Vom Streit um das Rathhaus in Bremen

Das Rathhaus in Bremen und seine Halle.

Unter allen Bauwerken, die uns aus grosser Zeit von einem kraftvollen und kunstsinnigen Bürgerthum überkommen sind, nimmt in unserem Vaterlande das Bremer Rathhaus eine der ersten Stellen ein. Es zeigt noch heute nicht nur die eigenthümlichen Merkmale eines einräumigen Gebäudes, sondern trägt auch in seiner reizvollen Erscheinung das Gepräge eines echten Kunstwerkes und hat bei allem Reichthum des Ornaments Haltung und Ruhe.

Dabei ist es ein Unicum unter allen seinen Genossen insofern, als es kein Werk aus einem Guss ist, sondern von zwei, durch Jahrhunderte getrennten Geschlechtern geschaffen wurde. Der ursprüngliche Bau stammt aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Er bildet ein mächtiges Rechteck von etwa 40 m Länge und 14 m Tiefe und erhebt sich als Backsteinfugenbau in 3 Geschossen, in Keller-, Erd- und Obergeschoss. Trotz der späten Zeit zeigt er gute gothische Formen, ohne Uebertreibung und Dekorationsauswüchse. Den einzigen Schmuck des schlichten Gebäudes bilden neben dem reichen Maasswerk der oberen Spitzbogenfenster Sandsteinfiguren, die zwischen den Fenstern auf Kragsteinen und unter Baldachinen angeordnet sind. Im Erdgeschoss befand sich die Volks- und Markthalle, im Obergeschoss die Gerichts- und Rathshalle. Die Decke des ersteren wurde von zwei Reihen Holzpfeilern getragen, die des letzteren war an das Dach aufgehängt und nur durch lange Sattelhölzer von beiden Seiten der Langswände unterstützt. An der Rückseite des Gebäudes befand sich ein Treppenaufgang im Freien, vielleicht nur überdacht, wie ihn heute noch eine Reihe von Rathhäusern zeigen (Lübeck, Gandersheim, Duderstadt).

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So stand das Gebäude zwei Jahrhunderte lang im Mittelpunkt der Stadt am uralten Marktplatz, vor sich den Roland, das Wahrzeichen freier Gerichtsbarkeit, zurseite den Dom und die Liebfrauenkirche, im Rücken den erzbischöflichen Palas, und schaute mit stillem, unerschütterlichem Ernst auf das Leben und Treiben der Bürger, auf ihre Feste und Kämpfe. Aber gegen Schluss des 16. Jahrhunderts wuchs in dem Handel nach Flandern und England, in dem Aufschwung der beginnenden amerikanischen Fahrt Macht, Ansehen und Reichthum der Stadt zu grosser Blüthe empor. Zugleich hatten sich die Geschlechter und Gilden allmählich immer mehr von den Fesseln der geistlichen Gewalt befreit und sich schon frühzeitig der Reformationsbewegung angeschlossen.

Allen diesen erweiterten Lebensanschauungen genügte der Bau nicht mehr. Namentlich machte sich das Fehlen eines Versammlungszimmers im Anschluss an die obere Halle des Rathes immer fühlbarer geltend. So wurde um die Jahrhundertwende ein grossartiger Ergänzungsbau geplant, der den Bedürfnissen gerecht werden und zugleich in der neuen Sprache der Renaissance ein Bild der reicheren, vielseitigeren Weltanschauung wiederspiegeln sollte. Das Werk wurde einem Meister Lüder von Bentheim anvertraut, wahrlich einem Künstler ersten Ranges, der aus dem schlichten Backsteinkasten ein Juwel zu machen verstanden hat. Er legte einen Arkaden-Säulengang – oder erneuerte den alten? – an der Marktseite vor das Gebäude, bildete die oberen Fenster dorthinaus in Renaissanceformen mit scheitrechten Sturzen um und riss die mittleren drei derselben völlig heraus. An ihre Stelle trat ein ganz aufgelöster Prunkgiebel, dessen Vorderwand auf den vier mittleren Arkadensäulen aufruhte, Er erhielt anstelle des einen Obergeschosses des Hauses deren zwei. Im Innern erhielt hinter ihm die obere Halle einen entsprechenden Holzeinbau, ebenfalls zweigeschossig. Dies ist die berühmte sog. Güldenkammer, sicherlich ursprünglich „Gildenkammer“ genannt, ein Prachtwerk edler Holzschnitzkunst deutscher Renaissance. Unten entstand dadurch ein Versammlungszimmer mit zwei Eingängen: einer Prunkthür für den Rath, einer einfachen für die Bürgerschaft. Darüber fand eine ursprünglich offene Musikergallerie Platz, die durch eine überreich geschnitzte kleine Wendeltreppe zu Seiten der Güldenkammer zugängig gemacht wurde. Rechts und links des Mittelgiebels wurde die Längsfront mit je einem kleineren Dachgiebel geziert; dann erhielt das ganze Haus eine neue Gesimsballustrade mit runden Eckerweiterungen. Alle Zusätze im Aeussern wurden vom besten Obernkirchener Sandstein hergestellt, der damals unter dem Namen des „Wesersteins“ bis nach Danzig und Riga Verwendung fand. Die Fülle der Zierformen, Figuren und Arabesken ist bewundernswerth und trotz allem Prunk in ihrer graziösen Haltung tadellos. Ueber alles lagerte sich das riesige kupfergedeckte Dach, das dem Hause eine behagliche und die Umgebung beherrschende Ruhe bewahrte. Eine etwas spätere Zeit baute anstelle der hinteren Freitreppe einen Anbau für Büreaus und Nebenräume und brach in einer Ecke der Halle eine Wendeltreppe zum Erdeschoss ein, die sich bei einem Aufruhr als nothwendig gezeigt hatte, da der Rath mehre Tage lang in seiner eigenen Halle belagert worden war.

So blieb das Haus abermals zwei Jahrhunderte lang unberührt und unentweiht. Erst unserem Jahrhundert sollte es vorbehalten bleiben, daran zu tasten und mit immer keckerer Hand um sich zu greifen. Der Anfang wurde im berühmten Rathskeller gemacht, der bekanntlich seit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts den edlen vaterländischen Tropfen vom Rhein birgt. Hier lag in einem kleinen Nebenkeller, der noch vom gothischen Bau herstammte, und durch ein Kreuzgewölbe gedeckt war, ein Theil des Weines, und zwar der von Rüdesheim. Das Gewölbe hatte einen gezierten Schlusstein in Form einer Rose. Von ihr erhielt der Wein den Namen „Rosewein“, den er als ältester Tropfen noch heutigen Tages führt. Ein kluger Rathsherr im ersten Drittel unseres Jahrhunderts fand diesen Schlusstein scheusslich, liess ihn fortschlagen und durch eine riesige Schützenscheibe aus Blech ersetzen, auf dem eine gemalte Centifolie prangte. So ist er noch heute zu sehen. Dann wurden die alten Keller fortgerissen, weil sie zu eng wurden. An ihre Stelle traten Erweiterungsbauten der nüchternsten Art, zumtheil mit eisernen Trägern überdeckt. Daran schlossen sich zwei Räume, die neben dem eigentlichen Keller mit seinen Kreuzgewölben und Fenster„Priölken“ lagen. Das eine hatte eine Täfelung, das andere erhielt eine neue, diese mit gepressten Holzverzierungen. Beide wurden vom Maler Fitger ausgemalt in jener bräunlich-bierseligen Weise, wie sie als Makart-Gefolgschaft auftrat. Sie zeigt natürlich keine Spur von geschichtlichem Sinn und von Verständniss für die Grösse des Gebäudes: sie ist einfach modern, und noch dazu schwächlich modern.

Besser erging es dem Erdgeschoss. Zwar wurde die vierhundertjährige Volkshalle aufgehoben und durch Zwischenwände in Bureauräume mit Mittelgang verwandelt. Aber der alte Kern steckt noch ungestört darin, und es bedarf nur einer achttägigen Ausbruchs- und Aufräumungsarbeit, um die alte Wirkung desselben verjüngt erstehen zu lassen.

