St. Louis, mit gegenwärtig etwa 600 000 Einwohnern, ist einer der bedeutendsten Handels- und Fabrikorte im Inneren der Vereinigten Staaten. Die Stadt liegt auf dem rechten (westlichen) Ufer des Mississippi, während sich gegenüber unter dem Einfluss der hier am Strome endigenden Eisenbahnlinien eine rasch emporblühende Ansiedelung unter dem Namen Ost-St. Louis bildete.
In St. Louis münden die Linien von 22 Eisenbahn-Gesellschaften (Abbildg. 1), davon 9 westlich und 13 östlich des Mississippi. Alle diese Endbahnhöfe, von denen die 13 östlichen neben einander senkrecht zum Flusse gelegen sind, waren ursprünglich nach amerikanischer Art nur auf das nothdürftigste mit Gleisen ausgestattet, fast ohne jede Anlage von Hochbauten und Verbindungsgleisen. Der Waarenverkehr zwischen den westlichen und östlichen Linien und zwischen den östlichen und der Stadt wurde lediglich durch Dampffähren vermittelt; mit dem schnellen Wachsthum dieses Verkehres stellte sich jedoch sehr bald das Bedürfniss zu einer festen Brücke über den Fluss heraus.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Da die Ueberbrückung des 500 m breiten Stromes die Kräfte einer Eisenbahn-Gesellschaft überstieg, so begründete zu diesem Zwecke ein Theil der interessirten Bahnen eine gemeinsame Gesellschaft, die Illinois and St. Louis bridge company, welche in den Jahren 1869-74 die bekannte „Grosse St. Louis-Brücke“ erbaute. Nach Vollendung des Brückenbaues ergab sich zugleich auch im Interesse der westlichen Bahnen die Nothwendigkeit einer Sammelstelle für den Gütertransport über die Brücke; und im Interesse des Reiseverkehrs erschien die Herstellung einer gemeinsamen Personenstation erwünscht. So traten dieselben Gesellschaften im Jahre 1874 zu einer Zentralbahnhofs-Gesellschaft (Union Depot Co.) zusammen, welche aufgrund eines vom Staate Missouri erlassenen Gesetzes die Rechte einer juristischen Person und das Enteignungsrecht erhielt. Die Gesellschaft wurde auf 99 Jahre gegründet, wobei die an der Gründung betheiligten 5 Eisenbahn-Gesellschaften die Zinsgarantie übernahmen, während die Verzinsungs- und Betriebskosten nach Maassgabe der Benutzung der Bahnhofs-Anlagen auf sämmtliche (22) angeschlossenen Eisenbahn-Gesellschaften vertheilt werden sollten.
Die Gleisanlagen der Zentralbahnhofs-Gesellschaften befinden sich in dem „Mill Creak“ Thale, welches die Stadt St. Louis etwa in ihrer Mitte von W. nach O. durchzieht, und stehen mit der Grossen St. Louis-Brücke durch einen unter der dritten Strasse und der Washington-Avenue sich hinziehenden, 1,5 km langen, zweigleisigen Tunnel in Verbindung. Die Gesellschaft legte hier ausser mehren Güterbahnhöfen und Kohlenladeplätzen einen Personenbahnhof in Durchgangsform mit 11 Gleisen an 6 Bahnsteigen an, welcher die Personenzüge sämmtlicher angeschlossenen Bahnen in sich aufnahm.(*) Eine Beschreibung und Abbildung dieses Bahnhofes findet sich in einem Aufsatze von Blanck im Organ f. d. Fortschritte des Eisenbahnwesens 1879 S. 10, dem wir auch die vorstehenden Angaben über die Entstehung der Zentralbahnhofs-Gesellschaft zumtheil entnommen haben.) Ausserdem erbaute sie oberhalb der Grossen St. Louis-Brücke eine weitere, nur dem Eisenbahnverkehr dienende Brücke und schuf ein Netz von Verbindungsgleisen (vergl. Abbildg. 2).
