Ein vergessenes Denkmal deutscher Renaissance

Portale aus dem Garten des Schlösschen Baum bei Bückeburg

Unweit Bückeburg liegen tief in einem ausgedehnten Walde das unbedeutende Schlösschen Baum, und von ihm durch einen Weiher getrennt die zwei Thorbauten, von deren jetzigem ruinenhaften Zustande die Beilage ein Bild giebt.

Keiner, der dies stille lauschige Plätzchen unter dem Schatten der weit überhängenden Zweige betritt, wird von der Poesie des Ortes unberührt bleiben. Eingebettet in die tiefe Stille des Waldes, liegen vor uns zwei Kleinodien der Kunst, innig umschlungen von der sie umgebenden Natur, welche man einst damit geschmückt hat. Es sind Bilder von höchstem malerischen Reize, welche durch diese Verbindung von wilder Vegetation mit der Architektur im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind.

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Heute liegt eine ernste Stimmung über der Baugruppe; einst mag der Gesammteindruck des Ganzen ein viel heiterer gewesen sein. Ein wohlgepflegter kleiner Lustgarten umgab das Jagdschlösschen, welches vor dem jetzigen, vielleicht noch aus gothischer Zeit hier stand; der helle Sonnenschein fand freie Bahn und fluthete über die glänzende Farbenpracht der Renaissance-Architektur, auf die goldenen Figuren nieder, doppelt schön, wenn der Frühling den Weiher mit frischem Grün umkränzte und mit der Anmuth der Kunstformen die Lieblichkeit: der Natur harmonisch zusammenklang.

Die ganze Anlage des Gartens genau zu rekonstruiren, dafür sind die noch vorhandenen Anhaltspunkte zu gering; doch kann noch Folgendes geschlossen werden. Das Schlösschen liegt etwas abseits von der Chaussee. Parallel zu derselben liegt die Axe, zu welcher die ganze Anlage sich symmetrisch in dieser Reihenfolge ordnet: Gitterthor, dann zwei grosse oblonge Rasenplätze rechts und links vom Mittelweg, welcher geradeaus auf das Schloss bezw. dessen doppelarmige Freitreppe führt. Dieser Theil des Gartens scheint erst in der Zeit der Erbauung des jetzigen Schlösschens, nämlich 1759-1764 angelegt zu sein. Auf der Rückseite des Gebäudes liegt dann, von Rasenstreifen und Wegen umzogen, der Weiher, und gegenüber dem Schlosse auf der anderen Seite des Weihers eine Grottenanlage mit 3 mächtigen Nischen in Bruchstein, an welche sich rechts und links die beiden Portalbauten anlehnen. Durch dieselben führen zwei Wege auf einen hinter der Grottenwand angelegten Hügel, den „Schneckenberg“ zusammen, der heute ganz mit Bäumen bestanden ist und früher wahrscheinlich auf seinem Gipfel etwas Bedeutungsvolles trug, welches die Anlage des vielleicht als Venusberg gedachten Hügels und der kostbaren Portale erklärt. In der mittleren der 3 grossen Nischen, also in der Axe des Ganzen, sass auf hohem aus Bruchstein gemauertem Postament ein Adler, die seitlichen Nischen umschlossen Nereiden, welche vermuthlich schalenförmige Muscheln emporhielten.

Portale aus dem Garten des Schlösschen Baum bei Bückeburg
Portale aus dem Garten des Schlösschen Baum bei Bückeburg

Einer ausführlichen Beschreibung der beiden Portalbauten sind wir durch die beigegebenen Darstellungen überhoben. Die Portale sind in den Maassen und in der allgemeinen Anlage einander gleich, dagegen in den angewandten Säulenordnungen und allen Einzelheiten durchaus verschieden. Sie sind nur einseitig (für den Blick vom Schlosse her) ausgebildet und lehnen sich mit der Rückseite gegen eine Hintermauerung, ohne welche sie nicht zu denken sind; dies sei besonders in Hinblick auf den oberen Aufbau des linken Portales bemerkt.