Das Schlimmste wurde für die obere Halle aufgespart. Zuerst kam das alte Rathsgestühl an die Reihe, das bis Anfang dieses Jahrhunderts vom Beginn des 15. an dort gestanden hatte: es wurde einfach in die Rumpelkammer geworfen. Später fand man mühselig noch einzelne Theile und Bruchstücke wieder auf, die jetzt dem Gewerbemuseum einverleibt sind. Sie zeigen dieselbe gute Gothik, wie heute noch die Seitenfenster, und hohe Rückwände mit Maasswerk und Wimpergen. Nach 1870 wurde ein Schlachtenbild gestiftet zur Erinnerung an den Krieg, die Schlacht von Loigny, ein Dutzendbild, das einem Monatshefte Ehre machen könnte. In einen Bürgerraum gehört es wohl kaum. Aber nicht genug damit, erhielt das Bild einen in Eichenholz geschnitzten Rahmen, der in seinem Aufbau bis an die Decke reicht, also 13 m hoch ist. Er nimmt fast ein Drittel der Rückwand des Raumes ein, zeigt schwülstige, übertriebene Formen in einem Mittelstil zwischen italienischer Renaissance und französischem Barock und an sich sowie im Verhältniss zu dem Bild und dem Raum die denkbar schlechtesten Verhältnisse. Figuren und Wappen durften nicht fehlen, die in ihrer prahlerischen Sprache die feine Formempfindung und echt bürgerliche Stimmung des ganzen Raumes mit modernen Keulenschlägen getödtet haben. Soll heute noch die Halle ungetrübt und gehalten auf uns wirken, müssen wir uns so stellen, dass wir diese moderne Zuthat nicht sehen können.

Aber dies war nur der Anfang. Jetzt plant man eine völlige Erneuerung, Ergänzung, Ausschmückung, „Verschönerung“, die den Raum in einen Festsaal verwandeln sollen, wie ihn irgend ein Haus eines reichen Klubs oder Vereines einer Grosstadt aufzuweisen hat. Jetzt ist trotz der Eingriffe die Halle noch ein Raum, von dessen schlichter Holzbalkendecke, von dessen mit alten Inschriften und Bildern aus bremischer Vergangenheit bedeckten Längswand, von dessen gothischen Maasswerkfenstern uns die ganze Fülle der Vergangenheit, des Handels und Wandels der Altvordern, des Ringens und Siegens unserer Väter, mit einem unsagbar feinen Helldunkel übersponnen, entgegenleuchtet wie aus einem durchgestimmten Rembrandt. Von der Decke hängen Holzmodelle alter Orlogschiffe der Hansa im grossen Maasstabe, ganz aufgetakelt, mit Segeln und Kanonen versehen, herunter, die gewissermaassen das Fluten des Meeres in den Raum hineintragen und hier schon ein Schifferherz beim Gedenken der ewigen See höher schlagen machen. Und jeder Bremer ist Schiffer in seiner Seele. Und alles das soll in seiner Wirkung zerrissen und zerstört werden! Nicht mehr soll sich ein Bürger in den Abendstunden in die Halle hineinschleichen können und bei dem Hereinleuchten der goldenen Sonne durch einen stillen Blick in die Grösse der Vergangenheit die Winzigkeit der „Jetztzeit“ und des miserablen „Ichs“ vergessen dürfen! Nein! Die Jetztzeit will auch zu Worte kommen, sie nimmt den Mund voll, stösst in die Lärmtrompete, rührt die Reklametrommel und schreit: „Hier bin ich! Wo sind die Alten? Todt, getödtet!“ – Eine hohe Täfelung und ein noch höheres Rathsgestühl soll jetzt aufgestellt werden. Aber nicht im gothischen Stil, wie es noch Lüder von Bentheim sah und stehen liess: Nein, zum Bilderrahmen passend, in die Decke ragend, halb Louis quatorze, halb Borgia, mit Thronhimmel – für einen „Burgemeester!“ -, Estrade, Polster, Geklingel und Gebimmel rechts und links. So soll es die ganze Breitseite des Raumes einnehmen, Licht und Luft abschneidend, der Güldenkammerpracht ein Schnippchen schlagend. Dahinter kommen in die Ecken Kachelöfen von demselben Aufbau und Maasstab, um den Rest des Vernichtungswerkes zu besorgen.

So der Plan. Leider wird die Gefahr immer grösser, dass er ausgeführt wird und damit dem Kunstwerke unersetzlicher Schaden geschieht. Schon sind die Gelder bewilligt und die Zeichnungen angefertigt. Aber gleichzeitig hat sich eine Gegenströmung eingestellt, die, von besserem Verständniss getragen, immer weitere Kreise ergriffen hat. Als Ausdruck dieser Bewegung für Erhaltung des alten Eindrucks der Halle kann eine Petition angesehen werden, die kürzlich den Bremer Behörden von Prof. Friedr. Thiersch überreicht wurde. Sie ist von 16 Männern unterzeichnet, deren Namen in ganz Deutschland in Kunstfragen den besten reinsten Klang haben und die frei von jedem Vorurtheil vor Beginn der beabsichtigten Arbeiten eine genaue sachverständige Prüfung des Geplanten verlangen. Als stärkste Waffe führen sie den Gedanken ins Treffen, dass die Stadt Bremen nicht sowohl Besitzerin des Bauwerkes sei, sondern vielmehr Hüterin des Schatzes; dass jeder kunstverständige Deutsche seinen wohlgemessenen Antheil an diesem Besitzthum wie an der gesammten Volkskunst für sich in Anspruch nehmen könne. Wir können uns diesem Gedankengange völlig anschliessen. Ein erneuter künstlerischer Aufschwung als Erzeugniss einer grossen politischen Machtentfaltung darf uns nicht blind machen gegen die herrlichen Erbstücke der Vergangenheit unseres Volkes. Wir sollen versuchen, unsere eigene Kunstsprache zu reden, aber den früheren grossen Zeiten nicht das Wort entziehen. Dadurch machen wir uns eines Diebstahls gegen unsere Nachkommen schuldig, die wir verhindern, ihrerseits davon weiter zu lernen. Die moderne Gleichmacherei und das Besserwissenwollen der Jetztzeit hat vor den uns überkommenen Kunstwerken Halt zu machen. Schumann sagt, es sei eine Sünde, im Musikstück eines Meisters nur eine Note zu ändern; dies gilt cum grano salis für die ganze Kunst. Und in der Bremer Rathhaushalle steckt eine Fülle von Musik in allen Tonarten. Da thut es Noth, so wenig wie möglich die Noten zu verändern, um Tonart und Stimmung nicht zu zerstören!

Hoffentlich schenken die bremischen Behörden der gewichtigen Stimme der 16 Künstler und Kunstverständigen noch in letzter Stunde Gehör und gewähren uns den ungetrübten Genuss eines edlen Bauwerks auch für zukünftige Tage!

Dieser Artikel erschien zuerst am 28.03.1896 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „H. Sch.“ und enthielt keine Bilder.