Der Personenbahnhof genügte jedoch bald nicht mehr dem wachsenden Verkehr, und man entschloss sich daher zur Anlage eines neuen Zentral – Bahnhofes. In der Erwägung, dass sämmtliche Personenzüge in St. Louis endigen oder beginnen verliess man die Durchgangsform und bildete den neuen Bahnhof als Kopfstation aus. Der Bau desselben erfolgte in den Jahren 1892-94 durch die „Terminal Railroad Association“, die aus der Union Depot Co. hervorging und die gesammten Anlagen derselben übernahm. Für die Errichtung der Kopfstation wurde ein grösserer Häuserblock nördlich der Durchgangsgleise angekauft und niedergelegt; die Anordnung des Bahnhofes auf diesem Gelände ist so erfolgt, dass die Hallengleise senkrecht zu den Durchgangsgleisen gerichtet sind. Von Osten und Westen mündet je ein Hauptgleispaar in scharfer Kurve von 135 m Halbmesser in die Kopfstation ein, um sich dort in zusammen 30 Bahnstiggleise zu verzweigen. Die Bahnsteige sind zusammen mit dem Kopfsteig durch eine geräumige Halle überdacht, vor welcher sich das als Kopfbau ausgebildete Empfangs-Gebäude erstreckt.
Das Empfangsgebäude wendet seine Haupt(Nord-)Front (Abbild. 3) der Marktstrasse zu und erstreckt sich von der 18. bis zur 20. Strasse in einer Breite von 183 m. Die Pläne für dasselbe wurden erhalten aufgrund eines unter 10 amerikanischen Architekten ausgeschriebenen Wettbewerbes, bei welchem Hr. Th. C. Link als Sieger hervorging. Der preisgekrönte Entwurf wurde mit geringen Abänderungen ausgeführt. – Das Gelände fällt von der 18. bis zur 20. Strasse um 4,6 m. Die Bahnsteige sind in die Höhe der 20. Strasse gelegt worden, so dass sich der Vorraum des Haupt-Eingangs an der Marktstrasse 3 m über der Bahnsteighöhe befindet.
Die dem öffentlichen Verkehr dienenden Räume vertheilen sich in zwei Geschosse; das untere Stockwerk von 5,5 m Geschosshöhe (Abbildg.4), das in Schienenhöhe liegt, dient dem gewöhnlichen Verkehr der abfahrenden Reisenden, während das obere Stockwerk besonders für die Reisenden bestimmt ist. welche längeren Aufenthalt haben und denselben zur Einnahme von Mahlzeiten und dergl. benutzen (Eine ähnliche Anordnung findet sich auf dem neuen Hauptbahnhof in Dresden.).
Von dem an die Wagenvorfahrt an der Marktstrasse sich anschliessenden kleinen Vorraum steigt man auf der „grossen Treppe“ zu der Schalterhalle, dem „general waiting room“, hinab. Diese Halle, der Hauptraum des Untergeschosses, hat eine Grösse von 23:37 m und enthält die Fahrkarten- und Schlafwagenschalter, einen Postschalter, eine Auskunftsstelle, Wechselstube, sowie Verkaufsläden für Zeitungen, Obst, Zigarren usw. Eine Gepäckannahme ist hier nicht vorhanden, da das Gepäck in Amerika bekanntlich meistens einer der Expressgesellschaften zur Beförderung übergeben wird; die Gepäckabfertigung befindet sich vielmehr seitlich unter der Bahnsteighalle an der 20. Strasse. Besondere Zugänge für Personen führen – in etwas versteckter Lage – seitlich von der Marktstrasse aus in die Schalterhalle.
Von der Schalterhalle gelangt man durch Korridore zu den Abortanlagen und einmal zu der Imbisshalle (lunch room), die in bekannter Weise mit dem rahmenförmigen Speisetisch ausgestattet ist, und andererseits zum Wartesaal „zweiter Klasse“, d. h. für Auswanderer- und Arbeiterzüge. Von allen diesen Räumen führen zahlreiche Thüren auf den Kopfsteig. Beiderseits der Schalterhalle liegen halbrunde Thurmvorbauten, welche Treppen und Fahrstühle als Zugänge zu den oberen Stockwerken enthalten. Der übrige Theil des Sockelgeschosses wird durch eine Unterfahrt für abholende Wagen eingenommen, welche in Ermangelung eines genügend grossen, Vorplatzes angelegt wurde und ferner durch ein mit dem Bahnhof verbundenes Hotel.
