Ein englisches Theaterwerk

D'Oyly Carte's Opera House in London

Vor einiger Zeit schon ist der Schlussband eines gross angelegten englischen dreibändigen Theaterwerkes erschienen, welches einen Ehrenplatz in der technischen Litteratur des Auslandes einnimmt und in zusammenfassender Weise eine Uebersicht über die Theaterbaukunst der neueren Zeit giebt.

Es ist das Werk: „Modern Opera Houses and Theatres“.(Examples selected from playhouses recently erected in Europe. With descriptive text, a treatise on theatre planning and construction, and supplements on stage machinery, theatre fires and protective legislation. By Edwin O. Sachs, architect, and Ernest A. E. Woodrow, A. R. J. B. A. Published by B. T. Batsford, High Holborn, London. Pr. £ 15, 15 5, (etwa 320 M.))

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Der erste, 1896 erschienene Band enthält 100 Tafeln und 93 Illustrationen im Text, der zweite, 1897 aufgelegte Band enthält gleichfalls 100 Tafeln und 95 Illustrationen im Text (s. Jhrg. 1897, S. 579); der dritte Band erschien 1898; als Textband ist die Anzahl seiner Tafeln auf 20 vermindert, die Anzahl seiner Textabbildungen aber auf 860 erhöht. Es sei gleich vorausgeschickt: Dieser Band ist der wichtigste und gehaltvollste des Werkes. Sachs bezeichnet sein Werk als eine Fortsetzung des im Jahre 1842 in Paris erschienenen Theaterwerkes von Contant. Er ist überzeugt und er hat Recht damit, dass sein Werk diesmal wirklich die berühmte „Lücke in der Litteratur“ ausfüllt. Die ersten beiden Bände enthalten in Grundriss, Aufriss, Durchschnitt, Einzelheiten und perspektivischen Ansichten – Zeichnung oder Aufnahmen nach der Natur – die hervorragendsten neueren Theaterbauten Englands und des europäischen Festlandes.

D'Oyly Carte's Opera House in London
D’Oyly Carte’s Opera House in London
D'Oyly Carte's Opera House in London - Grundriss
D’Oyly Carte’s Opera House in London – Grundriss
D'Oyly Carte's Opera House in London - Querschnitt
D’Oyly Carte’s Opera House in London – Querschnitt

Auffallender Weise fehlt Amerika, dessen eigenartige Theaterverhältnisse, die die Londoner weit übertreffen, zu einem interessanten Vergleich heraus gefordert hätten. Aus Oesterreich-Ungarn sind im I. Band dargestellt das Hofburgtheater in Wien, die National-Oper in Budapest und das Deutsche Theater in Prag. Aus Deutschland sind vertreten das Hoftheater in Dresden, das Stadttheater in Halle, das Neue und das Linden-Theater in Berlin, das Wagner-Theater in Bayreuth und das Volksschauspielhaus in Worms. Aus England sind fünf Londoner Theater, das Grand-Theater in Wolverhampton, das Palasttheater in Manchester und das Empire-Theater in Bristol dargestellt; aus Holland das Stadt-Theater in Amsterdam und aus Belgien das Flämische Theater in Brüssel, von der skandinavischen Halbinsel das Nationaltheater in Christiania und das Hofopernhaus in Stockholm, aus Russland die Stadttheater in Odessa und Tiflis, und nach dem Entwurf das geplante Hofopernhaus in St. Petersburg. Ausserdem ist das geplante Wagnertheater für München wiedergegeben. Sachs nimmt eine Scheidung in Hoftheater, National-Theater, Stadttheater, Subskriptionstheater und Privattheater an; eine solche Unterscheidung aber erscheint uns belanglos, da sie das Organische des Theaters nicht berührt. Richtiger wäre die Unterscheidung der Theater nach ihrem Spielplane gewesen und nach den Gesichtspunkten, die für die breitere Volksunterhaltung inbetracht kommen. Hierzu ist, soweit wir sehen können, auch im dritten Bande kein Versuch gemacht. Gleichwohl darf man schon zu dem Gebotenen seine lebhafte Zustimmung erklären, denn es ist ein ungemein reiches, in bienenemsiger Thätigkeit gesammeltes Material.