Der Künstler ist leider nicht bekannt, aber schon ein flüchtiger Blick zeigt, dass derselbe ein naher Geistesverwandter des Wendel Dieterlein ist. Es handelt sich im vorliegenden Falle nicht nur um eine geistige Verwandtschaft oder allgemeine Anlehnung, sondern wir haben hier Bauwerke vor uns, deren Aufbau sowohl wie die Einzelheiten vielfach unmittelbar dem berühmten motivenreichen Werke des bedeutenden Strassburger Malers und Architekten entnommen sind. Diese Thatsache einer so engen Beziehung zwischen einem monumentalen Bauwerk und einem sehr wenig älteren Vorlagenwerk ist in diesem Umfange so einzig dastehend und so schlagend nachweisbar, dass wir es für geboten halten, weiterhin näher darauf einzugehen.

Portale aus dem Garten des Schlösschen Baum bei Bückeburg. Aufgenommen von Architekt P. Eichholz in Wiesbaden
Portale aus dem Garten des Schlösschen Baum bei Bückeburg. Aufgenommen von Architekt P. Eichholz in Wiesbaden

Der Vermuthung, dass der Schöpfer dieser Kleinarchitekturen ein durchaus unselbständiger oder gar unfähiger Stümper gewesen wäre, muss indessen sofort entgegen getreten werden mit der Thatsache, dass derselbe gerade dadurch, wie er von den Dieterlein’schen Vorbildern abweicht und wie er die Motive desselben auswählt, neu zusammenfügt, umgestaltet oder abklärt, zeigt, dass er einen hohen Grad von Schönheitsgefühl und bedeutendes Können besitzt und in diesen Beziehungen dem Dieterlein ebenbürtig gegenübersteht, wenn man von der übersprudelnden Phantasie und dem Motivenreichthum des Strassburger Meisters absieht, dessen Fülle überwältigend und dessen Verwendbarkeit für einen gründlichen Kenner des Dieterlein’schen Werkes damals zur unwiderstehlichen Verführung wurde, zumal wenn eine durchaus ähnliche Aufgabe vorlag wie Dieterlein solche vielfach in den verschiedensten Veränderungen als ein Lieblingsthema behandelt hatte. Trotzdem rettet, wie gesagt, unser Künstler dem Dieterlein gegenüber eine gewisse Selbstständigkeit. Seine Entwürfe sind zwar von grösstem Reichthum, aber weit entfernt von der bei Dieterlein vorkommenden Ueberladung und Schwülstigkeit. Sie zeigen bei aller Poesie und Phantastik doch viel mehr Ruhe und Klarheit in der Komposition; das Bizarre ist zum grössten Theile abgestreift, die Grundgedanken für den figürlichen Schmuck sind bestimmter, einheitlicher durchgeführt, die Formen im einzelnen abgeklärter, einfacher und mit Rücksicht auf die technische Ausführung in Stein behandelt.

Es muss übrigens an dieser Stelle bemerkt werden, dass auch Dieterlein Bauwerke nicht so ausgeführt haben würde, wie er sie in seinen Vorbildern entworfen hat. In letzteren konnte er sich freilich nicht genug thun in Abwechslung, Ueberschwang der Formen und Häufung der Einzelheiten und der Motive – Alles eben nur, um die Unerschöpflichkeit seiner Phantasie und die Gewandtheit seines schaffenden Geistes zu zeigen. Er war sicher stolz darauf. Auch er würde diese Künstlereitelkeit bei Ausführung monumentaler Bauwerke mehr oder weniger zurückgedrängt haben. Verzeihen wir ihm also die Uebertreibungen, welche ihm bei flüchtigem Schaffen auf dem Papier entschlüpft sind. Geschmack und Zeiten wandeln sich und auch wir können ja heute schon die zehnfache Dosis von dem vertragen, was vor etlichen Jahrzehnten noch als schwülstig und überladen galt. Wenn Dieterlein früher und selbst heute noch viel geschmäht wird, so theilt er dieses Schicksal mit dem Barock, zu dessen genialsten Vorarbeitern er – wenigstens in manchen Beziehungen – gehört. Leider ist uns kein reicheres Bauwerk bekannt, welches mit Sicherheit als von Dieterlein entworfen bezeichnet werden kann. Man nennt ihn als Schöpfer des 1593 errichteten säulenartigen Thurmes bei der alten Kanzlei in Stuttgart (jedoch ohne urkundlichen Beleg) und als Vollender des Erweiterungsbaues des Frauenhauses in Strassburg. Dieses unzulängliche Material kann allerdings nicht als Beweis für die obige Behauptung herangezogen werden; es bleibt uns nur der Rückschluss von unserem Meister auf Dieterlein übrig. Unsere beiden Portalbauten zeichnen sich thatsächlich den Dieterlein’schen Entwürfen gegenüber in verschiedenen Beziehungen vortheilhaft aus.