Das Obergeschoss (Abbildg. 5) enthält über der Schalterhalle die „grosse Halle“, welche den eigentlichen Mittelpunkt des Empfangsgebäudes darstellt, und deren mächtige Wirkung die Abbildg. 6 erkennen lässt. Die Grundfläche ist ebenfalls 23 x 37 m; die Höhe vom Fussboden bis zum Scheitel des Wölbbogens beträgt 20 m. Den Zugang zu dieser Halle von dem erwähnten in Strassenhöhe, d. h. 2,5 m tiefer liegenden Vorraum aus bildet der Oberlauf der „grossen Treppe“. Diese Treppe stellt zugleich die einzige Verbindung der oberen Halle mit der Schalterhalle und den Bahnsteigen dar. Eine zweite, im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Treppe, welche auf der gegenüberliegenden Seite der grossen Halle von dieser unmittelbar auf den Kopfsteig hinabführen sollte, ist nicht zur Ausführung gelangt. Zwei weitere Zugänge von der Marktstrasse zu dem oberen Stockwerk werden durch seitliche Rampen gebildet.
An die grosse Halle, welche lediglich zum Umherwandeln benutzt wird, schliesst sich seitlich eine grössere Zahl von Warteräumen an; links ein für Herren und Damen bestimmter, in amerikanischer Weise mit Reihensitzen ausgestatteter Raum, dahinter ein Damenzimmer, von dem ein Theil nochmals abgegrenzt ist, um angegriffenen Reisenden Gelegenheit zu geben, sich zurückzuziehen. Auf der anderen Seite befindet sich ein Saal für Herren, der einzige Raum dieses Stockwerks, in welchem das Rauchen gestattet ist, daneben ein Café, und dahinter, mit der grossen Halle durch den „gothischen Korridor“ verbunden, der geräumige Speisesaal, der wie bei uns eingerichtet ist und mit seinen Nebenräumen von dem Hotel aus bewirthschaftet wird. Ein Speisezimmer für geschlossene Gesellschaften schliesst sich an. Der Speisesaal ist mit dem unteren Imbissraum durch eine besondere Treppe verbunden.
Im Gegensatz zu dem einfacher gehaltenen Sockelgeschoss ist die Ausstattung der Räume des Obergeschosses eine überaus reiche zu nennen. Die Wände der grossen Halle sind bis zur Brüstungshöhe mit dunkelgrünem Fayence, darüber mit grün und gelbem künstlichen Marmor bekleidet; die Decke ist in denselben Farben gemalt und reich ornamentirt. Hauptgesims und Kapitelle sind vergoldet, die Nischen und Gallerien in dunkelblauem Tone gehalten. In der Mitte des Raumes befindet sich ein Kronleuchter von 6 m Durchmesser mit 350 Glühlampen. Die Wände der Wartesäle sind ebenfalls bis zur Brüstungshöhe mit Fliesen verkleidet mit Ausnahme des Speisesaales und der Damenzimmer, welche 3 m hohe Eichenholztäfelung erhalten haben. Die Fussböden sind theils aus Fliesen, theils aus Mosaik gebildet. Das Material des inneren Ausbaues stammt zumeist aus Europa.
Die beiden Obergeschosse des Gebäudes dienen Büreau- und Hotelzwecken. Die durch die grosse Halle getrennten Gebäudetheile sind in jedem Stockwerk durch einen Bogengang verbunden, der sich nach der Halle hin öffnet. Der Zugang zu den Büreauräumen erfolgt durch die Treppenthürme beiderseits des Mittelbaues.
Der Baustil der Aussenfront ist jene, in romanisirenden Formen gehaltene, wuchtige Werkstein-Architektur, die der neueren selbständigen Bauweise der Vereinigten Staaten ihr eigenartiges Gepräge verleiht. Die Front an der Marktstrasse wird von einem mächtigen Uhrthurm von 70 m Höhe (Abbildg. 7) überragt, der sich allerdings etwas unmotivirt aus dem – im Verhältniss zu seiner Ausdehnung etwas niedrigen Gebäude heraushebt. Doch muss dazu bemerkt werden, dass ein derartig fern abliegender Standpunkt wie er dem Schaubild (Abbildg 3) zugrunde liegt, für die Betrachtung des Gebäudes in der engen Marktstrasse – in Wirklichkeit nicht zu Gebote steht, und dass sich bei einer Nahansicht das Verhältniss der Massen wesentlich ändert. (Man vergl. Abbildg. 8.)