Die Angelegenheit der Ausschmückung der Rathhaushalle in Bremen

Die Angelegenheit der Ausschmückung der Rathhaushalle in Bremen scheint nunmehr einer Entscheidung zugeführt werden zu sollen, der man mit mehr Beruhigung entgegensehen kann, als den bisherigen Entscheidungen. Nachrichten der Nat. Ztg. aus Bremen zufolge hätte der Senat den Beschluss gefasst, die Bürgerschaft zu ersuchen, sich mit ihm zu dem Beschlusse zu vereinigen, unter vorläufiger Zurücknahme der der Rolandstiftung ertheilten Genehmigung zur Ausführung der Poppe’schen Entwürfe die Abtheilung Hochbau der kgl. preuss. Akademie für Bauwesen um ein Gutachten darüber zu bitten, ob die in der Eingabe des Prof. Thiersch in München und seiner Mitunterzeichner erhobenen Zweifel gegen die Ausführung des Poppe’schen Entwurfes begründet seien, oder ob sich der Entwurf unverändert, gegebenenfalls mit welchen Abänderungen zur Ausführung empfehle. Dem Senatsbeschlusse ging ein diesem zustimmender Beschluss der Rolandsstiftung voraus, welche zu der beabsichtigten Ausschmückung den grössten Theil der Geldmittel bewilligt hat. Die Rolandsstiftung unterliess aber nicht, auch einen eigenen Vorschlag aufzustellen, der dahin ging, die Hrn. Geh. Reg.-Rth. Prof. H. Ende-Berlin und Geh. Brth. Prof. Dr. P. Wallot-Dresden, die 1892 ein zustimmendes Urtheil zu dem Poppe’schen Entwurfe abgegeben hatten, unter Zuziehung zweier weiterer hervorragender Sachverständiger zu der in Aussicht genommenen erneuten Prüfung zu veranlassen. Die Stiftung, in der die Hrn. Maler und Dichter Arthur Fitger sowie der Byron- und Shakespeare-Forscher und frühere Bürgermeister Otto Gildemeister die Führung haben, hat dabei nicht verfehlt, sich nochmals auf das Urtheil Lübke’s zu berufen, welches derselbe in die Worte kleidete: „Ich kann diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne dem hohen Talente des genialen Künstlers meine volle Anerkennung zu zollen und ich hege die Ueberzeugung, dass die Bremer Rathhaushalle, wenn sie nach diesen Plänen umgestaltet wird, mit der Güldenkammer, dem Stolz des Rathhauses, ein harmonisches Ganzes bilden, dem Architekten zum Ruhm und der Stadt zur Ehre gereichen wird.“ Den Grundsatz: „De mortuis nil nisi bene“ in allen Ehren, aber das ist ein echt Lübke’sches, in seinem Ton aus seinen zahllosen Bücherbesprechungen her bekanntes „Sachverständigen-Gutachten“. Lässt schon diese Berufung und ihre Heranziehung zur Argumentation erkennen, wie wenig sicher sich die Rolandstiftung in der Verfolgung ihrer Angelegenheit fühlt, so wird der Eindruck einer merkwürdigen Naivität in der Vertretung der Sache durch die wehmüthige Vertheidigung Poppe’s noch verstärkt, wenn die Stiftung meint, es dürfe ihr die Frage nicht verübelt werden, ob es sich rechtfertige, „einen hervorragenden Künstler, der getragen durch den rühmenden Beifall Sachverständiger und durch die fortgesetzte Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften werthvolle Jahre seines Lebens und den er Schatz seines Talentes daran gesetzt hat, um dies grosse Werk zu erdenken und zur Anschauung zu bringen, jetzt, wo die gehoffte Vollendung in greifbarer Nähe ist, kurzer Hand bei Seite zu schieben, aus keinem anderen Grunde, als weil man über Nacht auf den Rath einer Anzahl auswärtiger Fachgenossen zu anderer Ansicht gelangt ist. Welches Befremden und welche Entmuthigung müsste ein solches Vorgehen gegen einen Künstler in weiten Kreisen erwecken!“ Auch wenn ein guter Gedanke „über Nacht“ kommt, bleibt er deshalb nicht minder gut; im übrigen klingt diese Auslassung beinahe wie ein Dialog aus Fitger’s Drama „Die Hexe“ oder die Uebersetzung einer Elegie von Lord Byron. Wir fürchten, dass mit ihr dem Künstler wenig genützt ist. Und der weitere Umstand, dass er es vermochte, in der vielbesprochenen Konkurrenz um die neue Weserbrücke allen Ernstes den Vorschlag zu machen, die thorbogenartigen Pfeileraufbauten in Gusseisen zu fertigen und sie mit Oelfarbe in Sandsteinton diesem Stein ähnlich zu machen, begründet doch die ernste Mahnung zu grosser Vorsicht gegen die Rolandstiftung, ganz abgesehen von dem, was zumtheil von denselben Persönlichkeiten bereits an anderen Stellen des Rathhauses, z. B. in dem Bachuszimmer in Architektur und Bild ausgeführt wurde.

Unter diesen Verhältnissen könnte man es nur mit freudiger Zuversicht begrüssen, wenn sich die Akademie des Bauwesens bestimmen liesse, den ihr gestellten Antrag anzunehmen und ihr grosses Gewicht zugunsten der unveränderten Erhaltung eines der glänzendsten der deutschen Baudenkmäler einer grossen Vergangenheit in die Wagschale zu werfen.

Diese Mitteilung erschien ohne Bilder am 23.05.1896 in der Deutschen Bauzeitung.

Die wechselnden Schicksale des Bremer Rathhauses.

Bachuszimmer im Bermer Rathskeller

Nicht ohne gerechtfertigte Leidenschaft hat sich die kunstverständige Oeffentlichkeit in eine lebhafte Besprechung der Angelegenheiten des Bremer Rathhauses und insbesondere seiner herrlichen Halle eingelassen, die nach einem weit angelegtem Plane umgestaltet und damit demselben Schicksal zugeführt werden soll, dem bereits andere Theile dieses Juwels unserer deutschen Vergangenheit zum Opfer gefallen sind. Auch an dem Bremer Rathhause droht der grosse Besitz einer reichen Bürgerschaft, die mit freigebigen Händen zu spenden bereit war und ist, zum Fluche zu werden, wenn es nicht noch einem gütigen Geschick in letzter Stunde gelingen sollte, die drohende Gefahr abzuwenden. Wenn sie einträte, wäre sie allerdings leider nur eine folgerichtige Erscheinung, die an die früheren Vorgänge angeknüpft sind und plus ca change, plus c’est la méme chose.

Viel ıst an dem ehrwürdigen Bauwerk im Laufe der Jahre verbrochen worden – mehr, als der unbefangene Beurtheiler seiner Herrlichkeiten ahnt und mehr, als bisher in weiteren Kreisen bekannt geworden ist. Es ist aber vielleicht bei dem jetzigen Stande der Dinge eine heilsame Lehre, von einem Eingeweihten über die baulichen Veränderungen und leider auch Verwüstungen der Vergangenheit belehrt zu werden und wir benützen zu diesem Zwecke gerne eine uns zur Verfügung gestellte eingehende Arbeit des Hrn. Architekten Joh. Rippe in Bremen, dem infolge seiner Theilnahme an einer Reihe von Arbeiten an dem Bauwerke eine besonders eingehende Bekanntschaft mit den einschlägigen Verhältnissen beiwohnt. Der Bericht ist mit Aeusserungen subjektiver Empfindung durchsetzt, die wir aber glaubten stehen lassen zu sollen. Wir haben uns bemüht, den umfangreichen Ausführungen die Stimmung zu lassen, unter der sie niedergeschrieben wurden, im übrigen aber, den eisernen Geboten folgend, die uns der Raum der D. B. zu beobachten zwingt; zum Verständniss des Ganzen unwesentliche Stellen ausgelassen.

Hier folgt der Bericht:

„Es mag wohl selten ein Gebäude unserer Stadt so viele Umwandlungen mitgemacht haben und so vielen Angriffen ausgesetzt gewesen sein, wie das Rathhaus. Etwa um 1400 wurde dasselbe als ein gothischer Backsteinbau aufgeführt. Die Form des Grundrisses ist ein längliches Viereck von etwa 41,30 m äusserer Länge und etwa 15 m Breite, mit Mauerstärken von 7, 5 ½ und 4 ½ Fuss Bremer Maass, von dem Keller, der unteren und oberen Halle gemessen. Die Langseite nach dem Marktplatz liegt nach Süden; an der Nordecke befand sich im Freien eine Treppenanlage, von welcher eine Thür nach der oberen Halle führte; ihre Thorhaken sitzen noch jetzt hinter dem Loigny-Bilde, der Spitzbogen der Thür aber reicht in den Dachraum des späteren Anbaues. An den beiden Schmalseiten befinden sich die gothischen Tortale für die untere Halle, die daneben sitzenden Fenster waren gradlinig abgedeckt. Die darüber sitzenden Fenster zur Beleuchtung der oberen Halle sind, je 3 an der Zahl, mit Spitzbögen geschlossen und mit reichem Maasswerk versehen. Die Langseite am Marktplatz hatte hohe schmale Fenster mit Stichbögen zur Beleuchtung der oberen Halle. Die freien Aussenseiten waren abwechselnd mit rothen und schwarzglasurten Schichten verblendet. An den 4 Ecken waren ausgekragte, auf Figuren ruhende, achteckige Thürmchen mit gekuppelter Spitze, bis über das Dach ragend, vorhanden, auf welchen Wetterfahnen sassen. In diesen Thürnchen waren und sind noch z. Th. Wendeltreppen, die zum Dachraum führten. Das Hauptgesims, leicht ausgekragt, war mit kräftigen hohen Zinnen versehen; unter ihm sassen kleine Rundnischen (wahrscheinlich mit Wappen verziert). Ein hohes Dach, wahrscheinlich mit Sollinger Platten gedeckt (die bei alten Gebäuden hier ortsübliche Deckung) bildete den Abschluss. Es war an den Schmalseiten abgewalmt und die Spitzen der Walme waren mit Wetterfahnen geschmückt.

