Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IX. Das Wasserschloss, der Festsaal und kleine Ausstellungsbauten

Das Wasserschloss auf dem Marsfelde. Architekt Edm. Paulin

Die repräsentativen Anlagen vor den Ausstellungs-Gebäuden des Marsfeldes standen unter dem nachwirkenden Einflusse der künstlerischen Anordnungen, welche sich im Jahre 1889 hier erhoben. Da die feine Pracht der Brunnenanlage, des großen Domes, der die Gebäude bereichernden plastischen Friese von damals durch künstlerische Mittel edlerer Art nicht zu überbieten war, so musste man sich nothgedrungen zu Mitteln von gröberer Wirkung entschließen, indem man aus einer Vereinigung von Wasser und Elektrizität, von Wasser und Licht die Einwirkung zu gewinnen trachtete, für welche die große Masse der Ausstellungs-Besucher am ehesten empfänglich ist.

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Man beauftragte den Architekten Edmond Paulin, das Wasserschloss zu schaffen, und den Architekten Eugene Henard, hinter demselben den Elektrizitäts-Palast aufzutürmen. Beide Bauten hatten in rein architektonischer Beziehung wenig aufzuweisen, was neben dem Hinweise auf die Abbildungen auf S. 625 zu näherem Eingehen veranlassen könnte, obwohl sie zusammen den eigentlichen Festbau der Jahrhundert-Ausstellung bildeten, welcher der aus dem Jahre 1889 erhaltenen Maschinenhalle vorlagert war.

Die grosse Festhalle in der Maschinenhalle. Architekt G. Raulin in Paris
Die grosse Festhalle in der Maschinenhalle. Architekt G. Raulin in Paris

„Châteaux-d’eau, Wasserschlösser, sind in Frankreich seit den Ludwigen sehr beliebt; sie sind die in das Übernatürliche gesteigerten Monumentalbrunnen und haben in St. Cloud und in unserer Zeit in Marseille eine monumentale Lösung gefunden. Etwas an das Wasserschloss von Marseille erinnerte das Werk Paulins, welches aber freier, ungebundener seine 25 m weite Nische gegen das Marsfeld öffnete. Dreißig Meter hoch stürzte aus der Mittelgrotte der breite Wasserschwall in stolzer Breite hinab über Treppen und Stufen, über Bögen und Nischen, um sich in die zahlreichen großen und kleinen Becken zu zerstreuen, an deren Rändern bewegliche Nixengestalten ihr übermütiges Spiel trieben. In dieser Anordnung war die Wirkung der aufgelösten Wassermassen eine überraschend schöne: Es schoss in weitem Bogen auf, der Strahl kreuzte den Strahl, hier fiel das Wasser in Perlen, dort in Strömen und Bächen herab, um dann wieder als Welle und Strudel sich zu neuen Künsten zu sammeln. Die für die Sekunde verbrauchte Wassermenge ist mit 1300 l berechnet worden. In den Abendstunden wurden die Wassermassen farbig beleuchtet.

Das Wasserschloss auf dem Marsfelde. Architekt Edm. Paulin
Das Wasserschloss auf dem Marsfelde. Architekt Edm. Paulin

Und über dem Wasserschlosse ragte der Elektrizitäts-Palast heraus, wie mit einem Riesendiadem gekrönt. Sein Bogen erstreckte sich über die ganze freie Breite zwischen den Ausstellungsbauten; bei Nacht wirkte die Krönung wie ein feiner Spitzenkragen, aus dessen Enden das Licht vielfarbig ausstromte und dessen Gewebe aus Tausenden von Glühlichtern bestand. Glänzender noch, als an der Eingangspforte Binet’s, war die Lichtwirkung hier. Wie von dem goldenen Scheine einer aufgehenden Sonne bestrahlt, thronte die Figur der Elektrizität über dem Palast; zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken funkelte und flimmerte es tausendfältig, jeder Punkt ein Stern, jede Linie eine Flammenzunge, in jedem Ornament ein Rubin, ein Smaragd und ein sprühender Demant. So unerfreulich am Tage, so überwältigend war der Eindruck bei Nacht. Die umfassende Vorführung der Lichtwirkung, welche in diesem Palaste ihren Höhepunkt fand, war es, welche der Weltausstellung von 1900 das besondere Merkmal aufdrückte.

Das Wasserschloss auf dem Marsfelde. Architekt Edm. Paulin.
Das Wasserschloss auf dem Marsfelde. Architekt Edm. Paulin.

Und nun noch ein flüchtiger Überblick auf X. Die Architektur-Ausstellung der verschiedenen Staaten.