Die Trennung der Abfertigungs- und Warteräume in 2 Stockwerke kommt in der äusseren Erscheinung nicht zum Ausdruck, da das niedrige Untergeschoss fast völlig im Erdboden verschwindet. Die äussere Erscheinung führt vielmehr dazu, die grosse Halle als die Haupteingangshalle für den abfahrenden Reisenden zu betrachten, was sie ja in Wirklichkeit nicht ist. Das erscheint bei der sonstigen Klarheit der Anlage doch als ein gewisser Mangel derselben.
Das Material der Hauptfronten ist Kalkstein aus Bedford (Indiana), während Süd- und Westfront mit grauen Ziegeln verblendet sind. Unterhalb des Hallendaches sind lederfarbige Ziegel gewählt. Die Dachziegel des Gebäudes haben dieselbe Färbung erhalten wie die Fronten, um durch die Einheitlichkeit der Farbe eine monumentale Wirkung zu erzielen.
Die Erwärmung des Gebäudes erfolgt durch Niederdruck-Dampfheizung. Zur Luftzuführung dient ein Luftschacht innerhalb des Uhrthurmes. Die Ventilatoren werden elektrisch angetrieben. Die Beleuchtung der Räume geschieht durch 150 Bogenlampen und 3500 Glühlampen.
Die nach den Entwürfen des Ing. Pegram erbaute Bahnsteighalle ist die zurzeit grösste der Welt. Folgende Zusammenstellung zeigt die Raumabmessungen der grössten bis jetzt errichteten Bahnsteighallen:
Bezeichnung der Station | Länge | Breite | Grundfläche | Zahl der Gleise in der Halle | |
1 | St. Louis, Hauptbahnh. | 214 | 183 | 39 450 | 30 |
2 | Boston, Südbahnhof | 214 | 171 | 36 000 | 28 |
3 | Paris, St. Lazare | 190 | 160 | 33 400 | 32 |
4 | Frankfurt am Main | 186 | 169 | 31 250 | 18 |
5 | Dresden, Altstadt (Mit Anschluss der Halle über den Gütergleisen) | 241 174 | 63 59 | } 25 300 | 12 |
6 | Boston, Nordbahnhof | 163 | 140 | 22 920 | 23 |
7 | Köln, Hauptbahnhof | 225 | 92 | 22 220 | 8 |
8 | München, Zentral-Bahnhof | 140 | 151 | 21 070 | 16 |
9 | Philadelphia, Phil. u. Reading E. | 244 | 79 | 19 340 | 14 |
10 | New-York, Grand Cantral Station | 189 | 101 | 19 130 | 21 |
11 | Berlin, Schles. Bhf. | 207 | 92 | 18 940 | 11 |
12 | London, St. Pancras | 210 | 75 | 15 730 | 10 |
In der Höhe wurde die Halle möglichst niedrig bemessen, um einen Schlagschatten auf das nördlich davorstehende Kopfgebäude zu vermeiden. So tritt sie von aussen nicht in die Gesammt-Erscheinung des Baues.
Die Länge des eigentlichen Hallendaches, ohne den besonders überdachten Kopfsteig, beträgt 192 m, die Breite 183 m. Den Querschnitt zeigt Abbildg. 9; er hat die Form eines Bogens mit 4 Reihen mittlerer Säulenstellungen. Durch diese Säulenreihen wird die Halle in 5 Längsschiffe zerlegt. Der Binderabstand ist 9,15 m; in den beiden Längswänden ist jeder Binder durch eine Säule gestützt, während in den Mittelreihen nur unter jedem zweiten Binder sich eine Säule befindet und die Unterstützung der anderen Binder durch Längspfetten aus Fachwerk gebildet wird, die über den Säulenreihen auf die Länge der Halle durchgehen und deren Gurte in denselben Höhen liegen, wie die Gurte der Bogenträger.
Der untere, freihängende Theil der Hallenschürze (Abbildg. 10) ist mittels Kopfbänder gegen den zweiten Binder abgestützt.
Die Binder sind paarweise gekuppelt. Zwischen je 2 Binderpaaren befindet sich ein -förmiger Oberlichtaufbau über den mittleren 3 Schiffen. Die senkrechten Flächen sind matt verglast, während die wagrechten Flächen ebenso wie die übrige Dachhaut aus Bretterschalung mit Weissblech-Eindeckung gebildet sind. Hierbei sind die Nähte in den Oberlichtaufbauten flach, im übrigen hervorstehend hergestellt. Ausser diesen quergestellten Oberlichtern befindet sich in der Längsrichtung über dem Hallenscheitel ein durchlaufendes Oberlicht von 11 m Breite. Hier sind die Lichtflächen geneigt und die Seitenflächen zur Entlüftung offen gelassen.
