Das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig

Architekt: Landbauinspektor Ludwig Hoffmann. Mit der am 10. September d, J. erfolgten thatsächlichen Uebernahme des grössten Theiles der neuen Räume für das Reichsgericht zu Leipzig durch die einzelnen Abtheilungen dieses Verwaltungskörpers und mit der auf den 26. Oktober d. J. festgesetzten Einweihung des neuen Hauses, mit der die Besitznahme in allen seinen Theilen verbunden sein wird, hat die Geschichte eines Bauauftrages ihren Abschluss gefunden, der, man darf wohl sagen, einzig in der neueren Beugeschichte dasteht.

Als in der zweiten Hälfte des Jahres 1884 die deutschen Architekten durch den Staatssekretär des Reichs-Justizamtes zur Theilnahme an einem Wettbewerb um Entwürfe für ein neues Haus des Reichsgerichtes aufgefordert wurden, da traten dieselben mit dem Bewusstsein in die Arbeit ein, sich einer der grösseren Bauaufgaben gegenüber zu befinden, die aus der politischen Bildung des neuen deutschen Reiches hervorgegangen waren.

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Das Reichsgericht, das am 1. Oktober 1879 in Thätigkeit trat und als dessen Sitz Leipzig ausersehen wurde, bezog hier Räumlichkeiten in dem der Stadt Leipzig gehörenden Grundstücke „Georgenhalle“, Man darf aber annehmen, dass diese Räume von Anfang an als nur vorübegehende betrachtet wurden, denn wir sehen, dass schon am 12. Dezember 1882 das Reich von der Stadt Leipzig ein Grundstück im Flächenausmaass von 13 548,7 qm um den Preis von 487 964 M. erwarb und dasselbe als Baustelle für ein neues Hans des Reichsgerichtes bestimmte. Das für den Neubau aufgestellte Programm überschritt zwar den Charakter eines Geschäftshauses für die oberste Gerichtsbehörde des Reiches nicht, war aber in der Forderung der Räume und in der möglichen Zusammenlegung derselben dennoch geeignet, die Aufgabe zu einer in hohem Maasse künstlerischen und anziehenden zu gestalten, sodass nicht weniger denn 119 Architekten sich der Lösung derselben unterwarfen (s. No. 25 ff. Jahrg. 1885 d. Dtschn. Bztg.). Zu dieser starken Betheiligung mag auch der Umstand beigetragen haben, dass eine Bausumme nicht gegeben war, die Bewerber somit in der architektonischen Gestaltung des Hauses nur durch die Bestimmung desselben gebunden waren. Die Entscheidung erfolgte bekanntlich derart, dass die Palme dem Entwurf der Architekten Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad, der Arbeit zweier damals in den weitesten Kreisen unbekannter Architekten zugesprochen wurde. Man wusste von Ludwig Hoffmann wohl, dass er sich.bei dem Wettbewerb um Entwürfe zur Bebauung der Museumsinsel in Berlin mit einem Entwurfe betheiligt hatte, der die Aufmerksamkeit einer kleinen Zahl von Beurtheilern erregte, aber über den engen Kreis derselben hinaus war Hoffmanns Name noch nicht gedrungen.

Entwurf von 1885

Die Entscheidung des Preisgerichtes war daher für alle betheiligten Kreise eine nicht geringe Ueberraschung, und zwar nicht nur hinsichtlich der Persönlichkeiten, sondern auch hinsichtlich des Entwurfes selbst. Die „Deutsche Bauzeitung“ schrieb damals (S. 149, 1885): „Die von fast allen Besuchern der Ausstellung (der Pläne) mit grösster Ueberraschung angenommene Entscheidung der Preisrichter erweckt den Anschein, als ob man auf künstlerische Gesichtspunkte erst in letzter Reihe geachtet und Entwürfe bevorzugt habe, welche die praktischen Forderungen der Aufgabe in möglichst schlichter, aus dem Rahmen des in amtlichen Kreisen „Landesüblichen“ nicht wesentlich hervortretender Form zu lösen bestrebt waren.“ Und der Künstler selbst schreibt heute über den von ihm damals verfassten preisgekrönten Entwurf: „Der an erster Stelle preisgekrönte Entwurf hatte in seiner Disposition den Bedürfnissen des Reichsgerichts in möglichst einfacher Weise Rechnung getragen und sich in seiner architektonischen Gestaltung in den Grenzen des damals im Staatsbauwesen Ueblichen gehalten. Seine Ausführungskosten waren auf 2 311 234 M. veranschlagt.“ Es ist schwer, in dieser übereinstimmenden Beurtheilung nicht das zu erkennen, was darin liegt. Wenn sich aber der Künstler heute entschliesst, seinen damaligen Entwurf in dieser Art zu beurtheilen, so liegt darin nicht etwa Selbstverleugnung oder bestimmte Ablehnung eines früheren Werkes, sondern es liegt das bewusste Eingeständniss diplomatischer Erwägungen, die den Künstler schon bei der Verfassung dieses erste Entwurfes leiteten und deren Vervollkommung in der Folge zu einem so glänzenden Erfolge führen sollte Denn alsbald sehen wir den jungen Künstler, dessen Erfahrung sich noch auf keine Bauausführung, auch der geringsten Art nicht, stützen konnte, mit der „Ausarbeitung anderweiter Projektskizzen“ beschäftigt, zu welcher er am 19. Juni 1885 durch den Staatssekretär des Reichsjustizamtes aufgefordert wurde und welcher ein durch das Reichsgericht eingehender geprüftes Bauprogramm sowie die Forderung der Fach- und politischen Presse zugrunde gelegt war, ein architektonisch bedeutsames Monumental-Gebäude zu errichten, „welches nicht nur den Bedürfnissen des Gerichts zu genügen habe, sondern ganz besonders auch die Zeit des nationalen Aufschwunges der deutschen Nation späteren Jahrhunderten vor Augen führen solle.“ Dem Konkurrenz-Entwurfe gegenüber, dessen Grundrisse wir des Vergleiches halber nochmals abdrucken, wurden in den neuen Grundrissen Abänderungen getroffen, welche die Länge des Gebäudes einschränkten, die Räume der Bibliotheks-Verwaltung und der Reichsanwaltschaft vermehrten und das Büchermagazin zu einem zweiseitig beleuchteten Raume machten. Die Tiefe der Bureauräume wurde gleichzeitig zugunsten der Breite eingeschränkt, für die Präsidentenwohnung wurden bestimmte Vorschriften gegeben usw. Der neue Entwurf, für den sich eine Bausumme von 4300 000 M. ergab, wurde Ende 1885 der Akademie des Bauwesens vorgelegt und von dieser als eine in hohem Grade befriedigende Lösung anerkannt; jedoch wurde eine grossartigere Ausbildung der Hallenanlage gewünscht.

Inzwischen war auch im Reichstage durch Windthorst der Wunsch nach einem monumentalen Bau ausgesprochen worden. Er hoffe, führte Windthorst aus, indem er den Justizpalast zu Brüssel zum Vergleiche heranzog, dass bei Vorlegung der Pläne die Ueberzeugung gewonnen werde, es sei auch mit Rücksicht darauf, dass es ein monumentaler Bau für lange Zeit ist, das Richtige getroffen. Das war dem Künstler Wasser auf die Mühle und als derselbe mit der Anfertigung eines eingehenden Kostenvoranschlages beauftragt wurde, benutzte er diesen Anlass zu einer weiteren Durchbildung des Entwurfes in monumentalem Sinne, eine Weiterbildung, die am schlagendsten in der auf 6 455 000 M. gesteigerten Gesammt-Bausumme zur Erscheinung kommt. Wenn auch dieser Betrag infolge einer zweimaligen Prüfung im Ministerium der öffentl. Arbeiten auf 5 902 000 M. ermässigt wurde, so war diese ermässigte, der Bauausführung nunmehr zugrunde gelegte Summe immer noch hinreichend, bei geschickter Haushaltung in den architektonischen Ausdrucksmitteln eine monumentale Wirkung zu versprechen, wie sie der Würde und der Bedeutung der Körperschaft, die das neue Haus aufzunehmen bestimmt war, entsprach und wie sie auch thatsächlich erreicht worden ist.

Die Aenderungen in der Grundriss-Gestaltung waren nicht sowohl grundlegender Natur, sondern sie bezogen sich unter Befriedigung der neuen Programmforderungen lediglich auf eine geschlossenere Zusammenfassung der Bautheile und können in der Gegenüberstellung der beiden Bearbeitungen auf S. 569, Jahrg. 1888 der Dtschn. Bztg. leicht erkannt werden. Das fertige Gebäude zeigt gegenüber diesen bereits abgeänderten Grundrissen noch einige weitere Verbesserungen jedoch untergeordneter Bedeutung, über welche die noch zur Mittheilung gelangenden Grundrisse nach der Ausführung Rechenschaft ablegen werden.

