Auch der neuste Feldzug, dessen Ziel die Eroberung des Nordpols war, hat nicht den gewünschten Erfolg gehabt; Baldwin scheiterte auf der europäischen Seite schon im ersten Anlauf, sein früherer Gefährte Peary kam auf der amerikanischen Seite trotz jahrelangen Ringens nur wenig über den 84. Grad hinaus, und Sverdrup endlich, der den Nordpol freilich nur dann zu nehmen vorhatte, wenn er ihm zufällig „in den Weg käme“, wurde an einer Stelle der Arktis festgehalten, die als Operationsbasis für einen Angriff auf den Pol überhaupt kaum in Betracht kommt.
Trotzdem wäre es durchaus verfehlt, wollte man – von der Baldwinschen Unternehmung abgesehen – von einem wirklichen Mißerfolg, von Ergebnislosigkeit reden. Allerdings, der Name des Mannes, dem sich der Nordpol der Erde entschleierte, würde unsterblich sein; aber eine wissenschaftliche Aufgabe von sonderlicher Bedeutung hätten ihm Glück und Zufall damit nicht gelöst. Aller Wahrscheinlichkeit nach giebt es Länder von irgend nennenswerter Ausdehnung nördlich vom 83. Breitengrad nicht, und das veränderliche Eis eines Meeres dürfte die Stelle überdecken, wo der Pol zu suchen ist; diese Stelle kennen zu lernen, ist daher mehr von sportlichem, als von wissenschaftlichem Interesse. Immerhin hat jenes lockende Ziel die Polarforschung des letzten Jahrzehnts beflügelt, ihr seit Nansens Ausfahrt den charakteristischen Stempel aufgedrückt, und was dabei, sozusagen nebenher, für Erdkunde, Meteorologie und Magnetismus gewonnen worden ist, erscheint so gewichtig, daß die gewaltige Kraftanstrengung eines Nansen, eines Wellman, eines Herzogs der Abruzzen, eines Peary und Sverdrup der höchsten Bewunderung und Wertschätzung würdig bleibt.
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Beinah gleichzeitig haben die letzten in dieser Kämpferreihe, Peary und Sperdrup, den heimatlichen Boden wieder betreten, und als der Telegraph Kunde davon gab, horchte die ganze Welt erwartungsvoll auf. Peary, so mag zunächst betont werden, war nicht verschollen, ist also auch nicht „aufgefunden“ worden; dagegen behob das endliche Wiederauftauchen des seit drei Jahren vermißten Sverdrup die ernstesten Besorgnisse.
Der amerikanische Ingenieur und Marineleutnant Robert E. Peary machte bereits 1886 mit dem Inlandeis Grönlands Bekanntschaft und war sodann 1891-92 und 1893-95 auf der Smithsundroute thätig, vornehmlich in der Absicht, die nördliche Ausdehnung Grönlands festzustellen. Zeitweise begleitete ihn hierbei seine mutige Gattin, Frau Josephine Diebitsch-Peary, die ihm im hohen Norden, im Winterquartier an der Inglefieldbai (177 ° 40‘ n. Br.), im September 1893 ein Töchterchen gebar. Die Ergebnisse dieser Forschungen bestanden unter anderm in einer eingehenden Aufnahme der Inglefieldbai, in der Erkenntnis, daß Grönland über Kap Washington hinaus nicht mehr weit nach Norden reichen könne, und in der Entschleierung der Nordostküste Grönlands (Independencebai). Ferner machte Peary genauere Bekanntschaft mit dem interessanten kleinen Eskimostamm, der an der westgrönländischen Küste bei Etah lebt, den nördlichst wohnenden Menschen. Diese Reisen, sowie die Fahrten von 1896 und 1897 in der Melvillebai, die der Bergung eines großen Meteoriten galten, beschrieb Peary in dem 1898 erschienenen zweibändigen Werk „Northward over the Great Ice“, nachdem seine Gattin bereits 1893 in ihrem Buch „My Artic Journal“ die Wanderung zur Independencebai geschildert hatte.
