deren verkröpftes Gebälk von 4 m hohen, freistehenden Figuren gekrönt wird, sowie an der Giebel-Vorhalle des westlichen Mittelbaues als Vollsäulen entwickelt. In den Rücklagen der Westfront, sowie am Mittelbau der Ostfront sind sie als Dreiviertel-Säulen, im übrigen als Pilaster gestaltet. Für ihre Kapitelle hat der Künstler die straffe, das Entgegenstemmen wider eine Belastung wohl am bezeichnendsten ausdrückende Form der römischen Composita-Ordnung gewählt.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 577 – Aufriss von einem Theile des Mittelbaues einer Seitenfront

Als eine zweite Wagrechte ist in den Zwischenweiten der Säulen bezw. Pilaster die Sohlbank der Obergeschoss-Fenster inform eines Zahnschnitt-Gesimses durchgeführt. Unterhalb desselben sind in den Rücklagen der westlichen Hauptfront die Fenster des Hauptgeschosses als weite Rundbogen-Oeffnungen angeordnet, wärend in den Rücklagen der 3 anderen Fronten, an denen das Hauptgeschoss in ein Erd- und ein Zwischengeschoss getheilt ist, statt ihrer je 2 einfach umrahmte, rechteckige Fenster sich befinden. Die Fenster des Obergeschosses sind in den Rücklagen des ganzen Baues gleichmässig als rechteckige Oeffnungen mit schwerer, auf Konsolen ruhender Giebelverdachung gebildet. Ein wirkungsvoller Gegensatz hierzu ist in der Anordnung der breiten Fenster-Oeffnungen der Eck- und Mittelbauten geschaffen. In jenen folgt auf ein mit geradem Sturz versehenes unteres Fenster, das von 2 jonischen Säulen mit Giebelgebälk umrahmt wird, eine durch Steinpfosten getheilte Oeffnung, deren oberer Abschluss dem Rundbogen der beide Fenster zusammen fassenden Nische sich anschmiegt. In den Mittelbauten der Nebenfronten haben umgekehrt die Fenster der Vorhallen rundbogigen, diejenigen der darüber liegenden Säle, welche bis unter den Architrav des Hauptgesimses reichen, geraden Abschluss erhalten; beide sind gleichfalls durch Steinpfosten getheilt. Ein Einsatz von solchen mit breitem Gebälk und einer Wappenkrönung ist auch im unteren Theil der grossen Fenster auf der Westseite und in den Eckthürmen vorhanden, aus denen man im Hauptgeschoss auf die zwischen den Sockeln der vorspringenden Säulen gewonnenen Balkons austritt.

Für diese Architektur bildet das vor die Flucht der oberen Mauern stark vorspringende Sockelgeschoss den Unterbau. In einfacher, mehr durch den Gegensatz ihrer rauhen Oberfläche gegen die scharrirten Steinflächen der Obertheile, als durch ihre Ausladung wirkender Rustica-Quaderung, ohne profilirte Fugen behandelt, wird es nach oben durch eine kräftige Platte, nach unten durch eine Plinthe abgeschlossen. Die Fenster und die östliche Einfahrt sind als schlichte, flachbogig überwölbte Oeffnungen eingeschnitten; die etwas höher geführten Portale der Süd- und Nordseite haben ein auf Konsolen vorgekragtes, mit einer Figuren-Gruppe bekröntes Deckgesims erhalten. Am Mittelbau der Ostfront wird die als äussere Schutzwand der bedeckten Vorfahrt dienende Sockelmauer, in welche die Postamente der dort aufzustellenden Figuren eingefügt sind, von Steingittern durchbrochen. In äusserster Schlichtheit ist auch die schon durch ihre Abmessungen grossartige Rampen- und Freitreppen-Anlage der Westfront gestaltet.

Vornehmster künstlerischer Reichthum entfaltet sich dagegen in den oberhalb des Hauptgesimses liegenden, krönenden Theilen des Baues. Ueber den Rücklagen erhebt sich eine niedrige Attika, die – entsprechend den unteren Stützen – mit schlanken, vasenartigen Aufsätzen besetzt ist. Sie ist auch im Sockel der über den Säulen-Vorlagen der Eckthürme stehenden Figuren und in den seitlichen Ansätzen des grossen, über der westlichen Säulenvorhalle errichteten Giebel-Abschlusses, sowie am Mittelbau der Ostfront durchgeführt. In den Seitenfronten wird sie durch den Giebel des Mittelbaues unterbrochen; über diesem ragen seitlich zwei von schlangentödtenden Adlern gekrönte höhere Aufsätze empor, deren Hauptkörper von 4 schildartigen Kartuschen mit dem kaiserlichen W. gebildet wird. Inform einer höheren Attika sind die Aufbauten über den mittleren Theile der Ostfront, sowie über dem Mittelraum der grossen Wandelhalle gestaltet. Dieser, von einem Konsolgesims abgeschlossen, dem eine aus Masken und Feston: zusammengesetzte, phantastische Krönung gegeben ist, trägt an den beiden vorderen Ecken 2 reichgegliederte Aufsätze die – ähnlich wie jene an den Giebeln der Seitenfronten gestaltet – in einer Darstellung der Reichs-Insignien ausklingen; zwischen ihnen ist in der Mitte eine bewegte Figurengruppe angeordnet. Jener, mit einem schlichten Gesims abgeschlossen, wird über dem verkröpften Gebälk der unteren Stützen durch Tropäen-Gruppen belebt; seitlich von ihm werden (über den unteren Treppenhäusern) auf hohen Sockeln 2 fahnentragende Herold-Figuren zu Pferde ihren Platz erhalten.

Besonders eigenartig gelöst sind die Aufbauten über den Ecksälen und dem grossen Sitzungssaale. Dort steht über einer hohen, als Unterbau dienenden Attika ein durch toskanische Säulen mit dazwischen gestellten Rundbogen-Oeffnungen gegliedertes Geschoss, um dessen kräftige Eckpfeiler kartuschenartige Gebilde, mit Adlern am Fuss und übereck vorspringenden Löwenköpfen als oberer Krönung sich schmiegen; über dem Konsolgesims dieses Geschosses, das gegen den Unterbau stark zurück gesetzt ist, folgt in weiterer Einziehung eine wiederum mit Masken und Festons gekrönte Attika, deren Ecken durch Gruppen von je 3 Kindern unter einer von ihnen getragenen Krone betont sind. – Der Aufbau über dem mittleren Sitzungssaale, die sogen. „Kuppel“, beginnt über dem schlichten Gesims des unteren, aus den Dachflächen empor steigenden Theils mit einer hohen, in Werkstein ausgebildeten Attika, die aus gekrönten Wappenschildern, zwischen schlanken, spitz auslaufenden Pfosten sich zusammensetzt und von 4 mächtigeren, in Reichsäpfeln endigenden Eckpfosten eingefasst wird. Darüber wölbt, sich auf einem einfach behandelten, geraden Wandstreifen aufsitzend, die aus Glasflächen zwischen eisernen Rippen konstruirte Dachhaube, die durch einen breiten, in der Mitte jeder Seite angeordneten und in bezeichnender Ornamentik durchgebildeten Gurt belebt wird. Als oberste Krönung des ganzen Baues ist ihr eine schlanke, von 8 frei vortretenden Säulen umgebene, offene Laterne aufgesetzt, deren Fuss von Festons umgürtet wird, und deren schön geschwungener Helm in die Kaiserkrone ausläuft. Sämmtliche Eisentheile der Konstruktion sind nach aussen mit getriebenem Kupfer bekleidet, das fast in ganzer Fläche vergoldet ist. Auch die Bekrönungen der Eckpfosten an der unteren Attika haben eine theilweise Vergoldung erhalten. Wir haben im Vorstehenden versucht, den im äusseren Aufbau des Reichshauses sich darstellenden Organismus in seinen Grundzügen zu erläutern und hoffen, dass es mithilfe der in No. 90 mitgetheilten Gesammtansicht und des in No. 92 gegebenen Aufrisses von einem Eckthurm auch denjenigen unserer Leser, welche die Schöpfung Wallots in Wirklichkeit noch nicht gesehen haben, möglich sein wird, von dem Gedankengange, welcher den Künstler geleitet und von der Art, in welcher er seine Absichten verwirklicht hat, eine Vorstellung zu gewinnen.

Dass diese Fassadenbildung, wie jedes Werk von Menschenhand, in ihren Einzelheiten zu kritischen Bemerkungen Gelegenheit giebt, wollen wir um so weniger leugnen, als ja hierbei die persönliche Empfindung des Einzelnen eine entscheidende Rolle spielt. Um den Verdacht parteiischer Einseitigkeit von uns abzuwehren, wollen wir unsererseits bekennen, dass wir von der schliesslichen Gestaltung des östlichen Mittelbaues, insbesondere seines oberen Abschlusses nicht ganz befriedigt sind und dass wir die Anordnung von Dreiviertel-Säulen in den Rücklagen der Westfront, anstelle der ursprünglich auch hier geplanten Pilaster, nicht für glücklich halten. Die Axenweiten sind nicht gross genug und die schweren Verdachungen der Oberfenster stossen, zu dicht an die Säulenkapitelle, als dass nicht hier – für unser Empfinden wenigstens – eine gewisse, störende Häufung der Formen sich bemerklich machte.