Den einzelnen Theatern ist eine kurze textliche Beschreibung beigefügt, die über alles Wesentliche Aufschluss ertheilt. Auf Einzelnes eingehen, würde den beschränkten Raum einer gedrängten Besprechung überschreiten heissen. Werthvoll ist insbesondere auch, dass die Hauptmaasse der Theater angeführt sind, noch werthvoller wären diese gewesen, wenn sie an kleinen Skizzen erläutert „wären. –

In gleicher Weise wie das des ersten Bandes ist das Material des zweiten Bandes behandelt. Hier fällt die sparsame Berücksichtigung der französischen Theater auf. Es sind nur drei Pariser Theater, die Grosse Oper, die Komische Oper und das Edentheater zur Darstellung gebracht, welchen sich das Theater in Monaco anschliesst. Auch Italien ist nur mit drei Beispielen aus Palermo, Mailand und Turin vertreten; Spanien, Griechenland, Rumänien mit je einem Beispiel aus Bilbao, Athen und Bukarest. Aus der Schweiz sind die Theater in Genf und Zürich, aus Holland noch das Stadttheater in Rotterdam gegeben. Besser sind auch in diesem Bande Oesterreich-Ungarn, Deutschland und Gross-Britannien berücksichtigt. Die Hofoper in Wien, das czechische Nationaltheater in Prag, das neue Stadttheater in Salzburg, das Stadttheater in Laibach und das Raimund-Theater in Wien sind die österreichischen Beispiele; das Opernhaus in Frankfurt a. M., die Stadttheater in Essen, Rostock und Bromberg, sowie das Lessing-Theater in Berlin die deutschen Beispiele, und „Her Majesty’s“, das Lyric-, das Garrick-, das Empre und das Oxford-Theater in London, das Shakespeare-Memorial-Theater in Stratford-on-Avon, das Grand-Theater in Leeds und das Neue Theater in Cambridge die englischen Beispiele.

Der dritte Band beginnt zunächst mit einer Einleitung, in welcher die allgemeinen wirthschaftlichen Verhältnisse der Theater besprochen werden und dem Künstlerpersonal einige Ausführungen gewidmet werden. In einem darauffolgenden Kapitel wird die Gesammtanlage der Theater sowohl mit Bezug auf die Bauplatzverhältnisse wie mit Bezug auf ihre Grössenverhältnisse behandelt. Sehr interessant und werthvoll sind sowohl die vergleichende Gegenüberstellung der Theaterflächen wie auch die ausführliche vergleichende Tabelle über die Maassverhältnisse der einzelnen Theile der Theater. Ein eingehenderes Wort wird sodann der Grundrissentwicklung gewidmet, die durch charakteristische Beispiele und Schnitte erläutert ist. Die grosse Wichtigkeit der Anordnung des Zuschauerraumes kommt in einem umfangreichen Kapitel zum Ausdruck, welches durch sehr lehrreiche Gegenüberstellungen von Grundrissen und Schnitten in schematischer Darstellung eine weitgehende Illustrirung gefunden hat. In ähnlicher Weise behandelt sind Orchester, Proscenium und Bühnenumrahmung, Zuschauerhausdecke, Kronleuchter usw. Sodann kommt das vielleicht noch wichtigere Kapitel der Nebenanlagen, in erster Linie der Treppen, sowohl Haupt- wie Nebentreppen, des Foyers und anderer Nebenräume.

Ein kurzes Wort ist dem technischen Theaterdienst gewidmet, worauf der Verfasser zur Schilderung der konstruktiven Anordnungen übergeht. Hierzu dient ein trefflich illustrirter Abschnitt. Die Bühnenbeleuchtung, die Ventilation und Heizung, die Einrichtungen für die Sicherheit des Lebens der Theaterbesucher, soweit sie nicht mit dem baulichen Organismus zusammenhängen, bilden den Gegenstand weiterer kurzer Betrachtungen.