Der Kopfsteig ist mit einem besonderen flachen, 21 m breiten Dach eingedeckt, welches sägeförmige Oberlichter erhalten hat (Abbildg. 11). Der Kopfsteig selbst ist durch ein hohes schmiedeisernes Gitter in zwei Streifen von 15 und 6 m Breite zerlegt. Von dem breiteren, nächst dem Gebäude gelegenen Theile, „midway“ genannt, führen beiderseits Ausgänge unmittelbar auf die 18. und 20. Strasse, während der Ausgang nach der Marktstrasse auf dem Wege durch die erwähnte Wagenunterfahrt geschieht. In der Mitte der Midway befindet sich das Stationsbüreau mit Fahrplan- und Verspätungstafeln.
Die in dem Gitter befindlichen 16 Thore bilden die Ein- und Ausgänge zu den Bahnsteigen und werden durch eigenartige Abfahrtsschilder kenntlich gemacht: die Abfahrtszeit wird nicht durch Anschreiben der Stunde und Minute, sondern durch ein gemaltes Zifferblatt mit verstellbaren Zeigern angegeben.
Die Bahnsteige erscheinen nach unseren Begriffen ziemlich schmal: der Abstand der Gleismitten beträgt nur 6,8 m. Zwei zusammen liegende Gleise sind 3,7 m von einander entfernt. Gepäcksteige sind nicht angelegt, da sich der Gepäck- und Postverkehr auf die Aussenenden der Bahnsteige beschränkt und mittels Gleisüberschreitung. parallel der Hallenschürze sich abspielt.
Die Längsseite der Halle an der 20. Strasse wird theils durch das Postgebäude, theils durch das Gepäckgebäude in Anspruch genommen. Der bahnseitige Gepäckverkehr ist verhältnissmässig nicht sehr umfangreich. Das Gepäckgebäude ist zweigeschossig und enthält im Erdgeschoss die Gepäckannahme und Ausgabe, einen Raum für Zugausrüstungs-Gegenstände und Beamten-Aborte, im oberen Stockwerke die erforderlichen Büreauräume (des general baggage agent) einen Raum für lange lagerndes Gepäck, Räume für das Fahrpersonal, in denen auch alle Bekanntmachungen über den Betriebsdienst ausgehängt werden, und für Dienstsendungen. Das Bahnpostamt erledigt den Durchgangsverkehr sowie einen kleinen Theil des Ortsverkehrs (der im übrigen durch das Hauptpostamt wahrgenommen wird), nämlich die Vertheilung der angekommenen Briefschaften.
Die Anordnung des Gleisplanes (Abbildg. 12) beruht auf dem – auch für Amerika – völlig neuen Gedanken, die ankommenden Züge rückwärts in die Bahnhofshalle einfahren zu lassen, d. h. sie in dieselbe hineinzudrücken. Hierdurch sollen folgende Vortheile erreicht werden:
- Die Verqualmung der Halle wird vermindert.
- Die Abfertigung des Gepäck-, Express- und Postgutes erfolgt für ein- und ausfahrende Züge stets auf dem äusseren Ende der Bahnsteige, ohne die Reisenden zu belästigen. Auch wird das Aussetzen der betreffenden Wagen erleichtert.
- Der Weg vom Schwerpunkt des Zuges zum Kopfsteig wird kürzer.
Dieser letzte Gesichtspunkt erscheint sehr wesentlich, wenn man bedenkt, dass bei unseren Kopfbahnhöfen häufig, zumal wenn ein Theil des Gleises mit Kies überdeckt ist, nur Lokomotiven, Post- und Packwagen unter die Halle gelangen, während die Personenwagen ausserhalb derselben zum Stehen kommen.
Den 4 Hauptgleisen entsprechend zerfallen die Bahnsteig-Gleise in die 4 Gruppen 3-10, 11-15, 16-20, 21-30, von denen die beiden äusseren dem Abfahrtsverkehr, die beiden inneren dem Ankunftsverkehr dienen. Gleis 1 und 2 sind Gepäck-Gleise.