Aber das, wie so manche andere Ausstellungen, die wir aus dem Munde von Sachverständigen und Laien gehört haben und hier nicht wiederholen wollen – zumal sie in Hauptsache auf einer Verkennung der mitbezug auf die Fernwirkung des Gebäudes zu beobachtenden Rücksichten beruhen – sind nichtige Kleinigkeiten gegenüber den überwältigenden Schönheiten des Baues, zu dem wir in aufrichtigster Bewunderung als zu einer künstlerischen That ersten Ranges empor sehen. In seiner glücklichen Abwägung der Gesammt-Verhältnisse wie des Maasstabes der Einzelheiten, in der harmonischen Vereinigung malerischer Bewegung mit würdevoller Ruhe, in der maassyollen und richtigen Vertheilung des ornamentalen und selbständigen plastischen Beiwerks und nicht zum letzten auch infolge der an ihm zutage tretenden meisterhaften Beherrschung der Werkstein- und Metall-Technik athmet er eine monumentale Frische und Kraft, eine künstlerische Grösse und Vornehmheit, an die kein zweites uns bekanntes Bauwerk der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit heran reicht. Nicht wie ein willkürlich hingestelltes, sondern wie ein dem Boden entwachsenes, aus innerer Nothwendigkeit entstandenes Werk muthet er uns an.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 585 – Längsschnitt durch den großen Sitzungsaal mit der Ansicht der Ostwand – Erste Entwurf-Skizze

Am wenigsten verstehen wir, wie man an ihm – dem vollendeten Ausdrucke einer gestaltungskräftigen, in sich abgeschlossenen künstlerischen Persönlichkeit – einheitliche Haltung hat vermissen können. Es ist dies wohl nur daraus zu erklären, dass man ihn nicht in allen seinen Einzelheiten mit einem bestimmten, aus der Kunstgeschichte abgeleiteten Kanon in Einklang zu bringen vermag. Viele Schwärmer für einen solchen historischen Typus können es ohnedies dem Architekten nicht verzeihen, dass er das deutsche Reichshaus nicht als hellenischen Tempel oder als einen Renaissance-Palast oder als ein englisch-gothisches Kastell gestaltet hat. Aber gerade das, gerade die Thatsache, dass unser Reichshaus ein durchaus moderner, aus dem Empfinden der Gegenwart hervorgegangener und doch im höchsten Grade „stilvoller“ Bau ist, hat dem Künstler die bewundernde Anerkennung seiner Fachgenossen eingetragen. Das Streben unserer nach edlem Realismus ringenden Zeit, an dessen Berechtigung wir trotz zahlloser verfehlter Versuche nicht irre werden dürfen, ist in der Baukunst – und nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in Frankreich und den Ländern englischer Zunge dahin gerichtet, unsere Bauwerke nicht länger als schablonenhafte Abbilder älterer Denkmale zu gestalten, sondern ihnen, unter Benutzung der jeweilig aus den inneren Bedingungen der Aufgabe entspringenden Anregungen, einen Zug individuellen Lebens einzuhauchen, aus dem im Laufe der Zeit hoffentlich wieder ein nationales Gepräge sich entwickeln wird. Auf diesem Wege sind wir durch Wallots, in ehrlichem Ringen entstandene Schöpfung um ein gutes Stück vorwärts gekommen. Bildungen, wie jene Kartuschen an den Eckthürmen mit den vielangefochtenen und doch für die mächtige Wirkung des Ganzen so bedeutsamen sog. „Wasserspeiern“, wie die als freie Endigung der vertikalen Gliederungen verwendeten Aufsätze, vor allem aber wie der Aufbau über dem Sitzungssaale mit der wahrhaft monumentalen und dennoch den Anforderungen des Zwecks und der Baustoffe streng entsprechenden Gestaltung der Glas- und Eisen-Konstruktion, die durch die in zierliches Schmuckwerk aufgelöste Attika künstlerisch aufs glücklichste mit den steinernen Massen des Unterbaues verbunden wird – sie sind weder von bestimmten Vorbildern abgeleitet, noch, in der Absicht etwas Neues zu schaffen, mühsam gesucht: sie sind vielmehr im besten Sinne als Offenbarungen einer urwüchsigen Schöpferkraft zu betrachten, welche beweist, dass wir an der Möglichkeit, auch in unserer Zeit Neues und Eigenartiges zu leisten, noch keineswegs verzweifeln dürfen.

Um die Eigenart der künstlerischen Persönlichkeit Wallots ganz zu verstehen, wird man wohl thun, auch in die unerschöpfliche Fülle des dekorativen Beiwerks sich zu vertiefen, mit dem er sein Werk ausgestattet hat. Auch in dieser Beziehung hat er es verschmäht, auf Öffentlicher Strasse einher zu ziehen und mit den landläufigen Mitteln und Mittelchen sich zu behelfen. Sieht man von den Säulen-Kapitellen ab, für die er die aus der Antike bezw. der Renaissance-Zeit überlieferte Form beibehalten hat, so wird man vergeblich nach einem bekannten Vorbildern entlehnten Pflanzen-Ornament suchen. Insbesondere die üblichen Rankenzüge sind völlig vermieden; nur von Festons in einer straffen, plastisch wirkenden Form, bei welcher der pflanzliche Ursprung des Motivs fast ganz zurück tritt, ist häufiger Gebrauch gemacht. Bevorzugt sind figürliche Gebilde von Menschen und Thieren, namentlich aber heraldische Motive, deren reichliches Auftreten in etwas an die Dekorationsweise des s. Zt. in Spanien ausgebildeten sogen. „plateresken Stils“ erinnert, wenn die Formengebung des letzteren auch eine wesentlich andere ist. Diesem Wappenschmuck, der seinen mittelalterlichen Ursprung niemals ganz verleugnen kann, ist es – neben dem steinernen Pfostenwerk der Hauptfenster – auch in erster Linie zuzuschreiben, dass dem Renaissance-Gepräge des Baues ein reizvoller Anhauch mittelalterlichen Empfindens sich beimischt. Für die Meisterschaft, mit welcher der Künstler diese verschiedenartigen Elemente zu verschmelzen gewusst hat, wie überhaupt für die Art seiner Ornamentirung mag der auf S. 577 in grösserem Maasstabe wiedergegebene Aufriss vom oberen Theile eines seitlichen Mittelbaues als Beispiel dienen. – In beiläufiger Weise sind auch Inschriften zu dekorativer Verwendung gelangt.

Ein nicht hoch genug anzuerkennendes Verdienst des Meisters ist es endlich, dass er sowohl die untergeordneten schmückenden Zuthaten seiner Fassaden, wie die selbständigen figürlichen Kunstwerke, mit denen er dieselben ausstattete, nicht nur im äusserlichen Sinne – um der Form willen – verwendet hat, sondern dass er bemüht war, sie zugleich ihrer inneren Bedeutung nach zu der Bestimmung des Hauses in Beziehung zu setzen. Er hat es nicht nöthig, durch Vergleiche mit Anderen hervorgehoben zu werden, und es ist sonst keineswegs unsere Art, auf Kosten Anderer Vergleiche zu ziehen. Wir können in diesem besonderen Falle jedoch nicht wohl umhin, auf das Gegenstück des Wiener Reichsrath-Hauses hinzuweisen, dessen Attiken Meister Hansen bekanntlich mit Göttergestalten, Portrait- und Idealfiguren bevölkert hat, die unmittelbar an hellenische Vorbilder sich anlehnen.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 589 oben

Auf gewisse, mit Vorliebe verwendete ornamentale Bildungen, die Kartuschen-Schilde mit dem kaiserlichen Namenszuge, die als Spitze freistehender vertikaler Bautheile angeordneten Kronen- und Reichs-Insignien, denen im allgemeineren Sinne auch wohl die zahlreichen Löwenmasken und Adler sich anreihen lassen, haben wir schon in der Beschreibung der Fassade hingewiesen. Wesentlich heraldisch sind die Reichsadler in den Füllungen der Seitengiebel gehalten. Von den eigentlichen Wappenformen haben die glatt gelassenen Schilde in der Attika der „Kuppel“ einen lediglich dekorativen Zweck; man würde bestimmte Wappen an dieser hohen Stelle auch nur schwer erkennen können. Das grosse, von 2 altgermanischen Schildhaltern umschlossene Reichswappen, unter dessen Schutz sich Kunst und Gewerbe begeben haben – ein Werk von Prof. Fr. Schaper – füllt den grossen Giebel der westlichen Vorhalle, innerhalb welcher, an den breiten Wandfeldern der beiden äusseren Säulen-Zwischenweiten, zwei mächtige Reliefs mit den Wappen sämmtlicher Bundesstaaten des Reiches sich befinden; stammbaumartig vereinigt, hängen dieselben an den Aesten einer Eiche sowie einer Kiefer, an deren Fuss die Gestalten des westlichsten und östlichsten der grossen deutschen Ströme, des Rheins und der Weichsel lagern. Im einzelnen sind diese Wappen, je von einer flachen Krone überdeckt, noch auf die Schlussteine der Fenster des Zwischengeschosses vertheilt, während die Wappen der 4 Königreiche eine bedeutsamere Stelle über den Obergeschoss-Fenstern der seitlichen Mittelbauten erhalten haben. Die Wappen-Einsätze in den grossen Fenstern des Hauptgeschosses enthalten die Wappen hervorragender deutscher Städte. Das Reichswappen selbst, jedoch nicht in der am Westgiebel gewählten Auffassung, sondern mehr im Geiste der deutschen Renaissance gestaltet und von 2 gepanzerten Ritterfiguren gehalten, ist dann endlich noch über den Einfahrten in die östliche Vorhalle angebracht. – Von kleineren plastischen Arbeiten mehr dekorativer Art nennen wir neben den schon erwähnten Trophäen an der Attika der letzteren, die beiden (Handel und Schiffahrt, bezw. den Ackerbau darstellenden) Reliefs über den obersten Fenstern der benachbarten Treppenhäuser, die an die Züge des Fürsten Bismarck erinnernde Figur des drachenbezwingenden Ritter Georg mit der Reichsfahne über der westlichen Eingangsthür, die aus Masken und phantastischem Ungethier zusammen gesetzten (vielleicht als Verkörperung menschlicher Leidenschaften aufzufassenden) Zwickelfüllungen über den Bögen der obersten Thurmgeschosse, die zwischen den Doppelpilastern der seitlichen Mittelbauten eingefürten Masken des Friedens und Krieges (m. vergl. die Abbildung auf S. 541) sowie endlich den bildnerischen Schmuck an den Schlusssteinen der Rundbogenfenster – zur Hauptsache als Verkörperungen deutscher Ströme gedacht – von denen ein Beispiel auf S. 553 mitgetheilt ist. Die letzten sind ein Werk von Prof. Widemann in Frankfurt a. M., alle übrigen dekorativen Bildwerke des Aeusseren, mit Ausnahme des Schaper’schen Giebelreliefs und der von Bildh. Brütt modellirten, kronentragenden Kindergruppen auf den Ecken der Thürme sind von Prof. Otto Lessing ausgeführt. Doch hat der Architekt auf die Entstehung dieser Arbeiten starken persönlichen Einfluss ausgeübt.

