Deutsche Heimarbeit

Fast eine jede Gegend hat ihre Hausindustrie. Meist hängt diese Thätigkeit mit dem zusammen, was die Landschaft produziert. Und so hat denn Oberfranken mit seinen reichen Weidenbeständen am Obermain die Korbflechtwarenindustrie.

Die grobe Korbmacherei bestand schon lange und besteht ja heute in vielen Gegenden noch. Die Landwirte flechten mit ihren derben Händen Fruchtkörbe zum Einsammeln der Preißelbeeren und anderer Früchte, Wasch- und Tragkörbe und sonstige Hauswirtschaftsartikel an langen Winterabenden. Große Kunst entwickeln sie dabei nicht. Und das Material wächst ihnen meist wild am Strand des Baches ihrer Wiesen. Was aber in einer Gegend stets auf gleicher Stufe, auf gleichem Können stehen bleibt – in andern entwickelt es sich durch das Eingreifen einiger findiger Köpfe und durch den Zwang der Not zu einer beachtenswerten Höhe.

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So war es auch in dem Dorf Michelau im Amtsbezirk Lichtenfels. Die Korbmacherei war dort schon lange zu Hause. Schon im 16. Jahrhundert gab es „Weydenwirte“. Aber im 18. Jahrhundert wurde in Michelau die feinere Korbmacherei erfunden, und zwar von Johannes Puppert, der 1773 laut Urkunde, die sich im Archiv zu Bamberg befindet, das erste feine Körbchen aus geschabten und gespaltenen Weiden verfertigte. Es existieren jetzt noch in Michelau Korbhobel von Johannes Puppert, die er sich für seinen eigenen Gebrauch herstellte und mit der Jahreszahl kennzeichnete.

Beim Flechten von Obst- und Blumenkörben

Wie so vielen erfinderischen Menschen, die zur Wohlthat ihrer Umgebung leben, ging es auch dem Erfinder der Korbflechterei; er verarmte, und seine selbstgeschmiedeten und gefeilten Hobel wurden versteigert.

Es ist das ein charakteristisches Bild aus der Dürftigkeit der Gegend. Puppert hatte seinen hungernden Landsleuten den Weg zur Ernährung gewiesen. Sie, die sonst hätten auswandern müssen, ohne Hab und Gut, konnten nun ihr Brot in der Heimat bis an ihr Lebensende essen.

Doch konnten sie den Begründer der Industrie, die sie ernährte, nicht vor Armut schützen.

Damals war die Korbmacherei eben nur ein Nebenerwerb. Die meisten Dörfler lebten vor allem noch von dem Ertrag ihrer Parzellen und beschäftigten sich nur im Winter mit Korbflechterei. Im Frühjahr zogen sie mit einem bepackten Schiebkarren im nächsten Lande herum. War aber Feldarbeit zu verrichten, so ward der Vorrat einem Nachbar mitgegeben. Nebenbei verdienten sich die Dörfler auch noch einiges mit Flachspinnen. Dieser zusammengesetzte, unentwickelte Erwerb währte jedoch nur bis zur Entwicklung des Verkehrs.

Palmkörbe und Möbelklopfer

Heute hat die Korbflechterei ihre bestimmte Regeln.

Das Material und seine Bearbeitung ist festgelegt. Nur die Formen der Körbe verändern, verfeinern sich mit den Jahrzehnten. Meist werden die Weidenruten verwendet, die übrigens heute nicht mehr unentgeltlich aus dem am Rand des Flusses wuchernden Gebüsch geschnitten werden dürfen. Was anfänglich wie eine Wohlthat empfunden wurde, die Lockerung und Lichtung des Gebüsches, das ist heute Eigentumsfrevel. Die Weidenkulturen sind ebenso ein landwirtschaftlicher Betrieb geworden, wie etwa der Obstbau. Im Frühjahr und im Herbst, wenn das Holz am saftigsten, werden die Ruten geschnitten. Sowie sie vom Baum kommen, noch feucht und biegsam, werden sie geschält. Durch eine eiserne oder hölzerne Klemme zieht man die Ruten, die Rinde springt auf und läßt sich leicht abziehen. Dann werden die Ruten getrocknet, und nun behalten sie jahrelang ihre weiße Farbe und können, wenn sie durch Wässern ihre alte Zähigkeit erhalten haben, zum Flechten verwendet werden. Dies Schälen und das für feinere Korbflechtereien notwendige Spalten und Hobeln der Ruten wird gewöhnlich von Frauen und Kindern verrichtet. Ueberhaupt müssen alle Familienmitglieder mit bei der Arbeit sein, soll sie sich lohnen. Den Frauen bleibt im besondern das Verputzen und Anbringen von Verzierungen, Schlössern u. s. w. vorbehalten. Auch müssen sie die Böden der Körbe flechten, wozu eben weniger Geschicklichkeit gehört. Ist der Boden fertig, so zieht einer der Männer die Ruten ein; dann wird eine Form aus Holz, die dem Innern des Korbes entspricht, eingesetzt und der Korb von geschickten, sicheren Manneshänden

Wie die Böden der Körbe geflochten und die Böden eingezogen werden

Allerdings wagen sich die Frauen auch an kleinere oder zartere Flechtereien. Doch wird die Hauptmasse der Körbe von Männern hergestellt. Dadurch, daß die Kinder der Korbmacher schon früh mithelfen müssen, wachsen sie in ihren Beruf hinein, ohne eine besondere Lehrthätigkeit durchzumachen, und manche erreichen eine ganz besondere Geschicklichkeit, die schon fast Kunst zu nennen ist. Ganz merkwürdige Geräte bauen sie auf. Doch sind das meist nur gelegentliche Spielereien. Ihren Erwerb finden sie nur in der Anfertigung von Massenware. Meist werden Blumenkörbe, Marktkörbe und Obstkörbe hergestellt. Die Art des Betriebs ist das Verlagsgeschäft, das sich hier später entwickelt hat und leider auch noch lebenskräftiger ist, als der gleiche Betrieb in der Weberei. Leider denn jede Hausindustrie, bei der alle Familienmitglieder von früh bis spät mitarbeiten müssen, ist ja kein allzu erstrebenswertes Ideal, besonders die Korbflechterei mit ihrem Holzstaub und dem beim Bleichen der fertigen Körbe sich immer entwickelnden Schwefeldampf.

Und es ist wirklich wie ein Bild aus vergangenen Zeiten, wenn die Flechter mit schier ungeheuerlichen Mengen, in denen sie fast verschwinden, in denen sie oft wie sonderbare Pflanzen aussehen, am Lieferungstag bei dem Großkaufmann antreten, um ihre Arbeiten abzusetzen.

Der Lieferungstag

Früher gingen die Flechter selbst mit ihren Waren handeln. In die weite Welt. Bis sich um die Wende des 18. Jahrhunderts sogenannte Korbführer ausbildeten, die die Waren ihrer Nachbarn bis nach Mailand, Lissabon und selbst über das große Wasser, bis nach Mittel· und Südamerika ausführten. Aus ihren Betrieben entwickelten sich dann zu Anfang des 19. Jahrhunderts die großen Korbhandlungen, die ihre Bestellungen zu Tausenden ausgeben und für die oft ein Korbflechter sein Lebelang die nämliche Form liefert.

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.11.1902 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „H. O.“.