Einfahrende Züge von Westen durchlaufen die Gleise 72 und 73, kommen in letzterem zum Halten und drücken dann rückwärts in Gleis 53; Züge von Osten berühren Gleis 72 und 71 und laufen rückwärts auf Gleis 52 ein. Wie ersichtlich, wird auf dem westlichen Aussengleispaar rechts, auf dem östlichen links gefahren. Der Rechtsbetrieb auf dieser Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und Ost-St. Louis wäre nur durch Zulassung einer gefährlichen Gleiskreuzung ermöglicht worden. Bei der getroffenen Anordnung ergiebt sich nur eine Gleiskreuzung der einfahrenden Züge, die jedoch in gleicher Richtung und nach dem Halten des einen Zuges erfolgt, demnach weniger gefährlich ist.
Ein- und Ausfahrt in die 4 Gleisgruppen erfolgt unabhängig von einander; durch die Lage der Abfahrtsgleise auf den Aussenseiten wird die Verbindung dieser Gleise mit den Abstell-Bahnhöfen ohne Berührung der Einlaufgleise ermöglicht. Dasselbe gilt für den Verkehr mit den Schuppengleisen der 4 Express-Gesellschaften und der Luxuswagen-Gesellschaften.
Eine strenge Sonderung der Haupt- und Leerzuggleise und die Vermeidung von spitzbefahrenen Weichen hat bei der Anlage nicht in dem Sinne stattgefunden, wie es bei uns gefordert wird.
Die Zusammenfassung der Hauptweichen an den 3 Endpunkten des Dreiecks ermöglicht die Bedienung derselben von einem Stellwerksgebäude aus, das sich innerhalb des Dreiecks befindet. Da, wo die Bahnsteiggleise sich zu den 4 Hauptgleisen vereinigen, befindet sich quer zu denselben die Signalbrücke, welche die Haupt-Aus- und Einfahrtssignale trägt. Ausserdem hat jedes Gleis ein Ausfahrtsignal am Hallenende.
Das Stellwerksgebäude enthält ein elektrisch-pneumatisches Stellwerk, System Westinghouse, mit 66 Weichen- und 65 Signalhebeln, hergestellt von der Union Weichen- und Signal-Bauanstalt in Swissvale bei Pittsburg. Die allgemeine Einrichtung eines derartigen Stellwerks ist bekannt; die Umstellung der Weichen und Signale geschieht durch Luftdruck, und die Auslösung der Luftdruck-Vorrichtung erfolgt vom Stellwerk aus auf elektrischem Wege. Der Verschluss der Fahrstrassen im Stellwerk geschieht einmal mechanisch und ferner elektrisch, so dass eine doppelte Sicherung vorhanden ist, Alle wichtigen Weichen besitzen isolirte Schienen, welche die Fahrstrassen vor feindlichen Zugbewegungen schützen (indem sie im Gefahrfalle das Ziehen des betreffenden Signals hindern oder ein schon gezogenes auf Halt fallen lassen). Da die Bewegung der Stellwerkskurbeln ohne Kraftaufwand erfolgt, so genügen zur Bedienung wenige Beamte. An der Wand des Stellwerksraumes befindet sich ein Modell des Bahnhofes mit beweglichen Weichen, deren Stellung ein genaues Abbild von der jeweiligen Stellung der Weichen des Bahnhofs giebt. Ein derartiges Stellwerk mit Bahnhofsmodell wird veranschaulicht durch Abbildg. 13.
Das Stellwerk ist zugleich Befehlsstelle. Alle Zug- und Verschub-Bewegungen werden von hier aus durch den „train director“ geleitet. Jedem Hallengleise entsprechen im Stellwerks-Gebäude ein kleines Armsignal und ein Scheibensignal; die Stellung des Armsignales zeigt an, welche Gleise frei sind; die Scheiben werden von dem diensthabenden Bahnsteig-Beamten mittels Druckknopfes bethätigt und zeigen im Stellwerk an, wenn ein Zug abfahrtsbereit ist. Die Aussengleise des Bahnhofs stehen durch ein Blocksystem mit dem Stellwerk in Verbindung.
Von dem Verkehr, der auf dem so sehr beschränkten Raume der Bahnhofsgleise bewältigt wird, erhält man einen Begriff durch die Angabe, dass hier etwa 250 Züge an jedem Tag ein- und auslaufen, davon die Mehrzahl in‘ der Zeit von 7-9 Uhr Morgens und Abends; dazu kommt die grosse Zahl von Verschub-Bewegungen für das Ein- und Aussetzen von Gepäck-, Express-, Post- und Luxuswagen.
