König Oscar II von Schweden

Die dem König Oscar II von Schweden und Norwegen eigentümliche Pflichttreue, Gerechtigkeit und Ehrfurcht vor dem Gesetz haben schon wiederholt in Meinungsverschiedenheit geratene Staaten veranlaßt, den König zum Schiedsrichter zu ernennen.

So haben auch jetzt, wo Deutschland, England und Amerika sich über die durch die jüngsten Verwickelungen auf Samoa entstandene Entschädigungsfrage nicht zu einigen vermochten, diese drei Mächte die Entscheidung dem König Oscar II als Schiedsrichter anheimgestellt.

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Obschon als Schwede geboren und erzogen, will König Oscar doch im eigentlichen Sinn des Wortes kein Schwede und kein Norweger sein. Er will in seiner neutralen Person die Wünsche zweier verschiedener, wenn auch stammverwandter Völker vereinen.

König Oskar an seinem Arbeitstisch

Warme Sympathie und liebevolles Verständnis bringt der feinsinnige Uebersetzer von Goethes „Tasso“ und Herders „Cid“ dem deutschen Volk und dem Deutschen Reiche entgegen.

Wie er selbst sich mit einer deutschen Prinzessin, Sophie von Nassau, vermählte, knüpfte auch sein Sohn und Thronfolger Gustav den Bund fürs Leben mit der Enkelin des greisen Kaisers, der Prinzessin Viktoria von Baden.

Residenzschloß des Königs Oskar II von Schweden

Die Wirksamkeit des Königs auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und schönen Litteratur ist auch in Deutschland bekannt und oft genug gewürdigt worden. Er verfaßte eine Serie von Abhandlungen über Schwedens Heer und Flotte unter dem Titel: „Einige Beiträge zu Schwedens Geschichte während der Jahre 1711- 13. 1857 gewann er den Preis der schwedischen Akademie für seinen Gedichtcyklus „Aus den Erinnerungen der schwedischen Flotte“. Später folgten Sammlungen von „Gedanken u. Gedichten“ u. Prosaarbeiten, von denen wir in dieser Nummer der „Woche“ mit besonderer Genehmigung des königlichen Autors einige kleine Proben beifügen.

Dieser Artikel von Emil Jonas erschien zuerst 1900 in Die Woche.

Im nordischen Hochland.

Von Oscar II. König von Schweden.

Will jemand mit mir einen Ausflug auf die schneebedeckten Höhen des Sognegebirges machen, so sei er willkommen – aber schnell, es ist keine Zeit zu verlieren! Der Tag graut, und wir haben einen weiten Weg vor uns. Es sind fünf gute Meilen bis zur Meeresküste jenseits der Berge, und bis zum Abend müssen wir dorthin gelangt sein. Eine Nacht dort oben inmitten der schneebedeckten Felsen dürfte nicht angenehm werden. Also zu Pferde und – von dannen!

Wir müssen von der letzten Sennhütte an den tiefdüsteren Ufern des Bergsees Abschied nehmen, und wir thun es nicht ohne eine gewisse Rührung. Wie dürftig erscheint uns diese niedrige Wohnung beim ersten Anblick, und dennoch wie herzlich und oft unerwartet freigebig ist die Gastfreundschaft, die die unverdorbenen Kinder des Gebirges gegen die müden Wanderer üben!

Lauwarme Milch, frische Butter, saftiges Renntierfleisch und ein paar jener unvergleichlichen Bergforellen, die wir in dem kalten Schneewasser des Sees unten zu unsern Füßen fangen sahen, das ist in Wahrheit eine vorzügliche Kost und Bewirtung. Wir verzehren die Speisen, die noch dazu von dem starken Appetit gewürzt sind, den die Luft hier oben erweckt, und der Genuß einer solchen Mahlzeit kann nur von dem Behagen des Schlafes auf dem weichen Lager von frischem, duftendem Heu übertroffen werden.

Auf der Thürschwelle bleibt beim Abschied die schöne Sennerin in der kleidsamen Volkstracht des Gudbrandsthales stehen, nickt uns ein freundliches Lebewohl zu und sendet uns ihren Wunsch „Glück auf die Reise“ nach. Das Mädchen steht wie angewurzelt und folgt uns mit ihren Blicken, bis wir hinter der nächsten Felsenspitze entschwinden.

Der Weg geht nun aufwärts. Bald durch reißende und schäumende Bergströme, wo man jeden Augenblick fortgerissen zu werden glaubt, bald über jähe Abhänge, wo der Tod nur wenige Schritte entfernt heimtückisch dem Wanderer auflauert, um ihn in dunkle Tiefen hinabzuzerren.