An grösseren selbständigen Bildwerken kommen in erster Linie die Gruppe der bannertragenden, von einer männlichen und weiblichen Idealgestalt geleiteten Reiterfigur der Germania auf dem westlichen Mittelbau („Germania im Sattel“ wird sie mit Anlehnung an ein bekanntes Wort Bismarcks genannt) sowie die beiden Reichs-Herolde zu Ross über den Treppenhäusern der Ostseite inbetracht – beide in Kupfer getrieben, jene eine Schöpfung von Prof. R. Begas in Berlin, diese ein Werk von Prof. R. Maison in München. In den 3 äusseren Oeffnungen der Ostvorhalle sollen später die sitzenden Figuren der 3 um die Gründung des neuen Deutschen Reichs verdientesten Paladine Kaiser Wilhelms, des Fürsten Bismarck und der Grafen Moltke und Roon angebracht werden. Ueber den Eingangsthüren der Süd- und Nordseite befinden sich 2 allegorische Gruppen, ein die Reichskleinodien bewachender Löwe von Bildh. Klein und eine Verkörperung der Wahrheit von Bildh. Brütt. Die auf den Säulenvorlagen der Eckthürme stehenden 16 Figuren endlich sollen in ihrer Gesammtheit diejenigen Berufsarten verkörpern, denen die materielle wie die ethische Erhaltung des Staates und die weitere Entwicklung desselben vorzugsweise obliegt. Am südwestlichen Eckthurme (also über der Restauration) sind die Gewerbe der Volksernährung: der Ackerbau und die Viehzucht von Prof. Lessing in Berlin, der Weinbau und die Bierbrauerei von Prof. Diez in Dresden, am nordwestlichen Thurme (über dem Schreibsaale der Abgeordneten) die Grossindustrie und der Handel (die Schiffahrt) von Prof. Eberlein in Berlin, die Hausindustrie und der Verkehr (die Elektrotechnik) von Prof. Eberle in München, am nordöstlichen T’hurme (über dem Lesesaale der Bibliothek), Erziehung (Religion) und Unterricht von Bildh. Schierholz in Frankfurt a. M., Kunst u. Wissenschaft (Litteratur) von Prof. Behrens in Breslau, am südöstlichen Thurme (über dem Sitzungssaal des Bundesrathes) die Wehrkraft zu Lande und zur See von Prof. Maison in München, die Rechtspflege und die Staatskunst von Prof. Volz in Karlsruhe verkörpert. Näher auf irgend eines dieser, im künstlerischen Werthe nicht ganz gleichstehenden, aber imganzen trefflichen und ihres Standorts nicht unwürdigen Bildwerke einzugehen, ist uns an dieser Stelle selbstverständlich nicht möglich. Die dankbarere Aufgabe ist unstreitig jenen Künstlern zugefallen, die ihre Figuren in realistischem Sinne gestalten, d. h. einen wirklichen Vertreter der betreffenden Berufsart zur Darstellung bringen konnten.

Unter den auf dekorative Wirkung berechneten, in das Quadersteinwerk des Hauses eingemeisselten Inschriften bemerken wir zunächst die Namen und Regierungszeiten der 3 Kaiser, unter welchen am Reichshause gebaut worden ist; sie sind an der Attika des östlichen Mittelbaues der Thürme angeordnet. Auf die 8 Füllungen an der unteren Attika der Eckthürme sind die Namen der deutschen Fürsten vertheilt, welche zur Zeit der Gründung des Reiches auf dem Throne sassen; die Namen ihrer Länder (leider in etwas schwer zu lesender gothischer Schrift) sind auf den darüber befindlichen Eck-Kartuschen wiederholt. Die Weihe-Inschrift auf dem Gebälk der westlichen Säulenvorhalle, welche die mitgetheilte Ansicht zeigt: „Dem deutschen Volke“, ist aus uns unbekannten Gründen bis jetzt nicht zur Ausführung gelangt. Wir beschliessen unsere Erörterung der Fassadenbildung des Reichshauses, indem wir auch die Architektur der beiden Höfe wenigstens kurz erwähnen. Dieselbe ist einfacher und strenger gehalten, als diejenige der Aussenfronten. Die in die glatten Wandflächen eingeschnittenen Fensteröffnungen sind überwiegend in gothisirender Art durch Steinpfosten getheilt; an die Gothik bezw. die Deutsche Renaissance klingt auch die Ausbildung des Treppenthürmchens an der Nordost-Ecke des Nordhofes an. Der plastische Schmuck beschränkt sich im wesentlichen auf die streng stilisirten Wappen der 4 deutschen Königreiche an den vorspringenden Hohlpfeilern der äusseren Langseiten.

Auf den inneren Ausbau des Hauses in älhnlicher Vollständigkeit einzugehen, wie wir dies inbetreff des Aeusseren versucht haben, verbietet sich schon durch den Umstand, dass wir nicht in der Lage sind, unserem Berichte die entsprechenden Abbildungen beizufügen; ohne solche aber würde jede breitere Schilderung genügender Anschaulichkeit entbehren. Auch ist zu berücksichtigen, dass den wichtigsten Räumen noch der höhere künstlerische Schmuck fehlt, ein voller Eindruck von ihnen also noch nicht gewonnen werden kann. Wir werden uns demnach im wesentlichen mit zusammenfassenden Angaben und einigen Andeutungen über die seitens des Architekten geplante endgiltige Ausstattung zu begnügen haben.

Das vornehmste Ziel, das Wallot bei Gestaltung der Innenräume des Reichshauses verfolgte, war offenbar auch diesem Theile seiner Schöpfung jenes Gepräge wahrer Monumentalität zu verleihen, das er der äusseren Erscheinung des Baues aufgedrückt hat. Es war dies in erster Linie ja schon angebahnt durch die Abmessungen und die Form der einzelnen Räume, sowie durch die Art ihrer Aneinanderreihung, die sog. Raumfolge – Vorzüge, die der ganzen Anordnung des Planes entspringen und nach ihrem wahren Werthe erst zur Geltung kommen werden, wenn die Rüstungen, Leitern, Teppich-Ballen usw., die augenblicklich noch keine Gesammtwirkung aufkommen lassen, verschwunden und die Möbel an ihren richtigen Platz gestellt sein werden. Aber ihren individuellen Zug, an welchen der wesentlichste Reiz jedes Kunstwerks gebunden ist, haben jene Räume doch erst durch die ihnen zutheil gewordene Ausbildung erhalten.

Dass hierbei den Anforderungen der Monumentalität zunächst in äusserlichem Sinne, inbezug auf die durchgängige Verwendung echter Baustoffe entsprochen worden ist, bedarf wohl keiner besonderen Betonung: für einen Bau vom Range des deutschen Reichshauses, der das Gedächtniss unserer Zeit bis in ferne Jahrhunderte überliefern soll, ist auch das Beste nur eben gut genug. Die einzige namhafte Ausnahme von jenem, auch die künstlerische Formengebung aufs günstigste beeinflussenden Grundsätze ist dem Architekten wider seinen Willen durch höheren Machtspruch aufgezwungen worden. – Eine noch vornehmere, innerliche Monumentalität ist dadurch angestrebt und erreicht worden, dass – abgesehen von wenigen Geräthen jeder zur Erscheinung kommende Gegenstand sowohl dekorativer wie konstruktiver Art eigens für den Bau entworfen ist und eine selbständige künstlerische Durchbildung erfahren hat. – Vor allem aber hat der Meister seinem Werke monumentale Selbständigkeit dadurch gewahrt, dass er auch beim Entwurf der den einzelnen Räumen zu gebenden Gesammt-Anordnung niemals von bestimmten vorbildlichen Motiven und Formen, sondern stets von den aus der Gestalt, Lage und Bestimmung des Raumes sich ergebenden Bedingungen ausgegangen ist und sich bemüht hat, für diese die entsprechende künstlerische Form zu finden. Dabei hat ihm die Absicht, unter allen Umständen etwas Neues zu schaffen, völlig fern gelegen. Es fehlen daher auch keineswegs zahlreiche Anklänge an ältere, aus ähnlichen Verhältnissen entstandene Anordnungen; aber nicht minder häufig begegnet man durchaus eigenartigen, aus einem naiven Empfinden hervorgegangenen Gebilden. Jedenfalls hat sich dadurch eine ungemein reizvolle Mannichfaltigkeit der Formen ergeben, aus der man jedoch bald eine höhere, durch die Individualität des Künstlers bedingte Einheit herausfühlt. Sogen. „Dekorationen“ im engeren Sinne des Wortes, d. h. künstlerische Anordnungen, die ebenso gut für eine beliebige andere Stelle sich eignen würden, wird man dagegen nur ganz vereinzelt antreffen.

Der Reichthum der Ausstattung entspricht, wie die Gediegenheit der hierfür verwendeten Stoffe, im allgemeinen der Würde und nationalen Bedeutung des Hauses, ohne dass irgendwo – selbst in den eigentlichen Repräsentations-Räumen – aufdringlicher Prunk entfaltet wäre. Die Stimmung, in welcher der ganze Innenbau gehalten ist, darf vielmehr überwiegend eine ernste genannt werden. Für den künstlerischen Schmuck ist der Plastik die erste Stelle eingeräumt; doch bieten auch der monumentalen Malerei einige grosse und dankbare Aufgaben sich dar. Gehen wir nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen zu einer kurzen Besprechung der wichtigsten Innenräume über, so dürfte es sich empfehlen, die letzteren gruppenweise derart zusammen zu fassen, wie dies bei Bestimmung ihrer grundsätzlichen Ausbildungsart ersichtlich auch der Architekt gethan hat.

