Das Sternthor in Bonn

(Nach einem Vortrage des Hr. Brth. J. Stübben im Arch.- und Ing.-V. für Niederrhein und Westfalen in Köln.) Das Sternthor in Bonn hat eine sehr enge Verwandtschaft mit dem Hahnenthor und Eigelsteinthor zu Köln, Etwa 50 Jahre jünger als diese, ist es im Jahre 1245 vom Kurfürsten Konrad von Hochstaden, welcher nach seinen vielen Streitigkeiten mit der Stadt Köln der Nachbarstadt Bonn seine Gunst zuwandte und diese mit einer festen Mauer, mit Graben und Thoren ausstattete, errichtet worden.

Dies ist der eigentliche Anfang der mittelalterlichen Bedeutung der Stadt Bonn gewesen. Von jener Hochstaden’schen Befestigung sind heute nur noch kurze Mauerstrecken, einige Halbthurmtheile und das Sternthor erhalten. Wie der Münster in kirchlicher, ist deshalb das Sternthor in profaner Beziehung ein Hauptdenkmal der Bonner Baugeschichte. Auch in künstlerischer Hinsicht ist das Thor keineswegs werthlos, wie mancher nach dem gegenwärtigen entstellten Aussehen schliessen möchte, und wie besonders die grosse Zahl derer glaubt, die den Abbruch verlangen.

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Die Lage ist heute in Bonn ganz ähnlich derjenigen, welche vor 12 Jahren in Köln bestand, als die Staatsregierung verlangte, die Stadt Köln solle mehre der mittelalterlichen Stadtthore bei Ausführung der Stadterweiterung schonen. Es herrschte damals eine geradezu entrüstete Stimmung gegen ein solches Verlangen. Denn man hatte so lange und so schlimm unter der Einschliessung durch die enge Stadtmauer gelitten, und gerade in den krummen winkeligen Thorpassagen hatte man so unsägliche Verkehrs-Erschwerungen ausgestanden, dass gegen die Thore wie gegen die Mauer eine tiefe Abneigung herrschte, Zudem waren die Thorburgen in den letzten Jahrhunderten und besonders in preussischer Zeit verwahrlost und verunstaltet worden, so dass man förmlich diejenigen verhöhnte, welche etwa im Eigelstein- oder im Hahnenthor etwas Erhaltungswürdiges, etwas geschichtlich oder gar künstlerisch Bedeutsames erblickten. Besonders das Hahnenthor musste viele Spottlieder und Karnevalswitze über sich ergehen lassen. Die kgl. Staatsregierung beschränkte daher schliesslich ihre Erhaltungs-Forderungen auf die drei Thore an Severin, an Gereon und am Eigelstein. Später wurde das Gereonsthor gegen das Hahnenthor umgetauscht.

Das Sternthor zu Bonn – Lageplan

Das Gereonsthor war vortrefflich erhalten, es beeinträchtigte den Verkehr sehr wenig und gewährte malerische Anblicke und Durchblicke. Die Staatsregierung mag sich bei dem Umtausch wohl mit der Hoffnung getragen haben, die Kölner würden, wenn erst die erste Welle der Abneigung sich verlaufen habe, doch nicht zum Abbruch eines solchen werthvollen Werkes ihrer eigenen Stadtgeschichte übergehen. Aber leider erhoben sich, als einige Zeit später in der Stadtverordneten-Versammlung der Antrag auf Stehenlassen der Gereonsthorburg gestellt wurde, für diesen Antrag nur 4 Stimmen; nicht einmal alle architektonisch gebildeten Mitglieder der Versammlung stimmten dafür. Heute, nachdem der Zerstörungsrausch sich ganz verlaufen hat, nachdem durch die Wiederherstellung des Hahnen- und Eigelsteinthores jedem der sehen will, der hohe Werth dieser Bauwerke vor Augen geführt ist, bedauert die Bürgerschaft und die Stadtverordneten-Versammlung ohne Ausnahme den vorschnellen Abbruch des schönen Thores, an dessen Stelle nunmehr die gewöhnlichsten Zement-Miethhäuser den Abschluss der Gereonstrasse bilden!

Genau so ist gegenwärtig in Bonn die Stimmung des grössten Theiles der Bürgerschaft gegen die Erhaltung des Sternthoros, in welchem man nur den alten hässlichen Mauerklumpen sieht, der dem Verkehr imwege steht. Man kann, wenn man billig denkt, diese Abneigung den Bonnern eben so wenig übel nehmen, wie den Kölnern die ehemaligen Spottlieder über das Hahnenthor. Selbst die Mehrzahl der Gebildeten scheint, wenn man nach einer Interpellation des Abg. Olzem im preussischen Landtage schliessen darf, das Gefühl der Abneigung oder doch der Gleichgiltigkeit zu theilen. Man ist vielfach der Ansicht, dass die Pietät vor der Stadtgeschichte weichen müsse, wenn die Erhaltung des Thores so erhebliche Kosten verursache; denn ein künstlerischer Werth sei ja gar nicht vorhanden.

