Volkes Brauch und Volkes Sitte im mittlern Siegthale

Wir sind nach Nieder-Schelden zur Grenze des eigentlichen Sieger Landes gelangt. Alles um uns her verkündet den Segen einer lebensfrischen Gegenwart, des thätigsten Gewerbfleisses.

Schon von Betzdorf an muss jedem Beobachter der Unterschied im äussern Karakter der Ortschaften und ihrer Bewohner im Vergleiche zum grössten Theile des mittlern Siegthales aufgefallen sein. Und doch hat sich auch in den Umgebungen des mittlern Laufes der Sieg in den letzten fünfzig Jahren, seit das Thal unter Preussens Herrschaft, besonders seit der Eröffnung der neuen Siegstrasse, seit die Deutz-Giessener Bahn im Betriebe ist, gar Vieles zu seinem Vortheile umgestaltet. Die Bewohner des Siegthales sind aus ihrer Abgeschiedenheit getreten, in lebendigeren Verkehr unter sich und mit der Aussenwelt. Ihr Gesammtleben ist ein Anderes geworden, hat neue Ansichten gewonnen und selbst in den entlegensten Weilern und Höfen sich neue Bedürfnisse geschaffen, die Menge der Bevölkerung aber keinen Falls glücklicher, d. h. zufriedener gemacht, als sie früher war.

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Bekleidung.

Die Zeiten sind längst, längst nicht mehr, wo der Bauer sich in selbst gemachtes Leinentuch kleidete, sogar aus Leinentuch gefertigte Strümpfe trug, sich am Hochzeitstage einen wollenen Rock anschaffte, der bis an des Bauern seliges Ende sein Feierkleid blieb; wo Stiefel in den Dörfern noch eine Seltenheit waren, nur die Begütertsten den Schatz einer Taschenuhr besassen.

Speisen.

Im Thale wurde Schwarzbrod aus Roggen gebacken, auf den Höhen aus Hafermehl. Ein konsistentes Hafermus war das Frühstück und Abendessen, zum Mittage begnügte man sich mit Gemüsen, deren Beilage allenfalls Schweinefleisch, denn jeder Bauer mästete wohlfeil sein paar Schweine mit Eicheln und Bucheckern, als es noch Eichen- und Buchenwälder an der mittlern und untern Sieg gab, in welche früher Einzelne der adligen Güter das Recht hatten, die Schweine, welche auf ihren Misten gewachsen, so sagen die Urkunden, zur Mast treiben zu dürfen, wobei sie aber nur eine Nacht auf ein und derselben Stelle lagern durften, damit der Hausmann nicht beeinträchtigt wurde.

Nur bei ausserordentlichen Veranlassungen, bei Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnissen, wurde der Krämer in Nahrung gesetzt, wurden Colonial-Waaren gekauft, Kaffe, Zucker, Gewürze und Reis. Der Reisbrei war und ist noch ein stehendes Festgericht.

Kartoffelbau.

Erst um das Jahr 1730 war der Kartoffelbau im mittlern Siegthale in allgemeinere Aufnahme gekommen und übte nach und nach einen umgestaltenden Einfluss aus auf die Lebensweise seiner Bewohner. Kartoffel, abgesotten oder als Reibkuchen genossen, wurden nebst Kaffe ein Hauptnahrungsmittel der geringern Klassen, wie sie es noch im ganzen Bergischen sind. Noch im Jahre 1784 am 17. Februar erliess der Kurfürst von Köln, Maximilian Friedrich, ein Kaffe-Verbot für Westphalen, nach welchem ein Jeder, der 50 Pfund Kaffe zum Wiederverkaufe oder gar zum Verschenken kaufte, mit 200 Reichsthalern gebüsst, oder mit vierjähriger Zuchthausstrafe belegt wurde.

Vgl. Ernst Weyden, Köln am Rhein vor fünfzig Jahren. Anlage VIII S. 221 flgde., wo das kurfürstliche Dekret abgedruckt ist.

Geschichtliches.