Für die Eingangshallen, die zwischen dem Aussen- und dem Innenbau zu vermitteln haben, ist eine Ausführung in Werkstein-Architektur gewählt worden. Die schmale, korridorartige Halle hinter dem Westportal ist mit Recht nur untergeordnet behandelt. Auch die grosse Ostvorhalle, deren aus verputzten Kreuzgewölben zwischen Sandsteingurten gebildete Decke auf 2 Paar gekuppelter toskanischer Säulen sich stützt, wirkt im wesentlichen nur durch ihre Raumverhältnisse; ihr Schmuck beschränkt sich auf die beiden, mit Wappen bekrönten und von je 2 auf Säulen stehenden Figuren eingerahmten Thüren zum Hauptgeschoss (von Prof. O. Lessing), sowie einige kleinere ornamentale Bildwerke an den Pfosten der hinteren Korridorwand, über den unteren Thüren und in den Zwickeln der Treppenwangen (von Prof. Widemann). Der Fussboden ist aus schwarzem und weissem Marmor gebildet; eine dekorative Verglasung der Fenster ist vorbehalten. – Reichere künstlerische Durchbildung und entsprechender Schmuck ist der Süd- und der Nordvorhalle zutheil geworden, mit welchen die angrenzenden, auf der äusseren Langseite der Höfe liegenden Korridore des Hauptgeschosses vereinigt sind. Zur Steigerung der architektonischen Wirkung ist den Seitenwänden in der Südhalle eine Säulenstellung auf Sockeln, in der Nordhalle eine Pfeilerstellung vorgesetzt, in welcher die Zugänge zu den benachbarten Räumen des Sockelgeschosses sich öffnen.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 589 unten

Ornamental aufgefasste Wappenschilder, die in der Südhalle zwischen den Säulen, in der Nordhalle an den Stirnseiten der Pfeiler angeordnet sind, verstärken den malerischen Eindruck, der in letzter durch die brückenartige Ueberführung des oberen Korridors noch eine wesentliche Bereicherung erfahren hat; ein zweites, inneres Portal, das den mittleren Bogen dieser Brücke umrahmt und die Durchfahrt nach dem Hofe bezeichnet, trägt auf seiner Giebelverdachung eine von Prof. Hundrieser modellirte Figurengruppe. – Die ganz in Werkstein hergestellten Decken beider Hallen sind als flache, in Felder getheilte und am Fuss durch einen ornamentalen Fries belebte Tonnengewölbe gestaltet, die auf das Gebälk der seitlichen Stützenstellungen aufsetzen. Auch die Gewölbe der anstossenden Korridor-Decken sind am Fuss der Gurte durch Figurengruppen geschmückt; die breiten Gurte, welche sie theilen, enthalten monumentale Füllungen mit Kartuschenwerk. Ueber den auf Konsolen vorgekragten Verdachungen, welche die in den Pfeilern dieser Gurte ausgesparten Nischen krönen, sind prächtige friesartige Skulpturen – Masken mit naturalistisch behandelten Ranken und Früchten – angebracht (Ein Beispiel davon wird mit dem Gegenstück zu der auf S. 541 dargestellten Allegorie des Friedens dem Schlusse unseres Berichtes beigegeben werden. Die auf S. 589 mitgetheilte obere Abbildung liefert ein Beispiel der über den Oeffnungen der Eckthürme angebrachten Skulpturen.). Den erlesensten Schmuck beider Hallen bilden jedoch die 4 herrlichen Portale an den Schildwänden der oberen Korridore, von denen das aus der Südvorhalle zu den Räumen des Bundesraths führende auf S. 589 dargestellt ist. In der Auffassung deutscher Spätrenaissance entworfen, zeigen dieselben in ihrem oberen Aufsatze die von Schildhaltern begleiteten Wappen der 4 deutschen Königreiche; vor ihnen sitzt auf einem die Thürverdachung durchbrechenden Konsol eine weibliche Idealgestalt, zwei auf kurzen Säulen stehende Figuren rahmen die Thür ein. Ausgeführt sind diese Portale, welche zu den schönsten und für das künstlerische Schaffen Wallots bezeichnendsten Einzelheiten des Baues zählen, durch den Bildhauer Vogel aus München, von dessen Hand – mit Ausnahme jener oben erwähnten Hundrieser’schen Gruppe – überhaupt der gesammte plastische Schmuck beider Vorhallen herrührt. Der letztere ist indessen noch keineswegs vollendet; denn vor den Säulensockeln der Südhalle sollen sich später die in Bronze gegossenen Standbilder der 8 bedeutendsten und volksthümlichsten Kaiser des alten deutschen Reiches erheben, während vor den Pfeilern der Nordhalle entsprechende Bildsäulen von 8 hervorragenden Geisteshelden unseres Volkes Platz finden sollen. – Auch der monumentalen Glasmalerei ist an den 4 Fenstern jedes Raumes zur Entfaltung Gelegenheit gegeben worden; vorläufig hat der Künstler, dem diese Aufgabe anvertraut worden ist, Architekt Alex. Linnemann in Frankfurt a. M., jedoch nur die beiden grossen Mittelfenster der Südhalle (mit dem von dem Wappen der Bundes-Staaten umgebenen Reichsadler und der Allmutter Germania), sowie die beiden kleineren Seitenfenster der Nordhalle (Eintracht und Zwietracht) fertig gestellt. Seine Leistung, insbesondere das Eintracht-Fenster, rechtfertigt in vollstem Maasse den Ruf, den er sich – als z. Z. bedeutendster Vertreter deutscher Glasmalerkunst – unter den Sachverständigen schon längst erworben hat. – Der Fussboden ist im unteren Theile der Nordhalle mit Granitplatten, im oberen Korridor der letzteren mit mehrfarbigen Marmortafeln, in der Südhalle mit farbigem Marmor-Mosaik belegt.

Im Anschlusse an die vorstehenden Mittheilungen über die 3 repräsentativen Eingangshallen des Hauses wollen wir inbezug auf die sonstigen Vorhallen und Verbindungsräume des Sockelgeschosses nur in Kürze erwähnen, dass auch in ihnen die Wandflächen grossentheils mit echtem Steinmaterial bekleidet sind. Die in diesem Geschoss ausnahmslos angewendeten Gewölbe sind mehrfach in mittelalterlicher Art, mit vortretenden Steinrippen gebildet. Steinbekleidung haben – abgesehen von einzelnen ganz untergeordneten Nebentreppen – ebenso sämmtliche Treppenhäuser des Baues erhalten. Für die Treppen selbst sind durchweg Granitstufen verwendet. Die Geländer bestehen an den beiden mit steinernen Wangen auf Steinpfeilern hergestellten Haupttreppen gleichfalls aus Stein, an den anderen Treppen aus schmiedeisernen Gittern, die an der zur Hof- und Diplomaten-Loge führenden Treppe vergoldet worden sind. Als eine zweite Gruppe zusammengehöriger Räume, die eine Mittelstellung zwischen den Eingangshallen und den zum längeren Verweilen bestimmten Sälen und Zimmern einnimmt, können die grosse Wandelhalle der Abgeordneten sowie die beiden Vorsäle des Bundesraths und des Reichstags-Vorstandes betrachtet werden. Der Künstler hat jener Stellung Rechnung getragen, indem er auch in ihnen eine Stein-Architektur durchführte, für diese jedoch ein edleres Material wählte und überdies dafür Sorge trug, den Ernst derselben durch entsprechenden Schmuck zu mildern.

Inbetreff der Wandelhalle hat Hr. Wallot bekanntlich seine Absichten nicht ganz verwirklichen können. Durch den Widerstand der Baukommission, welche die erforderlichen Mehrkosten nicht bewilligen zu können glaubte und der unter dem Drucke der sehr entschiedenen Stellungnahme seines Präsidenten – schliesslich (mit sehr geringer Mehrheit) auch der Reichstag beistimmte, sah er sich genöthigt, auf die geplante Ausführung der Architektur in istrischem Kalkstein zu verzichten und sich hierfür mit einem Surrogate, dem von der Wiener Firma Matscheko & Schrödl erfundenen sogen. „Iukrustatstein“ zu begnügen. Er hat diesen in einer Färbung und Behandlung angewendet, die ihn dem Eindrucke jenes ursprünglich von ihm ins Auge gefassten marmorartigen Steins wenigstens nähert, wenn der Abstand zwischen beiden auch leider noch gross genug ist. Einer Beschreibung der diesem Hauptraume des Reichshauses gegebenen Ausbildung enthebt uns im übrigen die Mittheilung, welche wir demselben bereits in No. 1, Jahrg. 92 d. Bl. gewidmet haben, zum wesentlichen Theile. Bis auf nebensächliche Einzelheiten entspricht die Ausführung durchaus dem dort gegebenen Bilde. Freilich fehlen noch die geplanten Deckengemälde, deren Mangel insbesondere bei der fast ganz auf die Wirkung der Kuppelwölbung angewiesenen Mittelhalle störend empfunden wird; es fehlt der zu jenen Deckenbildern überleitende farbige Schmuck der Fenster, der Bogenlaibungen und der im oberen Geschoss ar Langseiten durchlaufenden Wappengallerie sowie die Belebung der Architektur durch Gold; auch die Figuren auf den Geländerpfosten der den Mittelraum umgebenden Brücken sind noch fortgelassen. Aber der Eindruck des Ganzen ist trotzdem schon jetzt ein überwältigend grössartiger und vornehmer und erfüllt alle Erwartungen, die man von demselben zu hegen berechtigt war. Von den Einzelheiten seiner Ausstattung sei zunächst der prächtige, aus weissem, ‚schwarzem (bezw. grauem), rothem und gelbem Marmor zusammengesetzte Fussbodenbelag erwähnt, den die bayerische Akt.-G. f. Marmor-Industrie „Kiefer“ geliefert hat. Die aus Palisanderholz gefertigten Flügel der hohen Thüren schmücken je 2 eingelegte Bronzefriese, deren in vollem Relief gehaltene überaus reizvolle Modellirung von Prof. Widemann herrührt. Von demselben Künstler sind auch die schönen, modern aufgefassten Sphinx-Figuren ausgeführt, die auf den Geländern der beiden äusseren Endbrücken lagern. Alle übrigen bildnerischen Arbeiten des Raums sind ein Werk von Prof. Otto Lessing. Als solche sind neben den architektonischen Einzelheiten, der Wappengallerie und den Bronzeschildern über den Thüren der beiden Seitenhallen, sowie einigen kleinen Reliefs über den Thüren zu den neben der Kuppel liegenden Treppenhäusern namentlich die Skulpturen der Mittelhalle zu nennen.

