Nach Gerlachs Tode erwuchsen für die Abtei Siegburg und die dazugehörige Stadt recht unangenehme Verhältnisse, einmal wegen der Zustände im Reiche überhaupt, sodann auch und insbesondere wegen der Loslösung der Abtei vom Hause Berg und ihrer Zuwendung an das Erzstift Köln.
Heinrich VI. war 1197 in Sicilien gestorben und hatte zum Nachfolger im Reiche seinen erst dreijährigen Sohn Friedrich II. zurückgelassen, der zu Lebzeiten des Vaters zwar schon gewählt und von vielen anerkannt worden war, nun aber auch von eben so vielen beanstandet und zurück gewiesen wurde. Man wollte von dem „apulischen Kinde“, wie man sich ausdrückte, nichts wissen, und wählte, die einen Heinrichs Bruder, den Herzog Philipp von Schwaben, die andern Otto von Braunschweig, einen Sohn Heinrichs des Löwen. Dadurch wurde ein zehnjähriger Bürgerkrieg in Deutschland heraufbeschworen, der die schönsten Hoffnungen des Reiches zu Grabe tragen sollte. „Parteiung herrschte in aller Herren Ländern Städten, und selbst in den Familien schieden sich die Ansichten des Vaters von denen des Sohnes“.
Ausplünderung Siegburgs
Der Erzbischof Adolf hatte sich auf Seiten Ottos gestellt und in den Kölner Bürgern einen um so festeren Halt für seine Maßnahmen gefunden, als diese in der Verwandtschaft des Braunschweigers mit Englands Königshause eine sichere Bürgschaft für ihren überseeischen Handel erblickten. Indes sollte die Strafe nicht lange auf sich warten lassen. König Philipp erschien mit Ottolar von Böhmen an dem Niederrheine, um sich auch hier Anerkennung zu verschaffen, und die angeworbenen Söldnerscharen des letzteren verübten Greuelthaten vor denen sich die Sonne hätte verfinstern mögen. Andernach, Linz, Remagen und Bonn sanken in Asche, die Abteien Heisterbach, Siegburg und Altenberg wurden ausgeplündert, und das ganze Land bis nach Lennep in eine Einöde verwandelt. Nun war Philipp zwar nicht der Mann der der Greuelthaten gerne gesehen hätte, aber eine kleine Demütigung mochte er der abholden Geistlichkeit wohl gönnen und auch dem Volke seine Übermacht zeigen wollen. Der Abfall Adolfs von der Partei Ottos machte die Sache keineswegs besser. Die Kölner Bürger blieben Otto von Braunschweig treu, und dieser erschien selbst in ihrer Mitte um den abtrünnigen Adolf seines Amtes zu entsetzen. An seine Stelle wurde Bruno von Sayn eingesetzt, ohne daß der Verwünschte darum gewichen wäre. Dieser fand in Philipp von Schwaben seinen Beschützer, und abermals schleuderte die Kriegsfurie ihre Fackel ins Land, um den Gegner desselben aus den Mauern zu vertreiben. Einen fünfmaligen Angriff wußte die Stadt auszuhalten und sich zu verteidigen; allein Otto ließ sich aus derselben herauslocken und wurde bald darauf bei Wassenberg besiegt.
Es mußte seltsam zugegangen sein, wenn Siegburg bei diesen Kämpfen ohne Schaden davongekommen wäre. Die Böhmen machten keinen Unterschied zwischen Herrn und Dienern, und die Gewerbthätigkeit der Bürger erhielt einen gewaltigen Stoß. Überall stockte Handel und Verkehr, und mit Verzweiflung ertrugen die Unglücklichen den Hunger, welcher sich infolge einer Mißernte im Lande einstellte. Die Mönche spendeten zwar freudig von dem, was sie hatten, aber viel werden sie wohl nicht haben geben können, da die Hofleute selbst nichts besaßen, welches sie den Herren hätten zur Verfügung stellen können. Stundung ihrer Abgaben war das Klagelied, womit sie denselben in den Ohren lagen, und so schlich sich denn ein Defizit in der Kasse ein, welches jahrelang nicht wieder ersetzt werden konnte. Gerlachs Nachfolger Otto starb 1210 und überließ Gottfried I. eine sorgenvolle Regierung. Um dem Kloster einigermaßen wieder aufzuhelfen, beschlossen die Mönche, in Zukunft von der Erbpacht Abstand zu nehmen und die erledigten oder neu zu erwerbenden Güter lieber in Zeitpacht auszuthun, sodaß man unter Umständen auch den Pachtzins erhöhen konnte.