Abgeschieden von der Welt, führten die Landleute im mittlern und untern Siegthale ein genügsames, zufriedenes Leben, fest haltend an uraltem Brauche. Nur Wenige kamen über die Grenze des Thals und wurden, kehrten sie nach längerer Abwesenheit heim, als Wunder angestaunt, wenn sie von ihren Fahrten erzählten. Unbedeutend waren die Abgaben unter der alten Regierung. Vögte standen der Justizpflege vor, hatten die Strafgewalt. Sollte ein „Bruchhaftiger“, ein Frevler gepfändet werden, so durfte dies nur in seinem Hause geschehen und die Gewalt mit ihren Dienern nicht durch die Hausthür in’s Haus treten, sondern musste neben derselben ein Gefach ausbrechen, durch welches sie eindrang. Fünf Schilling brabantisch — 11 1/2 Sgr. — nahm der Vogt für sich und seine Diener in Anspruch, welche in der nächstgelegenen Taverne verzehrt werden mussten. Begegnete der Frevler dem Vogt auf seiner Misten und erklärte sich für schuldig, so wurde ihm nur für die Hälfte gepfändet. Wer eine Eiche fällte und wegführte, wurde mit fünf Schilling gestraft, liess er sie auf dem Stocke liegen, bezahlte er nur die Hälfte.

Prozesssucht.

Mit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts brach die Pest der Prozesssucht über das Thal herein, leider von Beamten, Richtern und Advokaten zum grössten Nachtheil der Bewohner eifrigst genährt und in der zähen Starrheit des Volkskarakters noch heutigen Tages fortwuchernd, stets frische Nahrung findend. Dieser Krebsschaden kann nur nachtheilig, verderblich auf den allgemeinen Wohlstand wirken, und schon längst ist es keine Schande mehr, wenn sich ein Eigenthümer, wie es früher hiess, ein „eisernes Wamms“ angezogen, d. h. sein Gut mit Hypotheken beschwert hat.

Franzosenherrschaft.

Das Jahr 1795 brachte die Franzosenherrschaft. General Ney kam am 16. September mit 4000 Mann in das Siegthal.

Eine neue Zeit, welche das in sich morsch gewordene Feudalwesen zu Grabe trug und dem Lande 1810 ein neues Gesetzbuch gab, aber auch neue Lasten aufbürdete.

Paul von Bettenhagen.

Die mit dem Jahre 1813, als Napoleon’s grosse Armee in dem schrecklichen Feldzuge nach Russland zu Grunde gegangen war, im ganzen Kaiserreiche zum Ersatz derselben ausgeschriebene und mit aller Strenge gehandhabte Conseription, die verhasste Tabak- und Salz-Regie gaben im Bergischen Veranlassung zu einem Aufstande, dessen Elemente aber keine edlen. Furcht und Schrecken ging den zügellosen Haufen der Speck- oder Knüppelrussen, wie man die Aufständischen nannte, voraus, Person und Eigenthum waren nicht mehr sicher, und mit Freude begrüsste man an der Sieg die französischen Truppen, die im Frühjahr zur Unterdrückung der Empörung gesandt wurden und bald die Ordnung wiederherstellten, als auch in Waldbroel einer der Anführer der Rebellen, Paul von Bettenhagen, standrechtlich erschossen worden.

Paul von Bettenhagen ist bis heute umstritten. War er ein Freiheitskämpfer, ein Rebell oder ein Räuber?

Wikipedia schreibt zu ihm:

“Johann Wilhelm Pauli (* 9. Mai 1793 in Bettenhagen; † 15. Februar 1813 in Waldbröl) genannt Paul von Bettenhagen war Freiheitskämpfer im sogenannten Knüppelrussenaufstand, im Oberbergischen auch „Speckrussen-“ oder „Speckkosakenaufstand“ genannt. Pauli war der Sohn des Johann Georg Pauli genannt „Räuberpaul“ und der Elisabetha Irsfeld, erlernte den Beruf des Leinewebers, arbeitete aber auch als Bergmann in den Erzgruben der Silberhardt, heute Gemeinde Windeck (Sieg). Nach dem gescheiterten Russlandfeldzug Napoleons I. kam es zu Beginn des Jahres 1813 infolge von Neurekrutierungen in dem unter französischer Vorherrschaft stehenden Großherzogtum Berg zu Widerständen. Um Pauli scharten sich andere Rekrutierungsunwillige, die am 24. Januar 1813 aus Widerstand gegen das französisch verhängte Salz- und Tabakmonopol das Haus des Salz- und Tabakdebitanten Schmeiß in Waldbröl plünderten; anschließend zogen sie in Richtung Siegen, um die dortige Unterpräfektur zu stürmen. Dabei wurden sie am 2. Februar 1813 von einer Kompanie Gendarmen geschlagen und gefangen genommen. Pauli wurde zum Tode verurteilt und am 15. Februar 1813 vor der evangelischen Kirche in Waldbröl erschossen. In den Quellen und der späteren Beurteilung ist umstritten, ob Pauli und seine Leute Freiheitskämpfer oder kriminelle Plünderer waren. Nachdem die Gestalt des „Paul von Bettenhagen“ durch die historischen Romane des zeitweise in Waldbröl aufgewachsenen Schriftstellers Klas Ewert Everwyn wieder in Erinnerung gerufen worden war und im südlichen Oberbergischen zu einer gewissen Volkstümlichkeit gelangt war, entstand der Plan, einen Platz in Waldbröl nach ihm zu benennen. Dies scheiterte jedoch schließlich an der uneindeutigen Beurteilung seiner Person. In Paulis Heimatdorf Bettenhagen findet sich allerdings ein schlichter Stein mit Gedenktafel, der von der Dorfgemeinschaft finanziert und aufgestellt wurde.

Nach der ewig denkwürdigen Völkerschlacht bei Leipzig war die Macht der Franzosen auf dem rechten Rheinufer gebrochen. Am 9. November 1813 erschienen schon die ersten Kosaken im Siegthale. Der bergische Landsturm wurde organisirt, dessen Führer der Freiherr von Hallberg. Am 15. Mai 1815 kam das Land unter Preussens Zepter. Mit dem Frieden erfreute sich das Land des Segens einer wohlorganisirten, von der Justiz getrennten Verwaltung. Was ist in den fünfzig Jahren nicht für die Hebung des Volksunterrichts, für neue Schulgebäude, die Gesundheitspflege, die Vermittlung des Verkehrs durch Anlage von Strassen, die Verbesserung der Wege geschehen ?

Sind auch einzelne Gemeinden durchweg katholisch, andere evangelisch, und wieder ändere gemischt mit vorwiegendem evangelischen Bekenntnisse, so bleibt sich das Verhältniss der Seelenzahl beider Confessionen doch durchschnittlich gleich unter dem Segen aufrichtiger Duldsamkeit.

Natürlich hat der Strom der Zeit im unaufhaltsamen Fortschritte beim raschen Wechsel der Regierungsformen gar Vieles des Altherkömmlichen in Brauch und Sitte verdrängt; es haben sich jedoch in den Bergen noch Nachklänge aus der alten Zeit erhalten.

Altherkömmliche Sitten.

Im ewigen Kreislauf des Jahres wurde sonst die Neujahrsnacht mit Gesang begrüsst. Die Burschen zogen singend von Hof zu Hof. – Verklungen sind die altherkömmlichen Lieder und Weisen, es knattern dafür die Pistolen- und Flintenschüsse. Zechend beim Kartenspiel um die Neujahrsbretzeln, in deren Form unsere Alterthümler noch eine Erinnerung an Krodo’s gewundenes Rad finden wollen, wird das alte Jahr verabschiedet und das neue bewillkommt. Der Donnerstag vor Ostern bringt noch das Gründonnerstagmuss mit 9 frischen Kräutern. Am Samstag vor Ostertag lodern noch auf einzelnen Höhen die Osterfeuer, klingen noch die alten Osterlieder. Die rothgefärbten Ostereier spielen noch allenthalben ihre Rolle, in denen man eine symbolische Erinnerung an das urdeutsche Fest der Sonnenwiederkehr findet.