Das linke Portal ist, was den Haupttheil des Figuralen anbetrifft, offenbar auf das Portal der Taf. 110 bei Dieterlein zurückzuführen. Von den Tritonen, welche hier als dekorative Abschlüsse auf dem Gebälk über den Säulen ruhen, ist der eine in fast unveränderter Form auf der rechten Seite jenes Portals wiedergegeben. Unser Meister begnügt sich aber nicht damit, Poseidon und die Tritonen etwa rein als Dekorationsmotive ohne innere Beziehung zum Ganzen zu verwenden, sondern er verbindet damit eine antike Mythe, nämlich diejenige der Befreiung der Andromeda durch Perseus, welchem Vorgange nun diese Tritonen ebenso wie der Zeus an der Spitze sozusagen als Betheiligte beiwohnen, wenn auch das Ganze nicht gerade als geschlossene dramatische Handlung vorgeführt wird. Dies könnte höchstens von den beiden unteren Hauptfiguren gesagt werden. Zwar besteht der sonstige Apparat der der Natur entlehnten Ornament-Motive aus Meereserzeugnissen, aber zu dem Haarschmuck der Hauptnereide links verschmäht der Künstler auch Wein und sonstige Produkte der Erde nicht. Auch gehört die Reliefdarstellung über der Thüröffnung nicht mit in den bezeichneten Mythenkreis, sondern bringt, ganz davon abgelöst, für sich einen anderen Gegenstand, nämlich die Sage von Aktäon und der Diana zur Anschauung.

Von der Taf. 110 ist ferner noch das Ornament-Motiv des konsolartigen Schlussteines übernommen, dagegen ist auf die unruhige Dekoration der Säulenschäfte mit Rohrstengeln und Fischen verzichtet. Von anderen Entlehnungen aus Dieterlein an diesem linken Portal führe ich nur noch einige unzweifelhafte an: Die Postament-Dekoration unter den Säulen ist mit geringfügigen Aenderungen der Taf. 96 entnommen. Die hermenartigen Bildungen, welche die Figuren-Nischen nach aussen flankiren, finden wir zum grossen Theil auf Taf. 142 wieder; die Dekoration der Nischen selbst nebst Schlusstein auf Taf. 124; die der Zwickel auf Tafel 193, die der Untersicht der Hängeplatte auf dem Titelblatt. Die Aufsätze auf dem Gebälkstück über den Säulen haben ihr Vorbild auf Taf. 72. Das Motiv der Stützenstellung des Obertheiles erinnert wiederum sehr an Taf. 124 (vergl. auch Taf. 157). Die Form des Ausschnittes der Kermasae in den Zwickeln der abgebrochenen Giebelverdachung sehen wir auf Taf. 105. Die herangezogenen Beispiele genügen, um theilweise unmittelbare Entlehnungen festzustellen. Andererseits muss anerkannt werden, wie sich der Künstler namentlich bei den Säulen von den bei Dieterlein oft angewendeten überschwänglichen Phantastereien fern gehalten hat. Ihr Schaftdekor ist wohl durch Taf. 115 angeregt.

Wenden wir uns nun dem rechten Portale zu, so sehen wir auch hier ebensoviele Entlehnungen von Dieterlein. Auch hier ist das Grundmotiv für den figürlichen Theil einem Dieterlein’schen Portalentwurf entnommen, welcher dasselbe indessen nicht mit der einheitlichen Klarheit zeigt, wie unser Gegenstück; denn zu den musizirenden Gestalten (von denen übrigens, so weit ersichtlich, keine unmittelbar nachgeahmt ist) gesellen sich Ritter zu Fuss und zu Pferde, und die Embleme der Musik sind untermischt mit heraldischen Abzeichen. Von architektonischen und ornamentalen Anleihen nenne ich folgende: Zunächst die beiden Postament-Verzierungen von Taf. 59 und 177. – Die Lisenenausbildung hinter den Säulen klingt an ein Motiv der Taf. 193 an. – Die Hermen an der Aussenseite der Nischen sind zusammengesetzt im unteren Theile aus derjenigen der Taf. 100 (rechts) und im oberen Theile aus der auf Taf. 100 (links). Die Dekoration der grossen Figuren-Nische erinnert sehr an Motive der Taf. 71 oben, und die der Untersicht der Hängeplatte wiederum an das Titelblatt. Die Nische des obersten Aufbaues hat eine Wölbungs-Verzierung wie auf Taf. 159, die Lisenen wie auf Taf. 193 und die Uebergangsschnörkel am Gipfel kehren sehr ähnlich auf Taf. 110 wieder. Nicht dass hiermit alle Aehnlichkeiten erschöpft wären, doch würde deren vollständige Anführung wohl ermüden.

