Die Umbauten und der Neubau der Niagarabrücke

(Nach einem Vortrage, gehalten im Arch.- und Ing.-Verein zu Hamburg am 12. Novbr. 1897 von B. Ohrt.) Man darf wohl annehmen, dass nur sehr wenige Leser d. Bl. erfahren haben, dass die herrliche und weltberühmte Hängebrücke über den Niagarafluss, die s. Z. von unserm Landsmann Johann A. Röbling erbaut wurde, heute gar nicht mehr vorhanden ist, dass sie vielmehr einer neuen Brücke hat weichen müssen. Ebensowenig wird aber auch bekannt sein, dass mit der alten Röbling’schen Hängebrücke in der Zeit ihres Bestehens ganz bedeutende und hochinteressante Umbauten vorgenommen werden mussten. Es dürfte daher bei dem Interesse, das jene Brücke in der technischen Welt hervorgerufen hat, am Platze sein, über diese Umbauten und über den Neubau etwas zu berichten, trotzdem diese Arbeiten ja theilweise schon vor langer Zeit zur Ausführung gekommen sind.

Bevor jedoch zu diesen Um- und Neubauten überggangen wird, sollen vorerst noch einige Worte der Vorgeschichte der alten Brücke gewidmet werden.

Schon im Jahre 1846 erhielten die Zentral-Eisenbahn-Gesellschaft in New-York und die Gesellschaft der grossen Westbahn in Canada die Konzession zu einer Brücke über den Niararafluss. Damals lag der Brückenbau über so grosse Flüsse noch mehr oder minder in den Windeln; es ist daher zu verstehen, dass bei den grossen Schwierigkeiten, die sich jenem Unternehmen entgegen stellten, die Wahl des Brückensystems den Bau selbst mehre Jahre hinausschob, bis es endlich dem Ingenieur Röbling, der zu jener Zeit eine Drahtseilfabrik in Pittsburg besass, gelang, mit seinem Entwurf einer Hängebrücke durchzudringen.

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Die Ueberschreitungsstelle des Flusses wurde etwa 2 km unterhalb der Niagarafälle festgesetzt. Von den Fällen bis zur Ausmündung in den Ontariosee fliesst der Fluss in einer Schlucht mit sehr steilen, etwa 55-60 m hohen Ufern. Diese Schlucht, welche oberhalb der Brückenstelle etwa 300 breit ist, verengt sich bald unterhalb derselben bis auf etwa 90 m und es werden durch diese gewaltige Einpressung der Wassermassen an dieser Stelle die berühmten Stromschnellen (the rapids) gebildet. In dem vorstehenden Kopfbilde (Abbildg. 1) sieht man die Gewalt der Wasserströmung sowie die Hängebrücke, die aber z. Th. von der davorliegenden Brücke der Canada Pacificbahn verdeckt wird.

Abbildg. 1 – Die älteren Brücken über den Niagara von “the rapids” aus gesehen

Die ungeheure Stromgeschwindigkeit liess die Wassertiefe an der Baustelle auch bis jetzt nicht genau bestimmen, indem selbst eine an einem Drahtseil hinab gelassene Kanonenkugel von etwa 26 cm im Durchmesser von dem rasenden Wasser fortgerissen worden ist. Nach ungefährer Schätzung wird die Tiefe gegen 50 m angegeben. Diese ausserordentlichen Stromverhältnisse liessen daher damals auch keine unmittelbare Verbindung von einem Ufer zum andern als möglich erscheinen, bis dieselbe unverhöfft durch einen Zufall in die Wege geleitet wurde.

Ein kleiner Knabe mit Namen Homann Watsch liess nämlich einen Drachen aufsteigen, der durch irgend einen Umstand zu Fall gebracht wurde und auf das andere Ufer in Canada niederfiel. Diese unfreiwillige Verbindung der beiden Ufer wurde nun der Anfang der Brücke, indem man sie benutzte, ein stärkeres Seil hinüberzuziehen, dem endlich ein eisernes Kabel folgte. An dieses wurde dann ein Korb aus Bandeisen mit 2 bequemen Lehnsitzen angehängt und am 13. März 1848 wurde zum ersten Male auf diesem Wege ein Mensch über den Strom hinübergezogen. Wenn nun diese Luftfähre auch nicht geradezu dafür angelegt war, Menschen hin und her zu befördern, so liessen sich die praktischen Amerikaner die Gelegenheit, Geld zu verdienen, doch nicht nehmen und so wurden oft an einem Tage bis zu 125 Personen hin und her befördert, was der Gesellschaft eben so viele Dollars einbrachte.