Das Sternthor zu Bonn – Herstellungsentwurf von Landbauinsp. Arntz

Das letztere ist nun ein entschiedener Irrthum. Das Thor besteht ganz wie die Kölner Thore aus dem über der Durchfahrt sieh erhebenden quadratischen Mittelbau (s. die Abbildg.) und den beiden daran anschliessenden, nach der Aussenseite vortretenden Halbthürmen. Die Grundrissmaasse sind etwas kleiner als die Kölner, die lichte Weite der überwölbten Durchfahrt beträgt rd. 4,5 m. Ueber dem Erdgeschoss folgt statt der beiden Kölner Obergeschosse nur ein einziges; während aber die Kölner Oberräumne Balkendecken tragen, besitzen in Bonn die Räume der Obergeschosse ebenso wie die des Erdgeschosses hohe, luftige Gewölbe. Die Grösse der Räume ist über der Durchfahrt ungefähr 5 zu 5 m, in den Halbthürmen etwa 5 zu 7 m; es sind also ganz stattliche Gemächer, welche von der Stadtseite her volles Licht empfangen. Wie beim Eigelsteinthor zu Köln, so zeigte nämlich auch das Sternthor ehemals nach der Aussenseite als Festungswerk nur Schiesscharten und enge Fensteröffnungen mit Holzblenden, nach der Stadtseite dagegen grössere Wohnungsfenster. Die Gesimse, Konsolen und Gewölberippen sowie die Bundsäulen in der Durchfahrt zeigen ähnliche Kunstformen wie die Kölner Thore, jedoch eine etwas mehr fortgeschrittene Durchbildung. Zwar hat eine genaue Aufnahme und Untersuchung des Bauwerks in allen seinen Theilen noch nicht stattgefunden, Die bisherigen Wiederherstellungs-Entwürfe sind deshalb auch nur als Versuchsstudien, nicht als fertige Arbeiten anzusehen. Der Lemeke’sche Entwurf zeigt das Thor abgeschlossen mit Zinnenkranz und wagrechter Wehrplatte ohne Dach. Da die in einer Seitenmauer des Mittelthurmes liegende Treppe, wie bei allen Werken jener Zeit, in beträchtlicher Höhe über dem Erdboden endigt, so muss entweder an diese untere Endigung eine Wendeltreppe in einem besonderen anzubauenden Thürmchen, oder ein gerader Treppenlauf an der Flanke des Mittelbaues angeschlossen werden, wenn man nicht einen ganzen Halbthurm als Treppenhaus einrichten, also opfern will. Von den hier mitgetheilten Arntz’schen Darstellungen zeigt die eine den Thorbau wie Lemeke mit offener Wehrstatt und einem mehr gothischen Zinnen- und Schartenkranz nach Art unseres Bayenthurmes; über der äusseren Einfahrt ist eine kraftvolle Konsolenreihe aus der Wehrstatt herausgebaut, durch deren Lücken die Vertheidiger die Angreifer mit Steinen, Pech, Schwefel und anderen Liebenswürdigkeiten bewerfen konnten.

Herstellungsentwurf von Landbauinsp. Arntz

Die andere Arntz’sche Darstellung zeigt uns das Bauwerk mit den später aufgesetzten hohen Dächern, ein malerisches Bild, dessen Eindruck verstärkt wird durch die Wehr- oder Mordgallerie, die über der Einfahrt in der halben Höhe des Obergeschosses von Halbthurm zu Halbthurm eingebaut ist. Nach der Stadtseite hin zeichnet Arntz grosse Kreuzfenster; das Podest des erforderlichen neuen Treppenlaufs erscheint als zierlicher Balkon. Welche Art der Wiederherstellung die richtige ist, das lässt sich heute nicht entscheiden, da es an einer genauen Durchforschung des Bauwerks noch fehlt. So viel kann aber aus den erhaltenen Resten und den vorliegenden Zeichnungen geschlossen werden, dass das Sternthor neben dem geschichtlichen auch einen künstlerischen Werth von nicht zu unterschätzender Bedeutung besitzt und dass es, wiederhergestellt, ein markiges Denkmal sein wird von mittelalterlicher Kraft und Wehrfähigkeit, ein stolzer Kontrast gegenüber den in architektonischer Beziehung schwächlichen Kleinbürgerhäusern seiner Umgebung.