Trotz aller frühern Verbote der kurpfälzischen Regierung, die sogar Prügelstrafe gegen die Zuwiderhandelnden verordnete, hat sich das Frühlingsfest, das Pfingstnachtsingen bis zum heutigen Tage erhalten, und zur Verherrlichung der Feier das Maigeläut, die Mailämpchen, häufig ausgehöhlte Rüben, die Maikränze und vor Allem der Maibaum und der Tanz. Das Johannisfest bringt noch die Johannisfeuer, und der Maria-Himmelfahrtstag in den katholischen Gemeinden die Krautweihe. Neun Kräuter werden geweiht, um beim Gewitter auf dem Herde angezündet zu werden, den Schaden abzuwenden.

Auf den Bergen flammen noch die Martinsfeuer. Das Christfest wird bei beiden Bekenntnissen hochgefeiert. In einzelnen Familien darf am ersten Weihnachtstage das grüne Christtagmuss nicht fehlen. Die Feier der dreizehn Weihnächte, die alten „Drutziendage“, dreizehn Tage nach Christnacht, ist längst vergessen, wie auch der Glaube, dass sich mit dem Schlage der zwölften Stunde der Weihnacht alle Quellen und Brunnen in Wein verwandeln und versunkene Glocken durch die heilige Nacht klingen.

Uralter Brauch in den Dörfern und auf den Höfen ist das „Fenstern“, das süddeutsche zu Hängert oder zu Kilt gehen, den Mädchen nächtliche Besuche am Fenster abstatten.

Eifersucht und Neid gibt bei solchen Gelegenheiten noch oft unter den Burschen Veranlassung zu derben Prügeleien.

Die Hochzeiten haben ihre alten Gebräuche eingebüsst.

Spuren der sogenannten Gebehochzeiten, die aber bereits im 16. Jahrhunderte verboten, kommen noch vor. Kommt das Paar aus der Kirche, wird ihm der Weg mit Bändern und Blumengewinden gesperrt, über die es früher springen musste, um vor der Gemeinde seine Gewandtheit und Körperkraft zu bekunden. Jetzt ist dieser Brauch der Brulof nur eine anständige Bettelei.

Auch die Kindtauffeste, zu denen in Kurpfälzischer Zeit, als das ganze bergische Land noch in Bauerschaften, Honschaften (Hundert), Zehntnerbände, Gilden und Nachbarschaften getheilt war, nur die Bewohner einer bestimmten Häuserzahl gebeten werden durften, bestehen nicht mehr; es sind jetzt prunklose Familienfeste, bei denen aber der Anisbranntwein und Lebkuchen nicht fehlen darf.

An den Begräbnissen nimmt die ganze Nachbarschaft Theil; abgeschafft sind aber die Reuessen, bei denen es nicht immer traurig herging. Eine schöne Sitte ist das Schmücken der Gräber und das Auffrischen der Grabhügel am Allerseelen-Tage.

In einzelnen Gemeinden wird noch das Ärndtefest, das Maieinfahren mit Musik und Tanz gefeiert, wenn der letzte Getreide-Wagen eingescheunt ist. Allgemein sind in den Gegenden, wo Flachs gezogen wird, noch jetzt die Schwingabende. Die Frauen und Mädchen ganzer Gemeinden versammeln sich zum Schwingen des Flachses. Heiterer Scherz und das Lied beflügeln die Arbeit. Bei diesen Versammlungen hat sich am längsten der Schatz der Volkslieder erhalten, die jetzt auch immer mehr und mehr verklingen, dem modischen Singsang das Feld räumen müssen. Auch bei diesen Gelegenheiten wird Honigkuchen und Anisbranntwein gespendet. Durch die Baumwollenkrisis in Folge des nordamerikanischen Bürgerkrieges, ist der Flachsbau wieder mehr in Aufnahme gekommen und für einstweilen die Verbannung der Spinnräder noch hinausgeschoben, wenn sie auch nur schwer mit der Wohlfeilheit des englischen Maschinen-Leinengarns und der Baumwolle konkurriren können.