Wie schon erwähnt, vergingen mit den weiteren Verhandlungen viele Jahre; erst 1853 wurde mit dem Bau begonnen und am 8. März 1855 fuhr der erste Eisenbahnzug über die Brücke.

Wenn nun auch dem Bilde nach die Brücke als bekannt vorausgesetzt werden darf, so ist es zum besseren Verständniss der Beschreibung der späteren Umbauten wohl angebracht, hier noch einige Einzelheiten des Baues anzuführen.

Die Brücke war aufgehängt an 4 Seilen, die sich in einer Entfernung von 250 m freitrugen. Die Durchbiegung der oberen Seile war 16,5 m, die der unteren dagegen 19,5 m. Jedes Seil hatte einen Durchmesser von 0,26 m und bestand aus 3640 Drähten, die wiederum in 7 Strängen von je 520 Drähten zusammengedreht waren. 60 Drähte hatten zusammen einen reellen Querschnitt von I□ = 645 qmm.

Alle 4 Kabel hatten zusammen eine Tragfähigkeit von 12400 t, ihre wirkliche Inanspruchnahme war jedoch nur rd. 1/6 der Tragfähigkeit.

Beide Ufer bestehen, bis zu einer Tiefe von etwa 55 m, aus Kalksteinen in horizontaler Schichtung und von solcher Festigkeit, dass die Pfeiler in einer Entfernung von etwa 6 m vom Uferrande unmittelbar auf dem Felsen erbaut werden konnten.

Auf jedem Ufer standen je 2 viereckige, pyramidal aufgebaute Thürme, deren Basis 4,6 m, und deren Spitze 2,4 m Seite hatten. Auf der New-Yorker Seite war die Höhe der Thürme 27,45 m, auf der Canada-Seite nur 24,4 m, weil hier das Ufer so viel höher lag. Bis zur Höhe der oberen Brückenträger waren die Thürme aus grossen behauenen Kalksteinquadern, von hier aus bis zur Spitze aus kleineren Ode in Zementmörtel erbaut. Das gesammte Steinmaterial für diese Thürme war in der Nähe der Baustelle an den Ufern gebrochen. In Höhe der Fahrbahn der Eisenbahn waren die Thürme durch Bögen mit einander verbunden.

Die obere Spitze der Thürme war in ganzer Fläche mit einer gusseisernen Platte von 6,5 cm Dicke abgedeckt. Parallel zur Richtung der Drahtseile waren auf der Oberfläche dieser Platte 3 Rippen vorhanden, zwischen denen auf sauber bearbeiteten Flächen 10 Rollen aus Gusseisen je von 130 mm Durchmesser lagen. Auf jedem Satz Rollen ruhte ein Sattel von Gusseisen, dessen Oberfläche mit einer U-förmigen Nuthe versehen war, in welcher sich das Kabel mit einer leichten Krümmung hineinlegte. Quer durch den unteren Theil des Sattels zwischen Basis und dem U-förmigen Theil waren 7 Löcher ausgespart. Diese Löcher sollten, wie weiter unten gezeigt wird, bei dem späteren Umbau ausserordentlich nutzbringend werden.

Die Kabel gingen nach jeder Seite etwa 60 m über die Thürme, wo sie in einem Mauerklotz vermauert, dann noch etwa 6 m tief in den Felsen eingelassen und am Ende mit einer Ankerplatte versehen waren.

Die Brücke selbst hatte doppelte Brückenbahnen die obere für ein einfaches Eisenbahngleis und die untere, 5 m tiefer, für Fuhrwerk und Fussgänger. Die untere Fahrbahn lag etwa 70 m über dem Wasserspiegel. Die Verbindung der beiden Brückenbahnen bildete ein leichtes Gitterwerk aus Holz und Eisen, welches der Brücke eine grössere Steifigkeit gegen örtliche Einsenkung geben sollte. Die Brücke war an 624 eisernen Hängestangen in je 1,50 m Entfernung aufgehängt, so dass die obere Fahrbahn mit den beiden oberen, die untere Fahrbahn mit den beiden unteren Kabeln verbunden waren. Durch diese Konstruktion wurden immer alle 4 Seile zugleich in Anspruch genommen.

Je 4 der Hängestangen lagen in einer Ebene und trugen die hölzernen Querträger der oberen und der unteren Fahrbahn, die durch vertikale seitliche hölzerne Stützen mit einander verbunden waren. Diese Konstruktionstheile bildeten also zusammen einen Rahmen zur Aufnahme der ebenfalls hölzernen Längsbalken. Hölzerne Kopfbänder nach innen und eiserne nach aussen, sowie seitliche Diagonal-Verstrebungen aus Holz bewirkten mit dem Längsverband die erforderlichen Versteifungen. Um eine Durchbiegung der Brücke bei dem Eintreten der mobilen Belastung möglichst zu verhindern, waren noch schräglaufende Hängestangen von den Sätteln der Drahtseile auf den Pfeilern nach der oberen Fahrbahn angebracht.