Die weitgehendste Umarbeitung hat das Aeussere erfahren. Wer den Aufbau des Konkurrenz-Enwurfes auf S. 161 Jahrg. 1885 der Dtschn. Bztg., der „sich in seiner architektonischen Gestaltung in den Grenzen im Staatsbauwesen Ueblichen“ hält, mit dem Aufbau des ausgeführten Bauwerkes vergleicht, wird sich der tiefgreifenden Aenderungen bewusst, welche einerseits durch die gesteigerten Forderungen würdiger Monumentalität, andererseits durch die Lageverhältnisse der Baustelle zur inneren Stadt veranlasst wurden. Ueber diese und die aus ihr hervorgehende Erscheinung des Bauwerkes für den von der inneren Stadt sich demselben Nähernden legt die dieser Nummer angefügte Beilage Rechenschaft ab.

Das Reichsgerichtshaus in Leipzig – Architekt Landbauinspektor Ludwig Hofmann

Als nach einer solchen Durcharbeitung der genereller Entwürfe nunmehr Hoffmann im Juli 1886 den Auftrag erhielt, die erforderlichen Grundrisse, Durchschnitte, Fassaden und Konstruktions-Zeichnungen im grösseren Maassstabe anzufertigen und im Mai 1887 mit der architektonischen Leitung bei der Bauausführung betraut wurde, da war für den jungen Künstler, der sich, wie erwähnt, noch auf keine Bauausführung stützen konnte, ein moralischer Erfolg ohne Gleichen erreicht, indem die infrage kommenden Behörden in ihn ein Vertrauen setzten, welches nur durch die unendliche Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit gerechtfertigt wurde, mit welcher Hoffmann seine Aufgabe vorbereitete und zum besten Gelingen zu führen trachtete. Die Leser haben eben Kenntniss davon erhalten, dass eine mehrfache Um- und Durcharbeitung der Grundrisse bis in alle Einzelheiten erfolgte, nicht zuletzt auch, und darin spricht sich die grosse Gewissenhaftigkeit aus, „in der Erwägung, dass eine sparsame und rationelle Verwendung einer Bausumme vor Beginn der Bauausführung eine einheitliche Bearbeitung des architektonischen und konstruktiv-technischen Theils erfordere.“ Und wie die Gesammtanlage, so ist auch die Aussengestaltung des Baues ein Ergebniss sorgfältigster und eingehendster Studien, die der Künstler im Herbst 1887 in Italien an römischen Bauwerken, wie an Werken des Sanmicheli, Palladio, Sangallo, Peruzzi usw. machte; hat er doch deren litterarische Werke, namentlich auch die des Scamozzi und Serlio theilweise selbst übersetzt und bearbeitet, um so mit heissem Bemühen des Geistes dieser Künstler theilhafig zu werden. Studienreisen nach Süddeutschland, Oesterreich, Belgien, Holland, England usw. ergaben das nöthige künstlerische Material für das Innere. Unter solcher Ausrüstung entstand die künstlerische Form des nunmehr seiner nahen Vollendung entgegenreifenden Bauwerkes und wenn sich kritische Stimmen erhoben haben, welche auf die ungewöhnliche Ausbreitung der erwähnten Studien, sowie auf den ungewöhnlichen Umfang der Anwendung von Modellen hingewiesen haben, so muss doch, ohne dass damit alles bedingungslos unterschrieben sei, was geschaffen wurde, gesagt werden, dass der Erfolg die Mittel gerechtfertigt hat. Es wird sich Gelegenheit finden, auf Einzelnes näher einzugehen. Hier sei nur noch erwähnt, dass am 31. Oktober 1888 im Beisein des Kaisers und des Königs von Sachsen die feierliche Grundsteinlegung stattfand und dass der Bau bei seiner Einweihung am 26. Oktober als thatsächlich vollendet betrachtet werden kann. —

Das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig.

Dieser Teil erschien am 12.10.1895.

Auf die Gestaltung des Baues hatten die Lage und die Form des Bauplatzes einen nicht unerheblichen Einfluss, sodass es zweckmässig erscheinen dürfte, zunächst denselben einige Worte zu widmen. Was die erstere anbelangt, so muss darauf hingewiesen werden, dass die bauliche Entwicklung der Stadt Leipzig, abweichend von jener der grösseren Mehrzahl der ihre Bevölkerungsziffer schnell vermehrenden und entsprechend derselben ihre räumliche Ausdehnung ebenso schnell erweiternden grösseren Städte Deutschlands, eine besondere Tendenz zeigt. Denn während die genannten Städte ihr Gebiet inform konzentrischer Ringbildungen erweiterten, wenn auch in diese mehr oder weniger regelmässige Erweiterung durch örtliche Zufälle hervorgerufene Protuberanzen sich eingliederten, so kennzeichnet sich die räumliche Erweiterung der Stadt Leipzig mehr als eine in radialer Richtung oder strahlenförmig verlaufende. Als die besondere Ursache dieses Umstandes muss die Lage und das wirthschaftliche Verhältniss der Leipziger Vororte erkannt werden, welche entweder allmählich mit Leipzig eng verwachsen sind und ihr mehr oder weniger geschlossenes Gebiet an das Stadtgebiet so angliedern, dass eine Art Ausstrahlung der Bebauung entstanden ist, oder aber welche, zunächst noch in sich baulich abgeschlossene Gemeinwesen bildend, mit Leipzig jedoch einen so lebhaften Verkehr unterhalten, dass die Hauptzugangs-Strassen zu diesen Orten eine zunehmende Bebauung zeigen. Das ist namentlich im Süden und Südosten der Stadt der Fall. Im Norden, Nordwesten und Westen der Stadt sind es wiederum andere Umstände, welche die eigenartige Entwicklung des Bebauungsgebietes hervorgerufen haben. Im Nordwesten dehnt sich das weite Gebiet des Rosenthales aus, eine grosse, der Erholung gewidmete Parkanlage natürlicher Entstehung; im Westen ist es der Johannapark mit den dahinter liegenden freien Geländen, gleichfalls der Erholung und Sportszwecken gewidmet, welche eine weite Fläche einnehmen. Zwischen beide schiebt sich die Bebauung strahlenförmig gegen Plagwitz-Lindenau vor, von den genannten Geländen, die sich bis nahe an die Promenade und somit an den inneren Theil der Stadt erstrecken, umgeben.

Lageplan

Infolge dieser strahlenförmigen Entwicklung der äusseren, ausserhalb der Promenade liegenden Theile der Stadt nun kommt es wie angedeutet vor, dass sich grosse freie Flächen bis nahe an die City erstrecken und wenn sie der Bebauung erschlossen werden, durch ihre Lage geeignet sind, mit dem Stadtkern in eine rege Wechselbeziehung zu treten. Das ist z. B. auch mit dem Gelände der Fall, welches südwestlich an den Johannapark angrenzt und in seinem von der Stadt entfernteren Theil für die Villenbebauung vorbehalten geblieben ist. Der der Stadt zunächst liegende Theil dieses Geländes aber, in unmittelbarer Nähe der Pleissenburg, der Promenade und des Königsplatzes, ist für eine Gruppe von öffentlichen Gebäuden bestimmt worden, von welchen das Landgericht, die Bau- und die Kunstgewerbeschule, das Konservatorium, die Gewerbeschule, die Universitätsbibliothek und das Konzerthaus bereits längere oder kürzere Zeit vollendet sind und welchen sich das Reichsgerichtsgebäude als ein die Gruppe beherrschendes Gebäude anschliessen sollte.

Der engere Bauplatz für das Gebäude ist ein nach 3 Seiten regelmässig, nach der 4. Seite unregelmässig begrenztes Viereck, an welchem nach Norden die Wächter-, nach Süden die Beethoven-, nach Westen die Wilhelm Seyfferth- und nach Osten die Simson-Strasse hinziehen.

An der östlichen Seite der Baustelle fliesst die Pleisse, deren Bett jedoch überwölbt und mit in die Platzanlage vor dem Gebäude einbezogen ist. Diese ist in ihren Abmessungen nicht allzu reichlich und konnte in der jetzigen Grösse nur dadurch erhalten werden, dass das Gebäude mit seiner hinteren Flucht sich ziemlich der Strassenflucht der Wilhelm Seyferth-Strasse nähert. Nichtsdestoweniger aber ist die Grösse des Platzes für die Beurtheilung des Bauwerkes vollkommen ausreichend, ja man könnte sagen, sie hält sich für die architektonische Nahwirkung in glücklichen, die Maasstabsverhältnisse der Architekturtheile unterstützenden Grenzen. Aber auch der, welcher auf die Fernwirkung ein besonderes Gewicht legt, findet seine Rechnung, wenn er von der Promenade oder der inneren Stadt kommt und die Brücke im Zuge der Karl Tauchnitzstrasse betritt, von welcher sich das Gebäude in glücklicher perspektivischer Verschiebung darstellt. Dieser Standpunkt ist der maassgebendste und als solcher auch von der grössten Zahl der Theilnehmer des Wettbewerbs erkannt worden. Die meisten von ihnen erkannten das Bedürfniss, für diesen Hauptstandpunkt, den als solchen zu kennzeichnen es nicht erst der Forderung des Konkurrenzprogrammes bedurfte, von ihm aus die verlangte Perspektive zu konstruiren, eine günstige Gruppirung der Baumassen sowohl nach der Breitenentwicklung wie auch hinsichtlich der pyramidenförmigen Abstufung der Höhe nach zur Erzielung einer harmonischen Silhouette zu erstreben. Stark vorgezogene Risalithbildungen der Vorderfassade, bis zu der Wirkung der vorgezogenen Seitenbauten eines Ehrenhofes gesteigert, quadratische, achteckige, runde oder langgestreckte Kuppel- und andere Aufbauten über dem Mittelpunkt der ganzen Anlage waren die sichtbaren Ergebnisse dieser Bestrebungen.

