Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Brücke Alexander’s III.

Die Brücke Alexander`s III. in Paris. Architekten Cassien-Bernard und Caston Cousin

Architekten: Cassien-Bernard und Gaston Cousin in Paris.
Die seit dem Beginn der neunziger Jahre zunächst vorsichtig versuchte, dann lauter und lauter betriebene Annäherung der französischen und der russischen Politik, die dann bei gelegentlichen Festlichkeiten mit dem Ausdruck überschäumender Leidenschaft gefeiert wurde, hatte schliesslich zu einem Bündniss geführt, welchem die im Zuge der Invaliden-Esplanade zu errichtende Brücke als bleibende Erinnerung zu dienen bestimmt wurde. Die Brücke hatte somit eine doppelte Bedeutung: sie sollte einerseits tief im Volksempfinden wurzelnde politische Maassnahmen von höchster vitaler Bedeutung verherrlichen und sie sollte andererseits ein glanzvoller Bestandtheil der Weltausstellung werden. Dieser doppelten Bedeutung hatte der architektonische Ausdruck des Bauwerkes zu entsprechen. Mit ungewöhnlich reichen Mitteln wurde dieses Ziel zu erreichen versucht und ohne Frage auch erreicht. In ihrer konstruktiven Anordnung sowohl wie in ihrer architektonischen Durchbildung ist die Brücke, selbst mit dem Pariser Maasstabe gemessen, ein Bauwerk von hervorragendster Bedeutung, in welchem sich die sichere Kühnheit des Konstrukteurs mit dem feinen Kunstsinn des Architekten zu einem vornehmen zeitgenössischen Werke vereinigen.

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Freilich einen Gewinn für die Baukunst im Sinne des Fortschreitens derselben und des Eröffnens neuer Wege bedeutet auch sie nicht, und man darf diesen Umstand nicht etwa auf Rechnung des Vierklanges aus Invalidenpalast, grossem und kleinem Kunstpalast und Brücke setzen, in welchen die letztere sich zwar einzuordnen hatte, innerhalb dieser Einordnung aber immerhin ihre eigenen Wege gehen konnte, die sie jedoch nicht eingeschlagen hat. Nach dem Vorgang der Mirabeau-Brücke in Paris und des Pont du Midi in Lyon durfte man mit einigem Rechte gespannt sein, wie sich die Meister dieser neuen, mit ungleich reicheren Mitteln und mit dem ausgesprochenen Zwecke monumentaler Prachtwirkung, die sogar zu der Bezeichnung „Triumphal-Brücke“ führte, errichteten Brücke mit der künstlerischen Ausbildung des Eisens und mit seinen Beziehungen zum Stein abfinden würden. Sie haben sich diese Aufgabe nicht eben schwer sein lassen.

Abbildg. 1 - Grundriss
Abbildg. 1 – Grundriss
Abbildg. 8 Treppenaufgang von der Uferstrasse
Abbildg. 8 Treppenaufgang von der Uferstrasse

Der Charakter der Triumphal-Brücke, konstruktive Anordnungen sowie Maassnahmen des Verkehrs waren an den beiden Ufern Ursache für einen nicht gewöhnlichen architektonischen Aufwand. Die Uferanlagen gehen aus dem Grundriss mit genügender Klarheit hervor. Die Anordnung der Widerlager, Durchfahrten für die Strassenbahn, Durchgänge an der Uferstrasse und monumentale Treppenanlagen von dieser zur Höhe der Brücke, sind neben den Ufermauern die umfangreichen architektonischen Bestandtheile, welche durch Pylonen gekrönt werden und mit diesen zusammen eine geschlossene Masse bilden, zwischen die sich die Eisenkonstruktion der Brücke in kühnem Bogen spannt. War es infolge der geringen Stichhöhe des Bogens und infolge vielleicht noch anderer Ursachen nicht möglich, diesen in Stein auszuführen, so blieb nichts anderes als das leichte Gefüge des Eisens übrig. Es ergab sich somit aus materiellen Gründen ein natürlicher, nicht zu überbrückender Gegensatz zwischen Steinbau und Eisenkonstruktion und damit die interessante Frage, was richtiger oder künstlerischer gewesen wäre: Den Gegensatz zwischen Stein und Eisen bestehen zu lassen und durch eine dem Material entsprechende getrennte Ausbildung beider diesen Gegensatz in feste Formen zu kleiden, also gewissermaassen zu legitimiren, oder eine gegenseitige Annäherung der beiden Materialien zu versuchen, wie es in Belgien nicht ohne Gewinn geschehen ist. Die Architekten der Alexanderbrücke haben sich für den Ausweg entschieden, der unbestreitbar zugleich der einfachste ist: sie haben sich entschlossen, eine einseitige Lösung der Frage anzustreben, indem sie sich für die Architektur den aus der Oertlichkeit hervorgegangenen Bedingungen unterwarfen, sie in dem reichen und prunkvollen Barock des XVIII. Jahrhunderts durchführten und diese Durchführung auch auf die Metalltheile zu erstrecken versuchten. Daraus ergaben sich eine Reihe nicht ganz befriedigender Bildungen. Die Metallgehänge der Eisenkonstruktion haben durchweg Steinstylistik erhalten; die Balustraden der Brücke sind in Metall ausgeführt, haben aber die Fülle der Steinformen und dazu Steinanstrich erhalten.