Unsere kleinen mutigen Gebirgspferde, die vorsichtig jeden Schritt abwägen, tragen uns immer weiter empor. Nach und nach ersterben die Laute der Kuhschellen und die Hörner der Sennerinnen. Ein scharfer und kühler Windzug, der hier unter dem Namen „Fjeld-Snoe“ bekannt ist, streicht über die Höhen und verscheucht auch die letzten Erinnerungen an das gemeinsame Leben der Menschen im Thal, an ihren Kampf und ihre Kultur. Wir sind aus der Zone, wo noch Menschen wohnen können, schon längst herausgetreten. Jetzt steht die Felsennatur vor uns, umgiebt uns in ihrer vollen, ehrfurchtgebietenden Majestät und feierlichen Einsamkeit. Das Getöse der reißenden, durch zahlreiche Stromschnellen unterbrochenen „Bäverelve“ (Biberfluß) ist der einzige Laut, der noch das Schweigen unterbricht. Aber allmählich verhallt auch er, je höher uns der Weg emporführt. Die Wassermenge des Flusses wird immer geringer; schließlich erscheint er nur noch als ein kleiner, wild abwärtsstürzender und schäumender Bach, der von Stein zu Stein, von Absatz zu Absatz jagt, seine Silberfurchen in phantastischen Linien windend.

Es ist ein trüber Morgen gewesen. Wir waren in einen feuchten dichten Nebel eingehüllt; aber die Bergbrise beginnt nun die Wolken vor sich herzujagen und sie immer mehr über die Kämme des Hochgebirges zu streuen. Schließlich erscheint das blaue Himmelsgewölbe über uns; durch die geöffneten Wolken fließt warmer Sonnenschein auf die Hochebene herab. Jetzt ein lichter Sonnenblick, ein zweiter, ein dritter – es wird klares Wetter!

Ein wundersamer Anblick. Vor uns zeigt sich ein großer Gletscher. Die klarsten Mittagsstrahlen der Sonne spiegeln sich auf der glitzernden Oberfläche der Eismassen. Sie blitzen gleich einem Schmuck von kostbarsten Diamanten, und dann wieder schimmern sie grün und blau wie der schönste Saphir. Alle diese verschiedenen Farbenspiele erhalten noch die mannigfachsten Nuancen durch die wechselnden Schatten vorüberziehender Wolken.

Vor uns nach rechts liegen unabsehbare Schneefelder und Höhen, und dennoch sagt man uns, daß in diesem Jahr die Schneemasse im Hochgebirge ungewöhnlich gering sei. Schon lange haben wir die letzte, kaum noch eine viertel Elle hohe Zwergbirke hinter uns gelassen. Wir erreichen jetzt die Schneegrenze; wir springen von unsern Pferden und beginnen uns wie die Schuljungen mit Schneebällen zu werfen. Rasch kühlt sich die Luft ab. Sie erinnert unlebhaft an einen kalten Frühjahrsmorgen in Stockholm, wenn der Nordwind weht. Aber sie hat dennoch mehr Erfrischendes und ist gänzlich frei von der unbehaglichen schneidenden Kälte, die Fieber und andere Krankheiten erzeugt. Hier weiß man kaum, was Krankheit zu bedeuten hat. Hier fühlt man im Gegenteil, daß ungetrübte Gesundheit herrscht; man saugt sie mit jedem Atemzug ein. Wie der Blick frei über die unendliche Hochebene fliegt, so atmet auch die Lunge mit Wollust die reine Bergluft ein.

Man wird gleichzeitig fröhlich und doch feierlich gestimmt. Gedanken und Gefühle wachsen mit der Höhe, erweitern sich mit der Aussicht, und das Bewußtsein der Freiheit ist um so größer, als vorher alles in dem engen Thal unter überhängenden Felsen gedrückt und beschwert erschien. Man fühlt sich so fern, so fern von der Welt, in der man sich sonst bewegt hat, fast dem Erdenleben entrückt und Angesicht in Angesicht dem allmächtigen Schöpfer der Natur plötzlich gegenübergestellt. Man erkennt seine eigene Zwerghaftigkeit und Ohnmacht. Eine Schneewolke und man wird begraben, ein Nebel und man verliert die einzige, durch kleine Steine sparsam bezeichnete Straße, die zu den fernen Menschenwohnungen führt.

Niemals zuvor habe ich so überwältigende Eindrücke empfangen, außer vielleicht beim Sturm auf einsamem Meer oder vielleicht beim Anblick der Wüste Sahara von der Spitze der Cheopspyramide. Hier bin ich losgerissen von allem, ein Körnchen Staub auf der tiefen Schneemasse. Ich erkenne meine menschliche Unbedeutendheit immer tiefer und klarer, je größer und mächtiger die Naturerscheinungen vor mein Auge treten, die von feierlicher Ruhe so leicht, so plötzlich zum vernichtenden Kampf erwachen und dem Wanderer einen sicheren Untergang bereiten können.

