Toilettenkunst der Schauspielerinnen

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Es gilt eigentlich im allgemeinen als eine Huldigung des Talents einer Künstlerin, wenn man bei Erörterung ihrer Vorzüge selten auch ihrer Toiletten Erwähnung tut. Und dennoch bedeuten diese eine notwendige Inszenierung ihrer Persönlichkeit, ein charakteristisches Requisit, dessen sie sich im Einklang mit dem Inhalt der Rolle bedienen muß, und die ihr zu einem Mittel mehr wird, um die Gestalt, die sie verkörpert, auch äußerlich harmonisch mit jener zu verknüpfen, der sie innerliches Leben verleiht. Eine der ersten, die es verstand, in ihrer Kleidung das Wesen der darzustellenden Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, war Eleonora Duse, die auch im Aeußern ihre eigenen Wege ging und etwas Eigenartiges schuf, das sich am besten mit dem Wort „Stimmungstoiletten“ bezeichnen läßt.

Wie sich in ihrem Spiel keine auffällige Note, keine grelle Farbe, keine scharfe Nuance befindet, der modernen Farben, kein leuchtendes Blau, kein glänzendes Gelb, kein sieghaftes Rot, keinen andern Schmuck als höchstens eine Perlenkette, über die ihre nervösen, zarten Hände in Momenten der Erregung gleiten. Dies gilt besonders für ihre modernen Rollen, die „Magda“, „Feodora“, „Das Weib des Claudius“ und die übrigen. Ein einziges Mal, als „Nora“, trägt sie eine rote Bluse, der man die Dürftigkeit ansieht, sonst nur schwarz und weiß in Kleidern, Mänteln und Gewändern. Nur schwarz und weiß aber in den Stoffen, Tönen und Abstufungen von beredsamster poetischer Wirkung. In langen, weichen Falten fallen sie herab, schmiegen sich an und um den durchgeistigten Körper und verschmelzen sich mit fahlen weißen oder gelblichen Spitzen, die ihr mit den offenen weiten Aermeln einen Bauch antiker Schönheit verleihen.

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Und zu diesen schwermütigen Grundfarben mischt sich manchmal ein melancholisches halbvermischtes Violett, ein sanftes Grün, das mehr von Entsagung als von Hoffnung spricht, und ein kaum angedeutetes mattes Rosa, das sich aus nimmt wie ein längstvergangenes Lächeln, das eine schöne Erinnerung verklärt. Sie ist die Künstlerin der Resignation, wie die Rejane die Darstellerin der modernen Frau ist, wohlverstanden der modernen französischen Frau, mit ihren Kaprizen, ihren wechselnden Stimmungen, ihrem Uebermut und ihrem Schmerz – einem Schmerz, der bereits wieder zu lächeln weiß, während die Träne – o nur ein kleines Tränchen noch im Auge glänzt.

Daß man zur Verkörperung dieser Gestalten nächst des Talents noch des Rüstzeugs eleganter Toiletten bedarf, ist selbstverständlich. Der Zuhörer sieht es nicht ungern, wenn er auch Zuschauer sein kann.

Angelika Dresp. Soireetoilette aus silberpaillettiertem weißem Tüll über rosa Seide
Angelika Dresp. Soireetoilette aus silberpaillettiertem weißem Tüll über rosa Seide
Angelika Dresp. Weiße Chiffontoilette mit irischen Gipürespitzen
Angelika Dresp. Weiße Chiffontoilette mit irischen Gipürespitzen
Helene Fehdmer. Ballrobe aus perlen- und silberbesticktem Tüll mit Perlenfransen
Helene Fehdmer. Ballrobe aus perlen- und silberbesticktem Tüll mit Perlenfransen

Ganz besonders bei französischen Frauengestalten, deren Seelchen von dem Gedanken an Spitzen, Band und Blumen ausgefüllt wird, und deren wichtigste Beschäftigung darin besteht, sich der Erforschung einer bis zum Weltuntergang nicht ausgeschöpften Wissenschaft – der Liebe zu widmen. Diese sowie die mittels Toilettenkünsten unternommenen „Bestechungsversuche“ bilden das Hauptinteresse ihres Puppendaseins. Und was das Publikum betrifft, so hat es sich im Lauf der Zeit daran gewöhnt, daß man es durch Wahl der Farben und Stoffe ein klein wenig mit dem voraussichtlichen Gang der Handlung bekannt macht.

Dies wird den Künstlerinnen um so leichter, als der Toilettenentfaltung so leicht keine Grenze durch die Persönlichkeit der darzustellenden Heldin gezogen wird, die fast niemals den Kreisen studierender oder sonstwie ernster Beschäftigung sich hingebender Damen angehört.

Und dies zum Vorteil der Schaulustigen, da Damen, die sich irgendeiner Wissenschaft in die Arme werfen, auf andere Arme keinen Wert zu legen pflegen und demgemäß der Verschönerung ihrer Person keine besondere Aufmerksamkeit schenken. Und diese ist es gerade, der hauptsächlich das französische Publikum die weitest gehende Beachtung widmet.