1898 brach Peary zu seiner letzten großen Reise auf, die der Erforschung des äußersten Nordens von Grönland und der Bezwingung des Pols galt. Die Mittel dazu gewährte eine Vereinigung von Freunden der Polarforschung, der „Peary Artic Club“ in Neuyork, und Pearys Plan ging dahin, auf der Smithsundroute Lebensmitteldepots immer weiter nach Norden vorzuschieben und dann mit Hundeschlitten und Eskimos den entscheidenden Vorstoß zum Pol zu wagen; ferner wollte der Klub alljährlich im Sommer ein Schiff in den Smithsund senden, um die Verbindung der Expedition mit der Außenwelt aufrechtzuerhalten. Peary verließ, nur von einem schwarzen Diener begleitet, am 2. Juli 1898 an Bord der „Windward“ Neuyork und überwinterte auf 1899 mit dem Schiff in der Allmanbai (79° 30‘ n. Br., an der Ostküste von Grinnellland). Während dieses ersten Winters erforschte er den Hayessund, der bis dahin für eine Meeresstraße gehalten wurde, sich nun aber als eine weitverzweigte Bucht erwies, worauf er den nächsten Winter (1899-1900 in Etah und auf Kap Sabine zubrachte. Schon im März 1900 ging Peary nach Norden und trat im April von Fort Conger aus seine erfolgreiche Schlittenreise die Nordküste Grönlands entlang an. Wenig östlich von Kap Washington erreichte er unter 83° 39‘ n. Br. die Nordspitze dieses Polarlandes, worauf er über das teilweise offene und schwer gangbare Eis polwärts bis 83° 50‘ vorstieß; dann verfolgte er die Küste nach Osten und Südosten, bis er die Independencebai in Sicht bekam, und kehrte auf dem gleichen Weg nach Fort Conger zurück.
Peary hatte damit seine Aufgaben in Grönland erledigt.
In Fort Conger an der Lady Franklinbai (81° 44‘ n. Br.) überwinterte Peary auf 1901, er durchreiste das Innere von Grinnell und Grantland und ging im April 1901 an der Ostküste von Grantland von neuem polwärts vor. Menschen und Tiere befanden sich jedoch in so schlechter Verfassung, daß Peary nicht einmal bis Kap Hecla kam und nach zehn Tagen umkehren mußte; er zog sich darauf nach Süden zurück und traf bei Kap Sabine die ihm 1900 nachgesandte „Windward“, die ihm Gattin und Tochter nachgeführt hatte. Da die „Windward“ im Herbst 1900 nicht zurückgekommen war, sondern draußen überwintert hatte, so war man bis zum Herbst 1901 in Sorge um Pearys Schicksal.
Noch ein weiteres Jahr harrte nun Peary auf seinem Forschungsfeld aus, nachdem er Frau und Tochter in die Heimat gesandt hatte. sein Winterquartier war diesmal der Payerhafen bei Kap Herschel. Wie fest man in Amerika im vergangenen Herbst davon überzeugt war, daß Peary doch schließlich sein großes Ziel erreichen würde, geht aus einer Aeußerung des Sekretärs des „Peary Aretic Club“ hervor, der da versicherte, Peary „returns 1902 with Pole“, Demgegenüber hat der Verfasser vor solchen hochgespannten Erwartungen gewarnt („Globus“ Bd. 81, S. 25), unter Hinweis darauf, daß das Eis der inselfreien Lincolnsee wohl nur sehr selten dem Schlitten eine Heerstraße zum Pol eröffnet. In der That ist Peary im April 1902 nordwestlich von Kap Hecla trotz übermenschlicher Anstrengungen nur bis 84° 17‘ n. Br. gelangt; die Eisdecke war zu uneben und nicht geschlossen. Daß Pearys Werk trotzdem bewundernswert ist, haben wir bereits eingangs betont.
Als Peary auf 1899 in der Allmanbai überwinterte, lag etwas weiter südlich, bei dem Inselchen Cocket Hat (70° 50‘ n. Br.), die „Fram“ Sperdrups im Eis fest. Der ebenso kühne wie erfahrene norwegische Kapitän, der Gefährte Nansens auf dem grönländischen Inlandeis und nautische Leiter der großen Nansenschen Expedition von 1893-1896, war am 27. Juni 1898 mit nicht sicher bekannten Zielen von Christiania nach dem Smithsund abgesegelt. Man hat vielfach gemeint, Sverdrup habe Grönland im Norden umfahren und seine Ausdehnung ermitteln, also mit Peary in Konkurrenz treten wollen; es scheint indessen, daß er nur schlechtweg irgendeine bedeutende Aufgabe zu lösen beabsichtigt und die Entscheidung darüber von den Verhältnissen abhängig gemacht hat. Als Sperdrup im Sommer 1899 frei kam, segelte er nach Etah, um Hunde an Bord zu nehmen, und war dann ein Stück südlicher am 18. August 1899 zum letztenmal gesehen worden. Seitdem fehlte es an jeder Nachricht, und die Besorgnis um Sverdrup wuchs um so mehr, als man nicht wußte, wohin man eine Hilfsexpedition dirigieren sollte. Die Eisverhältnisse der Smithsundroute waren im Sommer 1899 für ein Schiff sehr ungünstig, aber es blieb doch die Möglichkeit bestehen, daß Sverdrup trotzdem durch den Robesonkanal die Lincolnsee gewonnen hatte und an der grönländischen Ostküste festsaß oder polwärts hinausgetrieben war. Eine andere Meinung ging dahin, Sverdrup habe sich nach Süden gewandt und sei im Jonessund nach Westen gesteuert, um entweder nach der Beringstraße durchzubrechen oder im Westen von Ellesmereland nach Norden vorzugehen. Diese Annahme hat sich bekanntlich als zutreffend erwiesen; Sverdrup hat in der That den Jonessund aufgesucht. Allein er ist dort nicht weit gekommen, sondern bei North Devon, etwa unter 89° w. L. Und 76° 45‘ n. Br. festgehalten worden. (Auf der Kartenskizze sind die drei letzten Winterquartiere Sperdrups auf Grund der ersten,
Anmerkung: Hier scheint ein Stück Text zu fehlen, die Seiten der Vorlage sind jedoch komplett, so dass es sich um einen technischen Fehler bei Druck handeln könnte.