Der Betrieb auf den der Centralbahnhofs-Gesellschaft gehörigen Gleisen geschieht so, dass der ankommende Zug auf einer Uebergabestation von Maschine und Personal der Gesellschaft übernommen wird; ebenso werden die ausfahrenden Züge von der Gesellschaft bis zur Uebergabestation befördert. Auf diesen Uebergabe-Stationen findet auch der Wechsel zwischen Links- und Rechtsfahren statt. Nur durch Verwendung eines genau mit der Oertlichkeit vertrauten Personals wird die glatte Abwicklung des schwierigen Fahrdienstes auf dem Personenbahnhofe ermöglicht.
Dem ersten Stellwerksbeamten (train director) ist gleichgeordnet der Stationsvorsteher (stations master), der den Zug-Abfertigungsdienst in der Halle leitet. Das Empfangsgebäude mit seiner Einrichtung untersteht einem besonderen Beamten, dem stations director, dem zur Fürsorge für den weiblichen Theil der Reisenden die „Matrone“ beigegeben ist (zugleich Vertreterin des Vereins zur Fürsorge für die weibliche Jugend).
Der gesammte Licht- und Kraftbedarf des Bahnhofs wird durch eine Zentrale gedeckt, welche mit dem Stellwerks- Gebäude baulich vereinigt ist (vergl. Abbildg. 12). Hier befinden sich 4 Kessel von je 250 PS., 2 Dampfmaschinen von je 100, eine zu 200 und eine zu 400 PS. von denen jede mit einem Gleichstrom-Dynamo unmittelbar gekuppelt ist. Die Zentrale erzeugt den Strom für die Beleuchtung der Bahnhofsanlagen (350 Bogenlampen, 5000 Glühlampen), für die Ladung einer Akkumulatoren-Batterie, welche zum Betrieb des Stellwerks dient, für den Betrieb der Aufzüge und dergl. mehr. Ferner wird hier die Pressluft erzeugt für das Stellwerk und für eine Rohrpostanlage zwischen den Büreauräumen des Empfangsgebäudes, Diesem Zweck dienen 2 Luftpumpen von je 55 PS. Schliesslich wird von der Zentrale aus die Beheizung des Empfangs-Gebäudes mittels Niederdruck-Dampfheizung besorgt.
Trotz schwieriger Gründungsarbeiten für das Empfangsgebäude und die Halle (ein Theil des Gebäudes steht auf Sumpfboden, für einen anderen mussten vorher umfangreiche ältere Grundmauern beseitigt werden) ist die Bauausführung doch in sehr kurzer Zeit erfolgt: vom Frühjahr 1892 bis zum Herbst 1894. Die Kosten der Neuanlagen einschl. des Grunderwerbs haben 6 ½ Mill. Doll. betragen.
Die Gesammtanlagen des Zentralbahnhofes geben ein vorzügliches Bild von der Art und Weise, wie man jenseits des Ozeans die mannichfachen Schwierigkeiten zu überwinden weiss, die der Schaffung einer derartigen ausgedehnten Anlage sich entgegen stellen. Wenn sich die Einzelheiten derselben auch nicht ohne weiteres auf unsere Verhältnisse übertragen lassen, so wird sich doch auch für den deutschen Eisenbahn-Fachmann manche Anregung daraus ergeben. Beispielsweise mag die Schaffung einer gemeinsamen Betriebs-Verwaltung auch bei uns in dem Falle angebracht erscheinen, wo beim Zusammentreffen verschiedener Verwaltungen die Frage, welche derselben den Betrieb eines zu erbauenden gemeinsamen Personen-Bahnhofes führen soll, es bisher zu keiner Lösung hat kommen lassen.
Wir verdanken die vorstehenden Mittheilungen über die Neuanlage des Zentralbahnhofes den von den Hrn. Taussig und Bryan, den Präsidenten der Terminal Railroad Association of St. Louis, uns in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellten Unterlagen (amtliche Veröffentlichung über den Haupt-Personen-Bahnhof), denen auch die Abbildungen dieses Aufsatzes grösstentheils entnommen sind.
M. Buhle (Charlottenburg). Schimpff.
Dieser Artikel erschien zuerst vom 14.06. bis zum 24.06.1899 in mehreren Teilen in der Deutsche Bauzeitung.