Man versammelte sich von Zeit zu Zeit an der Dingstätte, auf der Dorfwiese oder an einem andern dazu geeigneten Orte, um die Tagesfragen zu besprechen und die gemeinsamen Interessen wahrzunehmen. Was nur immer die Gesamtheit als solche anging, oder der Einzelne für sich in Beratung gehen wollte, wurde hier eingehend geprüft und zur Entscheidung gebracht: die Aufnahme neuer Mitglieder in die Gemeinde, die Ausnutzung des Waldes und die Bestellung der Äcker nach der Dreifelderwirtschaft, Kauf und Verkauf von Gütern, Erbschaftsangelegenheiten und Verträge, und was dergleichen Sachen mehr waren, insbesondere aber auch die Rechtspflege geübt, da nach altdeutscher Auffassung das Recht kein von außen her gegebenes, kein in sich freistehendes, totes, sondern ein lebendig im Volksbewußtsein getragenes und sich fortentwickelndes war, das daher auch nicht dem Gutachten eines einzelnen überantwortet werden konnte, sondern jedesmal aus der Gesamtanschauung der Rechtsgenossen geschöpft und von diesen gewiesen werden mußte. Ihre Entscheidungen waren Weistümer, und der Verkünder des Urteils nicht gerade rechtsprechender Richter, sondern eben nur Bekanntgeber des gewiesenen, d. i. gezeigten Rechtes.
Das Urteil stützte sich teils auf offenkundige Thatsachen, teils auf Zeugenaussagen und Eidschwur des Verklagten oder des Klägers, oder auch wohl auf Ordale, wenn solche beliebt wurden. In den meisten Fällen genügte diese Handhabung, um ein zutreffendes Urteil herbeizuführen; wenn aber Aussage gegen Aussage stand, und der Beweis nicht mit voller Sicherheit erbracht werden konnte, so griff man zu einem besonderen Mittel, welches die Neuzeit nicht mehr kennt und mit Recht auch verworfen hat; man zog Eideshelfer herbei, d. h. Leute , die unter Pfandsetzung ihres Vermögens zu erklären hatten, daß sie den Unschuldseid des Verklagten für ächt und rein und nicht für mein, d.i. falsch hielten, worauf Freisprechung erfolgte. Konnte aber der Kläger die doppelte und im Steigerungsfalle die dreifache Anzahl (an Eideshelfern) stellen, so ward diesem Recht gegeben und der Angeklagte zu der Buße oder dem Wergelde, wie man nannte, verurteilt. Dieses Wergeld bildete den Angelpunkt der ganzen ripuarischen Strafordnung, und von der Blutrache mußte Abstand genommen werden, sobald jenes von dem Thäter oder dessen Angehörigen erlegt war (Fahne: Gesch. der verschiedenen Geschlechter Bochholz I, 1 S. 264, Anm. Der römische Solidus, seit Konstantin dem Großen im Gebrauch, war eine Goldmünze im Werte von jetzt etwa 9 Mark. Aus Solidus ist Schilling entstanden, klingende Münze, von scellan. Im Mittelalter war er der 20. Teil eines Pfundes Silber, 12 Denare umfassend a 10 Us, oder 50 Pfennige heutzutage.).Insgemein büßten Freie unter sich jeden Schlag mit einen Schilling, floß Blut dabei zur Erde, mit 9 Schilling; die Schädigung eines Auges, Ohres oder der Hand kostete 50, die Vernichtung dieser Glieder 100 Schilling; der einfache Totschlag wurde auf 200 dergleichen Münzen geschätzt, absichtlicher Mord auf 600, und es machte einen Unterschied dabei, ob letzterer im Hause oder im Freien, im Kriege vor dem Feinde oder im Frieden stattgefunden hatte. Im ersteren Fall sühnte ihn das Dreifache des gewöhnlichen Satzes. Für Mord an Blutsverwandten gab es kein eigentliches Wergeld, sondern nur Einziehung des Vermögens und Verbannung, wobei die Blutrache noch bestehen blieb. Für Brandstiftung und Herdendiebstahl hatte man nicht geringere Strafen festgesetzt, und der Hehler galt gleich dem Stehler. Um sich eine Vorstellung von dem Geldeswerte zu machen, beachte man die Schätzung desselben nach Tieren. Eine gesunde Kuh wurde für einen Schilling erstanden, zwei dieser Stücke wogen einen Ochsen, drei ein Mutterpferd und sechs ein männliches Roß auf. Der Schultheiß hatte die Strafen von dem Betreffenden einzuziehen und an den Empfangsberechtigten zu übermitteln. Die Gemeinde selbst hatte selten Anteil daran. Nachdem aber das Königtum zur Geltung gekommen war, und die Rechtsprechung in seinem Namen erfolgte, ward auch jenem ein Teil des Wergeldes erkannt, und der Volksfriede ward zum Königsfrieden, den niemand ohne Buße an den Herrn verletzen durfte.