An jedem Fensterpfeiler der drei freien Seiten des Obergeschosses stehen je eine Sandstein-Figur mit Baldachin, Kaiser, Kurfürsten und Bischöfe darstellend, welche auch jetzt noch vorhanden sind; dieselben waren bemalt und theilweise vergoldet.

An der Marktseite befand sich ein Bogengang mit Kreuzgewölben; die Pfeiler desselben waren aus Sandstein und hatten verzierte Kapitelle, der Schaft mit Sockel besass runde Form. Die Spitzbögen nahmen einen Aufbau mit Zinnengesims auf, welches ein Geschoss bildete und mit einem Pultdache abgedeckt war. In der Mitte dieses Bogenganges sass ein Erkeraufbau von dem, wie es heisst, der Richterspruch des öffentlichen Gerichts erfolgte und der von einem besonderen Raum von der oberen Halle aus zugänglich war. Am oberen Ende dieses Bogenganges, dem Roland gegenüber, wurde das Markt- oder auch Schöffengericht abgehalten. Zwischen den Kellerfenstern befinden sich jetzt noch in der ganzen Länge des Bogenganges gemauerte Pfeiler als Sitzplätze, welche aus jener Zeit stammen.

Die hintere Seite des Rathhauses hatte wahrscheinlich in einer Länge von etwa 31 m einen Anbau, welcher beim Umbau im 17. Jahrhundert abgebrochen wurde. Grosse Nischungen und Fundamentmauern deuten auf ihn hin.

In der unteren Halle stehen zum Tragen der ersten Balkenlage in zwei Reihen 24 hölzerne Säulen aus der ersten Bauperiode mit Trägern, Sattelhölzern und Kopfbögen in gothischen Profilirungen. Leider sind dieselben zumtheil erneuert und sitzen in Scheidewänden; zumtheil sind sie mit Bretterumkleidungen versehen, die aus den 40er Jahren dieses Jahrhunderts stammen.

Der Rathskeller war in gothischer Bauweise mit Sandsteinsäulen und Kreuzgewölben hergestellt. Die jetzt noch vorhandenen Wandkragsteine der Gurtbögen zeigen gothische Profilirungen und haben eine achteckige Grundform. Dieselben waren bis 1874 unter glattem Verputz versteckt gehalten. Ein aus der gothischen Periode stammendes Wandgemälde in farbiger Ausführung, in einer grossen Wandnische sitzend und von Putz und einer neueren Malerei verdeckt, wurde zufällig im vorigen Jahre beim Herunterfallen dieses Putzes entdeckt. Möglicherweise sind an anderen Stellen noch weitere Malereien vorhanden. Das Bild stellt einen Kirchenfürsten und einen Rathsherrn dar. Der 2. Band „Bremische Geschichte und Alterthümer“ zeigt ein kolorirtes Bild des Marktplatzes vom Jahre 1600, woraus die Form des Rathhauses und die gothische Architektur zu ersehen ist. Ich habe dasselbe s. Z. aus verschiedenen vorhandenen Ansichten zusammengestellt und gezeichnet.

Aus welchem Grunde das Rathhaus zu Anfang des 17. Jahrhunderts umgebaut wurde, liegt im Dunkeln; indess scheint nicht ausgeschlossen zu sein, dass bei einer Bürgerrevolte, wo viele Rathsherren aus der Stadt flüchten mussten, das Rathhaus demolirt wurde. Die Chroniken berichten darüber nichts.

Die Zinnen des Daches und des Geschosses über dem Bogengange am Markt machten das Rathhaus zu einer Vertheidigungsstätte des Rathes gegen die Bürger und Innungen, welche eine bewaffnete Macht bildeten, in der Stadtverwaltung manchen Strauss ausgefochten haben und Klöster Kirchen und Komthurei stürmten und vernichteten.

Es wurden anfangs des 17. Jahrhunderts nicht allein die Fassaden geändert, sondern auch ein neues Dach mit neuer Balkenlage darunter aufgesetzt und die Hängekuppel-Gewölbe des Rathskellers nebst Pfeilern und Bögen erneuert. Von dem alten Hauptgesims findet sich auch selbst an der Hinterseite keine Spur mehr. Ebenso fehlen drei Eckthürme, nur der an der Nordecke sitzende ist noch zumtheil erhalten. Die tragende Figur ist ein Meisterstück der Gothik. Eine Thurmtreppe wird noch benutzt, die anderen sind vermauert.

Die Bautheile der heutigen Fassade aus den Jahren 1616 bis 1622, durch Meister Lüder von Bentheim gefertigt, zeigen in allen Theilen feine Formen und Profilirungen und eine Bearbeitungsweise von grösster Genauigkeit. Das Scharriren, die aufgeschlagenen Flächen sind ausserordentlich fein und haarscharf genau gehalten. Ich habe trotz Suchens ein Steinhauerzeichen nicht finden können, wie ich ein solches beim Kornhause gefunden habe, als ich dessen Fassade wieder herstellte, ebenso wenig habe ich ein solches bei der Wiederherstellung der Stadtwaage, des Stisser’schen Hauses an der Langenstrasse und des ehem. Krameramthauses (Gewerbehaus) gefunden. Die figürlichen Theile des Rathhauses sind in allen Theilen Meisterwerke der Bildhauerei; die Linien, die Muskulatur, die Stellungen, Grössenverhältnisse, die Tiefarbeitungen, um die Wirkung hervorzubringen, sind so meisterhaft gehalten, dass sie für jeden Architekten zum Studium dienen sollten.

Leider ist der Mittelbau, auf 4 Säulen ruhend, nicht genügend gegründet und hat sich infolge dessen vom alten Gebäude abgesetzt. Ich habe ihn seinerzeit kräftig verankern lassen und wollte ihn mit neuen Fundamenten versehen lassen, scheute aber die Gefahr und die Kosten dafür zu beantragen. Man sollte von derartigen alten Gebäuden mit Kanälen, Wasser- und Gasleitungsröhren soweit wie nur möglich entfernt bleiben oder die Fundamente vorher genau prüfen, ehe man sie in Gefahr bringt.

Im Innern des Rathhauses wurden nach und nach ausser dem Einbau der zweigeschossigen Güldenkammer, der unteren sogen. Kriegsstube (jetzt Erbe- und Handfesten-Amt) und der Untergerichtsstube, beide mit wunderschönen hölzernen geschnitzten Portalen, nach Thüreinfassungen aus Sandstein im frühen und späten Renaissancestil in der unteren und oberen Halle aufgestellt; davon war eine in Marmor und Alabaster, zumtheil geschliffen und polirt, vom Herzog von Braunschweig-Lüneburg der Stadt geschenkt (leider gänzlich verkommen und verdorben). Ferner wurden die Marktseitenfenster mit Wappen der Rathsherren und Aelternleute, die Wände mit Wandgemälden und Bildern versehen.

Die erneuerte Balkendecke, mit kräftigen profilirten Sattelhölzern an den Enden, erhielt eine ornamentale Oelmalerei mit den Kaiserbildern in Medaillonform, von Karl d. Gr. bis Siegismund. Die inneren Wandflächen der oberen und unteren Halle waren noch in Backstein ausgefugt. An der schmalen Westseite sassen in den Maasswerken Glasmalereien, Kaiser und Kurfürsten darstellend.

In der unteren Güldenkammer waren die Wände mit Marine-Landschaften aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts geschmückt. Die obere Halle war durch eine hölzerne niedrige Scheidewand, ähnlich geschnitzt und verziert wie die äusseren Wände der Güldenkammer, in 2 Hälften getrennt. Auf der Spindel der grossen Wendeltreppe stand ein das Schwert ziehender römischer, farbig bemalter Krieger. Von der Decke herab hingen zwei Modelle von hanseatischen oder bremischen Orloggschiffen und an dem Mittelfenster der Südseite sass das in Glas gemalte Bild des Kaisers Max, von Albrecht Dürer. In den Fensternischen der Langseite hingen oben an noch vorhandenen Haken in Goldrahmen die Oelbilder der Kaiser aus dem Habsburgischen Hause, die Leopolde und Ferdinands. Von der Decke hingen messingne Kronleuchter. – Was ist von alledem noch vorhanden?