Ebenso wahr ist freilich, dass der Thorbau den Verkehr in sehr empfindlicher Weise beeinträchtigt, namentlich gegenwärtig, wo seit einiger Zeit wohl mehr zur Beruhigung des Volkes als aus praktischer Nothwendigkeit die Einfahrt beiderseits mit provisorischen Schutzdächern verbarrikadirt ist, deren hölzerne Stützen den freien Raum aufs äusserste beschränken. Diese Schutzdächer wären entbehrlich, wenn man die Plattform des Daches und das emporragende, aus späterer Zeit stammende Ziegelstein-Gemäuer von dem Schutt, von den losen Ziegeln und Schiefern säubern wollte, die zumtheil von dem Brande eines Nachbargebäudes herrühren. Trotz eines in die Augen fallenden Mauerrisses ist im übrigen der aus Tuffsteinen, mit Basaltsäulen durchsetzt, bestehende mittelalterliche Bau durchaus standfest.

Herstellungsentwurf von Landbauinsp. Arntz

In die beiden Halbthürme hinein erstrecken sich die Stuben und Kammern der beiden rechts und links an den Mittelthurm angelehnten Häuschen, wovon das eine wie erwähnt, grösstentheils abgebrannt ist, während das andere noch stark bewohnt wird. Die Stadt Bonn ist im Begriffe, diese beiden Schmarotzerbauten, welche auf alle Fälle zu beseitigen sind, möge man das Thor abbrechen oder erhalten, auf dem Wege der Enteignung zu erwerben. Aber das genügt für den Verkehr keineswegs: Die Durchfahrt ist für Fuhrwerke und Fussgänger zu beengt. Man muss mindestens noch die beiden an der Ostseite angebauten Häuser niederlegen, um den dringenden Verkehrs-Bedürfnissen zu entsprechen. Vorläufig genügt das auch für die beabsichtigte Einführung des Gleises der Vorgebirgsbahn. Dann aber wird durch Fluchtlinien-Festsetzung die grössere Freilegung rings um den Thorbau und die allmähliche Verbreiterung der aus der inneren Stadt zum Thor führenden Sternstrasse angebahnt werden müssen; letzteres ist ein Bedürfniss sowohl bei der Erhaltung als bei der Niederlegung des Thores.

Nun aber die Kosten. Als solche fallen zu ungunsten der Erhaltung hauptsächlich nur die Wiederherstellungs-Kosten und der Abbruch der beiden Häuser an der Ostseite ins Gewicht, Der Ausbau unseres Hahnenthores hat etwas über 80 000 M., der Ausbau des Eigelsteinthores rund 100 000 M. gekostet. Da das Sternthor wesentlich kleiner und in weit besserem Bauzustande ist, so wird man die Wiederherstellungs-Kosten auf 40 000 M. schätzen dürfen; dafür erhält man zwei Erdgeschossräume und drei stattliche Obergeschossräume, die sich für Sammlungszwecke vortrefflich eignen. Müsste man solche Räume sich anderweitig durch Neubau beschaffen, so käme man mit Einschluss des Ankaufs einer Baustelle mit 40 oder 50.000 M. sicher nicht aus. Was die beiden niederzulegenden Häuser an der Ostseite kosten, ist schwer zu sagen; es ist auch gefährlich, hier vorschnell eine Enteignungstaxe aufstellen zu wollen. Das aber ist entschieden zu bezweifeln, dass der Entschädigungsbetrag dieser beiden Häuser den geschichtlichen und künstlerischen Werth des Sternthores übertreffen könnte. Mögen Andere anders denken; das soll Niemanden übel genommen werden. Es steht zu hoffen, dass die grosse Mehrzahl der Gebildeten innerhalb und ausserhalb Bonns in der Werthschätzung geschichtlicher Baudenkmäler auf der Seite der erstehen wird, welche einer Erhaltung des Thores das Wort reden. Indess, man sollte nicht blos von der Stadt Bonn allein die Aufbringung der erforderlichen Geldmittel begehren; auch die Rheinprovinz und der preussische Staat sind bei dem Interesse an der Denkmalpflege stark betheiligt. Es sei daher dem Ausdrucke der Hoffnung stattgegeben, dass Stadt, Provinz und Staat gemeinsam das Sternthor zu Bonn vor der Vernichtung bewahren und in würdiger Weise wiederherstellen mögen.

Diser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutsche Bauzeitung.