Es versteht sich nun von selbst, daß mit der Durchführung des Staatsgedankens auch die Selbstregierung größere Einschränkung erlitt und daß königlichen Behörden (Walter: Deutsche Rechtsgeschichte § 98.) übertragen wurde, was ehemals Vertrauensmänner im Dienste der Gemeinde besorgten. Die Gaugrafen erhielten amtliche Bestallung und mit der Sorge für die öffentliche Sicherheit nicht nur die Verwaltung des Kreises, sondern auch eine Art gesetzgeberischer Gewalt, daß sie Verwaltungsbefehle mit Strafandrohungen versehen und die Widerspenstigen zum Gehorsam zwingen konnten.
Stellvertreter in den Gemeinden waren die Hundertmänner oder die Gentenare. In den kleineren Gerichtssitzungen leiteten diese die Geschäfte in den größeren sie selbst, und das Urteil ward nun nicht mehr der Gesamtheit der Gemeinde abverlangt, sondern einer Anzahl von Schöffen überwiesen, die lebenslänglich zu dem Amte erkoren und eidlich zur Gewissenhaftigkeit im Dienste verpflichtet wurden. Es ist das eine Anordnung Karls des Großen. (Walter 1. c. § 102)
Dies ist ein Ausschnitt aus Rudolfs Heitkamps Buch “Siegburgs Vergangenheit und Gegenwart” von 1897. Mehr Infos dazu hier.
Kapitelübersicht
Über das Buch
Buch zur Siegburger Geschichte von 1897 wieder erhältlich
Rezension zu Siegburgs Vergangenheit und Gegenwart
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Kapitel des Buches
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I. Siegburgs älteste Verhältnisse – Wahrheit und Vermutung.
Der Siegberg und seine Bewohner
Römerstraßen & Altdeutsche Gräber
Ansiedlungen und Ständeunterschiede
Rechte und Gerichtswesen
Der Auelgau und die erste christliche Gemeinde
Die Siegburg
Pfalzgraf Heinrich und sein Streit mit Anno, Erzbischof von Köln
II. Die Gründung der Abtei
Die Gründung der Abtei, ihr Zweck, die Abteikirche & die Ordensregeln
Insassen und Ausstattung des Klosters mit Gütern
Der Burgbann, die Rechtspflege und der Vogt
Annos Tod, sei Begräbnis und seine letzte Ruhestätte
III. Die Stadt Siegburg
Die Stadt Siegburg – Markt-, Zoll & Münzrecht sowie ihre Befestigung
Ihre Verwaltung und Gerichtsbarkeit
Älteste Zustände in ihr
Lage und Beschaffenheit
IV. Entwickelung der Abtei
Entwickelung der Abtei und die Fixierung ihrer Besitzungen
Die Sage von Erpho
Klösterliches Leben und Treiben
Annos Lebensbeschreibung und das Annolied
Blutbad in Köln, geflüchtete Juden in Siegburg
Die Decanie im Auelgaue
Vornehme Begräbnisse auf der Abtei
Vermächtnis Heinrichs IV. und Heinrichs V.