Durch die 4 Schienen der oberen Fahrbahn waren 3 verschiedene Spurweiten geschaffen, da drei verschiedene Eisenbahn-Verwaltungen die Brücke nutzten. Es hatten in jener Zeit nämlich die verschiedenen Eisenbahn-Gesellschaften jede ihre eigene Spurweite und erst bedeutend später wurde die normale Spurweite allgemein in Nordamerika eingeführt.

Das Gewicht der gesammten Eisenkonstruktion ist auf 800 t angegeben.

Ein Eisenbahnzug von zusammen etwa 80 t soll auf der Mitte eine Durchbiegung von 14 cm und dadurch natürlich ein Heben der Brücke an den Enden hervorgebracht haben. Mehr Schwankungen, als ein Eisenbahnzug, brachten eine Anzahl beladener Fuhrwerke auf der unteren Fahrbahn hervor; noch gefährlicher war jedoch eine Heerde Vieh, welche die Brücke im Trabe passirte; infolge dessen durften nur kleine Trupps Vieh dieselbe im Schritt betreten. Die Kosten der Brücke sollen 1 700 000 M. betragen haben.

Die neue Drahtseilbrücke über den East River bei Neuyork im Bau – Von der Größe und Wucht amerikanischen Unternehmungsgeistes und zugleich praktischer Bethätigung kann der Riesenbau der neuen East-Riverbrücke in Neuyork überzeugen, die ein würdiges Gegenstück zu der großen Brücke bildet, die ebenfalls nach Brooklyn hinüberführt. – Quelle abweichend vom Artikel: Die Woche vom 27.09.1902.

Die schöne Brücke rief damals unter den Technikern ein berechtigtes Aufsehen hervor, weil durch sie der Beweis geliefert war, dass eine Hängebrücke von solcher Spannweite auch als Eisenbahn-Ueberführung benutzt werden konnte, wenn nur genügende Versteifungen angebracht waren.

Einige Monate nach der Eröffnung der Niagarabrücke wurde die grosse Hängebrücke über den Ohio bei Wheeling durch einen Sturm zerstört. Die Brücke hatte eine Spannweite von 308 m, eine Breite von etwa 8 m und war nur für Fuhrwerk bestimmt. Die Wellen der Brücke sollen bei dem Sturm eine Höhe von 6 m erreicht haben, so dass bei dem Niederfallen der schweren Masse die Brücke zusammen stürzen musste. Durch dieses Unglück gewarnt, brachte der Ingenieur Röbling noch nachträglich an die untere Fahrbahn der Niagarabrücke seitlich abwärts gehende Ketten an, welche in den beiderseitigen Felsenufern verankert wurden, um auf diese Weise ein Heben der Brücke zu verhüten. Trotzdem gewiss seiner Zeit die Brücke nach allen Regeln der Ingenieurkunst aufgeführt war, mussten doch nach einer Reihe von Jahren ganz bedeutende Umbauten vorgenommen werden, die nachstehend geschildert werden sollen.

In dem Jahre 1877 wurden die Anker der 4 Kabel durch eine Kommission einer genauen Untersuchung unterzogen, wobei sich herausstellte, dass an der Befestigungsstelle der Kabel mit den Ankern einige schadhafte Stellen vorhanden waren. Man verstärkte daher die Verankerung, indem man neue Ankerketten einspleisste, dieselben wieder ummauerte, in den Felsen ebenfalls 5 m tief einliess und mit Ankerplatten versah. –

Einige Jahre nach der Inbetriebnahme der Brücke stellte sich heraus, dass die Reparaturen und die Auswechslung der abgängigen Hölzer gewaltige Summen verschlangen und nachdem schliesslich die Kosten hierfür mehre Jahre hindurch die Summe von 25 000 M. erreicht hatten, entschloss man sich im Jahre 1880, also 25 Jahre nach der Eröffnung der Brücke, die gesammten Holzkonstruktionen durch solche aus Eisen zu ersetzen.

Diese Arbeiten wurden dem amerikanischen Ing. L. L.Buck übertragen, welcher dieselben in der kurzen Zeit von 5 Monaten beendete, ohne den Betrieb auf den beiden Fahrbahnen auch nur einen Tag gestört zu haben. Die Arbeiten selbst wurden in nachstehend geschilderter Art ausgeführt.