Die Brücke Alexander`s III. in Paris. Architekten Cassien-Bernard und Caston Cousin
Die Brücke Alexander`s III. in Paris. Architekten Cassien-Bernard und Caston Cousin

Das Cartouchenwerk besitzt die vollen Formen des Steinornamentes; in gleicher Weise sind die die Brücke beleuchtenden Kandelaber durchgeführt und auch die figürlichen Gruppen auf den Balustraden, sowie diejenigen, die an den Wasserseiten den Scheitelpunkt der Brücke zieren, strotzen in der üppigen Fülle, in welcher das XVIII. Jahrhundert seine Steinfiguren auszuführen pflegte. Den Brückenbogen begleitet ein Ornament, das völligen Steincharakter besitzt! Gewiss, man kann streiten darüber, welches die höhere Forderung ist: ein Bauwerk aus seinen konstruktiven Bedingungen heraus wahr und klar zu gestalten, oder es so auszuführen, dass es in allen Theilen einem gegebenen Rahmen von grosser Haltung harmonisch sich einfügt. Reichen Schmuck haben die Uferbauten bekommen. Die Treppenaufgänge von der Uferstrasse sind S. 349 dargestellt. In gross wirkendem Steingefüge sind die Unterbauten erstellt; Obelisken, Löwen und vielgestaltige Vasen bereichern die Balustraden und krönen die Endpunkte derselben. Vor den mit Schiffsschnäbeln gezierten Postamenten der Säulenpylone sitzen in vornehmer Haltung die Gestalten der Gallia in den vier grossen Zeitaltern der französischen Geschichte: in der Zeit Karls des Grossen, der Renaissance, Ludwigs XIV. und der dritten Republik. Von Genien geführte Flügelpferde in glänzender Vergoldung und lebhaft bewegter Haltung krönen in nicht glücklicher Vermittlung, weil sie ohne Attika fast unmittelbar auf dem Gebälk aufsetzen, die mit Cartouchen gezierten, durch jonische Ecksäulen reich gegliederten Pylonen.

Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Die Brücke Alexanders III.
Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Die Brücke Alexanders III. Architekten Cassien-Bernard und Caston Cousin in Paris.

So vereinigen sich die grössten Mittel zur künstlerischen Gestaltung eines politischen Symboles und von der reich geformten, goldglänzenden Kuppel des Invalidenpalastes mit dem Grabmale des ersten Napoleon über die Alexanderbrücke hinweg zu den Kunstpalästen ergiebt sich eine Prunkstrasse, die aus dem unmittelbaren Glanz der Gegenwart, der seinen Rückhalt in dem russischen Bündniss findet, hinüberleitet zu einer grossen Vergangenheit, die in Russland ein jähes Ende gefunden hat. So launisch spielt das Schicksal mit den Geschicken der Völker. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 21.07.1900 in der Deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie “Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900” besteht aus 9 Teilen:

I. Einleitung und Gesammtanlage

II. Der grosse Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

Nr. II. ist doppelt, Nr. III. fehlt, möglicherweise ein Fehler der Deutschen Bauzeitung?

II. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Der kleine Kunstpalast in der Avenue Nicolaus II.

IV. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Brücke Alexander’s III.

V. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Das Haupt-Eingangsthor

VI. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VI. Die Völker-Strasse

VII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VII. Alt-Paris, das Schweizerdorf und andere kleinere Veranstaltungen

VIII. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – VIII. Die vorübergehenden grossen Ausstellungsbauten

IX. Die Architektur auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IX. Das Wasserschloss, der Festsaal und kleine Ausstellungsbauten