Bauten im Kiautschou-Gebiet

Abbildg. 3 - Strasse in Tsintau, links das ehem. Aegir-Hotel

Nach einem Vortrage von Hrn. Reg.-Bmstr. a. D. H. Magens im Arch.- und Ing.-Verein zu Hamburg am 6. und 13. Oktober 1899.

Der Redner schilderte die Ergebnisse einer Reise, welche er am 29. Juni 1898 im Auftrage des Industrie-Syndikates zur wirthschaftlichen Erschliessung von Kiautschou und Hinterland nach dem deutschen Schutzgebiete in China angetreten hat.

Diesem Syndikate, dessen Sitz in Berlin ist, gehören unter anderen an die Hamburger Firmen: Waggon-Fabrik (vorm. W. C. F. Busch) A.-G.; F. H. Schmidt, Baugeschäft und Eisenkonstruktions-Werkstätte; Eisenwerk (vorm. Nagel & Kaemp) A. G. –

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Die Reise ging bei bestem Wetter auf dem prachtvoll ausgestatteten, jeder Bequemlichkeit und möglichen Unterhaltung rechnungtragenden Reichspostdampfer „Prinz Heinrich“ glücklich von statten. Ein besonderer Vorzug war, dass sich die Zahl der I. Kajüts-Passagiere wegen der grossen Hitze auf ein solches Minimum beschränkte, dass jeder in der glücklichen Lage war, eine Kabine für sich zu erhalten. Da die Reise an und für sich, ebenso die Häfen Port Said, Aden, Colombo, Singapore, Hongkong und Shanghai genügend bekannt sind, so wird hier auf eine nähere Beschreibung derselben verzichtet. Die Fahrt dauerte von Neapel bis Shanghai 31 Tage, von Berlin bis Kiautschou 40 Tage, eine dreitägige Unterbrechung wegen Anstrichs des Dampfers in Hongkong eingerechnet. Die Temperatur auf See betrug bei grösster Hitze 35° C. im Schatten, die mittlere Temperatur 29° C. Es war sehr drückend und selbst Bäder boten keinerlei Erquickung, da die Meerwasser-Temperatur derjenigen der Luft fast gleich kam.

Die Stimmung für die Geschäftsaussichten in Tsintau, der Hafenstadt von Kiautschou, war in den ostasiatischen Häfen eine sehr misstrauische. Die Kolonie wurde nach damaliger Vorstellung nicht für geschäftlich gut erachtet und von einer Ansiedelung abgerathen; zum Glück hat sich diese Ansicht nach einem halben Jahre, Dank dem treibenden Einflusse Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Heinrich, vollständig geändert.

Abbildg. 1 - Uebersichtskarte der Bauten im Kiautschou-Gebiet
Abbildg. 1 – Uebersichtskarte der Bauten im Kiautschou-Gebiet

In Hongkong verliess Redner den Reichspostdampfer und benutzte zur Weiterfahrt die „Apenrade“, einen subventionirten Dampfer der Jebsen-Linie, welcher bei 4 m Tiefgang und etwa 1000 Registertons nur 12 Passagiere 1. Klasse fasst. – Am 6. August ging die Apenrade in der Bucht von Tsintau vor Anker.

Die ersten Eindrücke der Landung waren die denkbar trübseligsten: es regnete in Strömen, an der Küste sah man die kahlen Hügel, das provisorische Lazareth aus einer Gruppe weiss gestrichener Baracken bestehend, und eine Anzahl kleiner, grauer, mit Stroh und Ziegeln gedeckter Häuschen, unter diesen auch die beiden sogenannten Hotels. Um an Land zu kommen, sollte man sich wohl oder übel eines jener kleinen offenen Chinesenboote – Sampan genannt – bedienen, eine nicht gerade verlockende Aussicht, angesichts der 20 Minuten langen Fahrt zwischen Schmutz und Gepäckstücken, des starken Regens und des unerlässlichen Durchwatens am seichten Ufer. Da kam in der Gestalt des Hrn. Bauinspektor Gromsch ein rettender Engel, in Oelzeug und Wasserstiefeln. Er nahm Redner in seiner Barkasse bis an die sogenannte „Chinesenbrücke“ mit, eine von Li-Hung-Shang begonnene Kriegsbrücke. Von hier musste er nun auf den weichen Lehmwegen bei unaufhörlichem Regen fast eine halbe Stunde lang bis ins Dorf waten, wobei der aufgeweichte Boden in die Stiefel drang.