Zunächst wurden alle Hölzer, die zu der Tragkonstruktion gehörten, auf ihre Gesundheit und Tragfähigkeit genau untersucht, weil bei der Auswechslung eine stärkere Beanspruchung der einzelnen Holztheile voraussichtlich eintreten musste. Dann wurden alle nur irgend entbehrlichen Hölzer entfernt, um das Gewicht der Brücke möglichst zu erleichtern. So wurde z. B. von der 6 m breiten Fahrbahn für Fuhrwerke und Fussgänger an jeder Seite 1 m breit der doppelte Bohlenbelag entfernt und der 4 m breite Rest der Strasse nur mit einem leichten Geländer abgelattet. Imganzen wurde durch die Entfernung aller entbehrlichen Hölzer das Gewicht der Brücke um etwa 80 t erleichtert.

Nunmehr begann man von der Mitte aus die beiden Hölzer zu entfernen, die zusammen den Querträger der unteren Fahrbahn bildeten und brachte hierfür sofort 2 I-Träger mit den Aufhängestangen in Verbindung und zwar in der Art, dass die Unterkante der eisernen Träger mit der Unterkante der hölzernen Träger in gleicher Höhe zu liegen kam. Nachdem eine genügende Anzahl der unteren Träger in dieser Weise ausgewechselt war, legte man an beiden Seiten der Fahrbahn innerhalb der hölzernen Säulen die fertig montirten Längsträger, schnitt den unteren Theil der inneren Säule ab und schob den Träger ein, so dass sich diese abgeschnittene Säule auf den Längsträger stützte, und vernietete diesen sogleich mit den Querträgern. In dieser Weise schritt man mit der Auswechslung der unteren Träger nach beiden Seiten der Brücke fort und begann dann, ebenfalls von der Mitte anfangend, die beiden Hölzer der Träger der oberen Fahrbahn herauszunehmen, diese ebenfalls durch I-Träger zu ersetzen und mit den Aufhängestangen sofort zu verbinden. Dann wurden die beiden eisernen Gittersäulen innerhalb der hölzernen Säulen eingebracht und mit den oberen und unteren eisernen Querträgern gleich vernietet.

Die Diagonalstangen, die von dem oberen Ende der einen Säule nach dem unteren Ende der dritten Säule gehen, wurden mit einer Kuppelung mit Rechts- und Links-Gewinde zum Justiren versehen und nur paarweise angebracht. Um aber das Gewicht während des Umbaues möglichst gering zu machen, wurde während dieser Zeit nur eine Zugstange angebracht.

Nachdem nun in der geschilderten Art 25 m nach jeder Seite, also imganzen 50 m fertig gestellt waren, begann man, wieder von der Mitte aus anfangend, die alten Holzsäulen und die noch verbleibenden Hölzer fortzunehmen und folgte mit dem Wegnehmen der Hölzer der Auswechslung der Eisenkonstruktion in einem steten Zwischenraum von 25 m.

Der Bohlenbelag der unteren Fahrbahn der alten Brücke war der Länge nach verlegt, während der neue quer verlegt werden sollte. Um nun während der Auswechslung des Belages den Verkehr nicht zu stören, leitete man denselben mittels einer Plattform über die offene Stelle und nahm dann die Auswechslung unter der Plattform vor, die je nach Bedarf vorgeschoben wurde.

Zum Schluss wurden die Schienenunterlagen, wieder von der Mitte aus beginnend und nach beiden Seiten hin arbeitend, ausgewechselt und es gelang, jeden Tag 10 m zu erneuern, so dass alle Arbeiten der gesammten Auswechslung, die am 13. April 1880 begonnen, am 17. September desselben Jahres beendet waren. Da man dafür sorgte, dass zurzeit der Auswechslung kein Eisenbahnzug die Brücke passiren durfte, der zusammen ein grösseres Gewicht als 190 t hatte, so ist anzunehmen, dass die Brücke während des Umbaues nicht stärker belastet worden ist, als vorher, weil ihr eigenes Gewicht ja, wie oben erwähnt, um 80 t vermindert worden war.

Nachdem nunmehr die ganze Brücke aus Eisen hergestellt, war sie selbstverständlich dem Dilationsgesetz unterworfen, es konnte also bei einer Verkürzung der Eisentheile ein Zwischenraum zwischen Pfeilern und Brücke entstehen, was wiederum ein Pendeln der ganzen Brücke in der Längsrichtung hervorgebracht hätte, weil ja die Brücke zwischen den Pfeilern an den Seilen hing. Durch eine verschmitzt ausgedachte Einrichtung (Abbildg. 3) wurde dieses verhindert.