Schon der Konkurrenzentwurf Hoffmanns zeigte im Grundriss den stark betonten Mittelpunkt der Anlage, ohne aber für den Aufbau daraus die entsprechenden und von der Lage des Gebäudes geforderten Folgerungen zu ziehen. Im Verlaufe der Ausreifung der Bauanlage jedoch hat er bei unberührter Beibehaltung des Grundgedankens derselben sich diesen Forderungen zum Vortheil des Gebäudes so weit unterworfen, wie der weitestgehende der Konkurrenzentwürfe, So ist es denn auch gekommen, dass die Silhouette des Reichsgerichtes im Gesammtbilde der Stadt eine nicht geringere Rolle spielt, als die der zahlreichen Thürme der Kirchen. – In welcher Weise sich um diesen zentralen Kern die einzelnen Bautheile mit den in ihnen enthaltenen Räumen gruppiren, soll im weiteren Verlaufe dieses Berichtes an der Hand der Grundrisse gezeigt werden, wie sie der thatsächlichen Ausführung entsprechen.

Das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig.

Dieser Teil erschien am 26.10.1895.

Wer es in Verfolg dieser Beschreibung unternimmt, einen vergleichenden Blick auf die Grundrisse für das Reichgerichtshaus zu werfen, wie sie aus dem damaligen Wettbewerb hervorgegangen sind und auf S. 153 ff. Jahrg. 1885 der Dtsch. Bauztg. wiedergegeben worden sind, der wird sich dem Eindruck nicht verschliessen können, dass ungeachtet einzelner hervorragender Lösungen in anderen Entwürfen der von Hoffmann in Gemeinschaft mit Dybwad verfasste Grundriss bei in bestem Sinne akademischen Gepräge der in der Gestaltung und gegenseitigen Lage der Räume, im Verhältniss der Verkehrswege zu diesen Räumen weitaus klarste, harmonischste und abgewogenste war. Die fernere Durcharbeitung des Entwurfes konnte sich daher, soweit sie die Grundrissanlage betraf, auf Einzelheiten beschränken, die zum Ganzen in immerhin bescheidenem Verhältniss standen.

System der Hoffassaden

Eine Zwischenstufe dieser Durcharbeitung, die sich der Ausführung schon wesentlich nähert, ist in No. 94 der Dtschn. Bauztg. vom 24. Novbr. 1888 veröffentlicht und erläutert worden. Die schliessliche Ausführung zeigt eine noch weitere Durcharbeitung, die aus den dieser Darstellung beigegebenen Grundrissen hervorgeht. Nach denselben sind die 391 Räume des Gebäudes in ihrer Gruppirung in die Form eines Rechtecks von etwa 127 und 90 m grösster Seitenlänge gebracht, das zwei innere Höfe umschliesst, die eine Länge von etwa 27 und eine grösste Breite von etwa 28 m besitzen, vor welche jedoch einzelne Bautheile bis über 4 m vorspringen. Nichtsdestoweniger sind die Höfe durchaus ausreichend und so reichlich bemessen, dass eine Beleuchtung der an ihnen liegenden Räume und Gänge erzielt wird.

Ansicht von der Beethovenstrasse

Wer zwischen den mächtigen 6 Säulen des giebelgeschmückten Vorbaues das Vestibül betritt, an dem seitlich Räume für Portier und Boten liegen, dem eröffnet sich durch kleinere Stützenstellungen der Blick in die in ihrer Längsausdehnung sich entwickelnde grosse gewölbte Halle, an der zur Linken die dreiarmige Haupttreppe sowie einige Nebenräume und Nebentreppen liegen, während auf der rechten Seite vier Räume für Kanzleizwecke sowie Aborte und wiederum eine Nebentreppe angeordnet sind. Es lag nicht ohne weiteres auf der Hand, die grosse Warte- und Wandelhalle so zu legen, dass sie in ihrer Längsaxe sich dem Eintretenden darbietet und ihm so unmittelbar die volle monumentale Wirkung giebt. Der Wettbewerb hat bewiesen, dass, so natürlich diese Lage auch erscheint, sich doch auch gewichtige Stimmen für die Querlage erklärt hatten. Indessen auch hier hat der Erfolg entschieden und zwar in einer glänzenden Weise. In entsprechender Art durch den verhältnissmässig bescheidenen Maasstab des Vestibüls und der sich ihm anschliessenden Gangtheile in dem Gefühl für den Maasstab vorbereitet, bietet sich dem Eintretenden ein Bild bezwingender Grossartigkeit, das gewiss noch eine Steigerung hätte erfahren können, wenn sich in der Längsaxe noch das Treppenhaus angeschlossen hätte und vielleicht frei in den Raum eingebaut worden wäre. Es ist aber ein charakteristisches Merkmal für die eingehenden praktischen Erwägungen Hoffmanns, dass er bei dem Gedanken der Seitenlage des grossen Treppenhauses, die schon im Konkurrenz-Entwurfe enthalten war, auch angesichts der anderen Lösungen des Wettbewerbes beharrte und zugunsten des praktischen Verkehres auf ein bestechendes künstlerisches Moment verzichtete. Im Sinne des letzteren haben, quer zur Längsaxe gelagert, an der Westfassade im Erdgeschoss die drei Sitzungssäle des Strafsenates mit ihren Nebenräumen, im Obergeschoss darüber die drei Sitzungssäle des Zivilsenates, gleichfalls mit Nebenräumen, ihre Stelle gefunden. Nach der Hauptfassade zu liegt im Obergeschoss der grosse Sitzungssaal für Hoch- und Landesverraths-Verhandlungen mit Logen für das Publikum. Gegenüber der Haupttreppe liegen im zweiten Geschoss gegen Osten die Räume für die Rechtsanwaltschaft. So sind in zweckmässiger und klarer Weise um die Wandelhalle herum sämmtliche Räume gruppirt, in denen das Publikum zu verkehren hat. Im übrigen sind die Räume derart vertheilt, dass in den Seitentheilen des Gebäudes gegen Osten sich die Arbeitsräume der Beamten befinden, die gegen die Wandelhalle durch eiserne Thore abgeschlossen werdenkönnen. Der südliche Gebäudetheil ist nahezu ausschliesslich für Wohn-, Arbeits- und Repräsentationsräume des Präsidenten des Reichsgerichtes vorbehalten. Diese Raumgruppe beitzt zwei grosse Treppenhäuser und ist in sich vollkommen abgeschlossen. Die Eintheilung im einzelnen geht aus den Grundrissen hervor und zeigt gleichwie auch in den übrigen Theilen des Gebäudes das bewusste Betreben, durch die Nebeneinanderlegung grosser und kleiner Räume den Maasstab für die ersten zu steigern. Die Küchen- und Anrichteräume liegen im Zwischengeschoss.

Auf der östlichen Seite des Obergeschosses hat die für etwa 200 000 Bände berechnete Bibliothek mit ihren Nebenräumen und Lesezimmern ihre Stelle gefunden. Es ist nicht zu verkennen, dass der Künstler neben leichter Auffindbarkeit der Räume bei der Lage derselben auch von dem selbstverständlichen Bestreben geleitet war, die Räume, welche durch ihre Grössenentwicklung geeignet waren, für die Fassadenbildung ein grösseres Motiv abzugeben, auch an die Stellen der Fassaden zu legen, an welchen man in herkömmlicher Weise die Entwicklung eines solchen grösseren Motives erwartet. So kamen der grosse Saal für die Landesverraths-Verhandlungen in die Mitte der Ostfassade, der Festsaal der Präsidentenwohnung in die Mitte der Südfassade, die Senats-Sitzungssäle in die Mitte der Westfassade und die Bibliothek in die Mitte der Nordfassade.

Selbst für die Architektur der Höfe ist dieser Grundsatz mit akademischer Strenge durchgeführt. Am südlichen Hof liegen der Speisesaal der Präsidentenwohnung und das Haupttreppenhaus, am nördlichen Hofe der Rechtsanwaltssaal und die durch die ganze Tiefe des Gebäudetheiles sich erstreckende Bibliothek. Mit Recht kann daher der Künstler sagen, dass sich auf diese Weise im Aeusseren des Gebäudes sein innerer Organismus zeige, dass man die Lage der Räume schon am Aeusseren gewissermaassen ablesen könne. Und in der That tritt aus der Grundrisslösung eine Aufrichtigkeit und ein Bestreben nach Wahrheit hervor, welches sich mit dem Zwecke des Gebäudes harmonisch vereinigt, welches aber, wie wir sehen werden, im Aufbau leider nicht mit der gleichen Strenge durchgeführt ist.

