Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Die Ausstellung in Vincennes und des Verkehrswesens

Die deutsche Schwebebahn auf der Ausstellung im Parke zu Vincennes-Paris

War schon die ausserordentliche räumliche Ausdehnung der Ausstellung und die durch die Art der Gesammtanordnung bedingte Auseinanderreissung grösserer zusammengehöriger Gruppen einer Uebersicht über bestimmte Gebiete nicht gerade günstig, so war die Verlegung eines Theiles der Ausstellung nach dem zwar landschaftlich schönen, aber fast 8 km in gerader Entfernung von der Invalidenesplanade entfernten Bois de Vincennes ein ausgesprochener Missgriff, der zurfolge hatte, dass dieses Anhängsel der Hauptausstellung (l’annexe de Vincennes) einem grossen Theile der Ausstellungs-Besucher ganz unbekannt geblieben, sicherlich aber nur von dem kleinsten Theile derselben, auch der Fachleute, besucht worden ist.

Als Ausstellungs-Gelände hatte man den westlichen Theil des Gehölzes um den Daumesnil-See abgetrennt und auf diesem ausgedehnten Gebiete (vergl. den Lageplan) ein buntes Gemisch verschiedenartiger Gegenstände verstreut, die meist in schuppenartigen Bauten einfachster Art untergebracht waren. Es fand sich hier eine lehrreiche Zusammenstellung von Arbeiter-Wohnhäusern verschiedener Länder, ein deutscher Pavillon für Rettungswesen aus Wasser- und Feuersgefahr, eine kleine Halle mit Kraftmaschinen, eine betriebsfähige Schwellen-Imprägnirungs- Anstalt von J. Rütgers, eine grössere Halle mit im Betriebe stehenden, sehr interessanten amerikanischen Werkzeugmaschinen usw. Ausserdem hatte der Sport in seinen verschiedenen Gestalten, z. Th. unter Benutzung der für diese Zwecke im Parke vorhandenen dauernden Einrichtungen, hier sein Heim aufgeschlagen. In der Hauptsache war diese Ausstellung jedoch einzelnen Zweigen des Verkehrswesens, nämlich den Betriebsmitteln der Eisen- und Strassenbahnen, den Automobilen und Fahrrädern gewidmet; aber auch in dieser Hinsicht bildete sie kein abgeschlossenes Ganze, da sich Gegenstände dieses Gebietes, namentlich der französischen Abtheilung, in der Hauptausstellung an verschiedenen Plätzen, besonders auf dem Marsfelde, in erheblichem Umfange fanden. So wurde durch diese Zerrissenheit der Eindruck verstärkt, dass das Verkehrswesen auf der diesjährigen Weltausstellung trotz aller Fortschritte im Einzelnen nicht entfernt an die Bedeutung der Ausstellung in Chicago heranreichte.

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In Klasse 30, Automobile und Fahrräder, hatten in Vincennes etwa 180 Firmen aus Frankreich, Deutschland, den Vereinigten Staaten, England und Schweden ausgestellt. In der Sammelausstellung deutscher Fahrrad-Fabrikanten waren fast alle bekannteren Werke vertreten, deren Erzeugnisse sich an Güte des Materiales und Sorgfalt der Ausführung den ausländischen getrost an die Seite stellen können. Hierfür spricht namentlich, dass nach den Angaben des amtlichen deutschen Kataloges die Einfuhr von 7 Mill. M. im Jahre 1897 auf 6,6 Mill. M. im Jahre 1898 abgenommen hat, während die Ausfuhr dagegen von 9,9 Mill. auf 12,6 Mill. M. gestiegen ist. Vergleichsweise sei angeführt, dass die Ausfuhr 1899 in Frankreich 9 Mill. M., bei 7 Mill. M. der Einfuhr an Werth besass.

Während der Vorläufer des Fahrrades, die Erfindung des badischen Barons Drais, keinerlei praktischen Werth besass und erst durch die Hinzufügung der Pedale durch den französischen Schlosser Michaux zu einem innerhalb gewisser Grenzen brauchbaren Transportmittel wurde, das allerdings bis zu seiner heutigen vollkommenen Gestalt noch eine vielfache Wandlung durchmachen musste, hat umgekehrt das Automobil, das auf französischen Ursprung zurückzuführen ist, erst durch das Verdienst deutscher Ingenieure, namentlich von Daimler und Benz, praktische Gestalt erhalten. Andererseits hat dann wieder in Frankreich die neue Automobil-Industrie einen ungemeinen Aufschwung genommen, unterstützt durch die raschere Aufnahmefähigkeit des Neuen durch das französische Publikum, erleichtert durch geringere Schwierigkeit bei Erzielung der behördlichen Zulassung, und namentlich in hohem Maasse gefördert dadurch, dass die ersten Gesellschaftskreise sich sofort des neuen Automobilsportes bemächtigten, während in Deutschland bis in die neuste Zeit mehr praktische Ziele verfolgt wurden. Als Betriebskraft stehen, abgesehen vom Dampf, der nur für schwere Fahrzeuge, die mehr als Ersatz für Eisen- und Strassenbahnen dienen, infrage kommt, der Benzin- und der Elektromotor in Wettbewerb, wobei ersterer vorläufig noch den Vorrang behält. Aber schon gewinnt ein gemischtes System an Boden, das namentlich die Steuerung durch die Hinzufügung eines Elektromotors vereinfacht. Die Ausstellung war insbesondere von Frankreich stark beschickt, aber auch Deutschland war vortheilhaft vertreten.