Ueber dem Gebälk der Ecknischen sind hier 4, in die Bildfläche der Kuppel hineinragende Gruppen angeordnet, denen das Motiv eines Renaissance-Epitaphs zugrunde liegt – bekrönt von je 2 eine Krone haltenden Putten, am Fusse eingerahmt von 2 sitzenden Figuren. Kräftige Reliefs aus Wappenthieren, Waffen, Fahnen und Kroninsignien zusammengesetzt, schmücken die Flächen über den nach der Ost- und Westseite sich öffnenden Thüren; das bedeutendste derselben, welches über der zum Sitzungssaale führenden Hauptthür angeordnet ist, zeigt die auf S. 541 mitgetheilte Abbildung. – Dass im Laufe der Zeit auch in den Ecknischen selbständige plastische Kunstwerke zur Aufstellung gelangen werden, ist wohl als sicher zu betrachten; die Mitte des Raums unter dem Kuppeloberlicht, wo am 5. Dezember der Schlusstein des Baues verlegt werden soll, ist für ein Standbild Kaiser Wilhelms I. ausersehen.

Von prächtigster Wirkung sind die beiden Vorsäle des Bundesraths und des Reichstags-Vorstandes, in denen die Wandbekleidungen und die damit zusammenhängenden Skulpturen von istrischem Kalkstein ausgeführt sind. Diese Skulpturen, wiederum ein Werk von Prof. Otto Lessing, bestehen in einer aus Wappenmotiven zusammen gesetzten dekorativen Umrahmung der in den Schildbögen der Oberlicht-Tonnen angeordneten Fenster des Zwischengeschosses sowie in flach behandelten Ornament-Füllungen in den Laibungen der das letzte Joch des Raumes abtrennenden Pfeilerstellung: in letzteren bat der treffliche Künstler, dem unter seinen Berufsgenossen der weitaus grösste Antheil am Bau zugefallen ist, wohl seine am höchsten stehende Meisterleistung geliefert. Wie diese kleineren Vorsäle von der grossen Wandelhalle sich schon dadurch unterscheiden, dass in ihnen kein Steinfussboden, sondern Teppichbelag auf Linoleum-Unterlage zur Verwendung gekommen ist, so hat der Architekt ihnen ein anderes Gepräge auch dadurch aufgedrückt, dass er bei ihrem Schmucke neben der Stein-Skulptur auch der Holz-Skulptur eine bedeutsame Rolle zugewiesen hat. Er hat dies in eigenartiger Weise erreicht, indem er die Sitzmöbel, die sich an den Langseiten hinziehen, mit festen, panneelartigen Rückwänden versah. In ihrer reichen, vornehmlich an den Seitenwangen und der Bekrönung auftretenden, von dem Münchener Bildhauer Prusca herrührenden Schnitzerei erscheinen diese um eine Stufe erhöhten Sitze wie ein modernes Chorgestühl. Leider sind die in reichster, farbiger Arbeit herzustellenden gepressten Lederdecken ihrer Polsterung noch nicht fertig und vorläufig durch schlichte rothe Bezüge ersetzt. Nicht minder wichtig für den künftigen Eindruck der Räume werden die an den Deckengewölben auszuführenden reichen ornamentalen Malereien sein.

Bei der nächsten, alle übrigen grossen Säle des Hauptgeschosses umfassenden Raumgruppe galt es, nicht nur die Würde des Hauses zum Ausdruck zu bringen, sondern bis zu einem gewissen Grade auch den Eindruck einer zum Verweilen einladenden Behaglichkeit zu erzielen. Zum Ausbau derselben ist daher in weitgehendem Maasse das Holz, u. zw. fast ausschliesslich deutsches Eichenholz herangezogen worden.

Für den hervorragendsten unter diesen Räumen, den grossen Sitzungssaal des Reichstages hatte diese Ausführungsweise überdies noch den Zweck, eine möglichst günstige Hörsamkeit zu erzielen. Bei der Wichtigkeit des als Kern- und Mittelpunkt der ganzen Anlage zu betrachtenden Raumes haben wir es für angezeigt gehalten, unseren Lesern nicht nur die Gesammt-Anordnung desselben – nach der ersten Entwurfs-Skizze des Architekten sondern auch die in der Ausbildung der Einzelheiten mannichfach abgeänderte, für die Ausführung maassgebend gewesene Werkzeichnung in entsprechender Verkleinerung vorzuführen. Unsere Beschreibung kann sich demnach auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken. Beide Abbildungen zeigen in der Ansicht die durch bedeutsamen plastischen und malerischen Schmuck hervorgehobene Ostwand des Saales, in welcher die Sitze des Bundesraths sowie des Präsidiums mit der Rednerbühne, den Plätzen der Stenographen und dem Tisch des Hauses sich befinden. Die Gestaltung der beiden Seitenwände, die nach den Tribünen hin von 3 grösseren Flachbogen und 2 kleineren, wagrecht geschlossenen Oeffnungen durchbrochen werden, ist nur im Profil angedeutet; die Westwand enthält in ihrem vorspringenden Mitteltheile eine der Ostwand entsprechende Säulenstellung, an welche seitlich je 2 Flachbogen-Oeffnungen sich anschliessen. Das gesammte Holzwerk hat seinen kräftigen gelbbraunen Ton behalten; sparsame Vergoldung an den Ziertheilen und farbige heraldische Behandlung der Wappenfriese, die an der Ostwand die Wappen der Bundesstaaten, an den übrigen Seiten diejenigen hervorragender deutscher Städte zeigen, erhöhen die Wirkung, welche allerdings erst eine vollständige sein wird, wenn die 3 grossen, als Oelbilder gedachten Gemälde in der Ostwand, sowie die gesammten Holzskulpturen zur Ausführung gebracht sein werden. Von letzteren sind auf Anordnung der Baukommission vorläufig nur die schlechterdings unentbehrlichen hergestellt worden; neben dem Bildhauer Vogel ist dabei insbesondere Bildhauer Giesecke thätig gewesen. Die Lederbezüge der Schreibpulte und Sitze haben einen gelben, der Teppich des Fussbodens einen graublauen Ton erhalten. Das grosse Oberlicht der Decke zeigt als Schmuck seiner matten Verglasung einen in gelb und schwarz gehaltenen Friesrahmen und zwei breitere bläuliche Mittelfriese, deren Kreuzung von einem Schilde mit der Konturzeichnung des Reichsadlers auf gelbem Grunde gedeckt wird; sämmtliche Farben sind natürlich nur in zartester Tönung angedeutet.

Im Anschluss hieran mag auch der den Saal umgebende, mit einem rothen Teppich belegte Korridor erwähnt werden, dem die bis zu den Kämpfern der Fenster reichende Täfelung und die durch mit Stuck bekleidete, auf Konsolen ruhende Binderbalken unterbrochene Holzbalkendecke grosse Behaglichkeit verleihen. Einen sinnigen Schmuck desselben bilden die von Bldh. Vogel ausgeführten, an den Konsolen angebrachten Brustbildfiguren, deren Köpfe allmählich durch Portraits der hauptsächlich am Bau betheiligten Persönlichkeiten ersetzt werden sollen. Die vergoldeten Buchstaben, von denen jede derselben einen in der Hand trägt, ergeben zusammen den Spruch: „Erst das Vaterland, dann die Partei“.

Unter den an der Vorderseite und in den Ecken des Hauses liegenden Sälen nehmen die beiden der Restauration eingeräumten dadurch eine gesonderte Stellung ein, dass sie mit gewölbten Decken versehen sind, während die übrigen gerade Holzdecken zeigen. Die Wände beider Räume sind bis zum Kämpfer mit reicher Täfelung versehen, deren Schnitzereien vom Bildhauer Prusca in München herrühren. Die Ledersofa’s in den Schrägseiten des Ecksaals, der reiche, als Umrahmung einer Uhr ausgebildete Thüraufsatz auf der einen und das Büffet auf der anderen Schmalseite des langen Hauptsaals sind mit dieser Täfelung organisch verbunden. Ueber derselben sollen an den Schildwänden des mit einem Kreuzgewölbe geschlossenen Ecksaals Wandgemälde ausgeführt werden, zu denen bereits eine Skizze von dem Maler Franz Stuck in München vorliegt. Dieser hat auch die im Sinne italienischer Renaissance aufgefassten und daher zu der Kunstweise Wallots etwas im Widersprüche stehenden Stuckornamente entworfen, die auf den Gewölbeflächen modellirt worden sind: ausgeführt sind sie durch das Geschäft eines bekannten, dem Zentrum angehörenden Reichstags-Abgeordneten, des Stuckateurs Biehl in München. Das auf der Fensterseite mit Stichkappen versehene Tonnengewölbe des Hauptraums hat Maler Otto Hopp aus München mit einer mittelalterlich stilisirten, aus grünen Distelranken und farbigen Wappen zusammengesetzten Malerei geschmückt, die – an sich eine gediegene künstlerische Leistung leider weder im Stil noch Maasstab zu der feingegliederten Renaissarce-Täfelung passt. Ihre vorläufig noch etwas harte Wirkung dürfte sich unter dem hier entwickelten Zigarrenrauche bald mildern. – Beide Räume sind mit einem eichenen Stabfussboden versehen.

Reiche Täfelung, deren figürlicher Theil von Prof. Widemann ausgeführt ist, haben ebenso der Lese- und der Schreibsaal der Abgeordneten erhalten; dass entsprechend dem starken Relief der in Felder getheilten Holzdecken – der Maasstab dieser Holzarbeiten etwas grösser gegriffen ist, als in den Restaurations-Räumen, gereicht ihnen ebenso wenig zum Nachtheil wie der Umstand, dass neben dem Eichenholze in den Füllungen theilweise Eschenholz verwendet wurde. Unter der Decke des Lesesaales zieht sich ein von Prof. Max Koch gemalter, Festons tragende Putten auf Goldgrund enthaltender Fries hin. Die zwischen dem oberen Theil der Täfelung frei gelassenen, vorläufig mit blauem Stoff bespannten Wandfelder beider Säle sollen später mit Oelgemälden (landschaftlichen Darstellungen bedeutsamer deutscher Orte) geschmückt werden. Erwähnenswerth sind die eigens für diese Räume, sowie für den Sitzungssaal des Bundesraths gewebten einheitlichen Teppiche.