Es ist zweifellos, daß man Malicen, sofern sie von einer Dame in einer spitzenbesetzten Chinchillabluse und einer hellgrauen Tuchtoilette mit weißen Seidenverschnürungen ausgesprochen werden, auf der Bühne mehr Beachtung schenkt, als wenn sie aus dem Mund der Trägerin einer Robe von vorvorjähriger Mode stammen – (denken Sie, meine Liebe, eine unglaubliche Toilette!). Der Schick und die Eleganz der Roben bleibt der Mehrzahl des Pariser Publikums eine der wichtigsten Erfordernisse seiner weiblichen Bühnenkünstler, auch wenn zuweilen die Eleganz und das verarbeitete Stoffmaterial nicht mit dem Rahmen der Handlung, dem Ort und der Jahreszeit in volle Uebereinstimmung zu bringen sind. So zum Beispiel vor mehreren Jahren eine berühmte französische Künstlerin im Gartenakt eines im Hochsommer spielenden Stückes eine wunderbar gearbeitete, hermetisch geschlossene Pelzbluse und hierzu ein stahlperlenbesetztes Mützchen mit riesiger Elsaßschleife. In dieser – Eislauftoilette stützte sie sich auf die Lehne eines kleinen Gartensessels, der in der Nähe eines dichten Blumengebüsches stand. Ein Anachronismus, der einen Meininger Theatergast zur Verzweiflung gebracht haben würde. Zum Glück sind die Pariser nicht so rigoros.

Mia Werber, Abendkleid aus weißer Seide mit Valenciennesinkrustinationen
Mia Werber, Abendkleid aus weißer Seide mit Valenciennesinkrustinationen
Helene Fehdmer. Abendtoilette aus jettpaillettiertem schwarzen Tüll über nilgrüner Seide
Helene Fehdmer. Abendtoilette aus jettpaillettiertem schwarzen Tüll über nilgrüner Seide

Ihre Lieblinge können sich stützen, auf wen und auf was sie wollen wenn sie dabei nur hübsch aussehen. Die deutschen Darstellerinnen dieser pariserischen Salon- und Boudoirdamen müssen demnach auch Toilettenkünstlerinnen sein. Zu ihnen gehört Helene Fehdmer, eine Künstlerin von reicher Charakterisierungskunst, die, nachdem sie vorübergehend an verschiedenen Berliner Bühnen gewirkt, in Wien Gelegenheit fand, sich als Schauspielerin von starkem Talent zu bewähren.

Unsere Abbildungen zeigen die Künstlerin in zwei eleganten Abendtoiletten ihrer neusten Rolle, der „Biscotte“, in der sie allabendlich im Trianontheater auftritt. Die eine dieser überaus wirkungsvollen Roben aus schwarzem Paillettentüll, über den sich breite, schwarze, paillettenbesäte Sammetbänder in Abständen hinziehen, ruht auf einem Unterkleid von Silberflittergaze, durch die wieder der seidene Unterstoff von nilgrüner Farbe schimmert. Ein Frou-Frou von sechs Chiffonvolants in den Farbenschattierungen von hell- und dunkellila, nil- und blattgrün, matt- und hellrosa und weiß deckt am Saum des Rocks eine Wolke schwarzpaillettierten Tülls, von dem langgeschliffene Jettgehänge glitzernd herabhängen und sich mit den phantastischen Arabesken vermengen, die im Genre von Persianer aus schwarzen Straußfedern gebildet, sich auf und zu seiten der Sammetbänder hinziehen. Besonders originell erscheint der den Oberarm freilassende, weite Aermel, dessen oberer Teil aus schwarzem, mit Jett und Federnbesatz reichlichst garniertem Flittertüll besteht, während sein „zweiter Teil“, vom Ellbogen abwärts, aus weißem Kreppchiffon verarbeitet, am Handgelenk durch ein Sammetband zusammengehalten wird.

Fast noch effektvoller als diese Robe ist die aus silber paillettiertem weißem Tüll, durch deren unterlegten mattrosa Chiffon der fleischfarbene Taffet des seidenen Unterkleides leuchtet. Lange, hängende Silberperlenfransen ergießen sich über die blusige Taille und den schimmernden Stoff des märchenhaft wirkenden Gewandes, auf den plastisch wirkende Trauben au Bourguignonperlen sich doppelt effektvoll von dem schleierdünnen Gewebe abheben, dessen unteren Saum eine laubreiche Girlande von weißen Rosen umgibt. Die Kunst des Schöpfers dieser sowie auch der übrigen hier wiedergegeben Toiletten, die insgesamt den Atelier Max Stein entstammen, dessen Name sich fast an alle Toilettenerfolge unserer ersten Berliner Künstlerinnen, wie der Sorma, Reisenhofer usw., knüpft, dokumentiert sich auch in dem weißen Abendmantel Rita Lèons. Diese pikante Künstlerin des Residenztheaters, die ihre Berliner Popularität der Kreierung der „Dame von Marim“ verdankte, hat ihrem damaligen großen Erfolg in jenem übermütigen Schwank, der eigentlich den Untertitel führen könnte: „Was einem ehrbaren Professor alles passieren kann“, eine Reihe weiterer künstlerischer und Toilettenerfolge angeschlossen.