Die Propsteien Oberpleis, Hirzenach, Remagen, Zülpich
Bedeutende Ordensmänner
Abt Kunos Vermächtnis und Anordnungen
Streit mit dem Kassiusstift und die Propstei Millen
Reinalds von Dassel Vorschrift hinsichtlich der abteilichen Güter
V. Städtisches
Städtisches: Marktprivilegien, Christihimmelfahrtsmarkt & Servatiustag
Städtisches Leben und Treiben
Leprosenhäuser – Krankenhäuser, die Kirche und die Einführung des St. Nikolausfestes
Die Märtensfeuer
Das Holzfahrtsfest und der Maibaum
VI. Kannosisation Annos und Siegburgs Kunstschätze
Der Streit um das Burgterrain von Blankenberg, das Burgrecht, der Schutzbrief sowie eine Wasserprobe
Annos Heiligsprechung
Annos Charakterisierung, die Abteikirche
Reliquien und Reliquienschreine
Älteste Siegel der Abtei, der Stadt und des Gerichtes etc., die Einverleibung der Kirchen Oberpleis und Zülpich
VII. Verhängnisvolle Zeiten
Ausplünderung Siegburgs, Engelbert von Köln und Heinrich von Limburg, Übertragung der Schutzvogtei an die Kölner Kirche
Heinrichs Bemühungen, dieselbe (die Schutzvogtei) für das Haus Berg wiederzuerlangen
Das Faustrecht, die Zustände auf der Abtei sowie die Visitation des Klosters
König Richard und Kölner Flüchtlinge in Siegburg
Vertrag , Burg & Pfarrkirche
Privilegium der Kölner Marktbesucher in Siegburg
Consultationsrecht der Wipperfürther (und ebenso auch der Lenneper in Siegburg)
Eine Judenverfolgung
Wortlaut der Vogtsreversalien
Ökonomische Verhältnisse der Abtei und die Einverleibung der Pfarrkirchen
Die Topfbäcker, das Waldschuldheißenamt
Siegburger Juden
VIII. Dynasten im Abtsgewande.
Verhältnis der Abtei zur Kölner Kirche, zum Reiche und dem Hause Berg
Schutz- und Trutzbündnis zwischen der Abtei und Stadt Siegburg
Verhältnis der Abtei zum römischen Stuhle
Dienstmannenverhältnis
Siegburg Enklave von Berg, Löwenburg und Blankenberg
Berg zum Herzogtum erhoben
Verhältnis zwischen Deutz und Siegburg
Propstei Aulgasse
IX. Das aufstrebende Bürgertum
Pelegrin von Drachenfels
Überrumpelung Siegburgs durch Adolf von Berg und Brand der Stadt
Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Adolf und Pelegrin
Der güldene Opferpfennig der Juden
Frühmessenstiftung
Agger- und Siegbrücke
Verwendung der Accise
Das Mühlenthor
Verkauf der Burg an das Erzstift Köln und Rückgängigkeit des Verkaufs
Die ersten Zunftbriefe
Das Schöffenessen
Ausübung des Münzrechtes der Abtei
Vorladungen vor die Feme
Das Recht des Antastes in der Vogtei und Stadt Siegburg
Der Galgenberg
Der Seidenberger Hof und das Hofgericht
Windecker Vertrag
Wolsdorf und Troisdorf
Zollstätte zu Bergheim
Formalitäten bei der Huldigungsfeier neuer Äbte
Vikar Hulweck
Das Reichskammergericht
Türkensteuer
Preisverhältnisse
X. Siegburgs Blütezeit.
Reichsunmittelbarkeit der Abtei
Restauration der Pfarrkirche
Bevölkerungsziffer der Stadt
Namen der Häuser an den Hauptstraßen
Der Tierbungert
Reformatorische Bestrebungen im Erzstift Köln etc.
