Die deutsche Chinesenkompagnie in Litzun

Anfangs Oktober v. J. wurde bekanntlich auf Initiative des Gouverneurs von Kiautschau, des Kapitäns zur See Jäschke, versuchsweise in Litzun eine Chinesenkompagnie errichtet und mit ihrer Organisation der Generalstabsmajor v. Falkenhayn betraut.

An Offizieren wurden ihm vom Seebataillon der Oberleutnant v. Schöler als Kompagnieführer und Leutnant Barchewitz, sowie zehn der besten Unteroffiziere beigegeben.

Kaum war die Absicht des Gouvernements bekannt geworden, als sich so zahlreiche militärlustige Chinesen zum Eintritt meldeten, daß bereits nach wenigen Tagen die Kompagnie in ihrer voll projektierten Stärke von 10 Unteroffizieren, Dolmetscher, 10 Dolmetscherjungen und 120 Soldaten formiert werden konnte; bis auf die vorgenannten Unteroffiziere sämtlich Chinesen.

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Die eintretenden Soldaten erhielten ein Handgeld von 2 Halbdollars (2 Mark) und mußten sich dem Militärdienst auf drei Jahre verpflichten. Nach einer vorausgegangenen ärztlichen Untersuchung und einem gründlichen Reinigungsprozeß wurden sie sofort in der eigens für die Kompagnie erbauten Kaserne in Litzun untergebracht und eingekleidet und fühlten sich bis auf einige wenige in ihrer neuen Würde bald sehr wohl. Hierzu trug nicht zum geringen Teil die gute Verpflegung und die schmucke, der Landestracht angepaßte Uniform mit bei. Diese besteht im Sommer aus braunem Drellanzug (Khaki), schwarzer Kappe, einem „Paradehut“ und Segeltuchschuhen; im Winter aus dickem, dunkelgrauem Stoffanzug, Pelzmütze und Lederschuhen nebst Gamaschen.

Unsere Chinesenkompagnie und ihr Führer
Dolmetscherjunge in Litzun

Einige Chinesen, die sich gleich in den ersten Tagen doch als zu schwach oder kränklich erwiesen, wurden wieder entlassen. Einzelne liefen auch davon. Doch fand sich für alle gleich wieder Ersatz, und von den als krank Entlassenen erschienen sogar zwei wieder unmittelbar nach ihrer Genesung und baten um abermalige Einstellung.

Sehr interessant ist die Kompagnieberufsliste, die die Mannschaften nach ihren bisherigen Gewerben und heimatlichen Beschäftigungen aufführt. Hierin finden wir nämlich verzeichnet: 70 Landleute (Ackerbauer), 18 Händler, 5 Maurer, 3 Tuchmacher, 5 Köche, 5 Tischler, 3 Schreiber, 2 Schlosser, 2 Seidenarbeiter, 2 Schmiede, 1 Student, 1 Schirmmacher, 1 Künstler, 1 Zeichner, 1 Bogenschützen, 1 Schuhmacher, 1 Kammmacher, 1 Barbier, 1 Matrosen – im ganzen 120 Mann, von denen zudem 33 verheiratet sind, während der Rest 87 noch unbeweibt ist.

Die neue Kaserne in Litzun

Die Befähigung zum Militärdienst und der Eifer der eingestellten Chinesen, ihr Geschick und ihre Zähigkeit sind nicht zu verkennen. Nach genügender Ausbildung werden sie in formaler Beziehung sicher dasselbe leisten wie irgendeine europäische Truppe. Sehr bezeichnend ist beispielsweise ein Marsch von 34 Kilometern, den die Leute machen mußten, um ihre Gewehre aus Tsingtau zu holen, und den sie – einschließlich der Ruhepausen – in sieben Stunden ausführten. Und das geschah nach kaum zwanzigtägiger Dienstzeit!

Kompagnieköche mit der Menage in Litzun

Mit den durchweg deutschen Kommandos haben sich die Chinesen schnell vertraut gemacht. Andererseits aber erwächst aus ihrer fast unbesiegbaren Neigung zu allen möglichen Spielereien manche Schwierigkeit bei ihrer Ausbildung. Damit stellen sie denn auch die Geduld der deutschen Unteroffiziere auf eine harte Probe, die unter den schwierigsten Verhältnissen von morgens bis abends mit ihren bezopften Rekruten beschäftigt sind und dann alltäglich noch mindestens anderthalb Stunden „chinesisch“ treiben müssen, denn das ununterbrochene Studium der chinesischen Sprache ihrerseits ist eine der ersten Bedingungen des hier unternommenen Versuchs. Anfangs war jedem von ihnen einer von den Dolmetscherjungen beigegeben, die sich ebenfalls bisher durchaus bewährt haben. Heute brauchen zwei Unteroffiziere im Dienst keinen Dolmetscher mehr, und drei Dolmetscherjungen sprechen auch schon fließend deutsch.

Prinz Heinrich von Preußen und der englische Admiral Sir Edwald Seymour besichtigen die Chinesenkompagnie in Litzun

Daß manchem Mandarin und dünkelhaften chinesischen Litteraten dieser ganze Versuch der „roten deutschen Teufel“ ganz und gar nicht paßte, zeigte sich gleich bei Errichtung der Kompagnie. Diese jeder Neuerung abholden Herren verbreiteten nämlich unter ihren Landsleuten die köstliche Mähr, es würde jedem in die Kompagnie eintretenden Chinesen sein stolzestes Kleinod, der Zopf, abgeschnitten und ihm außerdem noch ein „besonderes Zeichen“ auf den Arm eingebrannt oder eingeätzt. Um den Ihrigen begreiflich zu machen, daß sich unter Deutschlands Fahnen niemand dem Aetzen und Brennen entziehen könne, führten sie sogar an, selbst Prinz Heinrich trage das Aetzzeichen; bekanntlich hat sich der Prinz als echter Seemann in jungen Jahren einmal einen Arm tätowieren lassen.

Als die Herren Mandarinen jedoch sahen, daß diese Gruselgeschichten nicht ziehen wollten, setzten sie, auf die Geldgier ihrer Landsleute bauend, das Gerücht in Umlauf, die Japaner suchten ebenfalls Chinesen für ihre Armee und zahlten jedem elf Halbdollars Handgeld! Doch auch das half ihnen nichts, und nunmehr, nachdem 120 Chinesen ungebrannt, ungeätzt und vollbezopft sich seit Monaten in der neuen Truppe sehr wohl befinden, mögen sie verbreiten lassen, was sie wollen; ihre sonst so leichtgläubigen Landleute fallen auf ihre Warnungen nicht mehr herein. Wissen sie doch jetzt, daß all diese Schauergeschichten nur erfunden sind, um ihnen die Freude am Dienst in der Kompagnie zu verderben.

Dieser Artikel erschien zuerst am 26.01.1900 in Die Woche.