Die Betrachtung dieses Teiles der Ausstellung beginne mit Deutschland, nicht allein aus nationalen Gründen, sondern auch weil diese Abteilung allein sowohl in künstlerischer Abrundung sich darbot, als auch ein geschlossenes und übersichtliches Bild über die bedeutenderen Hervorbringungen in Deutschland gab. Em. Seidl hatte die Ausstellung geschmückt, Carl Zaar sie angeordnet, beides in gleich vortrefflicher Weise. Von den zur Ausstellung gebrachten Werken ist ein großer Teil durch diese Zeitung bereits bekannt geworden. Es waren vertreten: C. Becker in Mainz durch den sehr schön gezeichneten Entwurf zur Marienkirche in Düsseldorf, Billing in Karlsruhe durch das Melanchthon-Haus in Bretten, Cremer & Wolffenstein in Berlin durch die Synagoge in der Lindenstraße, Grisebach & Dinklage in Berlin durch die Peterskirche in Frankfurt a. M., Döflein in Berlin durch den Wiederherstellungs-Entwurf zur Alexanderkirche in Zweibrücken, Martin Dülfer in München durch den Kaimsaal, Durm in Karlsruhe durch das Kaiserin Augustabad in Baden-Baden, Ebhardt durch die Wiederherstellung einer fränkischen Burg, Eggert durch das Rathaus in Hannover, Ende & Böckmann durch Haus Ravene, Erdmann & Spindler durch die Villa Ebeling, Theod. Fischer durch die städt. Töchterschule in München, Frentzen durch den Zentralbahnhof in Köln, Schilling & Gräbner durch die Kirchen von Bergen, Dux, Hohenfichte, Stenn und Langenau in Böhmen, sämtlich Bauwerke der „Los von Rom“-Bewegung in Österreich. Kayser & von Groszheim sandten die Kunst-Akademie von Berlin, Haller und seine Mitarbeiter das schöne Triptichon des Hamburger Rathhauses, Hauberrisser die Paulskirche in München, Helbig & Haiger Entwürfe zum Teil de couleur batailleuse; Hehl die Garnisonkirche in Hannover, Heilmann & Littmann das Hofbräuhaus in München, Hocheder das Müller’sche Volksbad in München, Hofmann die Wormser Straßenbrücke. Von Reimer & Körte war ausgestellt Haus Borsig, von Krause das Kaufhaus am Spittelmarkt, von Licht und Schwächer (als Zeichner) das Rathhaus in Leipzig, von March Schloss Kalmuth a. Rh. von Kröger die Jacobikirche in Dresden, von Möckel das Ständehaus in Doberan, von Möhring der Bahnhof in Elberfeld, sowie die Bonner Brücke, von Neckelmann sein Entwurf zur Universität in Kalifornien, von Otzen die Lutherkirche in Berlin, von Poppe die Bibliothek in Bremen und von Pyli das Verlagshaus am Markt in Nürnberg. Reinhardt & Süssenguth lieferten das Charlottenburger Rathaus, Klingenberg & Weber den Justizpalast in Bremen, Rossbach die Leipziger Bank, Heinr. v. Schmidt die Maximilianskirche in München, Jos. Schmitz eine kathol. Kirche für Würzburg, Schneider in Kassel einen gotischen Baldachin-Brunnen, Schwechten die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche, Gabriel Seidl die Villen Lenbach und Kaulbach, das Künstlerhaus in München usw. Solf & Wichards brachten ein Berliner Lebensversicherungs-Gebäude, sowie verschiedene Herrenhäuser, Spannagel eine Wohnhausgruppe an der Riedeldammstraße in München, Spitta die Gnadenkirche in Berlin, Fr. v. Thiersch einen perspektivischen Schnitt durch den Justizpalast in München, Zaar & Vahl die Verwaltungen des Zoologischen Gartens in Berlin, Weidenbach die reformierte Kirche in Leipzig und C. Walther das Haus Tucher in Berlin. Wie man sieht, eine außerordentlich wertvolle Ausstellung und ein abgerundetes Bild des zeitgenössischen deutschen Architekturschaffens. In der Architektur-Abteilung der französischen Jahrhundert-Ausstellung fanden sich neben einer Reihe von Denkmalentwürfen, wie der Denkmalentwurf von Formige zum Gedächtnis der konstituierenden Versammlung von 1789, von größeren über die Grenzen Frankreichs bekannt gewordenen Arbeiten namentlich die Entwürfe zu den Bauten der Weltausstellung des Jahres 1889 von Formige, Dutert usw., der Entwurf Vaudremers zur Kirche Notre-Dame in Auteuil, die Entwürfe zum Bahnhof von St. Lazare, zum Lycee Voltaire, zum College Chaptal, zum Denkmal des Generals de la Moriciere in Nantes von Boitte usw. Mit großem Interesse betrachtete man in dieser Abteilung ferner die Zeichnungen Vaudoyer’s zur Cathedrale in Marseille, die Wiederherstellungsentwürfe Viollet-le-Duc’s zum Schloss von Pierrefonds usw. In den Anfang des Jahrhunderts gingen zurück die Zeichnungen zu dem berühmten pompejanischen Hause von Normand, zu einem Grabdenkmal für Napoleon I. im Invalidendom von Bouchet, ein achtseitiger Baldachin mit Karyatiden, Entwürfe von Percier & Fontaine zu Festdekorationen usw. Es fehlten hier auch nicht die zum eisernen Bestand der französischen Baukunst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts gehörenden Wiederherstellungs-Entwürfe antiker Bauwerke, namentlich römischer.