Das Zunftwesen in Siegburg
Städtische Verwaltung
Neubürger
Heiden
Einwohnerzahl, Gewerbe, Accise
Das Rathaus
Protestanten in Siegburg
Sittliche Zustände in der Stadt
Gebhard Truchses von Waldburg
Kampf auf dem Brückberg
Anschlag gegen den Abt
Die Rottmannschaften
Inventare
Preisverhältnisse
Mahlzeiten
Hans Sachs „Schöne Tischzucht“
Armenpflege
XI. Ringen und Kämpfen
Lehnwesen der Abtei
Schulwesen in der Stadt
Die Trivialschule
Sittliche Zustände
Eine Hinrichtung nach Karls peinlicher Halsgerichtsordnung
Acciseneinnahmen
Der Vogtseid
Klever Vertrag vom . Okt.
Früheres Verhältnis der kontrahierenden Teile
Güter-Erwerbungen und -Veräußerungen der Abtei
Tod Herzogs Johann Wilhelm und seine Folgen für Siegburg
Belagerung von Siegburg
Spanische Besatzung in der Stadt
Das Sendgericht
Das Schätzchen von Siegburg
XIV. Das freiadlige Stift und die Unterherrlichkeit Siegburg
Heinrich Worm
Besetzung Siegburgs durch die Franzosen
Billetierung der Juden
Eine erbauliche Scene in der Kirche
Hungersnot
Ein Kirchendiebstahl
Das Minoritenkloster
Erbhuldigung des Herzogs
Zunftverhältnisse
Revision der Abtei
Ein Geleitsbrief
Die Accise
Französische Einquartierung
Größe abteilicher Höfe der Umgegend
Kriegswirren
Konsumtionssteuer
Die Vogtei Siegburg
Beschränkung der Abtei in Gütererwerbungen
Zurückbringung der geflüchteten Reliquienschreine
Die erste Apotheke in der Stadt
Sporteln der Ärzte
XV. Die Franzosen in Siegburg und die drei letzten Äbte
Der 7-jährige Krieg
Siegburger Geiseln in Stade
Der Geiselprozeß
Die Muttergotteskapelle
Huldigung des Abtes
Abschaffung von kirchlichen Feiertagen
Die neue Poststraße
Brand der Abtei
Die Pfarrkirche
Das Läuten mit den Glocken und die Donnerwettersgärten
Revolution in Frankreich
Die Maas-Sambrearmee
Kämpfe um Siegburg herum
Einquartierungen
Säkularisation der Abtei
XVIII. Blätter und Blüten aus der Neuzeit
Gemeindeordnung
Schulverhältnisse
Verlegung des Landratsamt in die Stadt
Deutz-Gießener Eisenbahn und Postverkehr
Geschäftsleben in der Stadt
Die Gasanstalt
Restauration der Kirche
Die letzten Stadtthore
Die rechtsrheinische Eisenbahn
Die Königliche Geschoßfabrik
Wohlthätigkeitsvereine und Krankenhaus
Das Vereinsleben überhaupt
Das Kriegerdenkmal
Das Königl. Lehrerseminar und das Gymnasium
Das neue Krankenhospital
Die Herz-Jesukapelle
Das städtische Schlachthaus und die Wasserleitung
Freiwillige Feuerwehr
Katholische und Evangelische Kirche
Verlegung der Irrenheilanstalt
Strafanstalten
Das Königliche Feuerwerkslaboratorium
Die neuen Stadtteile
Der Friedhof
Schulwesen
Bevölkerung von Siegburg
Geschäftsverkehr
Post- und Eisenbahnstatistiken
Verkehrswege
Städtischer Haushaltungsetat
Anhang
Liste der Äbte
Abteiliche Güter
Liste der Vögte
Wort- und Sachregister mit Erklärung und Übersetzung der im Texte vorkommenden fremdsprachlichen Stellen und Ausdrücke sowie anderen Erläuterungen.