Als das Revolutionsjahr 1848 dem Bremischen Staate eine Verfassung und die Bürgerschaft (gesetzgebender Körper) gab, wurde die obere Halle als Sitzungssaal der Bürgerschaft eingerichtet und dazu von Zimmerleuten eine Tribüne für die Zuhörer gebaut. Dabei wurde die reich verzierte Scheidewand entfernt, zum Bauhof gebracht und schliesslich zerschnitten und verbrannt. Die Tribüne wurde 1851 wieder herausgerissen. Die Figur der Treppenspindel verschwand und es wurde ein Glaskasten über der Wendeltreppe errichtet, welchen ich etwa 15 Jahre später beim Besuch des Königs Wilhelm 1868 entfernen liess. Etwa Mitte der fünfziger Jahre wurden die Wappen- und Fürsten-Fenster herausgenommen, um sie ausbessern zu lassen. Sie kamen zum Bauhof und wurden in Kisten verpackt. Gelder konnten nicht dafür bewilligt werden und so hängen sie jetzt zumtheil im Gewerbe-Museum. Die Leopolde und Ferdinands sind nicht mehr an der Stelle. Die Deckenmalerei wurde anfangs 1853 wegen Geldmangels statt in Oel in Leimfarbe erneuert. Die Wandflächen wurden abgeputzt und einfach gekalkt. Die auf der Halle stehende grossartig schöne Uhr mit Glockenspiel musste ohne Glockenspiel gehen, um nicht die in den anstossenden Räumen abzuhaltenden Gerichtssitzungen zu stören. Die nach der Ostseite sitzenden 3 Fenster, wovon das mittlere Fenster noch gothisch verblieben, die beiden daneben sitzenden aber mit Renaissance-Einfassung und Verdachung, wurden umgeändert und mit gothischem Maasswerk und Formen, sowie mit die Halle recht verdunkelnden Glasmalereien versehen.

In gleicher Weise sollten die an der Marktseite sitzenden Renaissancefenster in gothische umgeändert werden, was aber noch rechtzeitig verhütet wurde. Wahrscheinlich wären auch die Renaissance-Giebel, Gesimse usw. verschwunden, wenn man dem damaligen Architekten Loschen – einem fanatischen Gothiker – freie Hand gelassen hätte, wie man an dem im Renaissancestil 1669 gebauten und von ihm im Innern 1862 umgebauten Gewerbehause (Krameramthaus) erlebt hat und sehen kann.

In den achtziger Jahren wurde vom Architekten J. G. Poppe eine Umrahmung des Loigny-Bildes mit diesem zusammen, an der Nordecke der oberen Halle aufgestellt. Etwas Protzigeres kann man sich nicht denken; zu einem Bilde von etwa 2,75 m und 1 m Grösse, wurde ein Epitaph von etwa 7 m Breite und 9 m Höhe, in Eichenholz gefertigt, hergestellt. Anstatt es bescheiden zu halten und in der Architektur der Güldenkammer anzuschliessen, wurde es in Formen, Profilen usw. in Barock und so klobig hergestellt, dass man statt Holz hätte Sandstein verwenden müssen. Da die Beleuchtung des Bildes eine schlechte war, erhielten die daneben sitzenden Fenster Vorhänge von dunklen Stoffen, sodass man bei Gelegenheit nicht mal mehr die Güldenkammer von der Hallenseite besehen kann. Und das alles um dieses Bild.

Als 1868 König Wilhelm der Stadt Bremen einen Besuch abstatten wollte, musste die obere Halle zu einem Festsaale eingerichtet werden. Ich erhielt den Auftrag die Halle zu schmücken und für dieses Fest einzurichten. Da sie an und für sich in den Wandflächen, den Fenstern, der Treppe mit dem Glaskasten einen nüchternen Eindruck machte, so wurden, da die alten Wappenfenster nicht mehr so schnell wiederhergestellt und eingesetzt werden konnten, Imitationen in Rouleaux hergestellt. Der Glaskasten der Treppe wurde entfernt und das Treppenloch mit einer neuen Balustraden-Einfassung versehen. Die Fensternischen erhielten Sitzbänke mit Täfelung in Eichenholz. Die Wandflächen wurden, der Täfelung der Güldenkammer nachahmend, ringsum mit in Leimfärbe gemalter imitirter Wandtäfelung versehen usw. Das Ganze machte nun einen imposanten Eindruck. Alle diese Theile und Aenderungen sind bis auf den heutigen Tag verblieben und es soll nunmehr diese imitirte gemalte Wandtäfelung in Wirklichkeit hergestellt werden.

Hatte der Architekt, welcher einst die Güldenkammer-Täfelung entwarf und fertigte, mal daran gedacht, die Halle ringsum mit Täfelungen zu versehen? Wäre damals die Täfelung ringsum an den Wänden durchgeführt worden, dann hätten die Eingänge zu den Räumen des hinteren Anbaues, welche aber spätere Zuthaten sind, entsprechende Einfassungen und Thüren erhalten. Die jetzigen sind in allen Stilarten gefertigt. Nunmehr ist mit den verschieden in der Architektur gehaltenen Portalen zu rechnen.

Es wird aber kurz oder lang doch zu einem Vergrösserungsbau des Rathhauses kommen müssen. Dann verfällt die Langwand einem vollständigen Umbau, wobei die Täfelungen und hoffentlich auch das Loigny-Bild fortfallen würden. Hierbei könnte Rücksicht auf eine bessere Beleuchtung der Güldenkammer-Schnitzereien genommen werden und man brauchte sie nicht, wie von Künstlern und Dilettanten seinerzeit geplant wurde, ohne organischen Zusammenhang mit dem Gebäude auf diese Langwand zu setzen. In gleicher Weise erscheint die Aufstellung eines Kachelofens zur Erwärmung der Halle unzweckmässig. Die Halle hat einen kubischen Inhalt von rd. 4400 cbm und da drängt sich doch die Frage auf, wie gross der Kachelofen sein müsste, um bei einer mittleren äusseren Temperatur von – 9° R. den Raum auf nur + 12° R. zu erwärmen.

Was soll nun aber mit den Fensterverglasungen, der Deckenmalerei, den Wandgemälden, alten Bildern, der Standuhr, Wendeltreppe usw. geschehen, wenn der Poppe’sche Entwurf durchgeführt ist? Die beiden Eckfiguren auf der oberen Balustrade der Fassade sind bereits 1865, trotzdem die alten Figuren, wenn auch beschädigt, vorhanden waren und noch auf dem Bauhofe stehen, vom Bildhauer D. Kropp neu und nicht den alten entsprechend angefertigt und aufgebracht worden. Die Figuren und Baldachine sollten in alter Farbenpracht wieder hergestellt werden, ebenso der Roland. Aber als ich mit der Bemalung der Fassade des Gewerbehauses in den aufgefundenen Farben und Vergoldungen durch die tonangebenden hiesigen Architekten gestört werden sollte, indem sie mein Vorgehen höheren Orts angriffen und selbes als nicht mehr modern charakterisirten, durfte ich derartiges nicht mehr wagen; trotzdem führte ich später die Bemalung und Vergoldung der Stadtwaagen- und Kornhaus-Giebel durch. Diese drei Gebäude prangen noch heute im Farbenschmuck.

Die untere Halle soll demnächst von den Einbauten zumtheil befreit werden. Hoffentlich entfernt man dann auch die modernen Umkleidungen der hölzernen Säulen und sonstiges auch Bewegliches, was nicht dahin gehört, damit die Halle nicht mehr wie ein Raum für einen Produkten-Händler aussieht.

Der Rathskeller ist nicht mehr in dem Zustande wie er um 14-1600 war.

Bremer Rathskeller (Im Hintergrunde der Echosaal, rechts die Priölken.)