Im Strandhotel (Abbildg. 2) sassen an einem Tische zwei Herren in Wasserstiefeln. Letztere waren durchaus nöthig, da auf dem Lehmboden grosse Regenlachen standen. Durch die Pfützen wand sich die Wirthin, Frau Berger, auf stelzenartigen japanischen Holzpantoffeln durch. An Unterkommen war dort nicht zu denken; die deutsch-asiatische Bank hatte alle Zimmer für ihre Beamten belegt. Endlich fand Redner Unterkunft im „Aegir-Hotel“ (Abbildg. 3), man wies ihm ein Zimmer an von 3 m Länge, 2 m Breite und 2,05 m Höhe, alle anderen Wohnräume waren vermiethet. Das Zimmer war unfertig; erst Abends 8 Uhr konnte er einziehen und todtmüde auf das Lager sinken, über welchem das Mosquitonetz noch fehlte, so dass er daher diesen bösen Insekten für die erste Nacht preisgegeben war. Das Hotel „Aegir“ ist ein altes umgebautes Chinesenhaus, im ersten Zimmer steht das Büffet, ein Tisch, an welchem meistens Soldaten sitzen, und ein Klavier. Einen Speisesaal gab es nicht; im Hofe unter einem Mattendache nahm man die Mahlzeiten ein; wenn es regnete, tropfte es auf die Speisen, tausende von Fliegen surrten und krochen überall umher. Das bestellte Frühstück, welches im Pensionspreise von 6 M. enthalten war, wurde aufgetragen und entsprach vollkommen der Umgebung. Das Bier hatte eine Temperatur von etwa 27° C., alles wurde tapfer mit den Fliegen getheilt, welche zutraulich in Glas und Teller herumkrochen. Leider liess Redner sich von dem schönen Sonnenschein verlocken, in seinen nassen Kleidern einen Spaziergang zu machen und legte damit den Grund zu einer Malaria, die ihn später zwang, sich auf dem Kohlenhulk Rio auf der Rhede einzuquartieren und dort drei Monate lang ein entsetzlich ödes und unbehagliches Leben zu fristen. Dadurch entgimg er den fieberschwangeren Bodenausdünstungen des Landes soviel wie möglich.

Abbildg. 2 - Tsintau (links Europäerstadt)
Abbildg. 2 – Tsintau (links Europäerstadt)

Auffallend war, dass der sonst so volkreiche Ort fast ausgestorben zu sein schien. Nur einige wenige Kulis hockten unter den vorspringenden Dächern in der Marktstrasse. Der Chinese hütet sich eben vor den Wirkungen durchnässter Kleider und kann in dieser Beziehung dem ankommenden Deutschen als Lehrmeister dienen.

Die Landschaft ist hügelig, einzelne Granitfelsen ragen kahl aus derselben hervor und verleihen dem Ganzen einen grauen Schimmer; nur stellenweise findet sich niedriges Fichtengestrüpp. Alle Regenwasser stürzen sofort in die Ebene hinunter, Steine, Boden usw. mit sich reissend und tiefe Ravinen bildend. Die Ebenen sind üppig, die Felder vorzüglich gepflegt, eine Folge der bis ins Kleinste gehenden Kleinwirthschaft. Eine unverhältnissmässige Raumverschwendung wird zu Ungunsten der Beackerung mit den Gräbern getrieben (Abbildg. 2). Die Ortschaften liegen zumeist an der tiefsten Stelle des Geländes; z. B. die auf der Karte (Abbildg. 1) verzeichneten Ortschaften Nieder-Tsintau, Tapautau und Hsiau-ni-wa, wogegen die Ortschaften Ober-Tsintau und Mingdschiakau höher liegen. Bei dem raschen Absturz der Regenmassen von den Bergen sind die Ortschaften steter Ueberschwemmungsgefahr ausgesetzt.

Vor dem Eingehen auf den technischen Theil giebt Redner noch eine Schilderung der Bevölkerung. Der Shantung-Chinese ist mittelgross und gut gebaut. Obwohl er hinter einem europäischen Arbeiter weit zurückbleibt, ist er doch bei richtiger Beaufsichtigung gut brauchbar. Wegen der mangelhaften Ernährung kann man allerdings bei weitem nicht die Arbeitsleistung und den Kraftaufwand, wie sie unsere Arbeiter zeigen, von ihm verlangen. Ein Kuli trägt nicht mehr als 20 kg Last: Die Männer sind im Winter mit einem Wamms von Baumwolle bekleidet, darunter tragen sie noch einige Kittel; im Sommer ist der Oberkörper nackt. Die Frauen dagegen sind selbst im heissesten Sommer bis unter das Kinn fest verhüllt. Ihre Hauptschönheit sind die verstümmelten Füsse. Reinlichkeit liebt der Chinese nicht, seine religiöse Pflicht ist, sich zum Neujahr einmal zu waschen. Am auffallendsten ist die Unsauberkeit an den Kindern, welche zu Dutzenden nackt auf der Strasse umherspielen.