Das Erdäpfel-Ernten, das Einmachen der Wintergemüse geschieht gemeinschaftlich von den Frauen einer Nachbarschaft und bringt immer einen steifen Reisbrei mit Zucker und Zimmet.

In jeder Gemeinde ist das Fest der Feste die jährliche Kirchweihe, die Kirmesse. Freudentage für Alt und Jung, an denen auch der Geringste seinen Kirmesblatz hat und es bei den Begüterten gar hoch hergeht, der Tisch nie leer wird; darein wird ein Stolz gesetzt. Jedes Dorf, auch der kleinste Weiler putzt sich heraus, nirgend fehlt der Schmuck der Maien und die Kirmesskrone mit ihren bunten Eierguirlanden und Laubgewinden. Es verschwinden immer mehr die uralten Kirmesbräuche, wie das Ausgraben der Kirmes und ihr Verscharren, der Pfahlschlag, wobei früher nach altgermanischer Sitte das Skelett eines Pferdekopfes nie fehlte, das Tanzen unter dem Maibaum oder der Dorflinde, wo streng darauf gesehen wurde, dass die Frauen und Mädchen beim Läuten der Abendglocke den Tanzboden verliessen. In katholischen Gemeinden kommt es auch jetzt noch vor, dass mit dem Läuten des Ave der Tanz unterbrochen wird und Tänzer und Tänzerinnen auf den Knieen ihr Ave beten, um nach vollendetem Gebete wieder im Tanzen fortzufahren. Wo mit der Kirmes noch Vogelschiessen verbunden, gibt es noch Schützenkönige, die alten Maikönige, Brunnenkönige, Waldkönige und Kirmeskönige sind in Vergessen gerathen, mit dem Vergessen oder der Entartung der urthümlichen Feste, denen sie vorstanden.

Es gibt noch Leute, die sich keine rechte Kirmes ohne Schlägerei denken können.

  1. Der Aberglauben.

„Der Aberglauben,“ sagt ein Sohn der Berge, der Brauch und Sitte seiner Heimath genau kennt und studirt hat, „in seinem zwiefachen Ursprunge, aus vorchristlichen Bräuchen und Überlieferungen, sowie aus Mangel an Aufklärung über die Natur der Dinge, ist durch die gestiegene Volksbildung, besonders seit den letzten fünfzig Jahren sehr beschränkt.

Vgl. Vincenz von Zuccalmaglio, Geschichte und Beschreibung der Stadt und des Kreises Mülheim am Rhein. 8. 240 flg.

Doch haftet, besonders in den Landgemeinden, noch manche deutschheidnische Ansicht, noch mancher geheimnissvolle Brauch. So z. B. beobachten einige Gebirgsbewohner noch immer gewisse Tage als glückliche oder unheilbringende zum Beginn der Geschäfte — (Montag und Freitag). Nicht blos bei Saat- und Haarschnitt, sondern auch bei Bauten, Reisen u.s.w. wird heute noch die Zeit des wachsenden Mondes gewählt. Die Viehställe werden noch mit gewissen Kräutern und mit einem unter die Schwelle begrabenen Hufeisen vor dem Einflusse der bösen Mächte geschützt. Noch führt man irgendwo das neue Hausgesinde um Hela’s Haken (Heerdhaken), oder lässt die Magd ein Partikelchen von einem Spänchen Thürschwelle (Dürpel) verschlucken, um sie für das Interesse des Hauses zu gewinnen, und auch der Liebeszwang durch die Rückenknorpel eines von Waldameisen aufgezehrten Frosches lebt noch in der Erinnerung.

