Die Sternwartenruinen Tycho Brahes auf der Insel Hven

1904, von F. S. Archenhold, Direktor der Treptow-Sternwarte.

„Die Stätte die ein guter Mensch betrat
ist eingeweiht nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.“

Nachdem mehr als drei Jahrhunderte lang die Ruinen der beiden historischen Bauwerke, der Uranienburg und Sternenburg auf Hven, der Zerstörung durch Zeit und Menschenhand preisgegeben waren, ist erfreulicherweise seit dem 24. Oktober 1901, dem 300jährigen Todestag Tycho Brahes, das Interesse für die Sternwartenreste von neuem erweckt worden.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Leider sind aber seitdem wiederum drei Jahre verstrichen, ohne daß etwas Wesentliches geschehen wäre, um die Ruinen vor weiterem Verfall zu bewahren. Zwei schöne, von König Oskar II. zur Feier des 300jährigen Todestages gestiftete Messingplaketten, die in Reliefarbeit den Grundriß der beiden Sternwarten, der Uranienburg und Sternenburg, wiedergeben, konnten ihrer Bestimmung noch nicht zugeführt werden, an einem Schutzbau, der sich über den Ruinen erheben soll, Aufstellung zu finden. Hoffen wir, daß es einer Bewegung, die gerade jetzt wieder im Gang ist, gelingen wird, die vielen Pläne zur Konservierung der Sternwartenreste endlich zu einem greifbaren Resultat zu führen. Auf diese Weise dürfte der Streit, der zwischen den dänischen und schwedischen Astronomen und dem Reichsantiquar Hildebrand ausgebrochen ist, wenigstens etwas Gutes für sich gehabt haben. Unter diesen Verhältnissen ist es vielleicht von besonderem Interesse, einiges über die Begründung der Sternwarten, Tycho Brahes Wirken dortselbst und den jetzigen Zustand der Ruinen zu erfahren.

Die Uranienburg

Die Beobachtungen, die Tycho Brahe auf der Insel Hven anstellte, haben in den Händen Keplers zu der Auffindung der berühmten drei Keplerschen Gesetze geführt, die zum erstenmal die Bahnberechnung der Planeten und damit Vorausbestimmung der Planetenörter ermöglichten. Ein Mann, der – noch ehe das Fernrohr angefertigt war – so genaue Beobachtungen anstellen konnte, daß sie ein derartig wichtiges Resultat herbeiführten, wäre der Astronomie beinah verloren gegangen. Gegen den Wunsch seiner Eltern oder des Oheims, der ihn erzogen hat, beschäftigte er sich mit astronomischen Studien.

Porträt Tycho Brahes

Geboren am 14. Dezember 1546 zu Knutstorp, bezog er mit dreizehn Jahren die hohe Schule in Kopenhagen und 1562 in Begleitung seines Hofmeisters Wedel die Universität zu Leipzig. Zur Nachtzeit, wenn sein Hofmeister schlief, schlich er sich hinaus und beobachtete den Sternenhimmel. Das Eintreffen einer Sonnenfinsternis am 21. August 1560 hatte auf den vierzehnjährigen Knaben einen solchen Eindruck gemacht, daß er hierdurch für immer der Astronomie gewonnen wurde. Mit einem einfachen Zirkel beobachtete Tycho in Leipzig den Abstand zweier Sterne, in dem er die beiden Schenkel auf sie richtete, während er den Drehpunkt vor sein Auge hielt. Hierbei fand er, daß die nach König Alfons X. von Kastilien benannte Planetentafel, die sich auf das Ptolemäische Weltsystem stützte, nicht genau genug sei, und auch die nach dem Herzog Albrecht von Preußen benannten Prutenischen Tafeln, die sich schon auf Kopernikus stützten, noch der Verbesserung bedurften. Schon damals faßte Tycho Brahe den Entschluß, durch Verbesserung der Meßinstrumente eine möglichst genaue Bestimmung der Sternörter zu erhalten. Nach dreijährigem Studium in Leipzig kehrte er in die Heimat zurück, um diese jedoch bald wieder zu verlassen, nachdem sein Onkel Jörgen, der Vaterstelle an ihm vertreten hatte, gestorben war.