Her Majesty's Theater in London
Her Majesty’s Theater in London
Her Majesty's Theater in London - Grundriss
Her Majesty’s Theater in London – Grundriss
Her Majesty's Theater in London - Querschnitt
Her Majesty’s Theater in London – Querschnitt

Dann folgen die Ergänzungskapitel mit Ausführungen über die Konstruktion der Bühne aus Holz, aus Eisen, oder aus beiden gemischt, alles reich und trefflich illustrirt durch gut gewählte Beispiele. Mit Interesse folgt man den Ausführungen über die elektrisch betriebene Drehbühne und die Einrichtung des Scenenwechsels auf derselben.

Das erschreckend lange Kapitel der Theaterbrände verfolgt diese Unglücksfälle im Verlaufe eines Jahrhunderts, von dem am 27. Okt. 1797 abgebrannten Theater in Königsberg bis zu dem am 4. Mai 1897 erfolgten Brandunglück des Theaterbazars in der rue Jean Goujon in Paris: eine unheimliche Statistik, die in einem besonderen Kapitel in ihren einzelnen Wirkungen und Begleiterscheinungen noch näher beleuchtet wird. Die dadurch hervorgerufene Gesetzgebung allgemeiner und bautechnischer Art wird für eine Reihe von Ländern geschildert und zum grösseren Theile im Wortlaut wiedergegeben.

Das ungefähr ist der reiche Inhalt des schönen Sammelwerkes, in welchem eine unendliche Menge ehrlicher Arbeit steckt. Um so mehr darf man beklagen, dass es den praktischen Gebrauch durch seine Unhandlichkeit beinahe verbietet. Die Riesenbände haben nicht nur ein sehr beträchtliches Eigengewicht, sondern beanspruchen auch eine Raumausdehnung, welche dem grössten Zeichentisch, für den das Werk doch in erster Linie bestimmt ist oft mangelt. Darin liegt unstreitig ein schwerer Fehler in Herausgabe des Werkes. Wenn es bei einer wiederolten Auflage, die trotz der Kostbarkeit des Werkes nicht ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt, gelänge, aus den 3 Grossbänden 4-5 Bände in halbem Format zu machen, es käme der Verwendbarkeit des reichen Stoffes in doppelter Beziehung entgegen. Einmal vertragen die meisten der in einfacher Liniendarstellung gegebenen geometrischen und auch die reicher ausgestatteten perspektivischen Zeichnungen sehr wohl eine Verkleinerung auf mehr als die Hälfte, ohne an Deutlichkeit und praktischer Verwendbarkeit zu verlieren und zweitens wäre dadurch unzweifelhaft möglich, den Preis des Werkes auf mehr als die Hälfte zu vermindern und so seinen umfassenden Inhalt weiteren Kreisen, als nur den öffentlichen Bibliotheken oder den Büchersammlungen dieses oder jenes Mäcens oder dieser oder jener Hochschule zu erschliessen. So dankbar wir uns für die Sammlung des umfangreichen Materiales, seine Sichtung und Gegenüberstellung erweisen müssen, so sehr dürfen wir auf der anderen Seite auch fordern, dass die Benutzung nicht beinahe unmöglich gemacht wird.

Wir haben hier ein sprechendes Beispiel dafür, wie eine von Haus aus gute und fruchtbare Absicht durch die Art ihrer Durchführung alle Vorzüge praktischer Art einbüsst. Vielleicht sind Verfasser und Verlagsbuchhandlung geneigt, in Erwägungen über die Zweckmässigkeit der vorstehend geäusserten Gedanken einzutreten; wir zweifeln nicht, dass damit der Verbreitung des Werkes gedient würde. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 21.02.1899 in der Deutsche Bauzeitung.