„Auch der Glauben an Hexen und Wehrwölfe ist auf entlegenen Gehöften noch nicht ganz verschwunden, und Gespensterfurcht beschleicht den nächtlichen Wanderer an gewissen wegen Spuck verrufenen Stellen. Komete, Mondfinsternisse, Nordlichter u.s.w. erfüllen noch immer einen grossen Theil des Volks mit Besorgniss, und wo ein sogenannter Mondstein (Hertbrand) niederschoss, wird oft noch die Agathamesse bestellt, um die dadurch angedeutete Feuersbrunst abzuwenden.

Raupenjahre verkünden Krieg. „Soviel Raupen, soviel Truppen“, heisst’s und farbige Mäuse und viele Mäuse gelten noch als Vorboten von Krieg und Kriegern. Über das Gewitter, wogegen neunerlei Kraut gesammelt wird, herrscht noch immer manche abergläubige Ansicht, und so auch über den Wirbelwind (Wywind) und Nachtsreif. Das Alpdrücken (die Mahr) und viele Kinderkrankheiten, besonders die Krämpfe (Bejofung) werden noch immer geheimnissvoll betrachtet, und die aus alten Bettfedern in den Pfühlen gebildeten Kränzchen als Hexengespinnste verbrannt. Vorzeichen von Sterbfällen gewahrt man noch im Heulen der Hunde, Eulenruf, grossen Maulwurfhügeln, Traumgesichten und Körpermalen (Geisterpitschen), schwarzen Kreuzchen in den Betttüchern u.s.w. und von den heiligen Thieren der alten Götter, dem Rosse, Hunde, Raben und der Elster werden noch Vorzeichen und Geisterschau gedeutet. Der Regenbogen ist Manchen noch die geheimnissvolle Himmelsbrücke, und in der Mainacht spielen Katzen und Hasen die Rolle des Hexengespanns und der Elfen und Holden. Letztere haben ihre Wohnungen in Höhlen und Klüften (Querglöchern) und ihre Sagen sind von der Erinnerung an Zigeuner, Heiden und Bergknappen durchwebt. Auch verirren sich abergläubige Leute bisweilen noch zur Schatzgräberei, und die alten Zaubermittel (worunter die sogen. Sympathie) sind besonders gegen Zahnschmerz, Brandwunden, Gicht und Wechselfieber in Gebrauch. Sachen mit geweihten Gegenständen berührt, wird übersinnliche Kraft zugeschrieben u.s.w.

„Die Lichtmesskerze und der Rainfarrn werden noch gegen Einfluss böser Mächte angezündet. Nicht selten faselt man noch von der gespenstischen Rückkehr Verstorbener, und in den Irrlichtern (Trüglichter und Feuermänner) erblickt man die ruhelosen Seelen ungetauft gestorbener Kinder oder Verworfener.

Auch diese Nachklänge einer längst überwundenen Zeit werden bald unter dem Einflusse der immer mehr fortschreitenden Volksbildung ganz verhallen, dem Reiche dunkler Erinnerungen angehören.

Das Amerikafieber.

Mit dem Jahre 1846 zeigte sich auch im mittleren Siegthale das Amerikafieber. Einzelne Personen und Familien sagten der Heimath, dem deutschen Vaterlande Lebewohl, glaubten in der neuen Welt ein besseres Loos zu finden, wenn auch nicht für sich, doch für ihre Nachkommen. Vereinzelte Auswanderungen kamen auch noch im Jahre 1849 vor. Seitdem scheint die Erfahrung die Europamüden geheilt zu haben.

Dies ist ein Textausschnitt aus dem Buch “Das Siegthal” von Ernst Weyden, zuerst erschienen im Jahr 1865. Das Buch ist nun wieder erhältlich, die Bilder sind Beispielbilder und i. d. R. nicht dem Buch entnommen.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
Zur Einleitung.
Das Siegthal.

Die Sieg.
Sieg-Quelle, Lauf und Mündung.
Bergbau, Viehzucht und Köhler-Meiler.
Hauberg-Wirthschaft.
Wiesen-Cultur.
Ackerbau, Weinbau.

Von Beuel nach Blankenberg
Beuel, Landstrasse-Pützchen.
Von Beuel durch das Siebengebirge nach Siegburg.