Die Chinesen wohnen zusammen; nie in einzelnen alleinstehenden Häusern. Wohnen sie in einer kleinen Ansiedelung inmitten ihrer Felder, so ziehen sie an Markttagen in die Städte, darum sehen die letzteren an solchen Ausnahmetagen viel volkreicher aus, als sie thatsächlich sind. Die einzelnen Wohnräume sind etwa 3 m breit und 3 m oder ein Mehrfaches von 3 m lang, im Mittel 2,5 m hoch.

Eine Thür und ein mit Papier beklebtes Fenster liegen auf einer und derselben Seite, der Luftzutritt ist also äusserst beschränkt. Der Wohnraum liegt am äussersten Ende eines mit einer hohen Mauer umgebenen Hofes; etwaige Stallungen sind an den Seiten untergebracht. Vor dem Ausseneingange steht eine einzelne Mauer, welche den Ein- und Ausblick versperrt. Am Eingange liegt die Jauchegrube; im Herbste liegt vor jedem Gewese ein Komposthaufen, welcher die Luft abscheulich verpestet; Strassen und Bäche werden nicht gereinigt. Die Verwesung schreitet in der Regenzeit bei 30° C Wärme und wasserdampfgesättigter Luft rasch vorwärts. Der frische Luftzug von der See kann nur wenige Ortschaften erreichen. Kein Wunder, wenn verheerende Krankheiten ausbrechen welchen die Chinesen in grosser Zahl erliegen. Wenn auch von Deutschen nur ein geringer Prozentsatz der Dyssenterie, der Ruhr, dem Gelenkrheumatismus der Malaria und dem Flecktyphus zum Opfer gefallen ist, so sind doch Alle, welche die primitiven Wohnungszustände gekostet haben, von den fraglichen Krankheiten heimgesucht und in ihrer Arbeitsfähigkeit längere oder kürzere Zeit beeinträchtigt worden.

Indem Redner sich nach dieser Einleitung zu dem technischen Theile seines Vortrages wendet, schildert er wie die Erkenntniss der Gefahren für Leben und Gesundheit der Kolonisten das Gouvernement veranlasst hatte, zu allererst seine Fürsorge der Verbesserung der sanitären Verhältnisse zu widmen. Es wurden zunächst die von deutschen Beamten bewohnten Chinesenhäuser mit Holzfussböden und Glasfenstern versehen und eine sorgfältige Lüftung eingerichtet; auch einzelne Neubauten unter Verwendung der in Tsintau befindlichen Baumaterialien errichtet.

Abbildg. 3 - Strasse in Tsintau, links das ehem. Aegir-Hotel
Abbildg. 3 – Strasse in Tsintau, links das ehem. Aegir-Hotel

So entstandendie Pionierkaserne, das Artillerie-Kasernement, das Offizierwohnhaus an der Bismarckstrasse und die Wache am Jamen. Ferner wurden verschiedene Materialschuppen in Angriff genommen und im letzten Vierteljahr 1898 vollendet. Gleichzeitig arbeitete die Bauverwaltung eifrigst am Bebauungsplan für die neue Europäerstadt. Trotz der Erkrankung fast aller Unterbeamten der Bauverwaltung konnte der Bebauungsplan bereits Ende September 1898 in Kraft treten.

Das Gelände steigt vom Ufer aus an. Dadurch wurde bedingt, dass die einzelnen Längsstrassen terrassenförmig hintereinander liegen. Das Durchschnittsgefälle bis zur Höhe des Gouvernementsberges beträgt 1:17. Dies wurde aber als viel zu steil angesehen und die Folge war, dass die am Ufer liegende Strasse eine Aufschüttung, z. Th. bis mehr als 5 m erhalten musste. Die zweite Strasse, auf welcher sich wohl zur Hauptsache der Geschäftsverkehr abwickeln wird, ist möglichst in einer Höhe durchgeführt und so belegen, dass Auftrag und Abtrag sich ausgleichen.