Jedenfalls sind die Gewölbe und Pfeiler andere geworden und es finden sich keine gothischen Kreuzgewölbe, Bögen mehr darin vor. Die sogenannte „Rose“befand sich bis 1874 in einem Abtheil des jetzigen Echosaales, welcher seinerzeit nur 2 Jochreihen Pfeiler und Gewölbe hatte. Für dieselbe baute ich derzeit einen neuen Keller, worin der Rosewein noch jetzt liegt und nahm den so leergewordenen Raum mit zum Echosaal, welcher dabei mit dem neuen Rathskeller durch eine Thür verbunden wurde und über welcher das von Steinhausen in Marmor gefertigte Medaillon mit Haufl’s Brustbild prangt. Die gemalte und an dem Kuppelgewölbe (nicht Kreuzgewölbe) befestigt gewesene Rose, inform einer Blechscheibe von rd. 0,75 m Durchmesser, wurde einer alten gleich geformt und gemalt gewesenen Scheibe vor etwa vierzig Jahren getreulich nachgebildet (nicht einer in Stein gehauenen, welche nachweislich niemals vorhanden gewesen sein kann), auch mit in den neuen Rathskeller gebracht und dort am Gewölbe befestigt. Das besagte Original muss seinerzeit mindestens 40-50 Jahre alt gewesen sein, als die jetzige Kopie gefertigt wurde. Der jetzige Bachussaal mit den Gemälden von A. Fitger wurde von mir 1874 als solcher umgebaut und mit Täfelung in Eichenholz und Schnitzereien, im Stile der Güldenkammer gehalten, versehen. Die Wand- und Gewölbe-Malereien sind später umgeändert und den Gemälden angepasst, auch die Spitzenaufsätze der Täfelung entfernt, damit die Gemälde dadurch nicht gestört wurden; auch entfernte man zur besseren Beleuchtung der Bilder die stilgerechten Messingkronen und brachte dafür unterm Gewölbe „Sonnenbrenner‘“ an, modernisirte also nach Möglichkeit. Jetzt hat der Keller überall elektrische Beleuchtung. Dieser Raum war früher Schenke für den Raths Kellermeister und stand in Verbindung mit den hinter dem Rathhause belegenen Kellereien für die Weine, welche aber beim Umbau aufgehoben ist. In einer rechtsseitig belegenen, in der Abbildung sichtbaren Nische ist ein Glasschrank für alte Krystallbecher und Gläser (Humpen) angebracht, welche ich seinerzeit zufällig in einem verschlossenen Glasschrank als der Verwaltung völlig unbekannt fand. Derselbe stand in einem Nebenzimmer der Rathhaushalle und war theilweise ohne Benutzung.

So ging es her!

Mit dem Rathskeller stand bis 1874 der grosse Keller unter der ehem. Börse nur durch einen etwa 2 m breiten, 13 m langen gewölbten Gang in Verbindung. Im Jahre 1874 erhielt ich den Auftrag, beide Keller durch einen Kellerbau in grosser Ausdehnung zu verbinden und es ist der jetzige Büffetraum das Ergebniss meiner damaligen Thätigkeit gewesen. Dadurch hatte der Rathskeller eine freie Länge von rd. 91 m erhalten, welche den Gewölbeformen nach in 3 Abtheilungen zerfiel. Die Breite war überall ziemlich gleichmässig, etwa 12 m.

Leider ist diese grossartige Durchsicht vor etwa 10 Jahren zerstört worden, indem beim Brande der alten Börse der Gelände-Verhältnisse halber das gesammte Gewölbe und so auch der Keller tiefer gelegt werden mussten. Anstatt nun die lichte Kellerhöhe um 50-60 cm geringer zu machen, wurde eine Senkung des Fussbodens um 10 Stufen = 2 m beschlossen und ausgeführt. Das Imposante des Kellers war somit dahin. Mein Nachfolger musste den Beschlüssen der gesetzgebenden Körperschaften gehorchen. Diese Aenderung ist das schlimmste, was dem so berühmten Rathskeller widerfahren konnte. Zu alledem stehen jetzt zur Verschönerung noch verschiedene recht moderne Leucht- und Reguliröfen im Keller zur Beheizung desselben herum. Mir misslang seinerzeit die Herstellung von stilgerechten Kaminen an der Langwand des Kellers, welche ich in Sandstein ausführen wollte.

Bei einer Renovirung der Kellergewölbe fand ich oberhalb eines Gewölbe- und Pfeilertheiles, wo früher die Lohgerber-Innung ihren Sitzplatz hatte, eine hübsche Malerei aus dem 17. Jahrhundert, ebenso eine Wandmalerei mit der Urkunde der Sitzgerechtigkeit. Nach mir wurde dieses alles einfach mit Kalktünche überstrichen und somit für alle Zeiten ausgelöscht, anstatt die Malereien wieder aufzufrischen. Das kürzlich gefundene kleine Wandgemälde ist auch noch nicht wieder hergestellt und wird wahrscheinlich demnächst übergeweisst werden. Die Wände und Bekleidungen, Fenster usw. der Kabinete (sogen. Priölken) stammen aus dem Anfange dieses Jahrhunderts und sind so unpassend wie möglich. Es wäre für diese doch wohl mal endlich eine stilgerechte Erneuerung nöthig, aber obgleich der Keller dem Bremischen Stadtsäckel jährlich etwa 150 000 M. einbringt, sind doch für derartige Besserungen keine Gelder vorhanden.

Das waren bisher die Schicksale unseres schönen Bremer Rathhauses.

Bremen, im April 1896 Joh. Rippe, Architekt.

(Schluss folgt)

Dieser Artikel erschien am 06.06.1896 in der Deutsche Bauzeitung.

Die wechselnden Schicksale des Bremer Rathhauses.

Die in No. 66 d. Bl. durch Hrn. Arch. Joh. Rippe gegebene Schilderung der bisherigen Schicksale des Bremer Rathhauses führt eine beredte und eindringliche Sprache, beredt für alle diejenigen, welche die künftigen Schicksale unserer vaterländischen Baudenkmale einer grossen Zeit mit Theilnahme und Opfersinn verfolgen, eindringlich für alle die, welche es wagen, das durch die Jahrhunderte geheiligte Erbe einer ruhmvollen Vergangenheit aus der deutschen Geschichte anders als in lediglich erhaltendem Sinne anzutasten. So sollte man meinen.

Für die Rolandstiftung freilich ist diese Sprache noch nicht eindringlich genug. Sie weist darauf hin, wie es ihr gelungen sei, „den herrlichen Giebel der sogenannten Essigfabrik und den staatlicherseits schon zum Abbruch empfohlenen schönen Erker am Ulenstein vor dem Untergange“ zu retten und wirft sich in die Brust und fragt: „Sollte dieselbe Kommission die so bethätigte Gesinnung verleugnet haben, um gegen das kostbarste Kleinod der Renaissance, das Bremen besitzt, ein Attentat zu planen, das „noch in letzter Stunde“ einen Appell an Senat und Bürgerschaft nothwendig machte?“ Jawohl, „ein Attentat gegen das kostbarste Kleinod der Renaissance, das Bremen besitzt“, welches nicht sehr weit zurückbleibt hinter demjenigen, welches der berüchtigte Mélac im März des Jahres 1689 gegen das Heidelberger Schloss verübte, nur dass dieses insofern einer gewissen diabolischen Grösse nicht entbehrte, als es der Ausdruck der rücksichtslosen Verfolgung eines bestimmten Zweckes war, während die in Aussicht genommene Zerstörung des geheiligten Eindruckes der Bremer Rathshalle so unendlich klein ist, weil sie für den, der in den Berichten der Kommission für die Rolandstiftung zwischen den Zeilen zu lesen vermag, nichts anderes bedeutet, als das beklagenswerthe Bestreben nach Befriedigung eines in falsche Bahnen geleiteten künstlerischen Ehrgeizes. So wird, was ursprünglich einem entschuldbaren Trieb sein Entstehen verdankt haben mag, zum Attentat und das ist der Fluch der bösen That, dass sie fortzeugend Böses nur gebäret.