Es erübrigt noch, ein kurzes Wort dem Untergeschoss und dem obersten Geschoss zu widmen. Das erste liegt in gleicher Höhe, wie der den Bau umgebende Bürgersteig und besitzt eine Höhe von 3,35 m. In ihm liegen die Wohnungen der Unterbeamten, des Kastellans, der Portiers, der Heizer und Hausdiener; es enthält Räume für die Umdruckerei und die Beheizung des Gebäudes, die Waschküchen, sowie eine Anzahl anderer Nebenräume. Unter dem Untergeschoss liegen die Kellerräume für die Wohnungen ein grosses Kesselhaus für die Heizung, umfangreiche Kohlenkeller und begehbare Kanäle für die Luftheizung und die verschiedenen Röhrenleitungen, die das Gebäude durchziehen. Ausserdem enthält das Untergeschoss eine Anzahl Zufahrten und Zugänge. – Das oberste Geschoss, welches nach aussen nicht in die Erscheinung tritt, sondern sein Licht ausschliesslich von den Höfen bezieht, enthält im wesentlichen Räume für die Aufbewahrung der Akten.

In dieser Ausbildung stellt sich die Grundriss-Entwicklung des Gebäudes als eine solche dar, in der die Erfüllung der Forderungen praktischer Brauchbarkeit gleichwerthig neben der Erfüllung der Forderungen künstlerischer Schönheit steht, und in welcher diese Gleichwerthigkeit ein Gleichgewicht der idealen Werthe erzeugt, das in hohem Maasse das Gefühl harmonischer Befriedigung gewährt.

Der Grundriss ist die Stärke des Gebäudes, der Aufbau des Aeusseren tritt gegen ihn zurück.

Wer den S. 161 Jahrg. 1885 in einer Skizze dargestellten Aufbau des Konkurrenz-Entwurfes mit der Ausführung vergleicht, erkennt unschwer die grundlegenden Veränderungen, die der Entwurf im Laufe der Durcharbeitung erfahren hat. Die Auffassung jenes Entwurfes hatte nicht die Grösse und den Ernst, welche den schwerwiegenden Entscheidungen entsprachen, die in dem Hause gefällt werden.

Mehr ein der heiteren Kunst, als der schweren Strenge der Gesetze gewidmetes Haus hätte man hinter dem Entwurf vermuthet. Die florentinische Formensprache war mehr nach ihrer liebenswürdigen Seite verwendet und gewann nicht durch die Verbindung mit Motiven, wie sie zurzeit der Entstehung des Entwurfes noch im Staatsbauwesen gern gesehen waren. Das änderte sich, als sich der Künstler entschloss, zu der Kunstweise Palladio’s überzugehen und das Gebäude seiner Höhe nach soweit herauszuheben, dass es in der früher genannten Gebäudegruppe nicht nur nach seiner ideellen Bedeutung, sondern auch nach seinem künstlerischen Aufbau und seiner Massenentwicklung als herrschender Mittelpunkt seine Stellung behauptete. So entstand zunächst der 6 säulige, mit einem grossen Giebelbilde geschmückte Portikus; so entstanden die durchgehenden Halbsäulenmotive der Bibliothek, der Senatssitzungssäle und der Präsidentenwohnung mit ihren zumtheil figurengeschmückten Attiken; so entstand aber auch der Kuppelaufbau, der in einer bestimmten Absicht entworfen wurde und der leider nur eine Scheinkuppel ist. Wir wissen nicht, warum sich der Künstler gescheut hat, den mittleren Theil der grossen Wandelhalle im Grundriss so zu erweitern, wie es etwa der Konkurrenz-Entwurf von Vischer & Fueter in Basel (S. 165, Jahrg. 1885) zeigte und daraus die entsprechenden Folgen für die Kuppelgestaltung im Innern zu ziehen, wie es z. B. auch Poelaert beim Brüsseler Justizpalast that (S. 533, Jahrg. 1885). Es konnte das um so mehr geschehen, als die Halle in keiner Weise akustischen Zwecken zu genügen hat, und als ferner der Kuppelaufbau in der Höhe nicht so weit getrieben zu werden brauchte, wie jener des Brüsseler Justizpalastes. Das, was heute als ein Wahrzeichen der Stadt Leipzig erscheint, ist leider eine architektonische Unwahrheit, auf der die Figur der Wahrheit wie ein ironischer Gegensatz thront. Hier ist nach unserer bescheidenen Meinung ein künstlerisches Versäumniss, das durch die Benutzung des Kuppelraumes für ein Museum der am Bau verwendeten Gipsmodelle nur nothdürftig verhüllt wird.

Was im übrigen die Einzelbildung des Aeusseren anbelangt, auf die im Besonderen einzugehen uns der Raum verbietet, so sei auf die Beilage der No. 78 sowie auf die Abbildungen in No. 82 verwiesen und bemerkt, dass die Wahl des Sandstein-Materials leider nicht überall die architektonische Wirkung unterstützt und der Sandstein nicht überall auf seine besondere Individualität hin verwendet ist. Das betrifft hauptsächlich den Elbsandstein, welcher in seiner oft groben Struktur und Aderung bisweilen eine architektonische Form unterbricht oder in ihrer Wirkung schwer beeinträchtigt. In der Wahl der Struktiven und ornameltalen Motive sind überall geistvolle Beziehungen zur Bestimmung des Baus aufgesucht. Wenn aber das gemeisselte Motiv nicht immer seiner geistigen Bedeutung entspricht, so liegt das an der grossen Verschiedenheit der Qualität der Bildhauer-Arbeiten, für die einmal das Steinmaterial, dann aber auch das künstlerische Können der Bildhauer verantwortlich zu machen ist. Manches, was dem Gedanken und der Komposition nach ausgezeichnet angelegt ist, wirkt in der Ausführung stumpf und unterstützt nicht die Absichten des Künstlers. Der Maasstab, den wir nach einer baukünstlerischen Entwicklung, wie wir sie heute feststellen können, an ein Gebäude von der Bedeutung des Reichsgerichts-Hauses legen müssen, ist ein so hoher, dass ihm nur künstlerische Arbeiten von Bildhauern ersten Ranges zu genügen vermögen; denn in solchen Bauwerken tritt die Forderung der Monumentalkunst als eine strenge moralische Forderung neben die Forderung, die der Zweck des Gebäudes stellt.

Von ausgezeichneter Wirkung ist das System der Hoffassaden, das wir abgebildet haben und das eine Feinheit und ein architektonisches Gleichmaass zeigt, mit dem es sich den besten Schöpfungen der Veroneser und Florentiner Renaissance anreihen kann. Von ausgezeichneter Wirkung ist ferner der gesammte Aufbau des Gebäudes, wie er sich dem darstellt, der sich dem Hause von der Promenade her nähert. Auch hier bethätigt sich das künstlerisch abwägende Feingefühl Hoffmanns in glücklichster Weise und wenn auch die kleinen Kuppeln wie die Hauptkuppel nicht die schön geschwungene Linie zeigen, die man ihnen gewünscht hätte, so beeinträchtigt das doch nicht wesentlich die glückliche Erscheinung und Gruppirung der Baumasse. Alles in allem zeigt das Aeussere einige Stellen, an denen man mit einer nur flüchtigen Verbeugung vorübergehen wird, im grossen und ganzen aber wird man der sorgfältigen, gewissenhaften und von dem vollen Ernst der Aufgabe durchdrungenen Arbeit seine tiefe Verbeugung nicht versagen können.

Das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig.

Dieser Teil erschien am 09.11.1895.

Leider war es bisher nicht möglich, zur Wiedergabe geeignete Aufnahmen einiger Innenräume des Hauses zu erlangen. Wir müssen uns vorbehalten, die in Aussicht genommenen Abbildungen derselben nachträglich zu liefern. Die Redaktion.

Wer das innere des Hauses betritt, gelangt durch 3 geschmiedete Thore zunächst in das Hauptverstibül, das 8,80 m tief, 6,45 m hoch und einschliesslich der seitlichen Hallen 21,60 m breit ist. Die seitlichen Hallen sind durch eine dorische Säulenstellung von der Mittelhalle getrennt. Das Ganze, mit einer flachen decke versehen, hat nur bildnerischen Schmuck erhalten, der auf den Thüren, die Anschlagstafeln, die Laternenhalter usw. vertheilt ist. Die Stimmung des Raumes ist eine ernste, würdige vorbereitende. Die Architekturtheile der Wände sind aus Cottaer Sandstein erstellt, während der Boden mit Solenhofener Platten belegt ist. Eine Anzahl Stufen vermitteln den Höhenunterschied zwischen dem Fussboden des Vestibüls und dem des querlaufenden Korridors, der das Vestibül von der grossen Wartehalle trennt. Den Korridor schließen beiderseits eiserne Gitter von guter Durchbildung ab. Geradeaus umfasst der Blick die mächtige, lichtdurchfluthete grosse Wartehalle, die sich durch die ganze Höhe des Gebäudes erstreckt und in ihrer grauweissen Gesammtstimmung bei bewusster Beschränkung farbiger Mittel auf die grossen hablkreisförmigen Glasgemälde und einzelne kupfergetriebene und patinierte Ausstattungsstücke in den grossen Linien ihrer Wölbungen einen grossen Eindruck macht.