Abbildg. 3
Abbildg. 5
Abbildg. 6

Auf jedem Thurm hatte man an der Wurzel drehbare, ungleichschenklige Winkelhebel aufgestellt. Die kürzeren Winkelarme waren mit Eisenstangen verbunden, die in ganzer Länge über die Brücke geführt waren und die sich mit der Brücke zusammen gleichmässig verkürzten oder verlängerten. An den anderen Hebelarmen waren je ein eiserner Keil aufgehängt, der zwischen Pfeiler und Brücke hing. Verkürzten sich die Stangen, dann wurden auf den beiden Pfeilern die Hebel gedreht, hierdurch wurden die anderen Enden der Hebel und dementsprechend die Keile gehoben. Verlängerten sich die Stangen, dann senkten sich wieder entsprechend die Keile. Dieselben waren so aufgehängt dass sie durch ihr Auf- und Niedergehen in jeder Lage die Zwischenräume zwischen den Pfeilern und der Brücke ausfüllten.

Schon seit Mitte der 70er Jahre hatte man bemerkt, dass die hölzerne Brücken-Konstruktion nicht die einzige wunde Stelle der Brücke sei, da sich an den 4 steinernen Thürmen schon seit längerer Zeit bedenkliche Risse und Zerstörungen der Quadern gezeigt hatten. Anfangs nahm man an, dass ein einfacher Verwitterungsprozess einzelne Steine der Pfeiler zerstörte und man versah deshalb die Thürme mit einem Farbenanstrich, der aber natürlich erfolglos blieb.

Als Ing. Buck 1880 mit dem vorher geschilderten Umbau begann, waren die Thürme in Besorgniss erregendem Zustande; grosse Stücke waren aus dem Mauerwerk abgefallen, eine Anzahl weiterer Quaderstücke hatten sich bereits gelöst und drohten nachzufolgen. Buck stellte fest, dass der schadhafteste Theil der Thürme sich etwa in 1/3 der Höhe zwischen dem Eisenbahngleis und der Spitze jedes Thurmes befand und dass die Risse wie die Zerstörung des Materiales nach oben und nach unten hin abnahmen. Er schloss aus dieser Erscheinung, dass die Thürme einer starken Biegungsbeanspruchung ausgesetzt seien und da die Rollen sich nur schwach bewegten, so nahm er an, dass die Ursache der Biegung hauptsächlich wiederum in der Dehnung und Zusammenziehung der Kabel zu suchen sei. Genaue Beobachtungen ergaben denn auch, dass durch die Dilatation am Sattel eine grösste Bewegung von 26 mm nach jeder Seite hin stattfand, dagegen durch die mobile Belastung eine solche von 16 mm.

Es wurden nun die zerstörten Quader an den Oberflächen der Thürme vorsichtig, durch neue ersetzt und diese, so gut es ging, mit dem inneren Mauerwerk verankert: Bei der Ausführung dieser Arbeiten hatte sich aber schon gezeigt, dass auch das innere Mauerwerk stark mit Rissen durchzogen war, die theilweise so gross waren, dass ein Maasstab von 2 Fuss Länge ganz hineigschoben und gedreht werden konnte. Alle diese Risse wurden natürlich mit Zementmörtel vergossen.

Als dann Hr. Buck 1885 nochmals Gelegenheit hatte, die Thürme zu untersuchen, waren wieder bedenkliche Risse entstanden und die Bewegung der Rollen unter den Satteln hatte ganz aufgehört. Da die innere Beschaffenheit der Thürme als gefahrdrohend angeschen werden musste, so wurde der Vorschlag von Buck, die steinernen Thürme durch eiserne zu ersetzen, angenommen.

Es wurde im Frühjahr 1886 mit der Ausführung dieser Arbeiten begonnen und es wurden dieselben in etwa 3 Monaten vollendet. Jeder neue eiserne Thurm bestand aus 4 schmiedeisernen Säulen, die an den 4 Ecken der steinernen Thürme in der Längsrichtung der Kabel auf ein gemauertes, mit einer Granitsteinplatte abgedecktes Fundament aufgestellt und die durch Streben und durch Anker mit einander verbunden waren. Die 2 vorderen und die 2 hinteren Säulen wurden zusammen mit einer abgehobelten schmiedeisernen Platte abgedeckt, während auf diesen beiden Platten wiederum das Hauptbett ruhte, welches aus Winkeleisen und schmiedeisernen Platten bestand. Auf der oberen genau abgehobelten Platte dieses Bettes lagen in der Richtung und genau unter den Kabeln 2 Stahlplatten. Auf diesen ruhten sodann 18 seitlich mit Zapfen versehene, abgedrehte Stahlrollen von je 10 cm Durchmesser, die mit ihren Zapfen in einem Rahmen lagen und mit einer gleichen Stahlplatte, wie die untere, bedeckt waren. Hierdurch waren die Rollen ganz eingeschlossen und vor Staub geschützt. Auf dieser oberen Stahlplatte war sodann endlich, der alte Sattel des Kabels durch Nieten fest verbunden.