Die deutsche Schiffahrts-Ausstellung (Arch. Gg. Thielen in Hamburg)
Die deutsche Schiffahrts-Ausstellung (Arch. Gg. Thielen in Hamburg)
Bierausschank der Brauerei Zum Spaten auf der Pariser Weltausstellung 1900. Arch. Prof. Em. Seidl in München
Bierausschank der Brauerei Zum Spaten auf der Pariser Weltausstellung 1900. Arch. Prof. Em. Seidl in München

Diese Entwürfe bildeten auch einen nicht kleinen Bruchteil der französischen Ausstellung der lebenden Architekten, die auf einem Teil der Galerie des großen Ausstellungspalastes mit jenem Mangel an künstlerischem Ordnungssinn angeordnet war, welcher an den französischen Anordnungen dieser Weltausstellung überhaupt wahrgenommen werden konnte. Was diese Ausstellung in hervorstechendem Maße erkennen ließ, das war der Niedergang der privaten und öffentlichen Bautätigkeit in Frankreich; die dadurch entstandenen Lücken wurden nur notdürftig durch die umfangreichen Wiederherstellungs-Entwürfe zu griechischen und römischen Werken und selbst zu alten Bauten aus den französischen Kolonien, wie Tempelanlagen aus Ostasien usw. ausgefüllt. Im Übrigen war die Zahl der aus der breiten Ausstellungsmasse herausragenden Arbeiten eine nur sehr bescheidene. Als eine großartige, trefflich durchgeführte Anlage mit einer sehr interessanten Anordnung des cour d’honneur bot sich die Benediktinerabtei von Fecamp von dem Architekten Camille Albert dar. Von Gaspard Andre waren die in einer feinen Auffassung des italienischen Stiles durchgeführten Entwürfe zu der Universität in Lausanne ausgestellt. Als ein begabter Architekt für Inneres erwies sich Leon Benouville, als ein feinsinniger Vertreter der Stile des großen Jahrhunderts Louis Bernier, der Urheber des neuen Theaters der komischen Oper in Paris. Als nur unbefriedigende Versuche waren Bestrebungen de Baudot’s zu bezeichnen, dem Eisen eine selbstständige künstlerische Ausbildung für weitgespannte Räume zu geben. In brillanter Darstellung verriet eine Jules Verne’sche Phantasie die hochinteressanten Entwürfe und Zeichnungen von Louis Bonnier, einer der markantesten Gestalten der Pariser Architektenwelt unserer Tage. Nicolas Escalier erwies sich als ein auf dem Gebiete der dekorativen Malerei außerordentlich begabter Künstler. Zu den bedeutendsten der französischen Rathäuser gehört das von Dunkerque, ein Werk des Architekten Cordonnier, eines Siegers in dem Wettbewerb betr. die Börse in Amsterdam. Im Inneren an die palermitanischen Mosaiken anklingend, schuf Hannotin das Kloster der „Peres Blancs“ im Atlas. Ein vornehmer Herrensitz war das von dem Architekten Ernst Janty ausgestellte Palais des Prinzen Roland Bonaparte an der Avenue de Jena und Fresnel. Als ein Werk größten Maßstabes, aber durchaus traditionell, bot sich der Palast der schönen Künste in Nantes von dem Architekten Pierre Chedeville dar. Das Gymnasium von Clermont-Ferrand von dem Architekten Paul Charbonnier war ein in einer feinen Auffassung des romanischen Stiles durchgeführtes Werk. Als eine Studie zur Lösung der großen Schwierigkeiten einer Anlage von ungeheurem Umfange bot sich der Entwurf zum Palaste des Invaliden in Algier von dem Architekten Chauliat dar. Das Kasino von Royat von dem Architekten Jean-Louis Pascal war ein äußerst malerisches Bauwerk. Die künstlerische Ausbildung für das Innere des Theaters der komischen Oper in Paris war von dem Architekten Louis Bernier durchgeführt worden. Jean-Louis Pascal hatte das große Kunstgewerbe-Museum in Paris gebaut. Als ein bedeutendes Werk stellte sich die Kirche von Montmartre von dem Architekten Abadie dar. Dagegen war das von dem Architekten Duc durchgeführte Museum des Luxemburg in Paris ein Bauwerk von geringerer Bedeutung. Als ein hervorragendes Werk aus dem Bereich der profanen Baukunst stellte sich die Französische Botschaft in Wien von dem Architekten Bouchot dar. So war die französische Abteilung in der Architektur-Ausstellung der Pariser Weltausstellung von 1900 zusammengesetzt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19.12.1900 in der deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie „Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900“ besteht aus 9 Teilen:

I. Einleitung und Gesammtanlage

II. Der grosse Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

Nr. II. ist doppelt, Nr. III. fehlt, möglicherweise ein Fehler der Deutschen Bauzeitung?

II. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Der kleine Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

IV. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Brücke Alexander’s III.

V. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor

VI. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VI. Die Völker-Strasse

VII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VII. Alt-Paris, das Schweizerdorf und andere kleinere Veranstaltungen

VIII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VIII. Die vorübergehenden grossen Ausstellungsbauten

IX. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IX. Das Wasserschloss, der Festsaal und kleine Ausstellungsbauten