Die Deutz-Giessener Bahn.
Der Bau.
Geheimer Baurath Haehner.
Baukosten.
Deutz-Bensberg.
Lüderich.
Wahner Heide.
Haltestellen – Lauf der Bahn.


Fusswanderungen durch das Siegthal.

Vom Rheine bis nach Siegburg.
Die Sieg-Mündung.
Die alte Sieg.
Regulirung der Flussmündung.

Isabellen-Insel.
Die Kriegsgeschichte der Isabelleninsel.
Fischfang, Alsen und Salme in der Sieg.
Die Kirche zu Schwarz-Rheindorf.
Maibeiern.
Mai-Lehen.
Maibaum.
Thierjagen.
Spinnstuben-Abende.
Volksgebräuche.
Martinsfeuer.
Bittwoche.
Spielbaehn.
Glockengiesser Claren.
Siegburg.


Siegburg und seine Umgebung.
Geschichte Siegburg’s.
Anno, der Heilige.
Legende.
Die Abtei.
Anno-Lied.

Schicksale der Stadt.
Hexenwesen in Siegburg und in Bonn.
Schicksale der Abtei.

Die Stadtkirche des h. Servatius.
Der Reliquien-Schatz.
Die Provinzial-Irren-Heilanstalt.
Ihre Einrichtung.
Garten-Anlagen.
Aussicht vom Kirchthurme.
Die Wolsberge.
Geognostisches.
Botanisches.


Von Siegburg nach Eitorf.
Geognostisches.
Rittersitz zur Mühle.
Legende.
Weinbau.
Seligenthal.
Schöne Aussichten.

Hennef.
Schloß Allner.
Der Schloßwald.
Geschichte.
Meroderer-Brüder.
Fürst Franz Ludwig von Hatzfeld.

Broelthal.
Ausflug in’s Broelthal.
Geognostisches.

Kloster Bödingen.
Der Silberling.

Rittersitz Attenbach.
Freiherr Theodor von Hallberg.


Blankenberg.
Die Burg.
Geschichte der Veste, der Stadt und des Amtes Blankenberg.
Stachelhardt.


Kloster Merten

Eitorf und seine Umgebungen.
Gasthöfe.
Geschichtliches.
Kirche.
Volksleben.
Dr. Meyer’s Heilanstalt für Nervenleidende und Gemüthskranke.
Ausflüge.
Hohenstein.
Geognostisches.
Burg Weltenroth.
Der hohe Schade.
Hippelroth.
Der Kelterberg.
Halft.
Die Schnepperstraße.
Die Siegwiese.
Bergbau.


Nach Windeck.
Wege von Eitorf nach Windeck.
Herchen.
Das Ohmbad-Thal.
Sage: Der Heilborn.
Nebenbäche.
Präsidenten-Brücke.
Botanisches.
Der Irserbach.
Der Hof Stein.
Durchstich.
Kesselthal von Stromberg.
Leuscheid.
Romanischer Taufstein.
Haltestelle.
Au und Umgebung.
Burgsitze bei Röcklingen.
Hoppengartner Berg
Höhe von Dreisel.
Das hohe Wäldchen, Baiershahns Höchste, der Altenstuhl, Bodenberg und die Wilhelmshöhe.
Wilbringhoven und Haus Broich.
Ritter von Huhn zu Broich.
Windeck.


Burg Windeck.
Geschichte der Veste und des Amtes Windeck.
Sage.
Adolph von Berg.
Opladener Ritterrecht.
Amt Windeck.
Burg Windeck im dreissigjährigen Kriege.
Zweite Einnahme durch Schweden und Hessen.
Zerstörung der Veste.
Disposition des Baues der Veste.
Neues Burghaus.
Curiositäten.
Die Burgterrasse.
Vesten und Burgsitze.
Erdwälle oder Schläge.
Amtleute.
Archiv von Windeck.
Eselshafer.