Auf der höchsten Erhebung unseres Weges begegnen wir einem alten Renntierjäger. Wohl siebzig Winter haben sein Haar beschneit, doch es krönt ein stolzes und aufrechtes Haupt. Auf sein plumpes, aber sicher treffendes Gewehr gestützt unbeweglich gleich einer Bildsäule – so gewahren wir ihn zuerst auf einer Höhe vor uns. Schweigend und ernst ist sein Gruß, und eben so unbeweglich steht er wohl noch an dem gleichen Platz, als er längst unsern Blicken entschwunden ist. So muß er viele lange Stunden, vielleicht ganze Tage zubringen, um sein kärgliches Brot zu verdienen. Aber er ist zufrieden mit seinem Los, er kennt kein besseres. Die Welt mit ihrer Uebersättigung und Unzufriedenheit liegt tief unter ihm.

Nicht fern von dem höchsten Punkt des Gebirgsweges finden wir eine kleine steinerne Hütte, halb verfallen, öde und wenig einladend. In der frischen Luft wird auf der Höhe eine einfache Mahlzeit bereitet und eingenommen. Besser hat mir niemals das auserlesenste Mahl im Königsschloß gemundet.

Nachdem wir eine volle Stunde gerastet haben, setzen wir mit gestärkten Kräften unsere Reise fort. Es sind noch gute fünf Stunden bis ans Meer. Nach allem, was wir bisher gesehen haben, glauben wir nicht, daß eine neue Felsenaussicht, die die früheren noch übertrifft, sich vor unsern Blicken aufrichten könne. Und dennoch täuschen wir uns. Vor uns erscheinen die drei „Skagatölstinderne“, fast die höchsten Bergspitzen der nordischen Halbinsel. Ueber neuntausend schwedische Fuß erheben sie ihre hohen Scheitel. Sie stehen dort so klar, als wären sie uns ganz nahe, und dennoch liegen sie eine halbe Tagereise entfernt. Bis an ihren Fuß ist der Mensch vorgedrungen, ihre Gipfel aber hat bisher kein Sterblicher betreten. Der Schnee vermag sich dort nicht festzusetzen, sondern bekränzt nur hier und dort den Berg gleich einem Schlinggewächse oder verbirgt sich in irgendeiner tieferen Kluft, wo der Wind, der einzige Feind des Schnees hier oben, seine Gewalt verliert. Der Berg hat eine kalte, stahlgraue Farbe, und um die spitzen Gipfel spielen leichte Schneewolken in stets wechselnden Formen, bald sich zusammen ziehend, bald wieder plötzlich verschwindend wie verscheucht von einer unsichtbaren Macht.

Und noch andere große Ueberraschungen bereitet uns das Hochland. Bisher hat der Blick nur sonnenglänzende Höhen gestreift – aber jetzt senkt er sich plötzlich in klaffende Abgründe hinab, verliert sich in immer dunklere Tiefen. Er sieht keine Grenze, kein Ende. Ein wilder Wasserfall stürzt hinab, und wir wissen nicht wohin? Wir ahnen nur, es geht in finstere, unergründliche Tiefen.

Wir stehen am Rande des Abhangs, von dem aus man an besonders hellen Tagen das Meer sehen soll, das sich in seiner Unendlichkeit zu unsern Füßen ausbreitet. Heute vermögen wir nichts dort unten klar zu erkennen; der Tag ist hell, aber das Sonnenlicht strahlt uns in die Augen und hüllt die Tiefe in flimmernden Dunst.

„Wir sollen doch nicht etwa zu Pferde in diesen Abgrund hinab? frage ich.

„Ja, es wird wohl nicht anders gehen, du!“ antwortet mit unnachahmlicher Ruhe mein ehrenwerter Führer.

Unwillkürlich widme ich meinem Genick einen mitleidsvollen Gedanken. Vielleicht bemerkt der Führer meine augenblickliche Bestürzung, vielleicht entgeht sie ihm auch. Genug, ich fühle, daß ich erröte, und beschließe, den Weg zu wegen, geschehe, was da wolle. In der That, wir haben auch keine Wahl. Wir müssen diesen einzig vorhandenen Weg passieren, wenn wir nicht die Schande auf uns laden wollen, umgekehrt zu sein. Also vorwärts, es muß gehen – und es geht!

Bei dem letzten Strahl der Abendsonne gelangen wir wohlbehalten unten ans Ufer. In der durchsichtigen ruhigen Tiefe des Fjordes spiegeln sich die schneebedeckten Berge, auf deren Höhen wir noch vor wenigen Stunden gestanden sind.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.