Sehen wir zu, wie es zu dem Attentat – um das Wort der Rolandstiftung festzuhalten – gekommen ist. Wir benützen zu diesem Zwecke eine Eingabe, welche die für die „Ausschmückung“ der Rathshalle eingesetzte Kommission der Rolandstiftung, unterzeichnet von dem stellvertretenden Vorsitzenden Otto Gildemeister und veröffentlicht in den Bremer Nachrichten vom 6. Mai d. J., unter dem 19. März d. J. an den Senat richtete. Die Veranlassung zu der Eingabe war ein Einspruch des Hrn. Prof. Thiersch in München und Genossen, auf den noch zurückzukommen sein wird. Aus dem Rippe’schen Bericht haben die Leser entnommen, dass die Veränderungen und „Verschönerungen“ am Bremer Rathhause bis in die achtziger Jahre dauerten. Die letzte „That“ war die Umrahmung des Loigny-Bildes. Im Winter 1886/86 (sic!) trat dann die genannte Kommission zuerst der Ausschmückung der Rathhaushalle näher.

„Ihr Mitglied, der Architekt Poppe, arbeitete Skizzen dafür aus, die mit Ausnahme einer später auf eingeholten Rath der Sachverständigen getroffenen, allerdings nicht bedeutungslosen Anordnung im allgemeinen dem jetzt Beschlossenen entsprechen, namentlich was den Umfang der geplanten Ausschmückung betrifft.“ Das, was heute noch beabsichtigt ist, stellt demnach eine wesentliche Einschränkung der ursprünglichen Skizzen vor. Wie uferlos müssen danach die ersten Pläne gewesen sein. Am 15. März 1887 suchte die Kommission das Einverständniss zu den Skizzen nach und als dieses gegeben war, beauftragte sie Poppe, gegen ein Honorar von 10 000 M. die Einzelzeichnungen für die gesammte Halle anzufertigen. Zugleich überreichte Otto Gildemeister als Ertrag eines Bazars eine Summe von 80 447,25 M. namens des dafür zusammengetretenen Comités mit der ausdrücklichen Bestimmung, „dass diese Gelder für die Ausschmückung der Rathhaushalle aufgrund der Poppe’schen Pläne bestimmt seien“, Hierzu ist eine Klarstellung nötig: Ist den Spendern des Bazars bei Eröffnung desselben die letztere Bedingung bekannt gewesen oder ist sie nach dem Ergebniss der Sammlung durch das Komité festgesetzt worden?

Die Kommission stützt sich im weiteren Verlauf ihrer Eingabe auf diese Bedingung mit den Worten: „dass der Kommission das, inzwischen durch die Zinsen per 1. Januar 1896 auf 104 884,65 M. angewachsene Kapital ausdrücklich nur zur Verwirklichung der Poppe’schen Plüne anvertraut ist, eine Verwerfung der letzteren also mit einer Verwerfung des ganzen Unternehmens überhaupt gleichbedeutend sein würde. Die Vorlegung neuer Pläne von anderer Hand würde daher nur einen akademischen Charakter haben, wozu die Mittel darzubieten der Staat schwerlich bereit sein würde.“ Abgesehen davon, dass wir die letztere Aeusserung als eine ungehörige Beeinflussung des bremischen Staates und als eine wenig diplomatische Wendung betrachten müssen, wie sie auch anderen Stellen des Berichtes wiederkehren, ist es doch immerhin fraglich, ob nicht der Staat auch einem besseren Plane zustimmen würde und ob nicht „die Verwerfung des ganzen Unternehmens“ dieser bessere Plan ist.

Doch zurück zur geschichtlichen Entwicklung. Am 26. Oktober 1892 bot die Kommission Senat und Bürgerschaft an, das Werk auf ihre Kosten und zum Besten der Stadt auszuführen. Die Baudeputation, an welche die Angelegenheit überwiesen wurde, empfahl die Annahme. Bei dieser Gelegenheit sprach der Oberbaudirektor Franzius, bekanntlich ein hervorragender Wasserbauer, das klassische Wort: „Wenn auch das Schönheitsbedürfniss sich in Bremen meistens nur selten zur Geltung zu bringen weiss, so ist doch der Wunsch, den trostlosen Zustand der ehrwürdigen Rathhaushalle bald abzustellen und in einen ihrer würdigen umzugestalten, ein so allseitiger, dass das Vorhaben der Rolandstiftung mit Freuden begrüsst und nach besten Kräften gefördert werden muss.“ Nach solcher Empfehlung wurde die Zustimmung der Bürgerschaft „mit besonderer Befriedigung“ bereits am 19. April 1893 erlangt. Der genehmigte Entwurf bestand in Skizzen und diese waren das Ergebniss von Abänderungs-Vorschlägen, welche die als Sachverständige berufenen Hrn. Brth. Wallot, Geh. Reg.-Rth. Ende und Geh. Hfrth. Lübke gegenüber dem zweiten Entwurfe Poppe’s machten. Nach der Genehmigung der Entwürfe durch die Bürgerschaft entstand eine Bewegung unter den bremischen Gewerbetreibenden, welche die Herstellung des genehmigten Werkes ausschliesslich durch das bremische Gewerbe wünschten. Wir halten diesen Wunsch für durchaus gerechtfertigt, vorausgesetzt, dass sich das bremische Gewerbe den gestellten Anforderungen in jeder Weise gewachsen zeigen würde. Zum Nachweis dieser Fähigkeit mussten Musterstücke eingeliefert werden. Inzwischen hatte Poppe auch die Einzelzeichnungen in Naturgrösse fertiggestellt.

Nun kam der an Senat und Bürgerschaft gerichtete Münchener Einspruch. Er giebt dem „lebhaften Wunsche“ Ausdruck, „es möge, wo es sich um den Eingriff in ein kunst- und kulturhistorisch so wichtiges Vermächtniss vergangener Jahrhunderte handelt, wie wir es im Bremer Rathhaus überkommen haben, eine Aenderung nur nach eingehendster und umfassendster Prüfung durch bewährte Autoritäten vorgenommen werden.“ Er betont, dass die Gutachter vom 19. Mai 1892 es als unmöglich bezeichnet hätten, „bei dem skizzenhaften Charakter der vorliegenden Entwürfe einen sicheren Schluss auf den Formcharakter und die Detailbildung zu ziehen.“ Der Einspruch fährt fort: „Es ist in Deutschland so viel Schönes und Alterthümliches zerstört worden in der Absicht, Besseres an seine Stelle zu setzen, dass der Wunsch berechtigt erscheint, es möge diese vorliegende Frage nur unter völliger Ausnützung des jetzigen Standes der einschlagenden Wissenschaft gelöst werden. Unter den deutschen Baudenkmälern nimmt das Bremer Rathhaus eine der ersten Stellen ein; nicht nur der Bremer, sondern der Deutsche ist stolz auf dieses Erbe deutscher Kunst und deutschen Bürgersinnes, Wie der Ruhm Albrecht Dürer’s z. B. nicht Nürnberg allein gehört, sondern dem ganzen Vaterlande, so ist auch Bremen – ideell betrachtet – nicht die Besitzerin des Rathhauses, sondern die Hüterin dieses Kleinodes des deutschen Volkes. Die pietätvolle Art, in welcher in letzter Zeit so manche herrliche Bremer Renaissancebauten gerettet worden sind, in welcher Senat und Bürgerschaft wetteiferten, wenn es sich handelte den altehrwürdigen Dom aus langem Verfall neu erstehen zu lassen, oder den Marktplatz zu einheitlicher Vollendung zu gestalten, giebt uns die zuversichtliche Hoffnung, dass es nur dieser Anregung bedurfte, um unsere Bitte zu erfüllen, noch in letzter Stunde ein sachverständiges Urtheil über die detaillirten Zeichnungen einzuholen“, Unterzeichnet ist die Eingabe von den Hrn.