Von Windeck nach Schönstein.
Der Krummauel.
Station Schladern.
Rosbach und die Hohe Ley.
Bensekausen.
Faehren.
Von Au nach Hamm.
Bergbau.
Ausflug nach Kloster Marienthal.
Schatzgräberei.
Botanisches.


Wissen und seine Umgebung.
Burg Schönstein
Geschichtliches.
Schloß Grottorf.
Veste Wildenburg.
Geschichtliches.
Abstecher nach dem Westerwalde.
Bodengepräge und Bewohner.
Kloster Marienstatt (Locus Mariae)
Legende.
Die Kirche.


Von Wissen nach Kirchen.
Die Eiche bei Wissen.
Die Wingertshardts-Grube.
Erlaubnisscheine zum Besuch der Gruben.
Dasberg.
Betzdorf.
Ausflug nach dem Hellerthal.
Bergbau.
Hohenselbachs-Kopf.
Geschichtliches.
Die Buchensteine.
Wildhandel.
Der Hickengrund.
Seine Bewohner.
Erläuterungen zum Begriff „Zigeuner“
Zigeuner.
Die Meckeser.
Kirchen.
Der Druidenstein.
Botanisches.
Das Küppelsfest.
Weg nach Wildenburg.


Volkes Brauch und Volkes Sitte im mittlern Siegthale.
Bekleidung.
Speisen.
Kartoffelbau.
Geschichtliches.
Prozesssucht.
Franzosenherrschaft.
Paul von Bettenhagen.
Altherkömmliche Sitten.
Der Aberglauben.
Das Amerikafieber.


Nach Siegen.
Freusburg.
Die Sage von Schloß Freusburg.
Der Giebelwald.
Die Junkernburg bei Niederschelden.
Sage.
Bergbau.
Eisenfeld.
Ankunft in Siegen.


Siegen.
Geschichtliches.
Die Stadt und ihre Bauwerke.
Die St. Nicolaikirche.
Der Nassauische Hof.
Ausweisung der Mönche.
Fürstengruft.
Der Thiergarten.
Die eiserne Jungfrau.
Das Behweibchen vom Kirchhofe.
Die Geburtsstätte Rubens.
Siegerländer Berühmtheiten.
Geistiges Leben.

Volkes Brauch und Volkes Sitte im Sieger-Lande.
Volkskarakter.
Knappschaften.
Knappschafts-Ordnung.
Ackerbau, Wiesenkultur und Viehzucht.
Der Hirte.
Besehen.
Taufen.
Pfingstlümmel und andere Sitten.
Volksfeste.
Kaffebrech.
Hammerschmiede.
Hochwaldbestand.

Das Siegerland.
Verschiedene Ausflüge in’s Siegerland.
Bergbau und Hüttenbetrieb.

Ausflug nach Müsen.
Weg nach Müsen.
Der Köln-Müsener Bergwerk-Verein.
Bergmännisches.
Besuch der Gruben.
Die Sagen vom Kindelsberg und Altenberg.
Die böse Stadt.
Die Linde auf Schloss Kindelsberg.
Der Gasthof zum Kronprinzen von Preusen in Hilchenbach.
Das Stift Keppel.
Rückkehr nach Siegen.

Ausflug nach Ginsberg, Grund und Hilchenbach.
Karakter des Landes.
Die Sagen vom Schömelberge und der alten Burg.
Der Ginsberg.
Grund, Jung gen. Stilling.
Sein Denkmal.
Der freie Stuhl auf Schloß Ginsberg.
Der Raubritter Hübner.
Das Fehmgericht.
Geschichte der Fehme.
Hilchenbach.

Ausflug nach den Quellen der Lahn, der Sieg und der Eder.
Karakter der Gegend.
Weg von Siegen.
Wege von Netphen, Deutz.
Walpersdorf.
Der Lahnhof.
Quelle der Lahn.
Die Stiegelburg.
Fernsichten.
Das Denkmal in der Kirche zu Irmgarteichen.
Die Siegquelle.
Die Ederquelle.
Hohenrode.
Lützel.
Die Kronprinzen-Eiche.
Weg nach Siegen.
Schluß.