Grundriss

Die Halle ist ohne die anschliessenden Korridortheile 33,50 m tief, an der breitesten Stelle 23 m breit und im höchsten Punkt 24,60 m hoch. Die Entwicklung der Längsrichtung der Halle in der Richtung des Eintretenden hat sich in ihrer Wirkung ausserordentlich bewährt. Der Maassab der Umgebung der Halle ist für die Grössenordnung derselben glücklich gewählt. Das Material der Hallenwände ist bis Oberkante Hauptgesims Cottaer Sandstein, dessen Struktur der feinen Gliederung der Profile entgegenkommt. Der Fussboden besteht wiederum aus Solenhofener Platten, die Decke ist gewölbt und geputzt. Der figürliche Schmuck bringt den deutschen Reichsgedanken und die Thätigkeit des Gerichtes zum Ausdruck. An der linken Seite der Halle liegt das Haupt-Treppenhaus, in dem eine dreiarmige Treppe, die entsprechend dem praktischen Bedürfnisse mit 2 Armen beginnt, zu dem oberen Geschoss emporführt. Es ist mit einem Tonnengewölbe überspannt, seine Wände bestehen wiederum aus Cottaer Sandstein. Sein figürlicher und ornamentaler Schmuck bezieht sich auf die bestrafende und die freisprechende Gerichtsthätigkeit und vereinigt sich in den beiden Nischenbildungen der Ost- und Westwand. Die 3 Fenster dieses Treppenhauses haben farbige Verglasung erhalten. Die langen Züge der Korridore des unteren und oberen Geschosses haben durch die an den einzelnen Fassaden liegenden Vestibüle mit Nebentreppenhäusern, durch gelegentliche Erweiterungen usw. eine wohlthuende und gut berechnete Unterbrechung erhalten. An bemerkenswerthen Punkten schliessen schöngezeichnete eiserne Abschlussgitter sie ab, schmücken sie al fresco in Stuck angetragene Kartuschen und figürliche Darstellungen, sowie leuchtende farbige Freskogemälde. Eine individuelle und abwechselnde Behandlung der zahllosen Thüren, die in die Kanzleistuben und Säle führen, die Ausstattung mit formenreichen Möbeln usw. unterbrechen in ansprechender Weise die sonst eintönige Flucht der Gewölbe. Die Arbeitsräume der Beamten sind sämmtlich gewölbt, im übrigen einfach und schlicht ausgestattet. Der grosse, für 200 000 Bände berechnete Bücherraum ist 23,60 m lang, 20,60 m breit und 9,5 m hoch: er ist der Höhe nach in 4 Geschosse getheilt.

Eine in jeder Beziehung hervorragende Raumgruppe bilden die 6 Senats-Sitzungssäle und zwar die 3 Strafsenats-Sitzungssäle im Hauptgeschoss der Westfront und die 3 unmittelbar darüber liegenden Zivilsenats-Sitzungssäle. Von ziemlich ähnlichen Grössenverhältnissen, 12 bezw. 14 m lang, 8,50 m tief und 5,20 bezw. Die oberen 7,80 m hoch, haben sie bei einfacher, rechteckiger Raumform und geraden Decken eine ruhige und ernste Stimmung. Die künstlerische Durchbildung ihrer Holzarbeiten, die sich an den Wänden hinziehen, die Thüröffnungen umrahmen und die Decken bilden, ist eine vollendet ebenmässige, der dunkle Ton derselben und des schmalen Wandstreifens über den Paneelen ein friedlich ruhiger; was an freier künstlerischer Kleinwirkung hier geleistet werden kann, ist erreicht. Es würde zu weit führen, auf den bildnerischen und ornamentalen Schmuck der einzelnen Säle im einzelnen einzugehen, doch sei erwähnt, dass auch hier überall geistreiche Beziehungen der Bestimmung der Räume gesucht und gefunden sind. Gleichen Schritt mit der künstlerischen Durchbildung der Räume hält die technische Herstellung der Arbeiten zu denselben.

Ein im Charakter von diesen verschiedener Saal, jedoch in der künstlerischen Ausstattung von gleicher Liebe der Durchführung getragen und von gleichem Glück in der Wirkung gefolgt, ist der Saal der Rechtsanwälte, der im Obergeschoss gegenüber der grossen Treppe unmittelbar an der Wartehalle liegt. Er ist, abweichend von den vorhin genannten Sälen, gewölbt, 13 m lang, 6,70 m breit und im Scheitel des Gewölbes 6,20 m hoch. Der künstlerische Schmuck bezieht sich auf den der rechtsanwaltlichen Thätigkeit zugrunde liegenden Beistand und Eifer, sowie auf die Gebiete, auf denen der Rechtsanwalt seine Thätigkeit sucht: auf Kunst, Industrie, Handel und Landwirthschaft.

Der Glanzpunkt des ganzen Gebäudes ist unstreitig der grosse Sitzungssaal für die Sitzungen des gesammten Reichsgerichtes und der vereinigten Zivil- und Strafsenate, ein Saal, der an der Ost- bezw. Hauptseite des Gebäudes liegt und 23,30 m lang, 12 m breit und 9,80 m hoch ist. An den beiden Kurzseiten liegen 2 je 5 m tiefe Gallerien für Zuhörer. Auf diesen Saal ist der höchste Schmuck vereinigt. Es ist kaum möglich, von der feinen und prächtigen Wirkung des Raumes, der an den goldenen Saal des Rathhauses in Augsburg erinnert, eine Schilderung in Worten zu geben. Wände und Decken zeigen durchweg eine gleichmässig mit Schmuck bedachte Vertäfelung aus Eichenholz mit reich ornamentirten, gedämpft vergoldeten Füllungen. Von der Decke glänzen die Wappen der vier deutschen Königreiche, von den Wandpfeilern die aller übrigen deutschen Bundesstaaten, in deren Namen hier Recht gesprochen wird. Der Wappenschmuck setzt sich in den 5, je 2,40 m breiten und 6,30 m hohen Fenstern fort und wirkt hier durch die bescheiden zurücktretende teppichartige Behandlung der übrigen Fensterflächen, sowie durch den warmen Ton derselben eigenartig schön. Durch diese Behandlung der Fenster hat der Saal bei Tage eine gedämpfte Beleuchtung, die ihm einen merkwürdigen Charakter geheimnissvoller Pracht verleiht. Bei künstlicher Beleuchtung, wenn die beiden glänzenden Kronleuchter ihr Licht ausstrahlen und durch zahlreiche Wandleuchter unterstützt werden, erfährt die Stimmung eine glückliche Steigerung. Man hat nicht ganz mit Unrecht diese Stimmung des Saales als zu festlich für die in ihm entfaltete ernste und oft traurige Thätigkeit bezeichnet. Aber sei es darum! Die deutsche Kunst mag sich beglückwünschen, in ihm ein Kabinetstück künstlerischer Innengestaltung und Raumstimmung zu besitzen.

An der südlichen Seite des Hauses liegt die Präsidentenwohnung. Auch sie zählt zu denjenigen Theilen des Gebäudes, welche mit künstlerischem Schmuck reich bedacht worden sind. Der Zugang zu ihr erfolgt durch das Südportal. Zu beiden Seiten einer monumentalen Durchfahrt mit Durchblicken auf eine reizvolle Brunnengruppe des südlichen Hofes, ganz im Sinne der Durchblicke der genuesischen Paläste, führen Treppen zum Erdgeschoss empor, deren Brüstungen in Messel’schen Sinne mit flach gehaltenen Putten mit Kränzen gefüllt sind. Das Vestibül der Präsidentenwohnung ist 12,80 m breit, 4 m tief und 8,35 m hoch. Es ist durch Säulenstellungen, auf denen Gewölbe ruhen, untergetheilt. Zwei Treppenhäuser führen zu der Wohnung des Präsidenten empor; das eine, aus Marmor, für die Festgäste bestimmt, führt zu den Repräsentationsräumen, das andere, wohnlich, im Holzcharakter durchgeführt, dient dem Familienverkehr. Die Räume der Wohnung haben theils reichgeschmückte, al fresco angetragene Stuckdecken mit Malereien, theils feinprofilirte Holzdecken erhalten. In der Folge der Räume ist auch hier ein bewusster Wechsel des Maasstabes eingehalten. Das Glanzstück der Präsidentenwohnung ist der 23,35 m lange, 13,40 m breite und 11,30 m hohe Festsaal mit dem durch eine Säulenstellung von ihm getrennten Speisesaal.

