Architekt: Franz Thyriot in Köln a. Rh.
Der 6. August 1901 war ein seltener Festtag für die schöne Stadt Friedberg in Oberhessen, die ehemalige Reichsstadt in der Wetterau. Man weihte die neue Augustiner-Schule ein, ein Werk des Architekten Franz Thyriot in Köln a. Rh., hervorgegangen aus einem Wettbewerb unter deutschen Architekten.
Die reiche Anerkennung für das Bauwerk kam in gleicher Weise von pädagogischer wie von künstlerischer Seite. Dürftigkeit und Raummangel wurden in der Ansprache des Direktors Löbell als das Kennzeichen der alten Schule bezeichnet; für ein Gymnasium sei der Gegensatz zwischen der Griechenschönheit, die dort gelehrt werde, und den kahlen Kasernenwänden ein schneidender gewesen. Im neuen Gebäude aber herrschten Gleichklang und Ebenmaass und es trage dazu bei, durch das Schöne zum Guten zu erziehen. Ein dem Feste anwohnendes Mitglied des Preisgerichtes, Hr. Geh. Ob.-Brth. Hofmann-Darmstadt, bezeichnete den Bau als vorbildlich und herrlich, ausgegangen von einem Künstler, der die Herzenspoesie von Hause aus mitbringe. Das so beurtheilte Werk kennen zu lernen, geben wir unseren Lesern durch die nachfolgende Veröffentlichung Gelegenheit, zu welcher der Künstler selbst das Wort nimmt.
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Behufs Erlangung von Entwürfen für ein neues Schulgebäude der Augustinerschule zu Friedberg wurde 1898, nachdem ein Friedberger Kunstfreund die für ein Preisausschreiben nothwendigen Mittel zur Verfügung gestellt hatte, von der Friedberger Stadtverwaltung ein allgemeiner Wettbewerb unter deutschen Architekten ausgeschrieben. Der Entwurf des Unterzeichneten wurde mit dem I. Preise gekrönt. Aufgrund eines zweiten, engeren Wettbewerbes, an welchem noch die Verfasser des einen mit einem II. Preise gekrönten Entwurfes theilnahmen, wurde die gesammte Bearbeitung der Ausführungspläne und die Bauleitung dem Unterzeichneten übertragen. Nachdem am 10. Sept. 1899 der erste Spatenstich gethan war, wurde am 29. Okt. desselben Jahres der Grundstein zu dem Gebäude in feierlicher Weise gelegt. Obwohl während des Frostes der Winterzeit 1899/1900 und 1900/01 die Bauthätigkeit monatelang aussetzte, war das Gebäude doch anfangs Juli 1901 vollendet und ist am 6. Aug. d. J. seiner Bestimmung übergeben worden.
Das Gebäude ist für 730 Schüler berechnet und zwar sind vorgesehen: 4 Vorschulklassen zu je 25 Schülern, 9 Gymnasialklassen zu je 25 Schülern, und 9 Realklassen (darunter 3 Reservezimmer für Parallelklassen) zu je 45 Schülern. Gegenwärtig unterrichten einschl. des Direktors an der Anstalt 22 Lehrer 416 Schüler. Eine räumliche Trennung der Gymnasial- und Realklassen war nicht gefordert; es vertheilen sich daher die Klassen über die 3 Geschosse in folgender Weise: Im Erdgeschoss sind die 4 Vorschulklassen sowie Sexta, Quinta und Quarta des Gymnasiums untergebracht. Das I. Obergeschoss nimmt die übrigen 6 Gymnasialklassen, sowie Sexta und Quinta der Realschule auf, während das II. Obergeschoss für die übrigen 4 Realklassen und die 3 Parallelklassen, von denen vorläufig 2 zusammengelegt sind und als Gesangsaal benutzt werden, bestimmt ist. Später dient der Zeichensaal als Gesangsaal. Ausserdem enthält das Erdgeschoss des Hauptgebäudes einen Lehrsaal für Physik und Chemie nebst Vorbereitungszimmer und je einem grösseren und kleineren Sammlungsraum, sowie ein Zimmer für die Alterthums-Sammlung und ein Pedellenzimmer am Haupteingang.