Die höher liegenden Strassen schmiegen sich nach Möglichkeit, unter Vermeidung starker Gefälle, dem Gelände an. Die Querstrassen haben Gefälle erhalten unten von 1:36, im mittleren Theil 1:30, nach oben hin bis 1:18. Die Kaiserstrasse wird 35 m breit angelegt, davon fallen auf die Promenade 20 m, auf die Ladestrasse 15 m. Die Hauptgeschäfts-Strasse (Prinz Heinrich-Str.) hat 25 m Breite, die Irene-Strasse 20 m. Die Querstrassen gehen bis auf 15 m herunter. Bei der Eintheilung der Strassenbreiten muss auf den in China üblichen Verkehr der Riksha’s und der einräderigen Schubkarren Rücksicht genommen werden; ebenso wird für Reitwege gesorgt werden, da schon aus gesundheitlichen Rücksichten das Reiten trotz elektrischer Bahnen, Sänften und Riksha’s beliebt bleiben wird. Abseits von den Hauptstrassen wurde in der Nähe des Brückenlagers ein Speicherkomplex angelegt; ausserdem den Chinesen der Ort Tapautau eingeräumt, und es wurden diese Theile in die neue Bebauung sofort einbezogen (Plan I.)

Anfang Oktober 1898 fand die erste öffentliche Versteigerung von Bauplätzen statt und damit waren die Vorbedingungen für eine sofortige Bebauung und für eine baldige Beseitigung der dringendsten Wohnungsnoth erfüllt. Die Einwanderung der Zivilpersonen wuchs mit jedem Dampfer, welcher von Shanghai heraufkam, und nun wäre der Häuserbau naturgemäss beschleunigt worden, wenn es nicht an Ziegelsteinen gemangelt hätte.

Die grauen Rauchsteine der Chinesen lassen sich fast mit den Fingern zerdrücken; werden sie gegeneinander geschlagen, so springen sie in Stücke; die rothen waren auch nicht härter, kurz man konnte nur Erdgeschoss-Häuser aus diesem Material errichten, wenn man die Mauern nicht übermässig dick anlegen wollte. Dabei kosteten die Steine etwa 25 M. das Tausend; 520 Stück (ohne Bruch) gehen auf 1 cbm Mauerwerk. Man hoffte härtere von Shanghai beziehen zu können; dies geschah auch seitens des Gouvernements, und eine von letzterem gekaufte Ladung von etwa 400 000 Stück traf gegen Ende 1898 ein. Die Qualität war aber auch mangelhaft; einen Maasstab für die Härte bildete die Bedingung der Lieferanten, dass 25 %, in zwei, 8 % aber in drei Stücke gebrochen abgeliefert werden durften. Dabei stellte sich der Preis auf etwa 45 M. das Tausend.

Hausteine waren zwar in grosser Menge vorhanden, Li-Hung-Shang hatte an verschiedenen Uferstellen ein grosses Lager; dieselben mussten aber umgeändert werden, und es fehlte im Oktober und im November an Steinmetzen infolge der starken Nachfrage für die Strassenbauten. Bruchsteine genügten nicht; so war und blieb die Herstellung von Bauten des Gouvernements auf das Aeusserste beschränkt. In Angriff genommen wurden das Dienstgebäude der Bauverwaltung, das Bataillonshaus (Abbildg. 4) und das Lazareth. Zu diesen Bauten wurden vorzugsweise behauene Granite verwendet, ausserdem aber die von Shanghai bezogenen Ziegelsteine.

Eine grössere Bauthätigkeit entfaltete die katholische Mission in Tapautau. Die neuerbauten einstöckigen Häuser waren zwar für Chinesen bestimmt, wurden aber sofort an Deutsche vermiethet, wodurch die Wohnungsnoth zumtheil behoben wurde. In Tsintau entstand das Hotel „Zum Prinzen Heinrich“; das kleinere Hotel „Falke“ wurde in der Nähe des Brückenlagers errichtet, es hatte vollständig provisorischen Charakter. Nur drei Firmen errichteten Geschäftshäuser; die übrigen Firmen begnügten sich einstweilen mit dem Ausbau von Kulihäusern, in welchen die deutschen Vertreter der Handelshäuser zunächst ein bescheidenes aber immerhin angenehmeres Heim hatten, als in einem alten Chinesenhause oder im Tempel.