Engelbert von Köln und Heinrich von Limburg
Der Tod Adolfs von Berg 1218 war aber das Schlimmste, was die Abtei grade damals treffen konnte. Da jener keine männlichen Nachkommen hinterließ, so blieb den wehrlosen Mönchen Siegburgs nichts anderes übrig, als nun entweder den Gatten seiner einzigen Tochter Irmengard, den späteren Herzog Heinrich von Limburg, zum Schutzvogt zu wählen, und der stand bei der Geistlichkeit keineswegs in gutem Ansehen oder aber sich vom Hause Berg zu trennen, und sich jenen dadurch zum Feinde zu machen. Dazu kam noch, daß Adolfs Bruder, der Erzbischof Engelbert von Köln, zu Lebzeiten desselben schon verschiedene Rechte in dem bergischen Lande ausgeübt hatte und nun als Erbe des ganzen aufzutreten wagte. (Vergl. Lac. 1. c. Einleitung zu B. Il p. XXVII. und Knapp: Regenten- und Volksgeschichte der Länder Eleve, Mary, Jülich, Berg und Ravensberg.)
Heinrichs Vater, Wallraff von Luxemburg, suchte vergeblich mit seinem Sohne die Ansprüche Irmengards zur Geltung bringen und begann den Krieg mit Engelbert. Dieser verstand jedoch ebensogut das Schwert zu führen, wie er die Pflichten seines bischöflichen Amtes in keiner Weise vernachlässigte, und nach mancherlei Mißgeschick 1220 sah jener sich genötigt, Engelbert die Regierung des Landes bis seinem Tode zuzugestehen. Damit war dieser auch Schirmvogt von Siegburg geworden, ohne daß der Abt vielleicht etwas dagegen einzuwenden hatte, und was die Zukunft bringen werde, konnte man vorläufig dahingestellt sein lassen.
Übertragung der Schutzvogtei an die Kölner Kirche
Nun aber erließ Papst Honorius III. 1221 ein Dekret, dem zufolge alle Vogteien durch die Klöster gekündigt und die erledigten nicht wieder besetzt werden sollten. Das schien sowohl dem Erzbischofe wie auch dem Abte bedenklich, und nach verschiedenen Unterhandlungen zu Köln und zu Siegburg traf man das Übereinkommen, daß künftig der erzbischöfliche Stuhl die Schirmvogtei über das Kloster und seine Besitzungen übernehmen und nötigenfalls auch mit Gewalt ausüben solle. Der Papst erteilte dazu seine Genehmigung, und alles schien auf das beste geordnet.
Dies ist ein Ausschnitt aus Rudolfs Heitkamps Buch „Siegburgs Vergangenheit und Gegenwart“ von 1897. Mehr Infos dazu hier.
Kapitelübersicht
Über das Buch
Buch zur Siegburger Geschichte von 1897 wieder erhältlich
Rezension zu Siegburgs Vergangenheit und Gegenwart
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Kapitel des Buches
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I. Siegburgs älteste Verhältnisse – Wahrheit und Vermutung.
Der Siegberg und seine Bewohner
Römerstraßen & Altdeutsche Gräber
Ansiedlungen und Ständeunterschiede
Rechte und Gerichtswesen
Der Auelgau und die erste christliche Gemeinde
Die Siegburg
Pfalzgraf Heinrich und sein Streit mit Anno, Erzbischof von Köln
II. Die Gründung der Abtei
Die Gründung der Abtei, ihr Zweck, die Abteikirche & die Ordensregeln
Insassen und Ausstattung des Klosters mit Gütern
Der Burgbann, die Rechtspflege und der Vogt
Annos Tod, sei Begräbnis und seine letzte Ruhestätte
III. Die Stadt Siegburg
Die Stadt Siegburg – Markt-, Zoll & Münzrecht sowie ihre Befestigung
Ihre Verwaltung und Gerichtsbarkeit
Älteste Zustände in ihr
Lage und Beschaffenheit
IV. Entwickelung der Abtei
Entwickelung der Abtei und die Fixierung ihrer Besitzungen
Die Sage von Erpho
Klösterliches Leben und Treiben
Annos Lebensbeschreibung und das Annolied
Blutbad in Köln, geflüchtete Juden in Siegburg
Die Decanie im Auelgaue
Vornehme Begräbnisse auf der Abtei
Vermächtnis Heinrichs IV. und Heinrichs V.