Im I. Obergeschoss ist an der Ecke des Platzes und des seitlich vorbeiführenden Schützenrains das Erkerzimmer des Direktors nebst Vorzimmer untergebracht: Ausserdem enthält das Geschoss das Konferenz- und Lehrerzimmer, einen Sammlungsraum für beschreibende Naturwissenschaften und die Bibliothek. Im II. Obergeschoss liegen ausser dem Gesangsaal und den schon genannten Klassenräumen nach Norden der Zeichensaal nebst Sammlungszimmer für Lehrmittel.
In einer besonderen Baugruppe ist dem Hauptgebäude, nur durchschnittlich 0,30 m über dem umgebenden Gelände gelegen, die Turn- und Festhalle (in Hessen werden allenthalben diese beiden Räume verbunden) nebst dem Archiv angegliedert. Ueber dem Haupteingang zu ersterer an der Schmalseite, über der Kleiderablage und dem Gerätheraum, welche auf 3,65 m liegen bleiben, sowie über dem Archiv und der Halle sind, durch eine besondere Treppe zugänglich, Gallerien nebst Garderoben angeordnet. Diejenigen über letztgenannten beiden Räumen öffnen sich in mächtigen Bögen nach dem Festraum.
An die nördliche Schmalseite der Turn- und Festhalle lehnt sich das Schüler-Abortgebäude nebst Vorraum an, während an die Nordseite des Hauptgebäudes das Pedellenhaus sich anschmiegt. Das letztere enthält 3 Zimmer, Küche, Abort, Keller (in letzterem auch Waschküche) und Baderaum.
In dem Keller des Hauptgebäudes sind die Zentral- (Niederdruck-Dampf- und Luft-) Heizung mit ihren Frischluftkammern, Räumen für Brennmaterial usw. und ein grosser zweiter Raum für die Alterthums-Sammlung untergebracht. Letzterer dient für die grösseren, schwereren Stücke von kunst- und kulturhistorischer Bedeutung, welche theilweise von Ausgrabungen herrühren. In dem Hauptgebäude sind 2 Treppen angelegt, welche den Verkehr zwischen den einzelnen Geschossen vermitteln.
Als Flächeneinheit für den Schüler waren gefordert: für kleinere Schüler 1 qm, für grössere Schüler 1,2 bis 1,54 qm. Diese Maasse sind durchweg reichlich vorhanden. Die Raumeinheit bewegt sich bei lichten Stockwerkshöhen von 4,05 m in Unter- und Oberklassen zwischen 4,2 bis 5,21 cbm für 1 Schüler. Die lichte Fensterfläche beträgt überall etwas mehr als 1/5 der Grundfläche der einzelnen Klassenzimmer. Die freie Spielplatzfläche bemisst sich für den Kopf (bei Annahme von 730 Schülern) auf rd. 2,75 qm. Ausserdem ist ein besonderer Turnhof vorhanden, auch ist ein botanischer Garten im Anschluss an den Spielplatz angelegt. – (Schluss folgt)
Die grossherz. Augustinerschule, Gymnasium und Realschule, in Friedberg, Hessen.
Arch.: Franz Thyriot in Köln a. Rh.
Die Architektur des Gebäudes ist im Stile deutscher Frührenaissance entworfen und dabei sind vielfach hessische Motive, wie geschieferte Giebel und Thürmchen, verwendet worden. Die Architekturtheile sind in rothem Mainsandstein erstellt. die Flächen sind geputzt. Der Sockel des Gebäudes besteht aus sog. Lungsteinen, einer Basaltlava aus hessischen Brüchen, welche in unregelmässigen, an den Fenster-Umrahmungen scharrirten, im übrigen gespitzten Quadern versetzt sind. Auch sind Lungsteine hier und.da, abwechselnd mit weissem Sandstein, zwischen den rothen Sandsteinwerkstücken der Gebäudeecken, der Portalvorhalle usw. zur Verwendung gekommen.