Die Speichergrundstücke wurden fast sämmtlich bebaut und zwar meistens mit einfachen Pappdachschuppen deren erste vom Redner konstruirt wurden. Die Sache wäre ja für deutsche Verhältnisse gar nicht erwähnenswerth gewesen, für dort aber musste man damit rechnen, dass die Ziegelsteine nur 3 kg/qcm Druck aushalten konnten, dass amerikanisches Holz nur in geringen Mengen in Tsintau auf Lager war, im übrigen aber in beliebigen Längen und zumtheil auch in beliebigen Stärken, allerdings frühestens in 3 Monaten, geliefert werden konnte, dass I-Träger aus Shanghai in beschränkter Auswahl zur Lieferung innerhalb 4 Wochen angeboten waren. Was blieb übrig, als die Holzbestände in Tsintau zu untersuchen und nach den vorhandenen Holzsorten die Felderweiten zu bestimmen. Für die Schiebethüren mit 2,5 m Lichtweite wurden I-Träger vorgesehen. Als nun diese bestellt wurden, waren sie schon anderweitig verkauft. Infolge dieser neuerlichen Beschränkung im Bauen der Schuppen wurden nun die Thürgerüste in Stampfbeton konstruirt, welcher sich tadellos gehalten hat. Die Gebäude wurden in 1 ½ bis 2 Monaten fertig, die Speicher auch sofort belegt, aber zur Ablieferung bereit standen sie erst 3 Monate später; soviel Zeit beanspruchte der Bezug des Beschlages der Schiebethüren.

Einfacher als der Bau neuer Gebäude gestaltete sich der Bezug von Tropenhäusern, deren Insassen sich noch auf Jahre hinaus eines gesunden wohnlichen Heims erfreuen dürften. Die Firma F. H. Schmidt, Hamburg-Altona hat 7 Stück geliefert, unter anderen das für Gouverneur Jaeschke bestimmte Haus. Inzwischen wurde in Tapautau von Diedrichsen, Jebsen & Co. eine Dampfziegelei und ein gut eingerichteter Kalkofen angelegt, so dass auch nach dieser Richtung für das nächste Baujahr gewaltige Verbesserungen zu verzeichnen waren.

Die Preise der Materialien stellten sich 1898 etwa wie folgt: deutscher Zement (Alsen, Hemmoor) etwa 15-16 M. das Fass (belgische und japanische Zemente waren billiger); gebrannter Marmor 2,5-3 M. der Zentner. Normal-Ziegelsteine werden zukünftig wohl 35 M. das Tausend kosten; amerikanisches geschnittenes Holz kostet etwa 60 M. für 1 cbm; in Tsintau geschnittenes Korea-Holz etwa 70 M. für 1 cbm; behauenes Korea-Holz in Schwellen etwa 35 M. für 1 cbm; I-Träger etwa 220 M. für 1 t; Glas ist besonders theuer, Beschläge ebenfalls.

Hierbei ist zu betonen, dass der chinesische Handwerker in Tsintau nach wiederholten Beobachtungen auf verschiedenen Baustellen nur etwa 1/10 von dem eines deutschen leistet und der Kuli meist noch weniger. Bei ständiger deutscher Aufsicht und Anleitung sind die Arbeitsleistungen Einzelner bis etwa 1/3 gesteigert worden. Beim Betonmischen erreichte eine Gruppe von Kulis, welche Monate lang dieselbe Arbeit verrichtet hatten, schliesslich etwa 75%, der Deutschen. Die Leistungen sind mit der Zeit im Durchschnitt vielleicht auf etwa ¼ der Deutschen zu steigern. Wenn nun auch ein Handwerker täglich nur 60 Pf., ein Arbeiter 40 Pf. verdient, und wenn es hiernach den Anschein gewinnen könnte, als ob die Gesammtarbeit in Tsintau später billiger wird als hier, so muss man inbetracht ziehen, dass diese Leistungen nur bei ständiger deutscher Aufsicht erreicht werden und dass die deutsche Aufsicht sehr theuer wird. Zurzeit kosten die Bauten dort ungefähr das Doppelte von dem, was hier gezahlt wird.