Die Propsteien Oberpleis, Hirzenach, Remagen, Zülpich
Bedeutende Ordensmänner
Abt Kunos Vermächtnis und Anordnungen
Streit mit dem Kassiusstift und die Propstei Millen
Reinalds von Dassel Vorschrift hinsichtlich der abteilichen Güter
V. Städtisches
Städtisches: Marktprivilegien, Christihimmelfahrtsmarkt & Servatiustag
Städtisches Leben und Treiben
Leprosenhäuser – Krankenhäuser, die Kirche und die Einführung des St. Nikolausfestes
Die Märtensfeuer
Das Holzfahrtsfest und der Maibaum
VI. Kannosisation Annos und Siegburgs Kunstschätze
Der Streit um das Burgterrain von Blankenberg, das Burgrecht, der Schutzbrief sowie eine Wasserprobe
Annos Heiligsprechung
Annos Charakterisierung, die Abteikirche
Reliquien und Reliquienschreine
Älteste Siegel der Abtei, der Stadt und des Gerichtes etc., die Einverleibung der Kirchen Oberpleis und Zülpich
VII. Verhängnisvolle Zeiten
Ausplünderung Siegburgs, Engelbert von Köln und Heinrich von Limburg, Übertragung der Schutzvogtei an die Kölner Kirche
Heinrichs Bemühungen, dieselbe (die Schutzvogtei) für das Haus Berg wiederzuerlangen
Das Faustrecht, die Zustände auf der Abtei sowie die Visitation des Klosters
König Richard und Kölner Flüchtlinge in Siegburg
Vertrag , Burg & Pfarrkirche
Privilegium der Kölner Marktbesucher in Siegburg
Consultationsrecht der Wipperfürther (und ebenso auch der Lenneper in Siegburg)
Eine Judenverfolgung
Wortlaut der Vogtsreversalien
Ökonomische Verhältnisse der Abtei und die Einverleibung der Pfarrkirchen
Die Topfbäcker, das Waldschuldheißenamt
Siegburger Juden
VIII. Dynasten im Abtsgewande.
Verhältnis der Abtei zur Kölner Kirche, zum Reiche und dem Hause Berg
Schutz- und Trutzbündnis zwischen der Abtei und Stadt Siegburg
Verhältnis der Abtei zum römischen Stuhle
Dienstmannenverhältnis
Siegburg Enklave von Berg, Löwenburg und Blankenberg
Berg zum Herzogtum erhoben
Verhältnis zwischen Deutz und Siegburg
Propstei Aulgasse
IX. Das aufstrebende Bürgertum
Pelegrin von Drachenfels
Überrumpelung Siegburgs durch Adolf von Berg und Brand der Stadt
Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Adolf und Pelegrin
Der güldene Opferpfennig der Juden
Frühmessenstiftung
Agger- und Siegbrücke
Verwendung der Accise
Das Mühlenthor
Verkauf der Burg an das Erzstift Köln und Rückgängigkeit des Verkaufs
Die ersten Zunftbriefe
Das Schöffenessen
Ausübung des Münzrechtes der Abtei
Vorladungen vor die Feme
Das Recht des Antastes in der Vogtei und Stadt Siegburg
Der Galgenberg
Der Seidenberger Hof und das Hofgericht
Windecker Vertrag
Wolsdorf und Troisdorf
Zollstätte zu Bergheim
Formalitäten bei der Huldigungsfeier neuer Äbte
Vikar Hulweck
Das Reichskammergericht
Türkensteuer
Preisverhältnisse
X. Siegburgs Blütezeit.
Reichsunmittelbarkeit der Abtei
Restauration der Pfarrkirche
Bevölkerungsziffer der Stadt
Namen der Häuser an den Hauptstraßen
Der Tierbungert
Reformatorische Bestrebungen im Erzstift Köln etc.