naturgemäß nur dürftige Nachrichten eingetragen. Aus neueren Meldungen scheint nun hervorzugehen, daß Sperdrup auf 1900 an der Südostküste des Ellesmerelandes, am Eingang zum Jonessund, überwintert hat, und daß die Winterquartiere von 1900-1901 etwas westlicher, in der Nähe des 89. Längegrades, liegen. Außerdem hat Sverdrup, nachdem er den Jonessund passiert hatte, den Kanal (Cardiganstraße) durchfahren, der North Devon von der kleineren, nördlich davon liegenden Insel (North Kent) trennt). Trotzdem darf man sich von der Expedition die interessantesten Aufschlüsse versprechen. Seit der Franklinsucherzeit, also seit länger als 50 Jahren, hat die Forschung in diesem Teil der Polarwelt vollständig geruht, und über die Striche nördlich von North Devon und Bathurst und westlich von Ellesmereland jenseits von Kap Eden wissen wir so gut wie nichts; Sperdrup aber hat die Zeit seiner Gefangenschaft fleißig genutzt und durch Schlittenreisen über jene terra incognita Licht verbreitet.
Die Nordpolarerpeditionen, die seit Jahren das allgemeine Interesse für sich in Anspruch nahmen, sind somit herein, und es drängt sich die Frage nach der Zukunft der Polarforschung auf. Allem Anschein nach stehn wir wieder vor einem Wendepunkt. Das „Rennen um den Nordpol“ wird wohl vorläufig ins Stocken geraten, nachdem die letzten Versuche alle fehlgeschlagen sind, und damit werden überhaupt die auf das Extensive gerichtete Bestrebungen in der Nordpolarforschung eine Einschränkung erfahren. Ohnehin ist inzwischen ein neues großes Ziel für den menschlichen Forschungsdrang aufgerichtet worden, die Antarktis, und schon bemühn sich die Nationen, darunter auch die deutsche, um die Entschleierung jener lange vernachlässigten äußersten Enden der Erde. sollte aber die Südpolarforschung eine Zeitlang die Nordpolarforschung ablösen und die Kräfte anziehn, die im Kampf um den Nordpol Erfahrung gesammelt haben, so wäre das nur mit Freuden zu begrüßen.
Sverdrups Begleitung setzte sich aus 15 Personen zusammen, deren Porträts wir hier bringen. Sechs Begleiter waren wissenschaftlich ausgebildet; Geologie, Botanik, Zoologie, Astronomie und Physik waren durch Fachmänner vertreten. Ein Offizier übernahm die kartographischen Arbeiten, während der Schiffsarzt, der leider bald nach Beginn der Reise starb, die meteorologischen Beobachtungen vornahm. Anstelle des verstorbenen Arztes unterzog sich Sperdrup selbst der Aufgabe, in den leider zahlreichen Krankheitsfällen Hilfe zu leisten.
Dieser Artikel von H. Singer (Bromberg) erschien zuerst am 27.09.1902 in Die Woche.
Sperdrups Heimkehr
Die Bedeutung der Nordpolfahrt Sverdrups, der fast gleichzeitig mit Peary nach jahrelanger Abwesenheit zurückgekehrt ist, hat bereits in unserer vorigen Nummer in einem besonderen Artikel ihre Würdiging gefunden. Wir bringen heute noch einige Bilder von seiner Heimkehr, bei der dem Forscher zahlreiche ehrende Kundgebungen bereitet wurden. Namentlich in der Hauptstadt wurde er offiziell mit den größten Feierlichkeiten begrüßt, das Publikum jubelte ihm begeistert zu. Neben den Personen, die mit ihm an Bord der Fram waren, interessieren in hohem Grad auch die Tiere. Auf unserm Bild sehen wir eine Anzahl Polarhunde, die er als unentbehrliche Hilfe bei der Expedition aus der Heimat mitgenommen hatte, und rechts zwei Polarwölfe, die, er im hohen Norden fing.
Dieser Artikel erschien zuerst am 04.10.1902 in Die Woche.