Sämmtliche Dachflächen und Thurmhauben, auch einige Giebel- und Wandflächen sind in Cauber Schiefer eingedeckt. Die Konstruktion des Gebäudes ist durchaus massiv. Die Korridore, Hallen und Treppenhäuser sind mit Kreuz- und Tonnen- bezw. Netzgewölben überspannt, welche der Kürze der Bauzeit halber in Rabitz-Konstruktion ausgeführt werden mussten. Die Decke der Turn- und Festhalle hat eine Holzkonstruktion unter theilweiser Einbeziehung des Dachwerkes erhalten. Die korbbogenförmigen Binder sind als Böhlenbögen konstruirt. Die zwischen der Holzkonstruktion der Decke liegenden Flächen sind geputzt.
Bei der Anlage der Turn- und Festhalle ist besonderes Gewicht darauf gelegt worden, dass dieser Raum bei Benutzung zu festlichen Veranstaltungen möglichst wenig an seine zweite Bestimmung als Turnhalle erinnere. Zu diesem Zweck sind alle Turngeräthe leicht zu beseitigen; die zwischen der Zange der Deckenkonstruktion laufenden Säulen der 3 hintereinander liegenden Recke können in Nischen, welche in der Wand der einen Langseite des Raumes angelegt sind, verschoben werden.
Das Erdgeschoss misst 1691,96 qm, das II. Obergeschoss 980,28 qm bebauter Fläche. Die gesammte Kubikmasse ohne Dachraum berechnet sich auf 21270 cbm. Die Gesammtbaukosten beliefen sich einschl. Architektenhonorar und Kosten für örtliche Bauleitung auf 345 000 M. Das cbm umbauten Raumes, von Keller-Fussboden bis Oberkante Hauptgesims der einzelnen Bauruppen gemessen (also ohne Berücksichtigung des Dachraumes und sämmtlicher Aufbauten) berechnet sich auf rd. 16,20 M. Bei Einrechnung des Dachraumes mit 1/3 seiner Höhe ergeben sich 14,65 M. für 1 cbm.
Die örtliche Bauleitung ruhte in den Händen des Bauführers Hrn. Friedr. Pohl aus Lorchhausen a. Rh., welcher mit seltener Tüchtigkeit und Umsicht seines Amtes waltete.
Die Erd-, Maurer- und Asphalt-Arbeiten, sowie die Lieferung der Lungsteine hatten die Friedberger Maurermeister Th. Morschel und H. Reuss gemeinsam übernommen. Die Steinmetzarbeiten in rothem Sandstein lieferten Gebr. Hack in Boxthal b. Wertheim a. Main, die Granitstufen der Freitreppen, der beiden Haupttreppen, sowie deren Podestplatten Paul Jakob aus Marktleuthen im Fichtelgebirge, während die Lieferung der eisernen Träger der Firma Hupfeld in Wiesbaden und die Ausführung der umfangreichen Zimmerarbeiten den Zimmermeistern Füller, Vater und Söhne, in Friedberg übertragen waren. Die Dachdeckerarbeiten wurden vom Dachdeckermeister Walther in Assenheim besorgt, die Spenglerarbeiten hatte C. F. Frick, die Schreinerarbeiten mit Ausnahme der Fussböden, welche die Firma Himmelsbach in Karlsruhe lieferte, W. F. Jordis, beides Friedberg, übernommen, Die Schmiede- und Schlosserarbeiten lieferte Hess in Friedberg, die Fensterbeschläge und die Kleiderhaken Franz Brechenmacher in Frankfurt a. M. Die Glaserarbeiten waren Fritz Fuss in Wiesbaden, die Verputz- und Anstreicherarbeiten der Firma Georg Hieronimus in Friedberg übertragen. Die Niederdruck-Dampfheizungs-Anlage lieferte Fritz Käferle in Hannover. Die Gas- und Wasseranlagen wurden vom städt. Gas- und Wasserwerk in Friedberg besorgt, während die Beleuchtungskörper der Klassenzimmer die Akt.-Ges für Gas und Elektrizität in Köln-Ehrenfeld, die Lustres und Wandarme der Turn- und Festhalle, des Konferenzzimmers und der Korridore J. H. Lussmann Söhne in Frankfurt a. M. lieferten. Die Rabitzarbeiten fertigten Arbogast und Sorg in Strassburg i.E.
Köln a. Rh.. Franz Thyriot, Architekt.
Dieser Artikel erschien zuerst am 31.08. & 07.09.1901 in der Deutsche Bauzeitung.