Ihn überdeckt ein reich stuckirtes, gemaltes und vergoldetes Tonnengewölbe, das auf röthlichen Säulen und Wandpfeilern aus Stuckmarmor ruht, die sich auf einem grünlichen Marmorsockel erheben. Das Deckengemälde stellt den Einzug Apollo’s mit den Musen bei der Justiz dar. Die Wände sind in ihren oberen Theilen gleichfalls mit Gemälden geschmückt. Ein Zwischenraum von 13 m Länge, 2,50 m Breite und nur 3,40 m Höhe, über dem die Musiker ihren Platz haben, trennt den Festsaal vom Speisesaal. Dieser, 12,50 m lang, 6,8 m breit und 5,4 m hoch, erhielt in Decke und Wänden eine reichgeschnitzte Eichenholzbekleidung, seine Gesammtstimmung aber ist gegenüber der festlichen Pracht des Hauptsaales eine ruhigere, gedämpftere. Im Gesammteindruck bildet die Präsidentenwohnung künstlerisch eine sehr hervorragende Leistung; ihre Raumgestaltung und ihr Schmuck werden mit Rücksicht auf ihre besondere Bestimmung von den gleichen gesunden Grundzügen und von dem gleichen künstlerischen Können getragen, wie in den besten der übrigen Räume des Hauses.

Die künstlerische Gesammtwürdigung des neuen Hauses für das Reichsgericht in Leipzig hat von drei Grundlagen auszugehen und zwar einmal von der Frage: „Wie verhält sich der Charakter des Bauwerkes als Ganzes zur Bestimmung desselben?“ zweitens: „Wie ist den Forderungen dieser Bestimmung in praktisch-konstruktiver Weise genügt?“ und drittens: „Welchen Rang nimmt die Kunstsprache ein, die das Gebäude redet?“

Das Reichsgericht ist der oberste Gerichtshof des deutschen Reichs, die letzte Instanz für die Rechtsprechung, die von den ersten Gerichtsinstanzen ausgegangen ist, aber nicht ohne Anfechtung seitens der streitenden Parteien oder der Verurtheilten blieb. Ueber das Reichsgericht hinaus giebt es eine Berufung nicht, sein Spruch entscheidet; er lastet schwer und ernst auf dem unterlegenen Gegner, er vernichtet den Verbrecher, den die Grösse seines Verbrechens vor diesen hohen Richterstuhl geführt hat. Seinem Spruche wohnen eine ideale Macht und ein gewaltiger Ernst bei, welchen bei dem Rechtsbewusstsein, des deutschen Volkes keine andere Macht, und sei sie die höchste, zu erschüttern vermag. In souveräner Freiheit und erhabener Ruhe waltet der oberste irdische Richter seines Amtes, an seinen Lippen hängen tausend besorgte Augen, sein Spruch bringt eitel Freude und vernichtet, je nachdem die Zunge der Wage, in deren einer Schale das Gewicht des Grundsatzes des modernen Rechtsstaates, des Grundsatzes „Recht muss Recht bleiben“, in deren anderer Schale die Streitsache und das Verbrechen ruhen, entscheidet.

Dieser idealen Bedeutung hat der Bau in der Würde seiner Erscheinung gerecht zu werden und er ist ihr gerecht geworden. Aus seinen Zügen sprechen strenge Grösse, ruhiges Gleichmaass und würdevoller Ernst; seine Kunstsprache ist nicht die Sprache der Gasse; ein vornehmer Geist lieh ihr vornehme Worte, eine strenge Selbstzucht bezwang die ausschweifende Fantasie. Die aus Stein aufgethürmten Baumassen bieten einen starken Zufluchtsort für den Verfolgten, an denen der Kopf des Verfolgers zerschellt. Die Wahrheit, die in eifrigem Bemühen die Bewohner dieses Hauses zu suchen ausgehen die nur eine und die allerwege die gleiche ist sie hat auch an der Seite der Kunst hier eine Stätte gefunden und so verbinden sich in dem Hause Recht, Wahrheit. und Kunst zu der höchsten Einheit menschlicher Geistesthätigkeit und menschlichen Empfindens.

Aber dieses ideale Bild hat auch eine reale Basis; sie leitet zu der zweiten Frage der praktisch-konstruktiven Bewährung des Baues hinüber. Das Haus ist zugleich ein Geschäftshaus für die Thätigkeit des Reichsgerichtes und es entsteht die Frage: wie entspricht die Anlage den Bestrebungen und Erfordernissen des hier ausgeübten geschäftlichen Verkehrs? Die Antwort auf diese Frage aber ist eine ebenso unzweifelhafte, wie die Beantwortung der ersten Frage. Was menschlicher Sinn und menschlicher Vorbedacht für den dienstlichen Verkehr des Hauses zu thun imstande waren, ist gethan worden.

Nicht ebenso glatt erledigt sich die dritte Frage der künstlerischen Rangstellung des Gebäudes. Bei ihrer Beantwortung ist zunächst der merkliche Unterschied in Verhältniss festzustellen, in dem das Innere zum Aeusseren steht. Nicht ein Zwiespalt öffnet sich zwischen beiden, aber sie bedeuten eine Entwicklung, die, wenn es gestattet ist, sie in Zahlen auszudrücken, sich etwa wie 1:3 verhält. Das ist jedoch nichts anderes, als ein natürliches Ergebniss eines nicht ebenso natürlichen Verlaufes der Dinge, welcher einen Künstler ohne Erfahrung an einen Platz stellte, an den sonst ein bewährter, reifer Künstler gestellt zu werden pflegt, den dieser Künstler aber mit Aufbietung einer schier übermenschlichen Anspannung und Kraft zu erfüllen und zu behaupten suchte. So wuchs der Künstler mit dem Bau und der Bau mit dem Künstler; als ein in der ersten Entwicklung begriffener Künstler trat der Erbauer in die Arbeiten ein, als ein gereifter, abgeklärter Künstler geht er aus derselben hervor. Die Kräfte des suchenden Verstandes und der Seele haben einen seltenen Triumph gefeiert; denn zielbewusst, an der Hand einer Reihe bewährter Leitsätze der Kunst verfolgt er seine Strasse.

Der erste dieser Leitsätze ist der der souveränen Verwendung der historisch-stilistischen architektonischen Ausdrucksmittel. Die Veroneser- und Florentinische Renaissance, die palladianische Richtung, Louis-XVI-Elemente sind Hoffmann gleichwillkommene Ausdrucksmittel für das Aeussere und die monumentalen Theile des Inneren gewesen. Der feine Beobachter bemerkt die Stilnüancen, ohne aber – und das ist das Werthvolle – dass er den Eindruck stilistischer Heterogenität hätte.

Der zweite Leitsatz ist die weise Oekonomie in der Anwendung architektonischer Ausdrucks- und Schmuckmittel. Dieser Grundsatz ist so alt wie die Kunst selbst und in grösserer oder geringerer Ausdehnung in allen Kunstperioden, die neueste Phase der Kunstentwicklung nicht ausgenommen, zur Anwendung gelangt. Wenn daher übereifrige Lobredner des Reichsgerichtsgebäudes, deren es leider mehr und lautere giebt, als es für die künstlerische Werthschätzung des schönen Gebäudes gut ist, aus diesem auch hier mit Geschick und Zielbewusstsein angewendeten Grundsatz versucht haben, eine künstlerische Grossthat zu schmieden, so ist das ein Irrthum, der leider vielleicht nicht ganz ohne schädliche Folgen sein wird. Denn wenn man von der hellenistischen Kunstübung des Anfanges dieses Jahrhunderts und von der in ihrem Gefolge und Geiste wandelnden, sich ihr anschliessenden Periode absieht, die schon aus materiellen Gründen dem Gebote der künstlerischen Oekonomie unterworfen waren, sie aber auch da übten, wo sie mit reichlicheren Mitteln bedacht waren, und sich der verrufensten Zeit deutscher Kunstübung, der sogen. Blüthezeit der modernen deutschen Renaissance und des modernen Barockstiles zuwendet, beides Stile, die dem oberflächlichen Beobachter nicht die geringste Spur künstlerischer Oekonomie zu zeigen scheinen, so kann gleichwohl auch hier dem tieferblickenden Beurtheiler nicht entgehen, dass die Grundzüge dieser Stile eine unvergleichliche künstlerische Oekonomie aufweisen, die glücklicherweise vielfach erkannt und ausgeübt, aber nicht immer verstanden wurde. Es sei nur an die künstlerischen Ereignisse erinnert, die sich in Dresden abspielten, als ein bewährter Künstler mit seiner Vorliebe für die einfach schönen Bildungen des Barockstiles bei seinen „Gönnern“ keine Gegenliebe fand.