Abbildg. 4 - Bataillons-Gebäude
Abbildg. 4 – Bataillons-Gebäude

Die Durchführung des Bebauungsplanes machte grosse Erdbewegungen nöthig, ausserdem musste gleich auf die sorgfältige Abführung des Wassers Bedacht genommen und demnach eine ordnungsmässige Kanalisation angelegt werden. Für die Kanalisation galt als Grundsatz, dass die Fäkalien nicht in die Kanäle zu leiten, dass vielmehr zunächst die in Ostasien allgemein üblichen Kübel zu benutzen seien. Später wird vielleicht pneumatische Abfuhr eingeführt werden. Die Kanäle hatten daher nur Regenwasser abzuführen. Das Wasser fällt aber – wie schon früher hervorgehoben – sofort die steilen, unbewaldeten Berge abwärts und nach Aufhören des Regens sind die Bäche alsbald wieder trocken. Die Kanäle mussten daher für die Abführung des sämmtlichen Regenwassers berechnet werden; zugrunde gelegt wurde eine Menge von 800 l/h = 288 mm Regenhöhe in 1 Stunde, das ist etwa 90 % mehr als die grösste in Deutschland beobachtete Regenmenge und etwa 60 % der grössten in Amerika gefallenen. Das Gelände hat Gefälle bis zu 1:2,5. Da solche Gefälle enorme Wassergeschwindigkeiten ergeben würden, mussten in den Kanälen Treppen angelegt werden (Abbildg. 5). Da ferner grosse Steinmassen durch die Kanäle geführt werden, welche die Gewölbe zerstören könnten, wurde als Maximalgeschwindigkeit 5 m angenommen und es wurden hiernach die Gefälle und die einzelnen Profile bestimmt. Als Baumaterial wurde Stampfbeton gewählt, welcher allen Anforderungen inbezug auf Festigkeit, Billigkeit und Arbeitsbeschleunigung weitaus am besten entsprach. Die Wandstärken wurden empirisch bestimmt, insbesondere die Dresdener Kanalisation zugrunde gelegt. Die Mischungsverhältnisse wurden für das ganze Profil gleichmässig angenommen, ursprünglich 1 Zement zu 6 Kies zu 6 Steinschlag, später, als die Betonmischer eingearbeitet waren, 1:7:7. Für die Sohle und den unteren Theil des Gewölbes, welcher dem Abschleifen durch Gesteinsmassen ausgesetzt ist, wurde Basaltsteinschlag vorgesehen, im übrigen Granitschlag, dessen Härte geringer als Basalt ist. An jedem Abfall wurde ein Sand- und Steinfang mit Einsteigeschacht angelegt; ausserdem wurden an geeigneten Stellen Sammelbehälter eingebaut, welche als Entlastung bei aussergewöhnlichen Regenfällen dienen sollten, zugleich aber zur Aufspeicherung von Regenwasser für Strassensprengungen, solange noch keine Wasserleitung vorhanden war; leider vorerst auch noch als Trinkwasser.

Die Ausführung der Strassen und der Kanalisation ist der mehrfach genannten Firma F. H. Schmidt übertragen, welche zur Gewinnung des Steinschlag-Materiales einen Basalt- und einen Granit-Bruch in Betrieb nahm. Der Kies wurde mit Dschunke oder Schleppzug von Kap Evelyn oder Potato-Island bezogen. Beschäftigt sind in diesem Betriebe gegen 3000 Arbeiter; bis Ende April 1899 waren etwa 10.000 cbm Stampfbeton hergestellt. Als Anfang Oktober die Ausführung der Kanäle begann, musste Redner persönlich die Zeichnungen für die Schalungen anfertigen und mit den chinesischen Handwerkern zusammen auf Holz aufreissen; später half ein Pionier in seinen Mussestunden aus; Die Verständigung mit den Chinesen wurde durch Zeichen vermittelt, einige Brocken deutsch konnten die Leute, einige chinesische Zahlen und Wörter lernte Redner aus einem Wörterbuch; bei wichtigen Dingen diente ein junger Kaufmann als Dolmetscher. Schwierigkeiten bereitete das Auffinden guter deutscher Aufsichtskräfte. Redner hat als solche nacheinander einen Gärtner, einen Koch, einen Konditor, zwei Schiffszimmerleute, einen Maurerlehrling, einen Landwirth und einen Kaufmann eingestellt. Etwa 50 % sind gut eingeschlagen, jeder Unbrauchbare wurde sobald angängig entlassen. Durchschnittlich hatte ein Aufseher 200 Kulis in seinem Betriebe, einzelne über 500. Auf den Baustellen war stets Ruhe und Friede unter den Arbeitern.