Die Auswechselung geschah nun in folgender Weise. Nachdem die 4-schmiedeisernen Säulen aufgestellt, gehörig verankert und je 2 mit der Deckplatte versehen waren, wurden auf jede der Deckplatten einstweilen 2 gusseiserne Säulen, die bis über das Kabel hinaufreichten, so weit von einander aufgestellt, dass zwischen ihnen Platz zum Durchschieben des Hauptbettes vorhanden war. Auf der Oberfläche von je 2 zusammengehörigen Säulen ruhten Böcke aus Schmiedeisen, auf denen wiederum 2 Längsträger mit einer unter denselben befindlichen Hängevorrichtung, zum Heben der Kabel, sich befanden. An diesen Hängevorrichtungen wurde nun der alte Sattel des Kabels aufgehängt, indem durch die, oben erwähnten 7 Löcher ein Stahlseil gezogen und dann in 350 Windungen über die Hangevorrichtung geschlungen wurde (s. Abbildg. 4).

Abbildg. 2 – Profil der alten Niagara-Hängebrücke
Abbildg. 4

Auf jeder Seite zwischen den vorläufig aufgestellten gusseisernen Säulen wurden 3 hydraulische Winden von je 125 t Tragfähigkeit aufgestellt, und nachdem das das vorerwähnte Hauptbett, sowie die zum Rollenlager gehörigen Theile auf ein seitlich angebrachtes Gerüst der Art aufgebracht waren, dass alle Theile, wenn erforderlich, möglichst rasch eingeschoben werden konnten, wurden, die 6 Winden gleichzeitig angetrieben und damit die Böcke mit den Kabeln und den alten Satteln langsam gehoben Sowie die Böcke sich von den Säulen abhoben wurden so lange eiserne Platten auf die Säulen untergeschoben, bis genügend Raum war, das neue Bett einzuschieben. Nun wurden schleunigst das alte Rollenlager entfernt der obere Theil des Mauerwerks von dem Thurm abgebrochen, die Winden entfernt und das bereit gehaltene neue schmiedeiserne Bett eingeschoben, so dass dasselbe auf den beiden Deckplatten der schmiedeisernen Säulen stand – dann wurde das neue Rollenlager eingebracht. Nunmehr wurden, die Winden wieder untergeschoben und die beiden Kabel mit Ihren Satteln langsam auf das neue Bett hinuntergelassen. Auf allen 4 Thürmen wurde nach einander in der selben Wehe die Auswechselung vorgenommen, die für jeden Thurn etwa 8 Stunden Zeit in Anspruch nahm.

Während dieser Zeit durften selbstverständlich keine Züge über die Brücke Jahren. Das Gesamtgewicht, welches durch die 6 Winden gehoben wurde, war etwa 650 t und es waren hierzu an den Pumpen 2 Mann für jede Winde erforderlich.

Wahrend man dann noch die steinernen Thürme vollends entfertne, wurden die 4 eisernen Säulen durch Streben und Anker mit einander verbunden und je 2 der eisernen Thürme an der Spitze durch ein kräftiges eisernes Gitterwerk gegen einander abgesteift.

Als man die Last von dem alten Rollenlager der steinernen Pfeiler abnahm, erhob sich dasselbe in der Mitte um etwa 6-7 mm. Es zeigte sich nun, dass die alten Rollen an der unteren Seite verrostet und etwa 0,8 mm abgeflacht waren und ferner, dass in den Unterlagsplatten unter den Rollen Vertiefungen bis zu 2,5 mm eingerostet waren, so dass ein Bewegen der Rollen unmöglich geworden war, besonders da die Zwischenräume der Rollen ganz mit Rost und Schmutz ausgefüllt waren.

Bei dem Abbruch der steinernen Thürme, der bis zu dem Fundament der eisernen Säulen erfolgte, stellte sich heraus, dass in dem ganzen Mauerwerk kaum ein Stein mehr ganz geblieben war. Viele Steine im Innern sollen bis zu Pulver zerdrückt gewesen sein. – Bei dem Lesen dieses Berichtes über die Zerstörung taucht unwillkürlich der Gedanke auf, ob hier nicht nach amerikanischer Gewohnheit etwas reichlich aufgetragen sei. Entspricht der Bericht aber genau den Thatsachen, dann muss man sich nur wundern, dass die Pfeiler mit der ganzen Brücke nicht zusammengestürzt sind.