Ein interessantes Mittelding zwischen dem auf Schienen laufenden Strassenbahnwagen und dem frei beweglichen Automobil bildet der elektrische Motorwagen nach dem System der französischen Ingenieure Lombard und Gérin, welcher in Vincennes auf einer 3 km langen Versuchsstrecke im Parke lief. Der Wagen empfängt seinen Strom aus einer seitlich der Strasse aufgestellten Oberleitung, die für Hin- und Rückleitung je einen Draht besitzt. Auf diesem läuft ein kleiner Hilfswagen, der ein längeres, mit dem Motorwagen verbundenes Kabel trägt, das also innerhalb gewisser Grenzen ein seitliches Ausweichen des letzteren gestattet. Durch dieses Kabel erhält zunächst der Motor des Strassenfahrzeuges Strom, der dann seinerseits wieder Strom, und zwar Drehstrom, an den Motor des Hilfswagens abgiebt, sodass dadurch eine Abhängigkeit zwischen den Geschwindigkeiten der beiden Motore, also auch der beiden Wagen hergestellt ist. Die auch an anderer Stelle angestellten Versuche sollen günstig ausgefallen sein.

Eine nur sehr schwache, seiner jetzigen Bedeutung in keiner Weise entsprechende Vertretung hatte das Kleinbahn- und Strassenbahnwesen gefunden. Deutschland, das eine hohe Entwicklungsstufe auf diesem Gebiete erreicht hat, war fast garnicht betheiligt, namentlich hatten sich die grossen Gesellschaften ganz ferngehalten; dasselbe gilt von Amerika. Belgien hatte einige Strassenbahnwagen und Untergestelle derselben nebst Elektromotoren ausgestellt, nur Frankreich, das in der Entwicklung noch ziemlich zurück geblieben ist, hatte eine etwas reichhaltigere, aber ebenfalls keineswegs vollständige Ausstellung geliefert, die ausserdem keine Ueberraschungen und Neuheiten enthielt. Es wird nicht ohne Interesse sein, hier einige statistische Angaben über das französische Strassenbahnwesen zu machen, die aus dem Kataloge entnommen sind. Danach standen 1890 in ganz Frankreich nur 979 km in Betrieb, 1895 wurden 2000 km überschritten, am 1. Januar 1899 waren 3282 km vorhanden. Hiervon wurde die überwiegende Mehrheit, nämlich 2004 km, ausschliesslich mit Dampf, 506 km nur mit Pferden, 131 km mit komprimirter Luft und nur rd. 350 km mit Elektrizität, und zwar fast ausschliesslich mit Oberleitung betrieben. Deutschland besass am 1. Januar 1899 bereits 1429,55 km im Betriebe stehender elektrischer Strassenbahnen, während 1089 weitere km im Bau standen. Die zum Betriebe dienenden Maschinen stellten eine Gesammtleistung von 33 305 Kilowatt dar, wozu noch eine Leistung von 5118 Kilowatt der benutzten Akkumulatoren kommt.

Von den deutschen Ausstellungs-Gegenständen ist namentlich eine sehr reichhaltige interessante Sammlung allerdings nur im Modell vorgeführter Betriebsmittel usw. von Transport- und Förderbahnen verschiedenster Art der auf diesem Gebiete eine führende Stellung einnehmenden Firma Arthur Koppel hervorzuheben. Besondere Aufmerksamkeit erregte ferner in Vincennes eine 60 m lange Probestrecke der Langen’schen Schwebebahn, welche von der Continentalen Ges. f. elektr. Unternehmungen, Nürnberg, ausgestellt war und Seite 629 wiedergegeben ist. Im Gegensatze zu der von uns im Oktober schon besprochenen Schwebebahnstrecke Barmen-Elberfeld-Vohwinkel, ruhte hier der tragende Oberbau auf einer Mittelstütze, eine Anordnung, wie sie für breite Strassen in Aussicht genommen ist. Im übrigen entsprach die gesammte Konstruktion vollständig der von uns früher gegebenen Beschreibung, und es haben auch bei der Herstellung dieselben Firmen mitgewirkt.