Der weiße Tuchmantel, den unsere Abbildung veranschaulicht, steht im Zeichen der letzten elegantesten Pelzmode, der Taupe, oder, um es in unser geliebtes Deutsch zu übertragen, des Maulwurfs, der bekanntlich zu den neusten, wenn auch kostspieligsten Pelzarten gehört.

Paula Worm. Costume trotteur aus dunkelbl. Cheviot m. olivgrünem Sammet
Paula Worm. Costume trotteur aus dunkelbl. Cheviot m. olivgrünem Sammet
Rita Léon. Abendmantel aus weißem Tuch mit Maulwurfpelzbesatz
Rita Léon. Abendmantel aus weißem Tuch mit Maulwurfpelzbesatz
Rita Léon. Straßentoilette aus havannafarbenem Covercoat
Rita Léon. Straßentoilette aus havannafarbenem Covercoat

Dieses Maulwurfspelzwerk bildet den Besatz des mit weißem Satin Duchesse gefütterten Mantels und die reiche Garnitur der originellen weiten, gezogenen Aermel, aus denen sich ein Gewirr von Spitzen über die beringten Hände ergießt. Kleine weiße Tuchrosetten, mit schwarzen und grünen Seidenfäden und Gold durchwirkt, sowie weiße Pompongehänge vervollständigen den wirkungsvollen Gesamteindruck dieses eleganten Kleidungsstücks. Gleichsam „in Zivil“ präsentiert sich diese Künstlerin in ihrem flotten Dreispitz, den ein mattgoldener Galon ziert und dem englischen Kostüm aus havanafarbenem Covercoat, dessen Reiz in dem tadellosen Sitz besteht. Ein ähnliches Toilettengenre veranschaulicht das Kostüm von Paula Worm, das auf den wohl klingenden Namen „Kostüm Chasseur Louis XV.“ getauft, in kleidsamster Weise drei Farbentöne harmonisch und unauffällig vereinigt. Die aus dunkelblauem Cheviot verarbeitete fußfreie Robe weist an ihrem vorderen Rocksaum sowie zu beiden Seiten des Pelerinenkragens und der mit Goldknöpfen gezierten blusigen Jacke dunkelgrüne Sammetapplikationen auf, die von weißem Tuch passepoiliert, sich wirkungsvoll von dem Blau des Grundstoffs abheben. Eine Aiglontoque aus schwarzem Filz mit Straußfedernaigrette vervollständigt den Gesamteindruck lebensfroher Pikanterie der ausgezeichneten Soubrette, die sich in Berlin an den verschiedensten Theatern, zuletzt am Thaliatheater, mit gleichem Erfolg betätigte.

Dem Residenztheater gehört als Salondame Angelika Dresp an, deren schöne Bühnenerscheinung in den beiden Abbildungen zu voller Geltung gelangt. Die eine der Toiletten, eine weiße Chiffonrobe über gleichfarbigem Taffet, zieren irische Gipürespitzen, die an der Taille den Vorwand zu einer überaus kleidsamen Dekolletage bieten, das andere, eine silberflitterbesetzte, weiße Gazetoilette über zartrosa Seide, gestaltet sich zu besonderer Wirkung durch auf dem Rock angebrachte Langstreifen silberpaillettenbesäter Spitzeneinsätze und den Taillen- und Aermelschmuck in Gestalt silberdurchzogener Spitzenvolants. – Es berührt etwas fremdartig, die „Puppe“ Audrans und reizende, kleine Geisha O Mimosa – San, zu deutsch Mia Werber, ohne japanisches Gewand zu sehen. Doch muß konstatiert werden, daß der jahrelange Aufenthalt in dem Teehaus Sir Sidney Jones’ der stimmbegabten kleinsten Diva der deutschen Bühne nichts von ihrer Grazie raubte. Sie trägt das europäische Gewand aus weicher, mit Valenciennesinkrustationen verzierter, weißer Seide mit der gleichen Anmut wie den goldgewirkten Kimono der Japanerin, die sich mit ihren Liedchen in die Herzen der Hörer sang. Nach all diesen ad oculos demonstrierten Beispielen wird man, wenn man nicht zu den hoffnungslosen theatralischen Nörglern gehört, sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß es nicht zu den tadelnswerten Eigenschaften der Bühnenkünstlerinnen gehört, zu ihren schauspielerischen Triumphen noch Spezialerfolge der Eleganz zu gesellen.

Dieser Artikel von J. Lorm erschien zuerst in Die Woche 43/1903.