Der große Hochverratsprozeß in Frankreich, der während der letzten Wochen vor dem Senat als Staatsgerichtshof verhandelt wurde, ist nun beendet.
Vergleicht man die Zahl der Angeklagten mit der der Verurteilten, so kann man leicht zu der Ansicht kommen, er sei eigentlich ausgegangen wie das berühmte Hornberger Schießen; allein der Erfolg der Regierung erhellt, wenn man die in Betracht kommenden Personen nicht zählt, sondern wägt. In Buffet, der für sich vielleicht weniger bedeutet, wurde der Sekretär und Vertrauensmann des Herzogs von Orleans und damit die royalistische Partei getroffen. Schwerer als er wird die zehnjährige Verbannung Déroulde empfinden, der nun während so langer Zeit den Mund wird halten müssen, obwohl doch das Reden sein Lebenselement ist.
Seine Entfernung ist aber auch den Revanchepolitikern und den aus verschiedenen Lagern sich zusammenfindenden Gegnern der gegenwärtigen Regierung besonders unangenehm, die in ihm die Verkörperung der zur Zeit verbotenen Patriotenliga erblicken und verehren. Déroulede, der große Deutschenfresser, ist immer ein noch größerer Maulheld gewesen, der aber an seinen chauvinistischen Reden erst sich selbst berauschte und seine Zuhörer meist in den Taumel trunkener Begeisterung zu versetzen wußte.
Der Versuch, sich auch beim Gerichtshof durch hochtönende Redensarten Ansehen zu verschaffen, ist ihm übel bekommen, da ihm dafür kurzer Hand eine Strafe von zwei Jahren Gefängnis auferlegt wurde; er brauchte sie jedoch nicht abzubüßen, weil sie der Senat großmütig in die Verbannung einrechnete.
Auch sonst kam der Senat wiederholt in die Lage, Prozeßbeteiligte von der Farbe Dèroulèdes wegen Ungebühr vor Gericht, wie es bei uns heißt, zu verurteilen; so wurde der Advokat Bornbostel für drei Monate vom Amt suspendiert, weil sein Auftreten die schuldige Ehrfurcht vor dem höchsten Gerichtshof der Republik vermissen ließ. Den härtesten Spruch fällte der Senat, wie bekannt, gegen den Helden der rue Chabrol, Jules Guérin, der in zehnjähriger Haft in einem befestigten Ort seine Vergehen gegen die öffentliche Ordnung büßen soll. Ob es für einen Patrioten unangenehmer ist, im Auslande frei herumzugehen oder im Vaterlande als Häftling zu leben, könnte zweifelhaft erscheinen. Indessen hat sich Herr Guèrin ja durch seine Verschanzung in dem „Fort Chabrol“ und die damit verbundene Gefangenschaft genügend auf die jetzt erzwungene vorbereitet. Das Urteil trifft ihn also nicht sofort.
Dieser Artikel erschien zuerst unter der Rubrik „Bilder vom Tage“ 1900 in Die Woche.