Es sei ferner erinnert an die neueren Bestrebungen der Münchener Künstlerkreise auf dem gebiete des Barockstiles; es werde drittens gedacht der so ausserordentlich dankenwerthen Bestrebungen der Nürnberger Richtung, die mit feinstem Verständniss und mit glücklichstem Erfolg wieder zu jeder Periode deutscher Kunstübung zurückgekehrt ist, in welcher die künstlerische Oekonomie eine Hauptrolle spielte. Es sei endlich der Bestrebungen gedacht, welche im Berliner Wohnhausbau bereits seit nahezu einem Jahrzehnt sich geltend machen. Es kann einem feiner organisierten kritischen Geiste nicht entgehen, was den Grundzug aller Bestrebungen ausmacht.

Ein dritter leitender Grundsatz ist der des Wechsels ungleicher Räume und der Anbringung von Schmuckmitteln an bestimmten, durch mangelnde ähnliche Umgebung oder durch besondere Beleuchtung ausgezeichneten Stellen. Auch hierin liegt ein alter Grundsatz jener Kunstbethätigung, die auf die Anlage eines grösseren Maasstabes Anspruch erhebt: der künstlerische Grundsatz des Gegensatzes.

Wenn somit neue Grundsätze, die etwa für die Kunstwelt eine noch nicht dagewesene Offenbarung sein sollen, am Neubau des Reichsgerichts in Leipzig nicht in die Erscheinung treten, so soll gleichwohl nicht verkannt werden, dass die hier angeführten Grundsätze an diesem Bau mit sonst nicht immer bemerktem Zielbewusstsein und mit grösserer Strenge.zur Anwendung gelangt sind, als vielleicht an manchem anderen Bauwerke ähnlicher Bedeutung. Das ist immerhin eine anerkennenswerthe That, deren Bedeutung am besten beurtheilt werden kann, wenn man sieht, wie mit einer Bausumme von rd. 6 Mill. Mark ein Gebäude von nicht gewöhnlichen Abmessungen in durchaus monumentalem, in einem Theil seiner Ausstattung repräsentativem Charakter errichtet werden konnte. Es wäre interessant gewesen, den kubischen Einheitspreis für das gebäude festzustellen, doch fehlt es uns dafür an nöthigen Anhaltspunkten.

Alle in allem ist der schöne Bau eine monumentale Illustration für ein zehnjähriges Ringen und Kämpfen um die Herrschaft über Form und Mittel; alle Phasen dieses mit seltener Zähigkeit und Ausdauer geführten Kampfes lassen sich am Baue verfolgen. Der Sieg in dem seltenen Kampf woird errungen in der künstlerischen Gestaltung der Senatssitzungssäle, des grossen Hochverraths-Sitzungsales der Hauptfront und in der Präsidentenwohnung.

Was hier als ein Ergebniss unausgesetzter Fortbildung und Selbstkritik geschaffen ist, ist so schön, so vornehm, so abgewogen und abgeklärt, dass der Künstler, der dies geschaffen hat, nicht um den Ruhm der Gasse zu buhlen braucht; er findet denselben in der rückhaltlosen Anerkennung der ihm geistig Gleichstehenden, für die das Wort gilt: il n’y a que l’esprit qui sent l’esprit. Und wir meinen, damit könnte sich der Künstler begnügen; es ist die vornehmste Anerkennung, die einem Kunst- und Geisteswerk zutheil werden kann.

Das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig.

Dieser (letzte) Teil erschien am 23.11.1895.

Es liegt nun auf der Hand, dass ein so grosses Werk nicht von einer einzigen Person, und sei sie ein Riese an Kraft und Ausdauer, geschaffen werden kann. Die Pflicht gebietet daher, der Mitarbeiter an dem Baue zu gedenken.

Diese waren ausser den bereits genannten Künstlern zunächst Hr. Ingenieur R. Cramer in Berlin, welcher die Eisenkonstruktionen der Bibliothek, die Konstruktionen über dem grossen Sitzungssaal an der Ostfront und über dem Festsaal der Präsidenten-Wohnung entwarf und berechnete und Hr. Geh. Oberbrth. Dr. Zimmermann in Berlin, von welchem die Konstruktionen des Kuppelaufbaues angegeben worden sind. In seinem Freunde Dybwad hatte Hoffmann einen Mitarbeiter, welcher von den ersten Anfängen des Konkurrenz-Entwurfes bis zur Vollendung des Gebäudes treu an seiner Seite gestanden hat. Während der ganzen Zeit der Bauausführung waren am Bau ferner die Hrn. kgl. Reg. Bmstr. Böthke und Wendorft und während des grösseren Theils dieser Zeit Hr. kgl. Reg.-Bmstr. Werdelmann thätig. Als künstlerische oder technische Mitarbeiter, die vorübergehend längere oder kürzere Zeit dem Atelier Hoffmanns angehörten, werden die Hrn. Becker, grossh. Bmstr. Diehl, Döhring, Ende, Gensel, Geyer, Hanroth, Harres, Hennig, Herold, Hirsch, kgl. Reg. Bthr. Kirchhoff, Kolb, Kummer, Meynig, kgl. Reg.-Bmstr. Schmalz, Teubner und Usadel genannt.

Die geschäftlich-technische Leitung des ganzen Baues unterstand seit dem Juni 1887 dem Hrn. Garnisoninspektor a. D. Scharenberg.

Die grosse Wartehalle

Der Löwenantheil der künstlerischen Schmuckarbeiten fiel der Bildhauerkunst und insbesondere Hrn. Prof. Otto Lessing zu. Das Modell der Figur der Wahrheit die Kuppel, die vier weiblichen Eckfiguren derselben, die Gruppe des grossen Giebels, die Füllungen zwischen den Säulen des Vorbaues, die Standbilder Wilhelms I. und Wilhelms II. seitlich des Vorbaues, das Modell zu der Statue des Rechtsgelehrten Suarez auf der Attika und des Bibliothekbaues, der Attikaschmuck der westlichen und südlichen Fassade, die Laternenträger des Vestibüls, die Anschlagtafel dortselbst, die Gruppen der Nischen am Podest der Haupttreppe, sowie zahlreiche ornamentale Arbeiten, darunter namentlich die für den grossen Plenar-Sitzungssaal, rühren von der kunstgeübten, bewährten Hand Lessings her. Nächst ihm war es der Bildhauer Nicolaus Geiger-Berlin, welchem ein grosser Theil der übrigen Bildhauerarbeiten zufiel. Die Köpfe der Klugheit und Wachsamkeit, Milde und Entschlossenheit, die al fresco angetragenen Reliefs Untersuchung und Urtheil, Vollstreckung und Gnade in den halbrunden Feldern in der Höhe der Wartehalle, sowie eine Reihe weiterer figürlicher und ornamentaler Modelle werden der Kunst dieses in seiner Empfindung der Barockkunst sich nähernden trefflichen Künstlers verdankt. Felderhoff fertigte die Modelle zu den Statuen der Rechtsgelehrten Eyke von Rebkow und Schwarzenberg, Pfannschmidt von Moser, Lehnert von Feuerbach und Saffner von Savigny. Zahlreiche Modelle figürlichen und ornamentalen Charakters fertigten ferner Gieseke-Berlin, Josef Magr-Leipzig und andere. Der flotten Hand Gieseke’s entstammt auch eine grosse Anzahl der an verschiedenen bemerkenswerthen Stellen zerstreuten al fresco in Stuck angetragenen Cartouchen, Wappen usw. Ein grosser Theil der Uebertragungen der Modelle in Stein war Hrn. Bildhauer Volke anvertraut.

Eine verhältnissmässig bescheidene Rolle ist den Wand- und Deckenmalereien zugewiesen. Sie beschränken sich auf Wand- und Deckengemälde von Woldemar Friedrich und Max Koch. Der grössere Theil der malerischen Darstellung kommt auf die Wohnung des Präsidenten.

In besonderer Weise muss des Architekten Prof. Alfred Messel-Berlin gedacht werden, welcher es in uneigennütziger Weise übernommen hatte, in seiner Schulklasse der des Kunstgewerbemuseums zu Berlin einen grossen Theil der Einrichtungsstücke, und zwar die Möbel zu den Sitzungssälen, zu den Berathungszimmern, zum Rechtsanwaltssaale und zu den Zimmern der Senatspräsidenten entwerfen zu lassen. Die feine Kunst dieses in ihrer naiven Formenbehandlung kommt den schönen Räumen trefflich zu statten.