Ueber die Kosten dieser gewaltigen Umbauten ist nichts erwähnt; sicherlich werden sie bedeutende Summen verschlungen haben, so dass man annehmen kann, dass sehr triftige Gründe die Eisenbahn. Verwaltungen veranlassen konnten, schon nach 20 Jahren den Beschluss zu fassen, die alte Brücke ganz zu beseitigen und einen Neubau aufzuführen. Und doch wird in dem hierauf bezüglichen Bericht nur gesagt, dass auf der allen eingleisigen Brücke nicht mehr der gewaltig angewachsene Verkehr bewältigt werden könne, und dass die zurzeit erforderlichen schweren Eisenbahnzüge mit der gegen früher sehr vergrösserten Fahrgeschwindigkeit eine Verbreiterung der alten Brücke nicht als rathsam erscheinen liessen.

Die Verhältnisse drüben sind mit den unserigen ja nie zu vergleichen, einmal, weil dort reichlicher Geld vorhanden ist und dann, weil in den Verwaltungen kein Jurist, sondern nur Kaufleute und Techniker das Wort führen, man also viel rascher erkennt, dass 10 Cents zur richtigen Zeit ausgegeben, sehr bald einen Dollar wieder einbringen. Kurz und gut, man beschloss, unter der alten Hängebrücke ein neues Bauwerk zu bauen, und um den Uebelständen einer Hängebrücke zu entgehen, wählte man eine stabile Bogenbrücke, deren Ausführung wiederum dem bewährten Ingenieur Buck übertragen wurde.

Im ersten Augenblick muss man sich wundern, wenn man hört, dass die neue Brücke genau in derselben Längsaxe unter der alten Brücke aufgeführt werden sollte, und doch hat der praktische Sinn der Amerikaner das Richtigste erfasst, indem auf diese Weise die alte Brücke bei dem Aufbau der neuen Brücke vortheilhaft benutzt werden konnte, da ja die oben geschilderten Stromverhältnisse absolut keinen Rüstbau zuliessen.

Wie aus der beigefügten Abbildg. 5 zu ersehen ist, überspannt die neue Brücke den Fluss mit einem kühnen Bogen von 168 m Spannweite und 35 m Pfeilhöhe. Die Widerlager sind auf den Kalksteinfelsen der beiden Ufer in einer Höhe von 30 m über dem Wasserspiegel erbaut,

Im Ganzen sind 2 Bogenträger vorhanden, die einerseits aus den beiden Bogengurtungen, anderseits aus 4 horizontalen Gurtungen, 2 für die untere und 2 für die obere Fahrbahn, bestehen und die unter einander durch Stützen und Diagonalen verbunden sind. Querträger zwischen den beiden Bogenträgern nehmen die untere Fahrbahn der alten Brücke auf. Zur Verbindung der Bogenträger mit den Ufern dient an jeder Seite ein armirter Träger von je 35 m Spannweite.

Die neue Brücke ist natürlich 2gleisig und hat eine Breite von 9 m. Die Aufstellung der Brücke wurde in nachstehend beschriebener Weise beschafft. Weil eine Rüstung, wie erwähnt, nicht möglich war, so mussten die beiden Bogentheile vom Ufer aus konsolartig ausgebaut und von hier aus verankert werden, Zu dem Zweck wurde im Herbst 1896 auf beiden Ufern 5 m in den Felsen hinein je ein Rost aus I-Trägern eingelassen und dieser mit Beton und Mauerwerk vermauert, während Ankerketten bis an die Oberfläche des Mauerwerks durch dasselbe hindurch geführt wurden.

Nachdem sodann die Widerlager auf beiden Ufern aus Kalksteinquadern aufgeführt waren, wurden noch im Dezember 1896 die Unterlagsplatten für die Bögen verlegt, was nicht leicht war, weil jede Platte 9 qm Fläche hatte und 23 t wog.

Inzwischen hatte man zwischen dem Widerlager und dem oberen Uferrand an jeder Seite des Flusses ein Holzgerüst aufgestellt, welches vorerst zum Transport der Eisentheile der Bogenträger, später jedoch, nach Fertigstellung des Bogens, zum Montiren der vorerwähnten armirten Träger von 35 m Spannweite benutzt werden sollte. Jede Hälfte der Bogengurtungen bestand aus 4 Theilen, die je durch einen Anker in ihrer Lage gehalten wurden und welche wiederum durch Ketten mit den vorerwähnten, in den Uferfelsen verankerten Ketten, verbunden waren. Vor Schluss des Bogens betrug der Zug in jeder Verankerung 500 t oder auf jeder Seite des Flüsses 1000 t. Die Länge dieser letzten Anker war etwa 76 m. Um an Material zu sparen, wurden, so weit es ging, zu den Ankern die Eisentheile der 35 m langen armirten Träger verwendet.