Dem letzteren ist – seinem Range gemäss – eine verwandte, aber wesentlich reichere Ausstattung gegeben worden, die jedoch bisher nicht hat vollendet werden können. Die ganz besonders schön gestaltete Holzdecke, in deren Felder Oelgemälde eingelassen werden sollen, ist auf Vergoldung berechnet; auch einzelne Theile der zierlichen, bis über die Thüren reichenden Täfelung sollen vergoldet werden. Der vorläufig mit grünem Stoff bespannte Wandstreifen über der letzteren wird mit Gobelins bekleidet werden. Als ein besonderer Schmuck des Raumes ist an der Nordwand desselben ein aus Kalkstein gemeisselter Kamin angeordnet worden, dessen Mantel bis zur Decke reicht. Die Skulpturen dieses Kamins und der Täfelung sind von Bildh. Vogel modellirt, der z. Zt. noch an einem in den Kamin einzulassenden Bronze-Relief arbeitet.

Vollständig in Holzarchitektur durchgeführt ist der Lesesaal der Bibliothek, dessen Wände durch eine über den Büchergestellen ausgekragte, mittels einer zierlichen Wendeltreppe zugängliche Gallerie getheilt werden. Die wenigen in ihm enthaltenen plastischen Arbeiten sind Arbeiten von Prof. Widemann. Ueber die Arbeitsräume der Mitglieder des Bundesraths und des Reichstags-Vorstandes ist nicht viel mehr zu sagen, als dass sie in einfacher aber würdiger Weise mit echten, nach verschiedenen Motiven gestalteten Holzdecken und Panneelen, durchgehenden Teppichen, soliden Tapeten usw. ausgestattet sind.

Fast das Gleiche gilt für die Sitzungssäle des Obergeschosses, deren Einrichtung durch Hrn. Reg. Bmstr. Wittig selbständig – wenngleich im steten Einvernehmen mit Hrn. Wallot – besorgt worden ist. Die schön profilirten, kräftigen Holzdecken sind jedoch hier von weichem Holze ausgeführt und die Wandflächen mit aufschablonirten Mustern geschmückt. Nur einer der grossen Säle an der Westfront ist (durch Hrn. Maler Seliger) mit selbständigen Malereien geschmückt worden. Die Korridore des Obergeschosses zeigen Terrazzo-Fussböden. – Was den im Nordflügel liegenden, durch Oberlicht erhellten Bücherspeicher der Bibliothek betrifft, so möge die Angabe genügen, dass derselbe ganz in der Weise einer modernen Magazin-Bibliothek in 4 Geschossen angeordnet wurde, deren Gerüst in Eisen konstruirt ist und deren Gänge aus Glasplatten gebildet sind. – Die zur Hofloge gehörigen Nebenräume, die durch Seiten- und Oberlicht erhellt werden, haben eine Dekoration mit Marmor-Panneelen, Stuckmarmor-Bekleidung der Wände und Säulen, vergoldeten Stuckdecken usw. erhalten. Ganz unerwähnt sind in den vorstehenden Mittheilungen die Beleuchtungskörper geblieben, welche in einzelnen Räumen die dekorative Wirkung nicht unwesentlich unterstützen; sie sind zum grössten Theil eigens für diesen Bau entworfen und ausgeführt worden – und zwar nach den von Hrn. Wallot beeinflussten Entwürfen des Arch. Dedreux in Augsburg.

Ueber die technische Ausführung des Baues, die gleichfalls nicht wenig des Interessanten darbietet, sollen hier vorläufig nur einige kurze Angaben allgemeinster Art gemacht werden.

Das Reichshaus, Abbildung v. S. 593- Ausgestaltung des großen Sitzungssaals im Reichshause (Nach der Werkszeichnung 1 zu 25)

Sämmtliche Mauern des Hauses sind auf Kalkstein-Fundamenten, im Kern von Backstein-Mauerwerk hergestellt und im Aeusseren ganz, im Inneren zu einem gewissen Theile mit Werksteinen verblendet worden. Und zwar ist als Werkstein für die Plinthe des Sockelgeschosses und die Rampe blauer Fichtelgebirgs-Granit (aus Kornbach und Gefrees), im übrigen aber weisser Sandstein zur Anwendung gelangt. Der letzte ist, soweit die Fassaden inbetracht kommen, vorwiegend aus den bekannten schlesischen Brüchen von Alt-Warthau und Rackwitz, aber auch aus der Grafschaft Glatz (Heuscheuer Gebirge), aus dem Teutoburger Walde, den Brüchen von Nesselberg in Hannover und dem Maingebiete (Burgpreppach) bezogen worden; im Inneren treten hierzu noch die Sandsteine von Bayerfeld in der Bayer.-Rheinpfalz und von Udelfangen bei Trier. Selbstverständlich hat man dafür gesorgt, dass die Steine aus verschiedenen Brüchen nicht unter einander gemischt sind, sondern je an einzelnen, in sich abgeschlossenen Theilen sich befinden. Von den Hauptbaumaterialien sind 12354 cbm Kalkstein, 30583 cbm Sandstein und rd. 32,7 Millionen Ziegelsteine verbraucht worden.

Das ganze Sockelgeschoss, die Eingangshallen, die grosse Wandelhalle und einige andere früher genannte Räume des Hauptgeschosses sind massiv überwölbt. Alle anderen Räume, soweit sie nicht durchgehende Oberlicht-Decken besitzen, haben Decken von eisernen Trägern mit dazwischen gewölbten Backstein-Kappen erhalten, unterhalb welcher die sichtbaren Holzdecken angeordnet sind. Die Art des Fussboden-Belags ist in der Beschreibung des Innenbaues bereits vielfach erwähnt worden. Im allgemeinen überwiegt – insbesondere in allen mit Teppichen ausgestatteten Räumen – der einfache, mit Linoleum belegte Zementestrich.

Die Dächer des Hauses sind durchweg in Eisen konstruirt; für die Dachhaut, sowie die Rinnen, Abfallrohre usw. ist Kupfer gewählt worden.

Von den technischen Einrichtungen kommt selbständige Bedeutung insbesondere der von David Grove in Berlin, aufgrund seines in einem besonderen Wettbewerbe gekrönten Entwurfs ausgeführten Heizungs- und Lüftungs-Anlage zu. Das Kesselhaus und die Betriebs-Maschinen derselben befinden sich auf einem jenseits der Sommerstrasse liegenden Grundstück, das durch einen diese Strasse kreuzenden Tunnel mit dem Reichshause verbunden ist. Die Heizung ist zumtheil eine Dampfluft-, zumtheil eine Dampf-Warmwasser-Heizung. Die Kosten des Baues, soweit sie sich bis jetzt annähernd übersehen lassen, vertheilen sich wie folgt:

1. Eigentliche Baukosten.

Fundamente und Kellergeschoss852 000 M.
Rohbau- und Werkstein-Arbeiten11 576 000 M.
Dekorative Arb. a. d. Glashaube269 000 M.
Innerer Ausbau6 625 000 M.
Heizungs- und Lüftungs-Anlage965 000 M.
Kesselhaus163 000 M.
Wasserversorgung und Entwässerung152 000 M.
Rampen, Lichtgräber und Bürgersteige498 000 M.

21 100 000 M.

2. Kosten der inneren Ausstattung.

Möbilirung600 000 M.
Beleuchtungs-Gegenstände400 000 M.
Teppiche, Vorhänge usw.275 000 M.

1 275 000 M.

3. Kosten der selbständigen Kunstwerke.

Gruppe der Germania auf dem westlichen Mittelbau95 000 M.
Reiterfiguren neben dem östlichen Mittelbau60 000 M.
Gruppen über d. Portalen der Seitenfronten60 000 M.
4 Sphinx-Figuren in der gr. Wandelhalle50 000 M.
Deckenmalerei im Langsaale d. Restauration37 000 M.
Friesmalerei im Zeitungs-Lesesaale10 000 M.

312 000 M.

Die bisherigen Kosten ergeben demnach eine Gesammtsumme von 22 687 000 M., welche jedoch bei endgiltiger Feststellung noch eine Abminderung erfahren dürfte. Der ursprüngliche Baufonds betrug 29 617 000 M. Aus demselben werden ausser den angegebenen eigentlichen Baukosten (1) noch bestritten der Grunderwerb (rd. 7 220 000 M.) die Strassenanlagen 200 000 M. und die Kosten für die Bauleitung. Hingegen werden die Mittel für die Ausstattung des Gebäudes mit Möbeln, Beleuchtungskörpern, Teppichen (2) sowie für die bisherige (3) und die künftige Ausschmückung mit Bildwerken und Malereien unabhängig von dem genannten Baufonds von Fall zu Fall durch Reichstagsbeschluss auf besonderen Antrag zur Verfügung gestellt.

Da das Reichshaus eine Baufläche von rd. 11 200 qm bedeckt und (über der Kellersohle) 387 287 cbm umbauten Raum enthält, so stellt sich – wenn lediglich die eigentlichen Baukosten von 21,1 Millionen M. berücksichtigt werden – 1 qm auf rd. 1884 M. und 1cbm auf rd. 54.5 M.

Zum Vergleiche sei angeführt, dass die Kosten des Justizpalastes in Brüssel (700 241 cbm) auf 33,6 Mill., der Neuen Oper in Paris (402 940 cbm) auf 28,8 Mill., des Wiener Rathhauses (271 280 cbm) auf 24 Mill. und des Reichsrathgebäudes in Wien (305 500 cbm) auf 12.3 Mill. M. sich stellen. An dem letzteren sind 10, an den 3 anderen Werken 16, 14 u. 12 Jahre gebaut worden.

Eine Ehrenpflicht ist es, hier auch die wichtigsten Mitarbeiter an der Ausführung zu nennen. An die Spitze derselben müssen natürlich die beiden selbständigen Mitglieder der Reichstagsbau-Verwaltung gestellt werden: Hr. Brth. W. Haeger, dem seit Beginn des Baues der technische Theil der Ausführung und das Rechnungswesen unterstellt waren, und Hr. Reg.-Bmstr. P. Wittig, der bis dahin im Atelier Wallots beschäftigt – zur Entlastung desselben von der Baukommission i. J. 1890 zur selbständigen Leitung der im Sockel-, Zwischen- und Obergeschoss liegenden Räume berufen wurde. Beide Männer haben die ihnen gestellte Aufgabe nicht nur an sich in ausgezeichneter Weise gelöst, sondern sind in ihrem einmüthigen Zusammenwirken mit Hrn. Wallot zugleich für diesen jederzeit eine wesentliche Stütze gewesen. Aufrichtige Anerkennung gebührt namentlich Hrn. Wittig für die Selbstlosigkeit und den Takt, womit er jede, bei einer rein formalen Auffassung seiner Stellung nur gar zu leicht mögliche Schwierigkeit zu vermeiden wusste.