Was die technischen Arbeiten des Baues im einzelnen anbelangt, so ist zu berichten, dass im Jahre 1888 durch die Firma Meissner & Miersch in Leipzig die Gründungsarbeiten zur Ausführung kamen. Im Frühjahr 1889 darauf führte Möbius in Leipzig die Maurerarbeiten des Untergeschosses und bis 1890 Nolte, gleichfalls in Leipzig, die Maurerarbeiten der oberen Geschosse aus. Inbezug auf die Steinhauerarbeiten ist zu bemerken, dass der Mittelbau der Präsidentenwohnung aus Sandstein aus den Brüchen von Cudowa in Schlesien erstellt ist, während zu dem übrigen Theil der Aussenfassaden der Sandstein der Elbbrüche verwendet wurde. Der Unterschied des Steinmateriales ist in die Augen springend. Die Steinmetzarbeiten des Mittelbaues der Präsidentenwohnung sind von Schilling in Berlin, die der übrigen Theile des Aeusseren von einer Vereinigung Leipziger Steinmetzmeister, welcher die Firmen Ehmig, Anders, Laux, Damm, Einsiedel und Barthel angehörten. Die Wände des Vestibüls sind von Cottaer Sandstein von Anders in Leipzig ausgeführt. Für die grosse Wartehalle wurde wie erwähnt, bis Oberkante Hauptgesims Cottaer Sandstein von Günther in Leipzig verwendet; gleichfalls aus diesem Stein, jedoch von Damm und Einsiedel in Leipzig geliefert, sind die Wände des grossen Treppenhauses der Wartehalle. Die Steinmetzarbeiten des Vestibüls der Präsidentenwohnung, aus Cottaer Sandstein, sind von Krämer in Leipzig übernommen worden. Die Firma Axerio in Berlin erhielt die Stuckmarmorarbeiten des Festsaales der Präsidentenwohnung in Auftrag. Biehl in München übernahm den freien Antrag der Stuckornamente des Rechtsanwaltsaales, die Stuckarbeiten des östlichen Treppenhauses der Präsidentenwohnung, sowie einer Reihe anderer Räume dieser Wohnung. An Bildhauer Steiner in Leipzig war die Ausführung der Stuckarbeiten der Decke des grossen Plenar-Sitzungssaales, der Stuckarbeiten der Decke der grossen Wartehalle, des Festsaales der Präsidentenwohnung usw. übertragen. Die Marmorarbeiten der Präsidentenwohnung sind von der Firma John in Leipzig geliefert worden.

Eine stattliche Reihe von Künstlern und Firmen war für die gesammten Holzarbeiten des Inneren beschäftigt; sie entledigten sich ihrer Aufträge mit grossem künstlerischem Geschick. So vor allem Gustav Riegelmann in Berlin. Von ihm stammt eine grosse Anzahl der besten Holzschnitzereien, unter anderem die Füllungen der Thrüren der Korridore, die Holzschnitzarbeiten der Thür des südlichen Strafsenats-Sitzungssaales, die Thürfüllung im nördlichen Strafsenats-Sitzungssaale, die Holzschnitzarbeiten des Vorzimmers der Präsidentenwohnung, der Halle des Familien-Treppenhauses daselbst usw. Arnemann-Leipzig fertigte die Holz- und Schnitzarbeiten des mittleren Strafsenats-Sitzungssaales, die Arbeiten des Speisesaales der Präsidentenwohnung, des Familien-Treppenhauses daselbst usw. Die Firma Schütz in Leipzig übernahm die Holzarbeiten und die Stoffbespannung des südlichen Zivilsenats-Sitzungssaales und die Holz- und Stoffarbeiten des nördlichen Zivilsenats-Sitzungssaales. Von Norroschewitz in Leipzig sind die Holzarbeiten des Rechtsanwaltssaales, des Vorzimmers der Präsidentenwohnung usw.

Die Firma Förster in Leipzig hatte die Holzarbeiten im Bibliothek- und Arbeitszimmer der Präsidentenwohnung, sowie die Paneele und Treppen des Familientreppenhauses übernommen. Von Schmidt in Leipzig rühren die Holzarbeiten des südlichen und nördlichen Strafsenats-Sitzungsaales, die des grossen Plenar-Sitzungssaales, usw. her. Gossow in Berlin führte die Bank des Mittelpodestes des grossen Treppenhauses der Wartehalle, zwei Bänke vor dem grossen Plenar-Sitzungssaale, sowie eine Reihe anderer Bänke aus. Von Glückert in Darmstadt stammen die Holzarbeiten der Decke und des Paneels des mittleren Zivilsenats-Sitzungssaales. Hochstetter in Darmstadt fertigte die Tapeten des nördlichen Strafsenats-Sitzungssaales an. Senft in Berlin übernahm die Maler- und Vergolderarbeiten des grossen Plenar-Sitzungssaales, des Festsaales der Präsidentenwohnung usw.

Eine nicht weniger stattliche Reihe als die der Holzarbeiter ist die der Firmen, welche Metallarbeiten geliefert haben. So ist die Kupfertreibarbeit der Kuppelfigur von Wilhelmy in Leipzig, die der Laterne und vorderen Thürme von Wörmann in Leipzig; die Kupfereindeckung der Kuppel selbst besorgte Peters in Berlin. Eine ornamentale Tafel mit der Darstellung der Zerstörung fleissiger Arbeit durch Schlangen stammt von Schulz & Holdefleiss in Berlin; die gleiche Firma lieferte einige kupferne Friese mit Ornamenten aus Löwenköpfen, Sonnenblumen und Lilien, sowie grosse dekorative kupferne Tafeln mit emblematischen Darstellungen. Von Schulz & Holdefleiss rühren auch die schmiedeisernen Thore der Seitenwände des Vestibüls, die schmiedeisernen Laternen der Korridore, die Beleuchtungskörper des südlichen Strafsenats-Sitzungssaales, die Laterne des Haupttreppenhauses, die Kandelaber der oberen Gallerie der Wartehalle, zwei grosse, reich geschmiedete Thore in den Korridoren des Obergeschosses, die Beleuchtungskörper der grossen Wartehalle, die geschmiedeten Abschlussthore der Korridore an der Westseite der Halle, eine Reihe anderer Thore und Beleuchtungskörper des Geschäftstheiles des Hauses und der Präsidentenwohnung her. Langer & Methling in Berlin schmiedeten die Geländer der beiden Bibliothek-Treppenhäuser, die Geländer der Nebentreppen, drei grosse Abschlussthore und eine Thür in reicher Ausführung in den Korridoren im Erdgeschoss, die sämmtlichen zumtheil reichen Heizgitter in den Korridoren daselbst, sowie eine Reihe von Arbeiten in der Präsidentenwohnung, darunter die reichgeschmückten Kronleuchter im Bibliothekzimmer und im Familien-Treppenhaus, weiter Laternen, Heiz- und Thürgitter, Deckenbeleuchtungen, ein Bronzegitter usw. Hermann Kayser in Leipzig fertigte die 3 schmiedeisernen Thore zum Hauptvestibül, das mittlere Einfahrtsthor und die zwei seitlichen Thore zur Wohnung des Präsidenten, sowie die übrigen Aussenthore. Fritzschein Leipzig schmiedete die Abschlussthore der Seitenkorridore.

– Die sächsische Bronzewaarenfabrik zu Wurzen lieferte den Beleuchtungskörper des mittleren Strafsenats-Sitzungssaales, den des mittleren Zivilsenats-Sitzungssaales, die des Speisesaales der Präsidentenwohnung, des Baderaumes und des Familien-Treppenhauses. Spinn & Sohn in Berlin hatten den Beleuchtungskörper des südlichen Zivilsenats-Bitzungssaales und des Rechtsanwaltsaales in Auftrag erhalten. Der bewährten Fabrik von Berg in Augsburg waren die Beleuchtungskörper des grossen Plenar-Sitzungssaales, des Festsaales der Präsidentenwohnung usw. übertragen.

Der feinen Kunst Alexander Linnemanns in Frankfurt a. M. verdanken wir die prächtigen Fenster der seitlichen Hallen, die Kartons zu den grossen halbkreisförmigen Fenstern der Wartehalle, von welchen er die nach Süden und Norden gelegenen Fenster auch in Glas malte, die Fenster des grossen Treppenhauses der Wartehalle, die grossen Fenster des Plenar-Sitzungssaales, die Glasfenster des Korridors des Obergeschosses an der Westseite der grossen Wartehalle, die Fenster der Treppenhäuser seitlich der Bibliothek, die Fenster in der Präsidentenwohnung usw., zusammen etwa 35 Fenster ornamentalen und figürlichen Charakters, welche zum grössten Theil den altbewährten Ruf dieses feinsinnigen Künstlers bekräftigen. Hasselberger in Leipzig malte die beiden westlichen und östlichen grossen halbkreisförmigen Fenster der Wartehalle.

Das ganze Haus ist durch eine Sammelheizung erwärmt, deren Anlage die Firma David Grove inberlin übernommen hatte. – Das ist das neue Haus des Reichsgerichtes zu Leipzig, Das Werk lobt den Meister.

Ueber das Haus sind eine Prachtansgabe in gross Royal Format sowie eine gewöhnliche Ausgabe in Vorbereitung, deren Text mit erläuternden Zeichnungen Hr. Brth. L. Hofmann, deren photogr. Aufnahmen Hr. H. Kückwardt übernommen hat. Das Werk erscheint bei Paul Schimmelwitz in Leipzig.

Albert Hofmann.

Diese Artikelserie erschien zuerst am 28.09., 12.10., 26.10., 09.11. und 23.11.1895 in der Deutsche Bauzeitung.