Der Transport der beim Strassenbau gewonnenen Bodenmassen geschah anfänglich in Körben, welche von zwei Kulis an einer Bambusstange getragen wurden, später dienten halbe Zementtonnen dazu. Endlich im Dezember v. J. trafen Gleise und Kippwagen ein, an deren Benutzung sich die Chinesen bald und gern gewöhnten, was um so erfreulicher war, als von den in China länger ansässigen Kollegen vor der Benutzung solcher Geräthe gewarnt worden war, weil die Chinesen sich angeblich derselben nie bedienen würden. Im Dezember v. Js. und Januar d. Js. trafen ein Ingenieur und zwölf Polire der Firma Schmidt ein, und nun konnte die Arbeiterzahl allmählich gesteigert werden. Zurzeit der Abreise des Redners waren etwa 5000 Chinesen beschäftigt. Die Mehrzahl stammte aus Tsimo, etwa 45 km von Tsintau. Für diese Leute mussten Wohnungen beschafft werden, als welche vorwiegend die Kanäle dienten; dies ist etwa 7 Monate möglich, da von Oktober bis Mai kein Regen fällt. Für den Hafenbau wurden besondere Kulihäuser errichtet, wobei man für einen Mann nur etwa 1 qm Grundfläche rechnet.

Redner schildert darauf die eigenartige Schwierigkeit, welche die Arbeitsweise in Tsintau durch die Art der Auslöhnung bietet. Die Scheidemünze ist der Cash, eine mit quadratischem Loch versehene Bronzemünze, der Werth ist etwa ¼ Pfg. Der Kurs schwankt sehr, während der Anwesenheit des Redners kamen zwischen 710 und 860 Stück auf 1 mexikanischen Dollar. Der mexikanische Dollar schwankt ebenfalls sehr, und zwar in der gleichen Zeit zwischen 1,97 und 2,17 M. Der Kuli erhält täglich 150 Cash; da jedes Stück 4 gr wiegt, mithin täglich 600 gr Münze, in jeder Woche also etwa 7 Pfund Münze. Kurz vor Weihnachten wurden alle Kulis in Cash, alle Handwerker in Silber ausgelöhnt; damals waren rd. 800 Kulis beschäftigt, für welche also etwa 5600 Pfund Cash herangeholt werden mussten; hierzu waren 16 Kulis nöthig. Die Cash sind zu 500 Stück auf ein Band gezogen; thatsächlich bekommt man aber nur 490 Stück, 10 Stück rechnet der Wechsler als erlaubtes „squeeze“ ab. Das Geld wurde für jede einzelne Gruppe abgezählt, auf einen Haufen gelegt, und darauf jede Gruppe in zwei Reihen eingetheilt, wobei die Kulis in den Knien hocken. Nun wurde jedem Einzelnen sein Lohn in die Hand gegeben, und zwar von einem deutschen Aufseher, denn ein Chinese würde seinen Landsmann betrügen. Die Silbermünzen für die Handwerker wurden auf ein Zahlbrett gelegt und jedem einzelnen sein verdientes Geld gleichfalls von deutschen Aufsehern in die Hand gegeben. Redner war damals noch mit den ungeschulten Aufsehern allein und hatte rd. 900 Handwerker in Arbeit.

Redner geht nunmehr zur Schilderung der Hafenbauten über, bei deren Anfängen er mit thätig gewesen ist. Der Haupthafen musste naturgemäss seine Lage in der Kiautschou-Bucht erhalten; ein tiefes Fahrwasser führt unmittelbar bis zur Einfahrt. Bei gewöhnlichem Hochwasser sind im Hafen 4 qkm Wasserfläche eingeschlossen; bei Nordwestwind läuft etwa die Hälfte der Fläche trocken; die gewöhnliche Fluthgrösse beträgt etwa 2,4 m.

Kriegsschiffe kommen nicht in den Hafen, ankern vielmehr auf der geräumigen Rhede. Gegen die Nordwest-Stürme, welche im Winter bei jedem Mondwechsel mit mehr oder weniger Heftigkeit auftreten, soll ein Wellenbrecher Schutz bieten, dessen Ausführung vor allen Dingen in Angriff genommen wurde. Die Herstellung eines Theiles dieses Wellenbrechers hat Redner für die Firma Schmidt eingeleitet. Derselbe liegt zum grossen Theil auf einer bei Nordwestwind trockenen Fels- und Sandfläche und wird hier aus Stampfbeton hergestellt.

Mischmaschinen und Steinbrecher wurden aufgestellt, auch Zementschuppen und eine Anzahl Kulihäuser errichtet. Um jederzeit die Materialien mit Dschunken und Leichtern zur Baustelle schaffen zu können, wurde später, nach Abreise des Redners, eine noch von ihm entworfene 6 m breite Ladebrücke errichtet, deren Joche aus eingerammten I-Trägern bestehen.