Die deutsche Schwebebahn auf der Ausstellung im Parke zu Vincennes-Paris
Die deutsche Schwebebahn auf der Ausstellung im Parke zu Vincennes-Paris

Werthvoll, aber ebenfalls sehr unvollständig war die Ausstellung von Eisenbahn-Betriebsmitteln. Eine empfindliche Lücke war schon dadurch vorhanden, dass die Eisenbahn-Verwaltungen Deutschlands, an der Spitze die preussische, die mit einem rd. 30 000 km umfassenden Netze (einschl. der gemeinsam betriebenen hessischen Staatsbahnlinien) das grösste unter einheitlicher Verwaltung stehende Netz der ganzen Welt besitzt, sich von der Ausstellung, auch in der Abtheilung der Ingenieurwerke, gänzlich fern gehalten hatten, sodass das deutsche Eisenbahnwesen, wenn auch in vortrefflicher Weise, so doch ausschliesslich durch die Sammel-Ausstellung der deutschen Lokomotiv-Fabriken und der Norddeutschen Wagenbau-Vereinigung und einige Einzelaussteller vertreten war. Unter den Lokomotiv-Fabriken waren die bedeutendsten Firmen Deutschlands (imganzen beschäftigen sich etwa 20 mit Lokomotivbau) zu bemerken, so L. Schwartzkopff und Borsig-Berlin, Egestorff-Hannover, Henschel & Sohn-Kassel, Krauss & Co. sowie J. A. Maffei-München, R. Hartmann-Chemnitz und Vulkan-Stettin. Die ausgestellten Lokomotiven zeigen dieselben Eigenschaften, welche den jetzigen Lokomotivbau überhaupt kennzeichnen, nämlich die erhebliche Zunahme des Gewichtes, das Anwachsen der Länge, welche besondere Vorrichtungen erfordert, um die nöthige Anpassung an das Gleis zu ermöglichen, sowie die Zunahme der Dampfspannung. Ein grosser Theil der deutschen Lokomotiven zeigte das Verbundsystem, nur eine Borsig’sche Lokomotive war mit einfachem Zylinder und Dampfüberhitzer ausgerüstet, eine Anordnung, der erheblich höhere Leistungen bei geringerem Kohlen- und Wasserverbrauch nachgerühmt wird.

England hatte sich nur schwach betheiligt (in der Ausstellung von Ingenieurwerken nur durch Photographien landschaftlich schöner Gegenden seiner Eisenbahnlinien), Amerika ebenfalls nicht seiner Bedeutung entsprechend, wenn auch durch eine grosse Zahl von Ausstellern. Interessant waren die aus Stahlblech getriebenen Güterwagen von ausserordentlicher Tragfähigkeit bei geringem Gewicht. Bedeutend war die russische Ausstellung, die erkennen liess, wie dieses Land auf das Aeusserste bemüht ist, eigene Industrien zu schaffen und sich ganz vom Auslande unabhängig zu machen. Frankreich glänzte in erster Linie durch die mächtige Lokomotive von Schneider-Creusot, die Züge bis 200 t Gewicht mit 120 km Geschwindigkeit in der Stunde befördern soll. Sie ist nicht nach dem Compound-System gebaut und entwickelt 2300 i. Pf.-St. Das Gewicht der belasteten Maschine beträgt 83,6 t, die Länge 14 m. Nickelstahl hat bei den Blechen des Kessels und an den Theilen des Triebwerkes eine ausgedehnte Verwendung gefunden. Oesterreich-Ungarn, Italien und die Schweiz waren ebenfalls z. Th. nicht unbedeutend vertreten, letztere namentlich durch ein Probestück einer Abt’schen Zahnradbahn nebst Betriebsmitteln.

Sehr spärlich waren die Erscheinungen auf dem Gebiete des elektrischen Betriebes, namentlich für Vollbahnen. Hervorzuheben sind nur die von der französischen Thomson-Houston-Gesellschaft für die Orleans-Bahn gelieferten elektrischen Lokomotiven für den Betrieb in Paris, die elektrischen Lokomotiven mit Akkumulatoren der Südbahn, eine elektr. Lokomotive von Schneider-Creusot und aus der deutschen Abtheilung eine der Allgem. Elektr.-Gesellsehaft mit 200 t Zugkraft bei 50 km Geschwindigkeit.

Der Vollständigkeit halber würden wir nun noch auf die Schiffahrt, als ein wichtiges Gebiet des Verkehrswesens einzugehen haben, wir müssen uns das aber wegen Raummangel versagen, namentlich hinsichtlich der unserem Arbeitsgebiete doch fern liegenden Seeschiffahrt. Hervorgehoben sei nur, dass die deutsche Ausstellung auf dem Gebiete der Seeschiffahrt einen unbestrittenen Erfolg bedeutet, der übrigens durchaus der thatsächlichen Stellung entspricht, die sich Deutschland dank dem Geschicke und der Thatkraft seiner Rheder und dank der Tüchtigkeit und des Wissens seiner Schiffsbau-Ingenieure im Wettbewerb der seefahrenden Nationen errungen hat.

– Fr. E. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 29.12.1900 in der deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie “Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900” besteht aus 5 Teilen:

I. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – I. Die Brücke Alexander’s III.

II. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Die Versorgung der Ausstellung mit Betriebs-Kraft und Licht

III. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – III. Die Anlagen für den Verkehr innerhalb des Ausstellungs-Gebietes

IV. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Ausstellung von Ingenieurwerken

V. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Die Ausstellung in Vincennes und des Verkehrswesens