Dem Atelier Wallots haben angehört: Arch. O. Rieth (82-85 u. 90 bis jetzt), Reg.-Bmstr. Schmülling † (82-89), Prof. Schupmann (82/83), Arch. Beck (83), Arch. Lüthi (83), Landbauinsp. Angelroth (83-87), Arch. Gramm (83 bis jetzt), Landbauinsp. Matz (84-88), Arch. Strigler; (84-87), Arch.Strokirk (84-88), Stadtbmstr. Th. Fischer (86-89), Landbauinsp. Gräf (84-94), Arch. G. Halmhuber (86-90 u. 91-93), Arch. Pfann (87-91), Oberbrth. Rettig (87-90), Landbauinsp. Wulff (88—91), Arch. Streiter (88-94), Arch. Haupt (89-92), Arch. Zehnder (90-92), Arch. Fürst (90-92), Arch. Grenander (90 bis jetzt), Arch. Schmidt (91-94), Reg.-Bustr. Schmalz (91 bis jetzt), Arch. Bode (91-94) und Arch. Schaede (93 bis jetzt).

Im Büreau Haegers waren beschäftigt: die Reg.-Bmstr, Könen (83-88), J. Albr. Becker (84-88), Jeske und Hegemann (89 bis jetzt), Reg.-Bthr. Müller (84 bis jetzt), Arch. Milde (85 bis jetzt), Reg.-Bmstr. Teichmüller (89/90), Reg.-Bfhr. Rehbock (90-92), Arch. Nicolaysen (92-94), und die Ingenieure Birlo (Obering. von D. Groye) und Krauss. Das Bureau Wittigs bestand aus den Arch. G. Krause †, Roensch, Meyer, Grunow und Regling. Ausser den Genannten war in beiden Bureaus noch eine Anzahl von Technikern und Rechnungs-Beamten thätig.

Der Mitwirkung des Geh. Brths. Dr. Zimmermann bei Aufstellung des Entwurfs und der Berechnung für die Konstruktion des Oberlicht-Aufbaues über dem Sitzungssaal ist bereits gedacht worden. Ueberaus gross ist die Zahl der Künstler, Gewerken und Fabrikanten, die an den Arbeiten und Lieferungen für das Reichshaus betheiligt waren; wir bitten es daher zu entschuldigen, wenn uns der eine oder andere von ihnen entgangen sein sollte.

Die Urheber der zum Schmucke des Baues verwendeten selbständigen Kunstwerke sind von uns schon gelegentlich der voran gegangenen Beschreibung genannt worden; wir haben hierzu nur berichtigend und ergänzend hinzufügen, dass das Bild des Fürsten Bismarck als Ritter Georg über dem Westportal nicht von Prof. Lessing, sondern von Prof. R. Siemering herrührt. – Als Steinbildhauer waren die Bildh. Volcke, Lock, Vordermeyer, Hildebrandt und Knoll, als Modelleur für die Einzelheiten der Architektur der Bildh. Berger thätig. Die Arbeiten in Inkrustatstein sind von der Firma Schmülling, Baumert & Co., die Stuckmarmorarbeiten in den Nebenräumen zur Hofloge und der weisse Hartputz in den Treppenhäusern von Hauer gefertigt. – Die Bronzegüsse an und über den Thüren der Wandelhalle sind von Stotz in Stuttgart, die Arbeiten in getriebenem Kupfer von Seitz in München (Germania), Peters in Berlin und Knodt in Frankfurt a. M. (Heroldsfiguren), Kiene in München (Kronen auf den Eckpfeilern der Kuppel) und der von Dir. Janisch geleiteten Wilhelmshütte b. Seesen (Ornamente der Kuppel), die Kunstschmiedearbeiten von Puls und Markus in Berlin und Brechenmacher in Frankfurt a. M. geliefert worden. An der Herstellung der Beleuchtungs-Gegenstände waren neben Riedinger in Augsburg noch die Berliner Firmen Spinn & Sohn, Kramme, Schäffer & Walcker, Kreuzberger & Sievers, das Gasapparat- und Gusswerk Mainz und die Sächsische Bronzewaaren-Fabrik in Wurzen betheiligt.

Unternehmer der Maurerarbeiten war ein aus den Ramelow’schen Erben, dem Rathsmaurermstr. Krebs und den Lauenburg’schen Erben gebildetes Konsortium. Die Steinmetzarbeiten sind von Ackermann in Weissenstadt (Granit), den hiesigen Firmen Wimmel & (o., Schilling, Plöger, Gebr. Zeidler, Metzing, Meyer & Kopp sowie von Ph. Holzmann & Co. in Frankfurt a. M. geliefert. Die verhältnissmässig geringfügigen Zimmerarbeiten hat Gradehand besorgt. Die Eisenkonstruktion der Dächer sind von Hein. Lehmann & Co., diejenigen der Kuppelhaube von der Gesellschaft Cyclop, die Trägerkonstruktionen der Decken von Belter & Schneevogl und der A.-G. vorm. Schwarzkopf ausgeführt. Die Kupfer-Eindeckungen der Dächer haben Peters, Strassburger, Thielemann und Seitz in München, die Glas-Eindeckung der Kuppel Spinn & Co. übernommen. Die Granittreppen haben C. Kulmiz in Oberstreit b. Striegau u. Gebr. Huth geliefert. Für den Ausbau des Inneren sind das Eisengerüst des Bücherspeichers von der Gutehoffnungshütte in Oberhausen (mit Riffelglasplatten von H. W. Röhlich), die eisernen Regale der Registratur von A. L. Benecke, die Gewölbe-Konstruktionen in der Restauration und der Fussboden des Sitzungssaales von C. Rabitz ausgeführt worden. Die Marmor-Fussböden sind durch C. Schilling und die A.-G. Kiefer in Kiefersfelden,(Die letzte hat nur den Nordkorridor, nicht aber, wie a. S. 591 angegeben, auch die Wandelhalle beplattet, deren Boden (unter Mitwirkung der Saalburger Marmorwerke) von Schilling geliefert ist) die Mosaik- und Terrazzo-Böden durch Joh. Odorico, die Granitböden durch Ackermann, Kalmiz u. Plöger, die Thonfliesen-Böden u. Fliesenbekleidungen durch Villeroy & Boch, Holzhüter & Schütz und Rosenfeld & Co., die Holzböden in Eichenholz durch E. Schramm, diejenigen in Buchenholz durch Hetzer in Weimar und Amendt in Oppenheim, die Zementestriche durch O. Schmidt & Co., die Linoleum-Beläge durch die Fabriken in Delmenhorst und Köpenick hergestellt worden. – Besonders gross ist zufolge der Rolle, welche bei Ausstattung der Räume dem Holze zugewiesen worden ist, die Zahl der betheiligten Kunsttischlereien. Unter diesen sind in erster Linie zu nennen: G. Olm und Gebr. Lüdtke (Grosser Sitzungssaal), A. Bembé in Mainz (Zeitungs-Lesesaal und Schreibsaal), A. Pössenbacher in München (Restauration und Gestühl im Vorsaale des Bundesraths), Epple & Ege in Stuttgart (Bundesrath-Sitzungssaal), F. Wirths Söhne in Stuttgart (Lesesaal d. Bibliothek und Gänge um den Haupt-Sitzungssaal), Peter in Mannheim (Gestühl im Vorsaal des Reichstags-Vorstandes). Hierzu treten J. C. Pfaff, Chr. Bormann, Lommatzsch & Schröder, Karl Müller, sowie Fr. Schneider in Leipzig und J. Glückert in Darmstadt, welche die Holzdecken und Panneele der übrigen Räume und Ferd. Vogts & Co., welche die Ausstattung der Vorräume zu der Hof-, Diplomaten- und Bundesrath-Loge (von Neuguinea-Holz) geliefert haben. Die Fenster des Baues sind überwiegend von der A.G f. Bauausführungen, Gast & Beuck u. C. Mecklenburg, die Thüren durch C. Trost, die Panneele in verschiedenen Nebenräumen durch G. Lange ausgeführt, während eine Anzahl kleinerer Arbeiten noch den Fiımen E. Henschel, Lübnitz & Rehse, C. Prächtel, Max Schulz & Co., Bünger & Friedrichsen, sowie den Mechan. Bautischlereien in Oeynhausen und Wolgast (vorm. J. H. Kraefft) zugefallen ist. Die Schlosserarbeiten waren an A. L. Benecke, Franz Spengler, G. Kleinschmidt, M. Teeg, Scheidenrecht und Violet, die Glaserarbeiten an J. C. Spinn & Sohn und C. Brandenburg übertragen. Als Maler waren C. Lange, von dem die Wandmalereien im Obergeschosse herrühren, M. J. Rodenstein, Sobotta, H. Estorff, Schmidt & Pachel, Müller & Gressin thätig, als Vergolder C. Röhlich. Als Tapeziere und Tapeten-Fabrikanten sind C. Müller & Co., W. Bernau, F. Köckert, sowie Lieck & Heider zu nennen, während, ausser den früher genannten Kunsttischlereien, Heymann in Hamburg, Schalk & Sohn in Mansfeld, sowie J. Fahnkow, Flatow & Priemer, Kiessling, Marschall, Kotta, Siebert & Aschenbach die Möbel geliefert haben. Die von verschiedenen Händlern bezogenen Teppiche und Läufer stammen aus den Fabriken von Becker & Hofbauer in Berlin, Heuveldop & Hozak in Nowawes, Prietsch in Cottbus, Dohmann, Sperer & Friedrichs in Linden bei Hannover, Gevers & Schmidt in Schmiedeberg (Schlesien), sowie aus den Teppich-Fabriken in Barmen, Wurzen und Friesdorf. Die Personen-Aufzüge sind von der Berlin-Anhalt. Maschinenbauanstalt, die Speisen-, Bücher- und Akten-Aufzüge von C. Hoppe und C. Flohr ausgeführt.

