Kinderfest – Zauberwort! Die Augen der Kleinen strahlen, die Herzen schlagen höher, wenn man davon spricht. Was giebt es in lachenden Sommertagen auch wohl schöneres für ein Kinderherz als solche Feste im Freien?
Kinderfeste waren zu allen Zeiten beliebt. Wenn die Familien vergangener Tage im Kremser hinauszogen in den Wald, wenn die Kleinen auf grüner Haide sich zusammenfanden zu allerhand frohen Spielen – war das nicht auch ein Kinderfest?
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Es ist mit den modernen Kinderfesten nicht anders wie mit jenen alten; auch sie wollen nichts weiter, als die Kinder für ein paar Stunden im Grünen zu harmloser Fröhlichkeit vereinen. Nur ein anderer Zug ist in das Ganze gekommen.
Es sind nicht bloß die Kinder aus ein paar befreundeten Familien; es sind Kinder von nah und fern, die sich auf dem richtigen Kinderfest versammeln. Das giebt diesen den Reiz alter Volksfeste, besonders. wenn es in einem Garten veranstaltet wird, wo die Jugend aller Stände nebeneinander spielt. Kinderfeste feiert man heute überall und zu jeder Zeit vom ersten Frühling bis in den Herbst hinein, in der Stadt und auf dem Land. Jeder Verein giebt seinem jungen Nachwuchs wenigstens einmal im Sommer ein Kinderfest. In den Badeorten werden die Feste der Kleinen ebenso veranstaltet wie die Feste der Großen. Der Villenbesitzer wie der Taubenkolonist versammeln die Kinder ihrer Bekanntschaft zu einem Tag, der nur ihnen gilt, ihnen allein. Für die Sommerlokale der Großstädte bedeuten die Kinderfeste sogar einen wichtigen Faktor in den Einnahmen, und so überbietet denn nicht selten ein Wirt den andern in lockenden Veranstaltungen. Da giebt es Strandfeste, Ernte- und Winzerfeste mit Spiel und Musik, bis es Abend wird.
Unsere Bilder führen uns mitten in den Jubel und Trubel moderner Kinderfeste hinein. Die Großen treten dabei fast ganz zurück. Das Kinderfest gehört den Kleinen. Alles, was an diesem Tag geschieht, geschieht nur für sie. Da giebt es alles, was nur ein Kinderherz entzücken kann. Würfelbuden und Kasperletheater, schaukeln und Turngeräte, vielleicht auch gar ein Karussell und dann vor allem die Spiele – und die Spiele sind und bleiben doch das Beste von allem.
Die „Babies“ interessiert besonders die Würfelbude, und wenn der Wurf „für’n Groschen über zwölf“ gewonnen hat, wird natürlich eine Schippe und ein Sandeimer gewählt, und da sitzen sie denn zwischen Tisch und Stühlen auf dem Boden und „mollen“ mit einem Eifer, wie er nur Kindern eigen.
Die Größeren sind schon etwas wählerischer, wenn sie gewinnen. Die Mädchen nehmen in der Regel Puppen, die Knaben Peitsche und Gewehr oder ein Schiff. Das Schiff ist besonders begehrt. das kann man auf dem Fontänebecken schwimmen lassen und am nächsten Tage auf dem Fluß oder gar auf der See. Der Junge auf unserm Bildchen hat gleich eine stolze Fregatte genommen, und mit einem langen Stöckchen lenkt er sie bedächtig über die „wogende Flut“.
Der Hauptanziehungspunkt bleibt aber doch der Spielplatz. Da strömt die ganze Kinderschar zusammen. Was spielt man da für Spiele! Das Zeitalter des Sports, wo alle Kräfte sich messen, setzt auch auf dem Spielplatz jene Unterhaltungen, wo es körperliche Gewandtheit zu zeigen gilt, obenan. Wettlauf, Ketteziehen, Kletter und Turnübungen stehen hoch in Gunst. Unser Bild zeigt den Wettlauf der Jüngsten. Mit Leib und Seele sind sie bei der Sache. Strahlend über das ganze Gesicht rennen sie über den weichen Rasen. Wer zuerst am Ziel ist, erhält eine Düte; da heißt es freilich: laufe, was du kannst!
Und auch die kleinen Mädchen sind emsig bei der Sache; tapfer und fest stehen sie da, damit die Kette nicht reißt, läßt eine „Schwache“ aber endlich doch los, ist der Jubel freilich um so größer.
Und dann das Topfschlagen, das gute alte deutsche Spiel!
Lange vergessen, erwacht es auf dem Kinderfest zu neuem Leben. Ist das ein Spaß, wenn der Stock nach den aller unmöglichsten Richtungen trifft! Wer den Topf zerschlägt, erhält wieder eine Belohnung.
Für die größeren Knaben werden daneben Kletterbäume aufgerichtet, oben in den Zweigen hängen die schönsten Sachen, große Pfefferkuchen und Federkästen, Gewehre und Peitschen und Trompeten. Da lohnt es sich schon, den Stamm hinaufzusteigen und zu holen, was man erreichen kann. Auch das Sackhüpfen und das Wurstschnappen gehören zu den beliebtesten Spielen der Kinderfeste. Und sind die allgemeinen Spiele zu Ende, giebt es noch immer Abwechslung genug. Da winkt wohl gar der Turnplatz mit Barren und Schaukel, mit seinem „Rundlauf.
Ja, dieser wundervolle Rundlauf! Man kann an ihm schweben wie der Vogel in der Luft, man kann sich schwingen und schaukeln. Der Rundlauf wird beinahe niemals leer. Die kleinen Mädchen sind seine ganz besonderen Verehrerinnen.
Dazwischen winkt denn auch noch die Tombola, bei der man alles mögliche gewinnen kann. Auf Berliner Kinderfesten wurden schon ganze Ziegenbockgespanne verlost. Viele amüsieren sich auch auf eigene Faust.
Auf dem Kinderfest schließt man schnell Freundschaft. Die Fremdesten finden sich plötzlich zusammen zu fröhlichem Spiel. Zeck und Versteck – alles muß herhalten. Daneben werden auch eigne Spiele erfunden, die allernärrischsten Spiele mitunter, und gerade die amüsieren. Da kommandiert das kleine Mädchen: „Geht zu Bett!“ – und augenblicklich sinkt die übrige Schar in den Sand und thut, als wenn sie schliefe.
Und so wird denn gespielt, gejubelt, gelacht und gesungen bis der Abend kommt und der Fackelzug mit den bunten Stocklaternen, voran die Musik, den „Anfang vom Ende“ bringt.
Ist das Feuerwerk dann auch verpufft, sind die letzten bengalischen Flammen verglüht, geht es müde und selig nach Haus, und noch im Traum stammeln kleine rote Lippen „Ach, Mutterchen, es war zu schön!“
Dieser Artikel von D. Goebeler erschien zuerst am 26.07.1902 in Die Woche.