Berliner Neubauten 52 – Die Neubauten des Berliner „Tattersall“

Luisenstrasse No. 22-24 und Schiffbauerdamm No. 28. Architekten: Blumberg & Schreiber. Die Berliner Tattersall-Aktien-Gesellschaft, deren Anstalt ursprünglich auf einem am westlichen Ende der Georgenstrasse, zwischen dieser und der Spree durchgehenden Grundstück sich befand, besass seit dem Jahre 1874 noch eine zweite, gleichartige Anlage, die sie auf dem geräumigen Hinterlande des Grundstücks, Schiffbauerdamm No. 28 durch den Baumeister Kohn hatte errichten lassen.

Die Durchführung einer neuen Strasse am südlichen Spreeufer zwischen Weidendammer- und Marschall-Brücke, die Verlängerung der Neustädtischen Kirchstr. bis zu dieser Uferstrasse und die Verbreiterung der Georgenstr. haben in jüngster Zeit die Beseitigung jener ursprünglichen Anlage nothwendig gemacht und die Gesellschaft zu einem Ersatzbau für dieselbe gezwungen. Es ist ihr gelungen, zu diesem Zwecke das an die hintere Grenze ihres zweiten Besitzthums anstossende, sehr geräumige Grundstück, Luisenstr. No. 22 – 24, zu erwerben und so die Vereinigung ihrer sämmtlichen Betriebsräume zu einer großen zusammen hängenden Anlage zu ermöglichen.

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Zur Erlangung eines Entwurfs für die zu errichtenden Neubauten wurde seitens der Gesellschaft im Laufe des Jahres 1888 ein beschränkter Wettbewerb veranstaltet, dessen Ergebniss die Annahme des von den Architekten Blumberg & Schreiber eingereichten, beistehend in einem Grundriss und Durchschnitt dargestellten Entwurfs war. Am 1. November 1888 wurde mit der Ausführung des durch den ungünstigen Baugrund sehr erschwerten Baues begonnen, Am 1. März d. J. konnte trotzdem die neue Anlage in Benutzung genommen werden.

Wie der Grundriss zeigt, bestand die alte Anlage, abgesehen von dem Vorderhause am Schiffbauerdamm und den kleineren, um den breiten Hinterhof angeordneten Neben-Räumlichkeiten, im wesentlichen aus 2 Haupttheilen: der grossen 40 m langen und 26 m breiten Reitbahn und einem tiefen, 4 Reihen Pferde enthaltenden, an die Längsseite der Reitbahn angeschlossenen Stallgebäude. Indem diese alte Reitbahn auf eine Breite von 21 m eingeschränkt wurde, ward zwischen ihr und den Ställen ein breiter Durchgang gewonnen gewonnen, der das alte Grudstück mit dem neuen in unmittelbare Verbindung setzt.

Grundriss vom Erdgeschoss

Auf letzterem sind die beiden seitlichen Vorder-Gebäude, deren linkes das langjährige Wohnhaus Leopolds v. Ranke war, erhalten worden. Den hinteren Abschluss des von ihnen eingeschlossenen Gartens bildet ein aus einem Mittelpavillon und 2 Thorwegen bestehender Portalbau, dem zugleich die architektonische Vertretung des Unternehmens nach aussen zufällt. Der linke Thorweg und der Mittel-Pavillon dienen als Zugang für die Besucher der neuen Reitbahn, der rechte Thorweg bildet den Zugang zu den Höfen und Ställen.

Die neue Reitbahn, welche bei 43 m bezw. 31 m lichter Länge und Breite bis zum Ansatz der Flachbogendecke 13 m und bis zum Scheitel der aufgesetzten Mittellaterne 25 m Höhe erhalten hat, kann als Mittelpunkt der nunmehrigen Gesammt-Anlage angesehen werden. Neben dem freien Innenraume sind an den Langseiten schmale, an der Eingangsseite ein breiterer Umgang für Zuschauer angeordnet worden; über letzterem liegt noch eine entsprechende Tribüne, während auf der anderen Schmalseite des Raumes ein Balkon für das bei festlichen Veranstaltungen erforderliche Orchester sich befindet. An die Vorderseite schliessen sich zwei Vorbauten, von denen der rechte – jener Mittelpavillon der Portal-Anlage – im Erdgeschoss die Haupt-Vorhalle für die Zuschauer und darüber die Damen-Garderobe, der linke ein Büffet und darüber die Herren-Garderobe enthält. An der hinteren Seite der Reitbahn liegt der sogen. Muster-Gang, auf welchen der entsprechende Durchgang des alten Grundstücks mündet, hinter demselben eine 3,75 m hohe, durch aufgesetzte Laternen erleuchtete und in 4 Abtheilungen zerlegte Stallanlage für Pensionspferde, von welcher ein unmittelbar vom Hofe aus zugänglicher Krankenstall abgezweigt ist. Eine weitere zweigeschossige Stall-Anlage für Muster- bezw. Bahnpferde ist auf der den Hofe zugekehrten Seite der Reitbahn angeordnet; Rampen führen vom Mustergange zu ihr auf bezw. hinab. Das oberste zu Geschirr- bezw. Futterkammern verwendete Geschoss derselben hängt durch einen als Sattelkammer benutzten und mit einem Uhr-Aufsatz bekrönten Verbindungsbau mit den Gebäuden auf der anderen Seite des ersten Hofes zusammen. Letztere enthalten zu ebener Erde Wagen-Remisen, in dem durch eine Rampe von Hofe aus zugänglichen Obergeschoss einen Stall für Wagenpferde. Ueber dem kleinen Sonderstall auf der rechten Seite des zweiten Hofes liegen einige Wohnräume für Stallbedienstete.

Querschnitt

Im ganzen sind durch den Neubau ausser der 1330 qm grossen neuen Reitbahn Stallungen für 160 Pferde und Raum für 33 Wagen beschafft worden.

Bezüglich der konstruktiven Herstellung sei noch bemerkt, dass die Stallgebäude Holzzement-, die Reitbahn Mastix-Bedachung erhalten haben und dass die Unterflächen der Decken überall geputzt sind. Die Gründung der Gebäude ist zum Theil auf einer breiten Unterlage von Zementplatten, zum Theil mittels (6-9 m tiefer) Senkkasten bewirkt worden.

Von der architektonischen Ausstattung des Hauptraums der durch die hohen Seitenfenster und die Laterne überaus hell beleuchtet wird, giebt der mitgetheilte Durchschnitt eine Vorstellung. Die Ausstattung desselben durch Malerei ist in bescheidenen Grenzen gehalten worden; für das Eisenwerk der 8 Doppelbinder des Daches hat unter dem Einfluss der entsprechenden Bauten der vorjährigen Pariser Weltausstellung ein hellblauer Anstrich gewählt werden müssen, während ein solcher im Ton der Wände entschieden günstiger gewesen wäre. In einer ähnlichen Barock-Architektur grossen Maassstabes ist auch das Aeussere des Vorhallen-Baues an dem von der Luisenstr. zugänglichen Mittelhofe gestaltet worden, während die Fassaden der Reitbahn und der Ställe im übrigen den schlichten Ziegel-Fugenbau zeigen.

Die Gesammtkosten des Neubaues, von denen etwa 1/5 auf die Gründung entfällt, haben rd. 500 000 M. betragen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.