Was nun die Entstehungszeit der kleinen Bauwerke anbetrifft, so haben wir durch das Erscheinungsjahr des Dieterlein’schen Werkes (1591) zwar eine hintere Grenze gewonnen, doch dürfen wir diese getrost bis 1601 verschieben, dem Jahre des Regierungs-Antrittes des kunstliebenden Fürsten Ernst von Schaumburg-Holstein, welcher erst kurz vorher nach jahrelangem Aufenthalte von Italien zurückgekehrt war. Zwischen diesem Jahre und dem Beginn des 30jährigen Krieges müssen wir wohl die Ausführung des Baues suchen; denn kaum hätte man wohl in einer durch verheerende Kriegszüge bedrohten Zeit und Gegend mitten im Walde solche Luxusbauten errichtet.

Bezüglich des Künstlers sind wir auf sehr allgemeine Vermuthungen beschränkt, welche uns die von Prof. Dr. A. Haupt in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ VII. Jahrg. Heft 1 gegebenen Mittheilungen ermöglichen. Danach gehörte der Künstler vielleicht einer Gruppe von Holzbildhauern an, welche bis gegen 1605 in Minden und Herford arbeiteten. Die Architektur der Thore ist im allgemeinen fein und edel gezeichnet, die Profilglieder häufig reich verziert. Der Werth der figürlichen Skulpturen ist, soweit die Ruinen ein Urtheil erlauben, ungleich; neben sehr reizvollen Torsen finden wir auch manierirte, nur für eine dekorative Wirkung geschaffene Gestalten.

Die Wiederherstellungen, welche die geometrischen Darstellungen zeigen, beruhen – abgesehen von genauen Maassaufnahmen, welche ich vor Jahren vorgenommen habe – bezüglich einiger Theile auf Bruchstücken, welche sich nicht mehr am Platze befinden.

Um sich einen vollständigen Begriff machen zu können von der märchenhaften Erscheinung, welche die beiden kleinen Bauten im tiefen Walde einst gebildet haben müssen, sei hier ergänzend nachgetragen, dass dieselben in reichster Weise polychromirt waren. Die Figuren des linken Portals waren allem Anschein nach durchweg vergoldet und zwar nicht nur die Fleischtheile, sondern z. B. beim Perseus auch Gewand, Helm, Gürtel, Schild. Auch die Architektur war in ihren Hauptstücken vergoldet und alle diese goldenen Massen waren nur stellenweise durch einige kräftige Farben unterbrochen oder ergänzt. Es waren z.B. am linken Portal: der Grund der Nischen blau, die Untersicht der Hängeplatte blauschwarz. Die Untersicht des Gebälkes über der Nische zeigte gelbes Ornament auf rothem Grunde, die Füllung in der Bogenlaibung der Thür schwarzen Grund. – In ähnlicher Weise sind am rechten Portal tiefliegend Gründe blau, roth und schwarz gehalten.

Man fragt sich: war es der antike Geist – war es die mittelalterliche Tradition oder waren es beide zusammen, welche unwiderstehlich dahin drängten, selbst in dieser Waldeinsamkeit eine Steinarchitektur mit solchem Goldglanz, solcher Farbenpracht auszustatten?

Jedenfalls ist diese ein rühmliches Zeugniss für die Kunstliebe des edlen Fürsten, welcher, inspirirt durch die grossen Vorbilder Italiens, in seinem Lande der Kunst eine Stätte schuf und die Mittel gewährte, solche Bauten wie die obigen, welche sonst meistens nur Träume der Künstler-Phantasie bleiben, in voller Schönheit in die Wirklichkeit zu stellen. –

Dieser Artikel erschien zuerst in der Deutsche bauzeitung vom 24.03.1900, er war gekennzeichnet mit „P. Eichholz“.