Für den unter Wasser liegenden Theil des Wellenbrechers wurden Bruchsteine von Cliff Point bezogen. Hier hatte der Unternehmer einen Steinbruch angelegt, in welchem etwa 200 Arbeiter thätig waren. Die Steine wurden mit Dynamit abgesprengt und stürzten unmittelbar in das Meer, welches an dieser Stelle bei Hochwasser nur etwa 50 cm Wassertiefe hat. Das abgesprengte Material wurde in Dschunken verladen und an der Verbrauchsstelle ausgeworfen. Eine Flotte von etwa 20 Dschunken besorgte den Transport. Das Watt vor dem Cliff Point wird auf etwa 2 km Weite wasserfrei, deshalb wurde auch hier eine Ladebrücke gebaut, diese jedoch aus Koreaholzschwellen, welche tief in den Schlick eingegraben wurden. Eine Zerstörung durch den sonst stark auftretenden Bohrwurm war nicht zu befürchten, da derselbe sich erfahrungsmässig nur im freien Wasser aufhält.

Die Arbeiten am Wellenbrecher erlitten vielfach Störungen durch die Nordwest-Stürme; Redner hatte einst auch das Vergnügen, drei Tage von einem solchen Sturme auf der Insel festgehalten zu werden. Auch vom Lande aus sollte der Wellenbrecher vorgestreckt werden, doch hat Redner den Beginn der Bauarbeiten hierfür nicht mehr abwarten können.

Abbildg. 5 - Kanalisation von Tsintau
Abbildg. 5 – Kanalisation von Tsintau

Ausser dem Haupthafen wird ein Nebenhafen für die Zwecke der Bauverwaltung in der Tapautau-Bucht hergestellt mit einer Wasserfläche von etwa 35ha. Gegen Nordwest-Stürme wird hier ebenfalls ein Wellenbrecher geschüttet, auch wird eine Lösch- und Ladebrücke von 12 m Breite (Abbildg. 1) erbaut. Die Pfeiler der Brücke werden aus Beton geschüttet; die Umfassung derselben besteht aus einer Anzahl von I-Eisen in je 50cm Entfernung, zwischen welchen Holztafeln von 12 cm Stärke eingetrieben werden. Die Brücke soll auch als Anlagepier für Passagierdampfer der Jebsen-Linie dienen und es wird zu diesem Zwecke der Hafen bis -4,0 N.N. ausgetieft werden.

Bis zu der Eröffnung des Haupthafens, welche vor 1903 nicht zu erwarten ist, müssen noch provisorische Anlagen geschaffen werden, um das Löschen und Laden von Fahrzeugen mit Gütern zu erleichtern. Eine solche Landungsbrücke war in Hsiau-ni-wa vorgesehen, wie aus dem Plane (Abbildg. 1) ersichtlich, und sollte das Löschen von Kohlen des Westfälischen Kohlensyndikates vermitteln, mit welchen unsere Kriegsschiffe z. Z. versorgt werden. Bei der späteren endgiltigen Ausrüstung des Hafens sollen für die Verladung der Kohlen grosse Anlagen geschaffen werden.

Die Arkona-Brücke, für die Barkassen der Kriegsfahrzeuge als Anlegebrücke bestimmt, war im April 1898 in Holz gebaut. Nach etwa 5 Monate langer Dauer wurde sie durch einen Sturm vernichtet, nachdem der Bohrwurm die Pfähle zerstört hatte. Als Ersatz wurde eine Brücke mit Eisenjochen und Holzbalken hergestellt.

Nach einigen kurzen Bemerkungen über Herstellung von Leuchtfeuern, über eine geplanten Thalsperre zur Wasserversorgung, über die Anfänge industrieller Anlagen und den begonnenen Bau der Shantung-Eisenbahn gelangt Redner zu der Schlussbetrachtung, dass die Bauthätigkeit in Kiautschou einen raschen Fortgang genommen habe, aber trotzdem keine Ueberhastung eingetreten sei. Gerade die Ruhe und Sicherheit, mit welcher die einzelnen Anlagen entstanden seien und entstehen, müsse das Vertrauen geben, dass unsere Kolonie eine gute Zukunft haben werde und dass die vielen daselbst angelegten Millionen dereinst eine hohe Verzinsung erzielen würden. Ferner habe er das Vertrauen geschöpft, dass der Platz nach kurzer Zeit auch in gesundheitlicher Beziehung alle ostasiatischen Städte weit übertreffen werde.

Dieser Artikel erschien zuerst am 10. & 17.03.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Mo.“.