Fundstücke bei den Ausgrabungen der beiden Sternwarten Tycho Brahes

So finden wir Tycho Brahe in der Zeit von 1566 bis 1570 auf Reisen, besonders in Deutschland, wo er auch am 29. Dezember in Rostock mit einem dänischen Edelmann in Streit geriet, bei dem er einen Teil seiner Nase verlor, so daß er diesen künstlich ersetzen mußte, was auch auf vielen Stichen und Bildern deutlich zu erkennen ist. Nach seiner Rückkehr lebte er in dem Kloster Heretsvath, wo er am 11. November 1572 plötzlich nahe beim Zenit oberhalb der Cassiopeja einen neuen Stern entdeckte, der zurzeit der Venus an Helligkeit glich. Die Schrift, die Tycho Brahe über diesen Stern veröffentlichte, den er bis zum März 1574, als der Stern dem bloßen Auge unsichtbar wurde, beobachtete, machte seinen Namen in den weitesten Kreisen bekannt. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen, der zurzeit in Kassel eine vorzügliche Sternwarte errichtet hatte, lud Tycho Brahe zu einem Besuch ein, der für die Zukunft des letzteren entscheidend wurde, denn Wilhelm IV. machte König Friedrich II. von Dänemark auf den jungen Astronomen aufmerksam, und als Tycho Brahe wieder seine Heimat aufsuchte bot ihm König Friedrich II. die Insel Hven im Oeresund zum Geschenk an. Durch eine Urkunde vom 25. Mai 1576 überschrieb Friedrich II. Tycho Brahe alle Einkünfte der Insel Hven und gab ihm auch die Mittel, dort eine Sternwarte zu errichten. Tycho legte schon am 8. August 1576 den Grundstein zur Uranienburg. Später errichtete er eine zweite Sternwarte in der Nähe der Uranienburg und nannte sie Sternenburg. Diese letztere legte er unterirdisch an, damit die Instrumente auch bei der Beobachtung gegen Wind geschützt seien. Wir geben die Abbildung der Sternwarte Uranienburg wieder. Gleichzeitig errichtete er eine mechanische Werkstätte, eine Buchdruckerei, ein chemisches Laboratorium und eine Papiermũhle, um seine Apparate selbst herstellen und seine Bücher selbst drucken zu können.

Fundamentreste der Uranienburg

Die Inschriften, die Tycho Brahe auf die Grundsteine der einzelnen Gebäude setzte, lassen ihn auch als einen Meister lateinischer Verskunst erkennen. Wir geben hier nur ein Beispiel in deutscher Uebersetzung wieder:

Niederschwebend erschaut Urania die irdischen Grotten,
Die dem Himmel geweiht, und staunend spricht sie die Worte:

Nie Erschautes, hier seh ich’s entstehn im Schoße der Erde.
Ist nicht der Himmel noch mein? Nicht Adlerflug ziemt der Erde.

Was der Olymp verbirgt, hier in den irdischen Tiefen
Wird das Verborgne enthüllt, es löst sich das Rätsel der Sterne.

Weshalb noch scheid ich die Welt durch ungeheure Weiten,
Weshalb lenk ich noch ferner die Sterne in mystischen Bahnen,

Strebt doch, was tief in der Erde, empor zum Sitze der Götter,
Und das Irdische nimmt den kühnen Flug in den Himmel.

Ein 22 Jahre langes, sorgenfreies Wirken war Tycho Brahe auf der Insel Hven vergönnt. Als jedoch 1588 sein Gönner König Friedrich II. starb, begann für Tycho, der viele Feinde am dänischen Hof besaß, eine schwere Zeit.

Fundamentreste der Sternenburg

Unter seinen Feinden wird an erster Stelle der Reichshofmeister Valkendorf genannt. Tychos Einkünfte wurden geschmälert, seine Stellung erschüttert, und als ihm von dem jungen König Christian IV. auch die jährliche Pension von 500 Talern gestrichen wurde, glaubte er, nicht mehr imstande zu sein, für den Stab von Beobachtern, den er um sich versammelt hatte, und für die Uranienburg und Sternenburg die Unterhaltskosten aufbringen zu können, so dass er sich entschloß, die Insel, die durch ihn zu einem wichtigen und interessanten Ort geworden war, für immer zu verlassen.