Um die Bogentheile von dem Holzgerüst an ihre Verwendungsstelle zu schaffen, hatte man zwei leicht konstruirte Laufkrähne auf die alte Hängebrücke aufgestellt, die ein Durchfahren der Eisenbahnzüge gestatteten und die nach jeder Seite Ausleger hatten zum Niederlassen der Trägerstücke. Damit aber die alte Brücke nicht unnöthig belastet wurde, waren auf den Ufern die Hebemaschinen aufgestellt, von denen die Hebeseile über Rollen nach den Krähnen führten.

Ebenso wurden die Nietmaschinen durch komprimirte Luft von den Ufern aus betrieben.

Um bei dem Einsetzen des Mittelstückes die beiden überhängenden Bogentheile je nach Bedarf heben oder senken zu können, wendete man eine höchst sinnreich erdachte Vorrichtung an. Dieselbe bestand aus einem viereckigen eisernen Rahmen, der an den 4 Ecken Gelenke hatte und welcher mit seinen horizontal gegenüberstehenden Ecken zwischen dem Anker und der Ankerkette eingefügt war und so ein Glied der Ankerkette bildete (Abbildg. 6). Zwischen dem oberen und den unteren Gelenk war sodann, eine 5 m lange Schraube, 240 mm im Durchmesser haltend, mit Rechts- und Links-Gewinde eingesetzt, welche an ihrem unteren Ende mit einem Ankerspill versehen war. Je nach dem nun durch eine Rechts- oder Linksdrehung sich die Länge dieses Rahmens verkürzte oder verlängerte, je nachdem verkürzte oder verlängerte sich die Verankerung und es wurde hiermit wiederum das Bogenende gehoben oder gesenkt. Auf diese Weise gelang es, das Schlussstück ohne Schwierigkeit einzusetzen.

Um den Bogenarm zu senken waren 12 Mann, um denselben zu heben, waren 24 Mann für jeden Ankerspill erforderlich

Nach Schluss des Bogens wurden die Querverbindungen zur Aufnahme der unteren Fahrbahn eingebracht; dann stellte man zu beiden Seiten der alten Brücke auf den oberen horizontalen Gurtungen der Bogenträger die Vertikalen und die seitlichen Verstrebungen auf, wodurch die alte Brücke gewissermaassen eingekapselt wurde, weil diese etwa 6 m und die neue Brücke 9 m breit war. Zum Schluss brachte man dann die oberen Träger für die Eisenbahngleise ein.

Erst nachdem alle diese Arbeiten, unabhängig von der alten Brücke, fertig gestellt waren, begann man die Konstruktionstheile der alten Brücke und schliesslich auch die 4 Hängeseile zu entfernen, von welchen jedes ein Gewicht von 170 t hatte.

Zum Bau der neuen Brücke sind imganzen 7200 t Stahl verbraucht worden, dazu 2 Millionen Nieten, von denen über 190 000 an Ort und Stelle geschlagen wurden. Die Kosten der gesammten Arbeiten belaufen sich auf rd. 2 Millionen M.

Die Bauzeit muss man inanbetracht der sehr schwierigen Ausführung und des Umstandes, dass während der ganzen Bauzeit der gesammte Verkehr auf der alten Brücke keinen Tag unterbrochen worden ist, eine ausserordentlich kurze nennen. Die erste Gussplatte für das Widerlager wurde am 18. Dez. 1896 gelegt, das erste Niet des Bogens am 25. Januar 1897 geschlagen und Mitte April der Bogen geschlossen. Der Abbruch der alten Brücke begann im Monat Juni und im Anfang August konnte schon die Probebelastung der neuen Brücke vorgenommen werden, die übrigens ein sehr günstiges Ergebniss geliefert haben soll.

Wohl selten hat ein Bauwerk, welches bei seiner Entstehung die Welt so in Erstaunen setzte und welches lange Jahre hindurch als ein Wunder der Ingenieurkunst galt, in so kurzer Zeit solche Wandlungen durchmachen und schliesslich nach einer nur 42jährigen Lebensdauer ganz weichen müssen, um durch ein den Bedürfnissen der Neuzeit mehr entsprechendes Werk ersetzt zu werden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 12. & 19.02.1898 in der Deutsche Bauzeitung.