Mit der Erwähnung, dass die Wasserleitungs-Anlagen (einschl. der Einrichtungen für die 21 Kloset-, und Toiletten-Räume des Hauses) von David Grove, Börner & Herzberg, Schäffer & Walcker und F. Klemm, die trefflichen Küchen-Einrichtungen von A. Senking in Hildesheim, D. Grove, Pfaff bund Bertuch, die Klingelleitungen von Töpffer & Schädel, die Uhren-Anlagen von Löbner, die Blitzableiter von Xaver Kirchhoft, die Elektromotoren von Schuckert in Nürnberg hergestellt worden sind und dass die Einrichtungen für die elektrische Beleuchtung des Hauses von der Allgem. Elektrizitäts-Gesellschaft herrühren, möge diese lange Liste geschlossen sein.

Damit wäre zugleich erschöpft, was wir in dem beschränkten Rahmen u. Bl. über das Reichshaus vorläufig mittheilen konnten. Dass wir im Laufe der vorangegangenen Besprechung bereits über die einzelnen Seiten der schöpferischen Leistung Wallots uns geäussert haben, enthebt uns jedoch nicht der Pflicht, dieselbe in Kürze noch einmal als Ganzes zu würdigen.

Es ist wohl noch unvergessen, dass man es vor zwölf Jahren vielfach – und zwar in ehrlicher Ueberzeugung – als ein bedenkliches Wagniss ansah, die bedeutendste Aufgabe unserer Zeit einem Architekten anzuvertrauen, der ein monumentales Werk höheren Ranges bisher noch nicht ausgeführt, sondern nur im Privatbau sich geschult hatte. Bei uns, die wir Wallots künstlerische Eigenart, sein Streben und Können an den von ihm in Frankfurt geschaffenen Bauten genugsam kennen gelernt hatten, stand es von vornherein fest, dass jene Zweifel der Berechtigung entbehrten und dass durch das glückliche Ergebniss des Wettbewerbs sowohl die richtige Grundlage der Lösung wie der richtige Mann zur Durchführung der Aufgabe gefunden sei. Der Erfolg hat diese Zuversicht voll bestätigt. Unsere hoch gespannten Erwartungen sind durch den Meister nicht nur erfüllt, sondern nach jeder Richtung übertroffen worden.

Das Reichshaus genügt zunächst in vollendeter Weise den Bedingungen der Zweckmässigkeit. Allen Ansprüchen, die mit Rücksicht auf den hier stattfindenden verwickelten Geschäftsverkehr gestellt werden können, ist in ihm die einfachste, gleichsam natürliche Lösung zutheil geworden, Bundesrath und Reichstag haben für ihre Thätigkeit ein Heim gewonnen, in dem sie bald und dauernd sich heimisch fühlen werden. Ohne Ueberhebung darf man es aussprechen, dass kein Volk der Erde ein Parlamentshaus besitzt, das in dieser Beziehung dem unsrigen gleichgestellt werden könnte.

Der höchsten Zweckmässigkeit gesellt sich die höchste Würde. Die als Geschäftshaus dienende Anlage stellt zugleich als ein Denkmal sich dar, in dem nicht nur der Rang der hier tagenden Körperschaften unter allen politischen oder wirthschaftlichen Einrichtungen der Nation, sondern auch der Werth, den diese ihrer neu errungenen, durch jene Körperschaften vertretenen Einheit beimisst, zu vollem Ausdruck gelangt sind. Monumental sind die Abmessungen des Baues, monumental die Stoffe, aus denen er zusammen gefügt, mit denen er geschmückt ist. Edle und vornehme Monumentalität spricht aus der künstlerischen Anordnung des Ganzen, wie aus der Gestaltung jeder Einzelheit. Reich und dennoch maassvoll, bewegt und dennoch ruhig, ist das Haus ein treues Abbild wahrer Kraft und Grösse.

Und welcher, nicht von Vorurtheilen befangene Beschauer könnte die Schönheit des Werkes verkennen? Schönheit, wenn sie mit Würde sich paart, ist freilich nicht immer Gefälligkeit und es giebt leider so manche, die zwischen beiden Begriffen nicht zu unterscheiden wissen. Dennoch dürfte Niemand, der das Reichshaus aus genügender Entfernung (etwa von der Kroll’schen Terrasse her) erblickt, wenn über seine Massen schon ein Hauch von Dämmerung sich breitet, während die zum Untergange sich neigende Sonne die aufragenden Theile und insbesondere den goldschimmernden Saal-Aufbau noch mit hellstem Glanze übergiesst – Niemand, der einst die in ihrem vollen künstlerischen Schmucke prangende grosse Wandelhalle betreten wird, sich dem Eindrucke entziehen können, dass Berlin nichts Schöneres aufzuweisen hat, als diesen Bau und dass unter allen Schöpfungen deutscher Baukunst nicht allzu viele ihm ebenbürtig sind.

Wer imstande ist, mit dem Künstler zu denken und zu fühlen, wird über die Schönheit seines Werks überhaupt nicht im Zweifel sein. Er wird sie um so höher schätzen, weil sie nicht durch äusserliche Mittel, nicht durch bequeme Anlehnung an „bewährte“ Vorbilder herbeigeführt, sondern in echter Originalität aus dem innersten Wesen der Aufgabe und aus der Tiefe eines selbständigen, echt deutschen Empfindens geschöpft ist.

Die künstlerische Form ist hier in der That der treffende Ausdruck sowohl für die Bestimmung, wie für den eigenartigen Organismus der Anlage. Selbst die Mängel derselben – und welches Werk wäre ohne solche – sind im wesentlichen die unmittelbaren Folgen der nicht zu überwindenden Mängel, die dem Bauplatze anhaften.

Sein deutsches Gepräge aber verdankt der Bau nur zum kleineren Theile dem Umstande, dass der Meister mit dem Gerüste der von ihm gewählten internationalen Renaissance-Architektur gewisse Motive der älteren deutschen Baukunst zu verweben gewusst hat. Deutsch ist vielmehr vor allem die Art und Weise, wie im Rahmen des Ganzen die Einzelheiten nicht nur als schematische Glieder desselben, sondern zugleich als von eigenem Leben erfüllte Gebilde sich geltend machen, aus denen sowohl die schöpferische Kraft des Architekten, wie seine, aus dem Herzen entsprungene Freude am Gestalten hervorleuchten. Statt des kühlen, einseitig zentralistischen Zuges, der durch die Kunstschöpfungen der romanischen Völker zu wehen pflegt, tritt uns hier das warmblütige Leben unseres Volkes in seiner ganzen, unerschöpflichen Vielgestaltigkeit entgegen. – Eine Auffassungsweise, wie sie bezeichnender für das deutsche Reichshaus kaum hätte ersonnen werden können, während sie in Wirklichkeit doch nichts anderes als die unbewusste, ehrliche Aeusserung einer selbständig entwickelten, naiv und deutsch empfindenden Künstlerseele ist.

Nicht ohne Grund würdigen und preisen die deutschen Fachgenossen Wallots in erster Linie gerade diese Seite seiner Schöpfung. Denn das Streben, das seit Wiederaufrichtung des deutschen Reiches in ihrem Herzen Wurzel geschlagen hat: wieder anzuknüpfen an die Art unserer Vorfahren, die seit dem Zusammenbruche des alten deutschen Reiches vernichtet und verloren war, hat bis jetzt einen grösseren Triumph noch nicht gefeiert. Ja man darf vielleicht sagen, dass die Berechtigung dieses Strebens und die Möglichkeit, damit zu einem lohnenden Ziele zu gelangen, erst durch das Reichshaus voll erwiesen worden ist. Muss man doch um etwa 150 Jahre, bis zum Würzburger Schlosse zurückgehen, um in Deutschland einem Bau zu begegnen, in dem ein gleicher Reichthum künstlerischer Erfindung niedergelegt ist, während das Gebiet der dekorativen Skulptur seit der vor etwa 100 Jahren geschaffenen neuen Ausstattung der Klosterkirche von Salem ähnliche Leistungen nicht aufzuweisen hatte.

Die Wirkungen des von Wallot gegebenen Vorbildes werden sicherlich tiefgehende sein. Schon jetzt zeigt sich im Schaffen der in seinem Atelier beschäftigt gewesenen jüngeren Architekten ein selbständiger Zug, an dem man die Schule des Reichshaus-Baues erkennen kann. Auch die Bildhauer, die unter seinem Einflusse thätig gewesen sind, dürften die hierbei gewonnenen Anregungen weiter fortentwickeln. Bald wird man ihre Frucht in weiteren Kreisen verspüren, wenn auch leider zu befürchten ist, dass man vielfach mehr an unwesentliche Aeusserlichkeiten sich halten, als von dem Geiste seines Schaffens sich leiten lassen wird.

Wesentlich anders als die Fachleute haben sich zu dem Reichshause bisher die Laienkreise gestellt, denen seine Originalität unverständlich ist, und welche das Verlassen eines landläufigen Schemas, das jene dem Meister als höchstes Verdienst anrechnen, als Mangel empfinden. Doch mehren sich die Anzeichen, dass sich auch in diesen Kreisen ein Umschwung vollzogen hat oder doch vorbereitet. Mag der Bau dem „Geschmacke“ Vieler auch nicht entsprechen, so ist dieser Geschmack doch ein wandelbares Ding. Was läge näher, als an das Schicksal der künstlerischen Schöpfungen Richard Wagners zu denken, die – bei ihrem Auftreten mit Schimpf und Hohn übergossen – heute ein Besitzthum unseres Volkes sind, um das andere Nationen uns beneiden?

Und doch trat Wagner als ein einzelner, selbst von den Musikern angefeindeter Kämpe auf, während hinter Wallot die grosse Mehrheit seiner Fachgenossen steht.

Es ist sicherlich in ihrem Sinne, wenn wir dem Meister heute, da die Vollendung seiner Schöpfung mit feierlichem Gepränge begangen wird, auch an dieser Stelle unsern Glückwunsch und unsern Dank entgegen bringen. Die Art der Feier und die besonderen Verhältnisse bringen es mit sich, dass seine Person dabei wenig hervortreten wird. Er darf annehmen, dass ungezählte Freunde und Mitstrebende aus der Ferne bewundernd ihm zujubeln.

Dieser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutschen Bauzeitung, er ist gekennzeichnet mit “K. E. O. Fritsch.”