Am 5. März 1597 wurden die letzten Beobachtungen der Sonne, des Mondes und Jupiters auf Hven gemacht, und schon Ende des gleichen Monats waren sowohl die meisten Instrumente, als auch die Bibliothek und die Druckerpresse von der Insel fortgeschafft, nur vier große Instrumente blieben noch dort zurück.

Es genügte indessen den Feinden Tycho Brahes noch nicht, ihn von seinem Domizil vertrieben zu haben, sondern als auch seine Schüler die Insel verlassen hatten, wurden die historischen Bauwerke dem Erdboden gleich gemacht. Nur so ist es auch verständlich, daß außer einem Teil der Wälle, die die Bauwerke einschlossen, von der Uranienburg nichts über der Erde erhalten ist und auch unter der Erde nur die Grundmauern, während bei der Sternenburg noch einige Steinpfeiler übrig blieben. Die Vernichtung der Sternwarte gelang so gut, daß schon 1652, als der Franzose Huet Hven besuchte, fast alles verschwunden war und nur ein einziger Mann sich erinnerte, in seiner Jugend die Sternenburg gesehen zu haben.

Das Ferdinandeum in Prag

Tycho Brahe selbst fand nach seiner Vertreibung von der Insel Hven bei dem Grafen Rantzau in Wandsbek bei Hamburg gastfreundliche Aufnahme; er beobachtete hier, soweit dies mit seinen auf die Reise mitgenommenen Instrumenten möglich war, und verfaßte auch die berühmte Beschreibung der Sternwarten auf Hven und der von ihm konstruierten Instrumente in dem bekannten Werk „Astronomiae Instauratae Mechanica“, das dem Kaiser Rudolf II. gewidmet ist. Der letztere nahm ihn im Jahr 1599 in Prag auf, wohin Tycho Brahe auch die auf der Insel Hven zurückgelassenen Instrumente auf Elbschiffen transportieren ließ, so daß im November 1600 alle 28 tychonischen Instrumente in Prag wieder zusammen waren. Kaiser Rudolf II. stellte Tycho Brahe sein Schloß Benatek und später Ferdinandeum (Abb.) (Belvedere) für astronomische Beobachtungen zur Verfügung. Jedoch war ihm hier kein langes Wirken mehr beschieden, denn schon am 24. Oktober 1601 endete der Tod dieses reichbewegte Leben. Der große Gelehrte, der in der Geschichte der Astronomie unsterblich sein wird, verschied mit den Worten: „Ne frustra vixisse videar!“ (Ich hoffe, nicht vergeblich gelebt zu haben!)

Huets Mitteilung, daß die Gebäude schnell von der Erde verschwunden seien, wurde durch den berühmten Astronomen Picard, der im Jahr 1671 von der Pariser Akademie der Wissenschaften nach Hven geschickt wurde, um die geographische Lage der Insel zu bestimmen, bestätigt. Picard fand nur noch dürftige Reste der Uranienburg vor, und dort, wo die Sternenburg einst gestanden hatte, bemerkte er nur noch eine kleine Vertiefung. Picard konnte die Fundamente erkennen, jedoch war eine Steinmauer durch die Einfriedigung gezogen und hatte den nordöstlichen Wall und etwas von dem Angrenzenden abgetrennt. Dieser Teil war auch bereits gepflügt und schon ganz verwischt.

Während des I8. Jahrhunderts werden die Ruinen von den in den nordischen Staaten reisenden Gelehrten und Schriftstellern oft erwähnt, doch sind sie eingehend von niemand besichtigt worden. 1747 wurde zufällig an der Nordecke des die Uranienburg einschließenden Walles, wo das Dienstbotenhaus gestanden hatte, ein Keller entdeckt, der nach Angaben von Braun auch als Gefängnis benutzt sein sollte. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts haben die Ruinen eine neue Entweihung erlitten, und zwar dadurch, daß der südwestliche Wall der Uranienburg wegen der Erbauung eines Schulhauses durchbrochen wurde.