Das Zunftwesen in Siegburg
Städtische Verwaltung
Neubürger
Heiden
Einwohnerzahl, Gewerbe, Accise
Das Rathaus
Protestanten in Siegburg
Sittliche Zustände in der Stadt
Gebhard Truchses von Waldburg
Kampf auf dem Brückberg
Anschlag gegen den Abt
Die Rottmannschaften
Inventare
Preisverhältnisse
Mahlzeiten
Hans Sachs „Schöne Tischzucht“
Armenpflege
XI. Ringen und Kämpfen
Lehnwesen der Abtei
Schulwesen in der Stadt
Die Trivialschule
Sittliche Zustände
Eine Hinrichtung nach Karls peinlicher Halsgerichtsordnung
Acciseneinnahmen
Der Vogtseid
Klever Vertrag vom . Okt.
Früheres Verhältnis der kontrahierenden Teile
Güter-Erwerbungen und -Veräußerungen der Abtei
Tod Herzogs Johann Wilhelm und seine Folgen für Siegburg
Belagerung von Siegburg
Spanische Besatzung in der Stadt
Das Sendgericht
Das Schätzchen von Siegburg
XIV. Das freiadlige Stift und die Unterherrlichkeit Siegburg
Heinrich Worm
Besetzung Siegburgs durch die Franzosen
Billetierung der Juden
Eine erbauliche Scene in der Kirche
Hungersnot
Ein Kirchendiebstahl
Das Minoritenkloster
Erbhuldigung des Herzogs
Zunftverhältnisse
Revision der Abtei
Ein Geleitsbrief
Die Accise
Französische Einquartierung
Größe abteilicher Höfe der Umgegend
Kriegswirren
Konsumtionssteuer
Die Vogtei Siegburg
Beschränkung der Abtei in Gütererwerbungen
Zurückbringung der geflüchteten Reliquienschreine
Die erste Apotheke in der Stadt
Sporteln der Ärzte
XV. Die Franzosen in Siegburg und die drei letzten Äbte
Der 7-jährige Krieg
Siegburger Geiseln in Stade
Der Geiselprozeß
Die Muttergotteskapelle
Huldigung des Abtes
Abschaffung von kirchlichen Feiertagen
Die neue Poststraße
Brand der Abtei
Die Pfarrkirche
Das Läuten mit den Glocken und die Donnerwettersgärten
Revolution in Frankreich
Die Maas-Sambrearmee
Kämpfe um Siegburg herum
Einquartierungen
Säkularisation der Abtei
XVIII. Blätter und Blüten aus der Neuzeit
Gemeindeordnung
Schulverhältnisse
Verlegung des Landratsamt in die Stadt
Deutz-Gießener Eisenbahn und Postverkehr
Geschäftsleben in der Stadt
Die Gasanstalt
Restauration der Kirche
Die letzten Stadtthore
Die rechtsrheinische Eisenbahn
Die Königliche Geschoßfabrik
Wohlthätigkeitsvereine und Krankenhaus
Das Vereinsleben überhaupt
Das Kriegerdenkmal
Das Königl. Lehrerseminar und das Gymnasium
Das neue Krankenhospital
Die Herz-Jesukapelle
Das städtische Schlachthaus und die Wasserleitung
Freiwillige Feuerwehr
Katholische und Evangelische Kirche
Verlegung der Irrenheilanstalt
Strafanstalten
Das Königliche Feuerwerkslaboratorium
Die neuen Stadtteile
Der Friedhof
Schulwesen
Bevölkerung von Siegburg
Geschäftsverkehr
Post- und Eisenbahnstatistiken
Verkehrswege
Städtischer Haushaltungsetat
Anhang
Liste der Äbte
Abteiliche Güter
Liste der Vögte
Wort- und Sachregister mit Erklärung und Übersetzung der im Texte vorkommenden fremdsprachlichen Stellen und Ausdrücke sowie anderen Erläuterungen.