Geh. Rth. Dr. W. H, von Riehl, Direktor des bayerischen National-Museums; Geh. Rth. Dr. F. von Reber, Direktor der kgl. bayerischen Staats-Gemäldegallerie und Professor an der technischen Hochschule; Fr. Thiersch, Architekt und Professor; Gabriel Seidl, Architekt und Professor; Rudolf Seitz, Akademie-Professor; Dr. F. von Lenbach; Leopold Gmelin, Professor und Redakteur der Zeitschrift des bayerischen Kunstgewerbe-Vereins; Dr. Georg Hirth, Verleger und Kunstschrittsteller, sämmtlich in München; ferner von den Hrn. Carl Schäfer, Ob.-Brth. und Professor in Karlsruhe; Gustav von Bezold, erster Direktor des germanischen Museums in Nürnberg; Johannes Otzen, Geh. Ree.-Rth. und Professor in Berlin: Otto March, kgl. Brth. in Charlottenburg; Prof. Dr. R. Muther-Breslau; Prälat Dr. Schneider-Mainz; Prof. Lichtwark, Direktor der Kunsthalle in Hamburg und Hans Grisebach, Architekt in Berlin. Diese Unterzeichner nennt der Verfasser des Berichtes, als welchen wir uns einen Kollegen, vielleicht Hrn. Poppe selbst vorzustellen haben, da in dem Berichte von „Kollegen“ gesprochen wird, „die die Pläne nie mit Augen gesehen haben“ (woher weiss der Verfasser das?), „eine immerhin nur beschränkte Anzahl von Männern der Wissenschaft und Kunst, die dem Projekte skeptisch gegenüber steht“; es scheint dem Verfasser des Berichtes somit die Wahrheit, dass man die Stimmen wägen müsse und nicht zählen dürfe, noch nicht aufgegangen zu sein. Im übrigen giebt die Kommission der Rolandstiftung die vom Senate geforderte Aeusserung dahin ab, „es sei, unbeirrt durch die Anregung der Eingabe, mit der Ausführung des Werkes dem durch die verfassungsmässigen Beschlüsse vorgezeichneten Geschäftsgange gemäss vorzugehen.

Dieser Geschäftsgang aber ist der, „dass die vom Architekten Poppe inzwischen fertig gestellten Werkzeichnungen der Baudeputation (!) vorzulegen sind, damit diese ihr Urtheil darüber abgebe, ob sie der gestellten Bedingung, nämlich der Uebereinstimmung mit den genehmigten Detailzeichnungen und der Harmonie mit dem Muster der Güldenkammer entsprechen“, also derselben Deputation, die 1893 das Vorhaben der Rolandstiftung „mit Freuden begrüsste“ und erklärte, dass es „nach besten Kräften“ gefördert werden müsse. Man sieht, der Verfasser des Berichts kennt seine Leute.

Nicht so sicher wie die Rolandstiftung war indessen der Senat. „Angesichts der Zweifel, die von Männern der Wissenschaft und Kunst in verschiedenen Theilen Deutschlands bezüglich des inrede stehenden Projektes geäussert werden und der dadurch erregten öffentlichen Meinung, sowie bei der Bedeutung der Rathhaushalle in künstlerischer und kunstgeschichtlicher Beziehung schien es dem Senate angezeigt, dass ohne Rücksicht auf die bereits erfolgte Genehmigung des Werkes vorab noch eine namhafte und allgemeinen Ansehens geniessende Stelle anzurufen sei, um ihr Urtheil darüber abzugeben, ob die jetzt erhobenen Zweifel begründet sind“. Nun hätte man glauben sollen, dass die Rolandstiftung, die sich doch als so durchdrungen von der Güte ihrer Sache gezeigt hat, diesem unverfänglichen Vorschlage des Senates rückhaltlos zustimmen werde. Nach entschiedener Bekämpfung der Eröffnung des Senates, wobei sie sich mehr auf den formalen als auf einen rein sachlichen Standpunkt stellt, entschliesst sie sich, „im Interesse der Sache äusserstenfalls auch dem vom Senate jetzt in Aussicht genommenen Verfahren sich zu fügen“. Den Weg der Anrufung der preussischen Akademie für Bauwesen, den der Senat vorgeschlagen hatte, hält die Rolandstiftung für nicht einfach und für verzögerlich, Noch ein anderer Grund bestimmt die Rolandstiftung, dem Senatsvorschlage nicht zuzustimmen. Die Abtheilung Hochbau der Akademie für Bauwesen zählt 38 Mitglieder, „die sich zusammensetzen aus höheren Regierungsbeamten, Architekten, Ingenieuren, Malern, Bildhauern u. a. m. Bei aller Würdigung der ohne weiteres anzunehmenden hohen Befähigung jedes einzelnen derselben in seinem Fache können wir doch das Bedenken nicht unterdrücken, ob ein Beschluss, den eine von Umständen aller Art abhängige zufällige Mehrheit unter einem Kollegium von 38 Herren, noch dazu über eine von ästhetischen, kunsthistorischen und lokal-bremischen Gesichtspunkten beherrschte und dabei vom persönlichen Geschmacke schwer zu trennende Frage (!) fällen werde, die sichere Gewähr biete, die in Rücksicht auf eine für Bremen endgiltig maassgebende Entscheidung beansprucht werden muss.“ Mehr Zutrauen hat die Stiftung zu einer Sachverständigen-Kommission, die, wie in einem früheren Falle, aus den Hrn. Ende und Wallot, sowie zweien bezw. dreien vom Senat zu wählenden Sachverständigen, die jedoch bezeichnender Weise „nicht aus dem Kreise der Unterzeichner der Eingabe“ zu wählen sind. Wir stehen nicht an, diesem wenn auch abgerungenen formellen Entgegenkommen der Rolandstiftung die schuldige Anerkennung zu schenken. Der Senat glaubte aber bei seinem Vorschlage, die Bauakademie zu einem Gutachten zu veranlassen, beharren zu sollen. Nunmehr wurde die Angelegenheit dem Beschlusse der Bremer Bürgerschaft unterworfen, welche dieselbe in ihrer Sitzung am 13. Mai behandelte. Es wird nicht nöthig sein, auf die Verhandlungen näher einzugehen. Die erste Abstimmung blieb mit 52 gegen 52 Stimmen unentschieden; die darauffolgende zweite namentliche Abstimmung ergab mit 55 gegen 53 Stimmen die Annahme des Vorschlages der Rolandstiftung. Wir haben alle Ursache, uns auch dieses Ergebnisses, mit welchem unsere Angabe auf S. 271 berichtigt sein möge, herzlich zu freuen und dem Ausgange mit vollem Vertrauen entgegen zu sehen.

Gerne hätten wir gewünscht, dass die Poppe’schen Entwürfe der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten geblieben wären. Bereits in unsererer Nummer 35 vom 29. April haben wir den Wunsch einer Veröffentlichung ausgesprochen. Am 1. Mai d. J. hat sich die Schriftleitung der „Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München“ an die Rolandstiftung mit dem Erbieten gewendet, die Entwürfe Poppe’s in der Zeitschrift zu veröffentlichen und sie so der öffentlichen Kritik zu unterstellen. Und wie lautete die Antwort der Stiftung vom 4. Mai? Hr. Poppe habe erklärt, dass „bei. dem gegenwärtigen Stande der Sache ihm der Zeitpunkt für die Veröffentlichung nicht geeignet erscheine“. Das ist die schlagendste Selbstrichtung, die Hrn. Poppe widerfahren konnte und mit Recht meint die genannte Zeitschrift, Hr. Poppe habe wohl nicht erwogen, „dass er durch diese Ablehnung den Verdacht wachruft, seine Entwürfe hätten das Licht öffentlicher Kritik zu scheuen“. Zehn lange Jahre schon währt die Bearbeitung der Angelegenheit und während dieser langen Zeit hat Hr. Poppe keinen „geeigneten Zeitpunkt“ gefunden, die Oeffentlichkeit mit seinen Absichten bekannt zu machen. Ist da nicht der Zweifel berechtigt, ob er diesen geeigneten Zeitpunkt je in der Zukunft finden werde? –

Was als Bodensatz der langjährigen Behandlung der Angelegenheit der „Ausschmückung“ des Bremer Rathhaussaales übrig geblieben ist, ist ein tiefes künstlerisches Misstrauen gegen die Rolandstiftung und den von ihr gewählten Architekten, ein Misstrauen, welches durch die ängstliche Scheu vor der Oeffentlichkeit erregt und durch die durch sie veranlassten Winkelzüge genährt und erhalten wurde. Es wird für die erwählten Sachverständigen keine leichte Aufgabe sein, vor die sie sich gestellt sehen; es wird auch nicht an eindringlichen Versuchen fehlen, sie der Sache der Rolandstiftung günstig zu stimmen. Aber sie mögen sich des Umstandes bewusst sein, dass sie ihr Votum im Namen und zugunsten unserer schönen alten deutschen Kunst abgeben und die tiefe Verehrung für dieselbe ist es, die uns den Ruf von den Lippen löst: „Landgrafen, werdet hart!“

Dieser Artikel erschien am 13.06.1896 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „-y.-“.