Gruft Tycho Brahes in der Teynkirche zu Prag

Die ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen sind auf Betreiben des Pfarrers Eckdahl 1822 und 1823 vorgenommen. Er fand in der Uranienburg den Brunnen, der gereinigt wurde und noch heute das beste Wasser auf der Insel gibt, sodann verschiedene Röhren der Wasserwerke, die früher das Wasser an alle Stellen des Gebäudes hinleiteten, und geringe Ueberbleibsel der Laboratorien wie auch einzelne Teile der Grundmauern. Bei der Sternenburg hatte Eckdahl mehr Erfolg. Hier fand er die Krypten mit den kreisförmigen Stufen und einer Säule in der Mitte, auf der der große Quadrant gestanden hatte, wie auch einen Stein, der einstens über dem Eingang der Sternenburg angebracht war und eine lateinische Inschrift folgenden Inhalts trug: „Reichtum und Herrschergewalt vergehen, nur Wissenschaft bleibet“ Später (1845) haben noch der dänische Dichter Beiberg sowie D’Arrest (1868) eine genaue Beschreibung der Ruinen gegeben. Die Befürchtung Dreyers, des ausgezeichneten Tycho Brahebiographen, daß die spärlichen Ueberreste der Ruinen, die der Unbill von Wind und Wetter schutzlos preisgegeben sind, bald ganz von der Erde verschwinden, wird sich hoffentlich nicht erfüllen, denn durch die Feier, die in Anwesenheit des Königs Oskar II. auf der Insel zur Erinnerung an den 300jährigen Todestag statt gefunden hat, ist das Interesse der Allgemeinheit neu erweckt worden. Zu dieser Feier waren die Ruinen von den sie umgebenden Erdteilen freigelegt. Unsere Abbildungen zeigen die Reste der Uranienburg wie die der Sternenburg (Abbildungen).

Es erschien dem Schreiber dieser Zeilen wichtig, das, was zurzeit von den Ruinen noch vorhanden ist, durch genaue Messungen festzulegen. Ich habe daher im Jahr 1902 gemeinsam mit dem Regierungslandmesser Herrn Mar Albrecht die Insel Hven besucht. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das Westtor freigelegt, wodurch für die Vermessung ein neuer wichtiger Fixpunkt gewonnen war. In der von der Treptow-Sternwarte herausgegebenen Zeitschrift „Das Weltall“ sind die wissenschaftlichen Beschreibungen unseres Besuches auf Hven und der Vermessungen mit Abbildungen erschienen. Einige der bei früheren Ausgrabungen zutage geförderten Gegenstände sind mir bei meinem dortigen Besuch in liebenswürdiger Weise für das Museum der Treptow-Sternwarte geschenkt worden. Wir geben auch hiervon Abbildungen. Auch die Stätten, die durch Tycho Brahe ein besonderes historisches Interesse gewonnen haben, besuchten wir, so zum Beispiel Knutstorp, dessen jetziger Besitzer, Graf Wachtmeister, auch ein Tycho Braheverehrer ist, und die Kirche zu Kageröd, in der sich ein Grabmal von Tycho Brahes Eltern befindet.

Was nun den Zustand der Ruinen im August 1902 betrifft, so ist nach unsern Forschungen und Messungen festgestellt, daß von den Wällen nur noch ein geringer Teil erhalten ist. Außer dem Schulhaus ist noch ein Wirtschaftsgebäude und ein Wohnhaus mitten innerhalb der Wälle aufgeführt worden, ferner ist ein Denkmal, das zur Erinnerung an einen Besuch König Oskars I. im Jahr 1846 errichtet wurde, mitten auf die Wallkrone gesetzt ist.

Bei dem großen Interesse, das König Oskar II. den Wissenschaften und speziell den Tycho Braheforschungen entgegenbringt, ist zu erwarten, daß nunmehr Mittel und Wege gefunden werden, den jetzigen Zustand der Ruinen zu erhalten und weiterer Zerstörung vorzubeugen.

Dieser Artikel erschien 1904 in Die Woche.